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Download: Schwarzgeldabreden beim Grundstückskauf - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten der zivil- und arbeitsrechtlichen Folgen von Schwarzgeldabreden. Eingebunden ist es in den Streit zwischen Käufer und Verkäufer über die Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags.

Der zu entscheidende Fall

Der Beklagte verkaufte der Klägerin mit notariellem Vertrag eine Wohnungs- und Teileigentumseinheit; im Vertrag erklärten die Parteien zugleich die Auflassung. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 120.000 € beurkundet. Tatsächlich vereinbart war ein Preis von 150.000 €. Den Differenzbetrag von 30.000 € hatte die Klägerin bereits vor dem Beurkundungstermin in bar gezahlt. Nach Zahlung des restlichen Kaufpreises wurde die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Nachdem der Beklagte eine Selbstanzeige im Hinblick auf seine Mitwirkung bei der Verkürzung der Grunderwerbsteuer erstattet und das Finanzamt die Grunderwerbsteuer für den gesamten Kaufpreis festgesetzt hatte, führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags und dessen Rückabwicklung. Im Zug dessen beantragte und bewilligte die Klägerin auf Drängen des Beklagten zugunsten des Beklagten die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch. Der Beklagte überwies daraufhin 120.000 € auf das Treuhandkonto eines Notars, der den Betrag an die Klägerin auszahlte, obwohl der Beklagte noch nicht wieder als Eigentümer eingetragen worden war.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das Landgericht Braunschweig hat den Kaufvertrag als nichtig angesehen und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht Braunschweig den Beklagten verurteilt, der Löschung des Widerspruchs zuzustimmen. Die vom BGH selbst zugelassene Revision ist erfolglos geblieben, weil die Klägerin Eigentümerin Wohnungs- und Teileigentumseinheit geworden ist. Folge davon ist, dass der Widerspruch gegen ihre Eintragung im Grundbuch unberechtigt ist und sie in analoger Anwendung des § 894 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs verlangen kann. Dass sie dessen Eintragung auf Veranlassung des Beklagten zugestimmt hatte, bleibt für die Frage der Berechtigung des Widerspruchs unerheblich.

Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Formunwirksamkeit

Der BGH prüft zunächst, ob der Kaufvertrag formunwirksam war und die Unwirksamkeit das dingliche Geschäft der Übereignung erfasste. Schon die erste Frage verneint der BGH.

Der Kaufvertrag sei nicht formunwirksam. Zwar war der beurkundete Vertrag mit dem zu niedrigen Kaufpreis als Scheingeschäft nichtig gemäß § 117 BGB und der gewollte Vertrag über 150.000 € zunächst formnichtig, weil er insoweit nicht, wie erforderlich nach § 311b BGB notariell beurkundet worden war. Nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB wurde der Formmangel jedoch durch die Auflassung und Eintragung im Grundbuch geheilt, der Kaufvertrag wurde damit formwirksam.

Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot

Sollte der Kaufvertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, griffe der Heilungstatbestand des § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein, weil dieser nur die Formnichtigkeit erfasst.

Gemäß § 134 BGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.

Die Schwarzgeldabrede, so führt der BGH aus, habe aber nicht wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Kaufvertrags geführt.

Die Unterverbriefung hätte den Zweck gehabt, den Finanzbehörden einen geringeren Kaufpreis vorzuspiegeln, um hierdurch Steuern zu hinterziehen. Dass der nicht beurkundete Kaufpreisanteil in bar gezahlt wurde, habe für sich genommen keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Bei einer solchen Motivation der Parteien sei der Kaufvertrag in der Regel nicht nichtig.

Anders liege es nach ständiger, von den anderen Senaten des BGH geteilter Rechtsprechung des erkennenden Senats nur, wenn die Steuerhinterziehungsabsicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Kaufvertrags sei, was jedoch regelmäßig nicht der Fall sei, wenn der Leistungsaustausch – Übertragung des Grundstücks und Zahlung des Kaufpreises – ernstlich gewollt sei.

Der BGH konstatiert allerdings, dass die Vereinbarung der Falschangabe des Kaufpreises zum Zweck einer nachfolgenden Steuerhinterziehung rechtlich etwas Anstößiges habe. Dies lasse den Vertrag selbst aber nur dann als rechtlich anstößig erscheinen, wenn die verbotene Steuerhinterziehung den von den Parteien beabsichtigten Hauptzweck des Vertrags bilde. Nur dann widerspreche das gesamte Rechtsgeschäft den der Rechtsordnung selbst innewohnenden rechtsethischen Werten und Prinzipien und sei folglich wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Sei der Leistungsaustausch dagegen ernstlich gewollt und die Steuerhinterziehung nur Nebenzweck, bestehe nach der Zielrichtung des § 370 AO über die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung und die Beitreibung der hinterzogenen Steuern hinaus kein Grund, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.

Vorliegend sei der Hauptzweck des Kaufvertrags nicht in der Hinterziehung von Steuern begründet gewesen, vielmehr der Leistungsaustausch von den Parteien durch die Begründung rechtsverbindlicher Verpflichtungen ernstlich gewollt und sodann auch vollzogen worden. Die „Ersparnis“ an Grunderwerbsteuer in Höhe von rund 1.500 € trete deutlich hinter das Erwerbsinteresse zurück.

Der Kaufvertrag sei auch nicht deswegen nichtig, weil die Schwarzgeldabrede für sich genommen nichtig gewesen sei und diese sich nach § 139 BGB auf den gesamten Kaufvertrag erstreckte.

Nach § 139 BGB führt die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäftes zur Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts, sofern nicht anzunehmen ist, dass die Parteien das Rechtsgeschäft in seinem wirksamen Teil auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen hätten. Zweck der Regelung sei es zu verhindern, so der BGH, dass den Parteien anstelle eines als Ganzes gewollten Rechtsgeschäfts ein Teil ihres Geschäfts aufgedrängt wird.

Hier habe die Schwarzgeldabrede der Vorbereitung einer Straftat nach § 370 AO gedient. Selbst wenn sie deswegen für sich genommen nach §§ 134, 138 BGB nichtig gewesen sein sollte, führe dies nicht nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags, weil davon auszugehen sei, dass die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede abgeschlossen hätten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede, also bei Beurkundung des gesamten Kaufpreises, zu den gleichen Konditionen abgeschlossen.

Der BGH konnte daher unentschieden lassen, ob im vorliegenden Fall eine Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Kaufvertrags auch das dingliche Geschäft der Übereignung erfasst hätte.

Unwirksamkeit des Kaufvertrags aufgrund von § 16a GwG

Der BGH brauchte ferner nicht zu entscheiden, ob der mit Wirkung zum 28.12.2022 in das Gesetz eingefügte § 16a des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) die Nichtigkeit des Kaufvertrags bedingt hätte, wenn dieser nach dem 31.03.2023 abgeschlossen worden wäre. Diese Vorschrift lautet:

„Bei Rechtsgeschäften, die auf den Kauf oder Tausch von inländischen Immobilien gerichtet sind, kann eine geschuldete Gegenleistung nur mittels anderer Mittel als Bargeld, Kryptowerten, Gold, Platin oder Edelsteinen bewirkt werden. Dasselbe gilt für den Erwerb von Anteilen an Gesellschaften, zu deren Vermögen unmittelbar oder mittelbar eine inländische Immobilie gehört. Übergibt der Schuldner Bargeld, Gold, Platin oder Edelsteine oder überträgt er Kryptowerte als Gegenleistung, kann er diese nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herausverlangen; die §§ BGB § 815 und BGB § 817 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind nicht anzuwenden.“

Da diese neue Norm nach § 59 Abs. 11 GwG nur auf Verträge Anwendung findet, die nach dem 31.03.2023 abgeschlossen wurden, konnte er sich auf den vorliegenden, weit früher geschlossenen Vertrag nicht auswirken.

Folgen der Schwarzgeldabrede für die Wirksamkeit des Vertrags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum SchwarzArbG

Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist ein unter den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) fallender Vertrag ohne Weiteres in seiner Gesamtheit nichtig, wenn darin Regelungen enthalten sind, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. In subjektiver Hinsicht reicht es dafür aus, dass der Unternehmer vorsätzlich gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt. Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit des Vertrags tritt dabei unabhängig vom verfolgten Hauptzweck des Vertrags ein.

Der V. Zivilsenat des BGH sieht sich aufgrund dieser Rechtsprechung des VII. Senats nicht veranlasst, von seiner bisherigen, zuvor dargestellten Rechtsprechung zu Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufverträgen abzuweichen.

Die Erwägungen, die im Fall eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Dienst- oder Werkvertrags führen, seien auf Schwarzgeldabreden im Rahmen von Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar. Das Verbotsgesetz, gegen das durch eine solche Abrede verstoßen werde, § 370 AO, habe eine andere Zielrichtung.

§ 1 SchwarzArbG verbiete unmittelbar den Abschluss von Verträgen, die auf die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gerichtet seien, weil das Ziel die Bekämpfung von Schwarzarbeit sei. Zur Erreichung dieses Zwecks wolle das Gesetz nicht nur den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit eindämmen, sondern im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung und des redlichen Wettbewerbs den zugrunde liegenden Rechtsgeschäften ihre rechtliche Wirkung nehmen. Nur so könne der Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern schlechthin unterbunden werden.

Eine entsprechende Zielsetzung existiere für Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufvertragen nicht. Eine solche Abrede könne zwar gegen § 370 AO verstoßen. Nach dieser Vorschrift mache sich strafbar, wer Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben mache und dadurch Steuern verkürze. Der Schutzzweck dieser Norm liege aber nicht zumindest auch im Schutz des redlichen Wettbewerbs, etwa dem Schutz anderer Kaufinteressenten, sondern allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens. Dieser Zweck erfordere es nicht, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.

Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung der 120.000 €

Ob dem Beklagten, der über das Treuhandkonto des Notars den beurkundeten und ursprünglich von der Klägerin entrichteten Kaufpreis in Höhe von 120.000 € an diese zurückgezahlt hatte, wiederum ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin in selbiger Höhe zusteht, war nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Download: Insolvenzverwalter vs. Sonderinsolvenzverwalter - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Der Sonderinsolvenzverwalter

Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters (Sonderverwalter) ist immer dann geboten, wenn der Insolvenzverwalter tatsächlich oder rechtlich verhindert ist, sein Amt auszuüben. Die Verhinderungsgründe treten im Allgemeinen erst nach der Bestellung des Insolvenzverwalters auf. Durch die Bestellung des Sonderinsolvenzverwalters wird die Verwaltungstätigkeit des Insolvenzverwalters nicht eingeschränkt Sie bedeutet nicht seine Teilentlassung, daher ist zur gebotenen Abgrenzung der Aufgabenbereiche im Beschluss, mit dem das Insolvenzgericht den Sonderinsolvenzverwalters bestellt, zum Schutz der Verfahrensbeteiligten und aus Gründen der Rechtsklarheit der Aufgabenbereich des Sonderverwalters genau zu bezeichnen.

Eine tatsächliche Verhinderung liegt zum Beispiel in zeitweisen Erkrankungen. Eine rechtliche Hinderung ist etwa gegeben, wenn der Insolvenzverwalter eine von ihm zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung gleichzeitig selbst prüfen müsste. Allgemeiner gesprochen ist er rechtlich verhindert, wenn Interessenkollisionen in seiner Person, eventuell auch beschränkt auf einen Teilbereich, vorliegen. Das ist vor allem der Fall, wenn Schadensersatzansprüche für die Insolvenzmasse gegen den ihn in Betracht kommen, die auf einer Pflichtverletzung beruhen, die nicht so gravierend ist, dass sie seine Entlassung aus dem Verwalteramt nach sich zieht. Anderenfalls ist der neu zu bestellende Insolvenzverwalter zur Verfolgung der Schadensersatzansprüche aufgerufen.

Vorliegend geht es um einen etwas skurrilen Fall, in dem zunächst ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wurde, der Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter prüfen und gegebenenfalls durchsetzen sollte und dem – das stand im Besprechungsfall zur Entscheidung an – im Anschluss hieran der Insolvenzverwalter seinerseits vorwarf, bei seiner Inanspruchnahme Pflichtverletzungen zulasten der Masse begangen zu haben. Der Fall ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass er noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) unter Geltung der in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 in Kraft befindlichen Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) begonnen hat und nach deren Regeln fortgeführt werden muss. Die hier interessierenden Fragen gelten aber gleichermaßen für das Insolvenzverfahren.

Der zu entscheidende Fall

Der besseren Übersicht halber wird der Sachverhalt weitestgehend in Tabellenform dargestellt.

01.11.1994
Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Der Kläger (des vorliegenden Rechtsstreits) wird Gesamtvollstreckungsverwalter.

03.11.1994
Der Kläger schließt einen Sozialplan für 398 Arbeitnehmer mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Mio. DM.

25.11.1999
Der Kläger zahlt auf den Sozialplan rund 1,4 Mio. DM (rund 758.000 €).

14.03.2006
Der Kläger weist auf einer Gläubigerversammlung, nachdem die Verwertung von Immobilien der Schuldnerin erfolglos geblieben war, darauf hin, dass die Sozialplangläubiger überzahlt seien. Von einer Rückforderung sehe er jedoch mangels hinreichender Erfolgsaussichten ab.

07.01.2011
Der Beklagte (des vorliegenden Rechtsstreits) wird zum Sonderverwalter bestellt mit folgendem Aufgabenkreis: Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter wegen der erfolgten Verteilung an die Sozialplangläubiger.

01.02.2011
Der Beklagte teilt dem Kläger seine vorläufige Rechtsauffassung mit, wonach sich der Kläger wegen Überschreitung der sogenannten Drittelgrenze des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO schadensersatzpflichtig gemacht habe, und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.02.2011.

[Die Vorschrift lautete: „Die Erfüllung (der Gesamtvollstreckungsforderungen) hat nach folgender Rangordnung und innerhalb eines Ranges im gleichen Verhältnis zu erfolgen:
1. mit gleichem Rang
a) Lohn- oder Gehaltsforderungen für die Zeit bis zu zwölf Monaten vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung,
b) die Forderungen der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit wegen der Rückstände für die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung auf Beiträge einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen,
c) Forderungen aus einem vom Verwalter vereinbarten Sozialplan, soweit die Summe der Sozialplanforderungen nicht größer ist als der Gesamtbetrag von drei Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und ein Drittel des zu verteilenden Erlöses nicht übersteigt; entsprechendes gilt für außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen, …“]

25.02.2011
Der Kläger lehnt seine Haftung ab

12.12.2014
Der Beklagte erwirkt einen Mahnbescheid über 758.000 €.

22.06.2015
Nach Widerspruch des Klägers reicht der Beklagte eine Anspruchsbegründung beim zuständigen Landgericht (LG) Baden-Baden ein und begehrt darin zusätzlich Zinsen ab 01.12.1999.

12.05.2017
Das LG Baden-Baden spricht die Hauptforderung nebst Zinsen ab 13.12.2014 zu. Für den Zeitraum vorher fehle es an einer bezifferten Zahlungsaufforderung oder an einer Mitteilung, die als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung anzusehen sei, sodass Verzugszinsen nicht zugesprochen werden könnten.

06.06.2018
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe weist Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten mit der dieser Zinsen ab 14.03.2006 (43.000 €) begehrt, zurück.

19.03.2020
Der Kläger nimmt nunmehr als Gesamtvollstreckungsverwalter den Beklagten wegen Pflichtverletzungen im Vorprozess in seinem Amt als Sonderverwalter auf Zahlung von 43.000 € in Anspruch. Er macht geltend, der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, ihn, den Kläger, in Verzug zu setzen, und verlangt vom Beklagten, die der Gesamtvollstreckungsmasse entgangenen Verzugszinsen für den Zeitraum vom 01.02.2011 bis zum 12.12.2014, insgesamt 142.000 €, zu ersetzen. Hinsichtlich weiterer 99.000 € hat er sich eine Klageerweiterung vorbehalten.

Das LG Leipzig gibt der Klage in Höhe von 41.000 € statt. Auf die Berufung des Beklagten weist das OLG Dresden im Berufungsverfahren die Klage ab; die Anschlussberufung des Klägers, mit der dieser weitere 99.000 € begehrt, weist es zurück.

Mit seiner vom Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter. Der BGH weist die Revision zurück. Allerdings hält er die Klage bereits für unzulässig, wohingegen das OLG sie für zulässig gehalten, aber als unbegründet angesehen hatte, weil die Schadenersatzforderung der Gesamtvollstreckungsmasse gegen den Beklagten zwar berechtigt gewesen, im Zeitpunkt der Klageeinreichung durch den Kläger aber bereits verjährt gewesen sei.

Die Begründung des BGH

Dem Kläger fehle die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche. Der Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren sei in dem Bereich, für den ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Verwalters an einer Amtsführung bestellt ist, nicht befugt, Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter wegen Pflichtverletzungen aus dessen Amtsführung zu verfolgen. Ansprüche, die sich gegen einen Sonderverwalter richteten, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt worden sei, könnten nur von einem nach Entlassung des bisherigen Gesamtvollstreckungsverwalters neu bestellten Verwalter oder einem weiteren Sonderverwalter geltend gemacht werden. (Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen.)

Werde in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Gesamtvollstreckungsverwalters aufgrund einer Interessenkollision bestellt, habe der Gesamtvollstreckungsverwalter in dem Bereich, für welchen der Sonderverwalter bestellt sei, keinerlei Kompetenzen.

Grundsätzlich gehe mit Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gemäß § 8 Abs. 2 GesO (heute § 80 InsO) die Befugnis, das zur Masse gehörige Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, umfassend auf den Verwalter über.

Zu den Aufgaben eines Verwalters gehöre es auch, Ansprüche der Gesamtvollstreckungsgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Masse gehörenden Vermögens erlitten hätten, geltend zu machen. Dies sei in der GesO zwar – anders als heute in § 92 InsO – nicht ausdrücklich geregelt, gelte aber auch dort.

Richteten sich solche Ansprüche gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter selbst, sei dieser jedoch aufgrund der bestehenden Interessenkollision rechtlich gehindert, sein Amt auszuüben. Die Haftung eines Verwalters wegen Pflichtverstößen könne nur von einem neuen Verwalter oder von einem Sonderverwalter geltend gemacht werden.

Der Sonderverwalter werde in einem Bereich tätig, der aufgrund der Verhinderung des Verwalters nicht zu dessen Aufgaben gehört. Dieser sei insoweit nicht „Verwalter“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der GesO. Auch von einer Prozessführung als Partei kraft Amtes, als die er sonst für die Masse zu handeln habe, sei er ausgeschlossen.

Dieser Ausschluss der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Gesamtvollstreckungsverwalters erstrecke sich auch auf die Frage, ob der Sonderverwalter im Rahmen seiner Amtsführung Pflichtverletzungen begangen habe. Es sei gerade das Ziel der Bestellung eines Sonderverwalters, die Aufgabenbereiche voneinander abzugrenzen und mögliche Interessenkonflikte des Verwalters zu vermeiden. Mit diesem Ziel wäre nicht zu vereinbaren, wenn es dem Verwalter gestattet wäre, die gegen ihn gerichtete Amtsführung des Sonderverwalters einer Überprüfung zu unterziehen.

Der rechtskräftige Abschluss des Schadensersatzprozesses gegen den Verwalter vor dem LG Baden-Baden lasse den Interessenkonflikt, dessentwegen der Sonderverwalter eingesetzt wurde, ebenso wenig entfallen wie die erfolgte Begleichung der ausgeurteilten Schadensersatzforderung.

Ein Interessenwiderstreit ergebe sich daraus, dass bei einer Inanspruchnahme des Sonderverwalters das Verhalten des Gesamtvollstreckungsverwalters, das ursprünglich zur Bestellung des Sonderverwalters geführt habe, erneut und ohne Bindungswirkung durch ein im Schadensersatzprozess gegen den Verwalter ergangenes Urteil zu beurteilen sei. Die Interessenkollision, die das Erfordernis zur Befassung eines Sonderverwalters begründet habe, wirke deshalb fort. Schon deshalb führe der Verwalter einen Prozess gegen den Sonderverwalter nicht unbefangen.

Das ergebe sich schon daraus, dass die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht für die jetzt handelnden Personen gelte. Damals habe der jetzige Beklagte als Sonderverwalter als Partei kraft Amtes gehandelt, nunmehr sei er persönlich Partei, umgekehrt handele der Kläger jetzt als Partei kraft Amtes und sei zuvor persönlich in Anspruch genommen worden. Es fehle folglich an der notwendigen Identität der Parteien. Inzident hätte also auch der Bestand der ursprünglichen Schadensersatzforderung gegen den Kläger jetzt erneut geprüft werden müssen.

Im Streitfall werde der fortbestehende Interessenkonflikt auch darin offenbar, dass der Kläger zur Begründung des Schadensersatzverlangens gegen den Beklagten geltend machen müsse, er selbst sei vom Beklagten im Ursprungsprozess nicht im gebotenen Umfang in Haftung genommen worden. Eine solche Behauptung sei dem Kläger ohne eigenen Nachteil nur möglich und zumutbar, wenn gegen ihn in Betracht kommende Ansprüche entweder rechtskräftig abgewiesen oder zweifelsfrei verjährt seien. Selbst wenn eine weitergehende Inanspruchnahme im konkreten Einzelfall sicher ausschiede, hätte er gegenüber den Gläubigern der Gesamtvollstreckungsschuldnerin potentiell rechtfertigen müssen, warum er von ihm selbst als berechtigt erkannte Ansprüche nicht erfüllt habe, sondern versucht habe, diese auf den Sonderverwalter weiter zu wälzen.

Das Erfordernis, einen weiteren Sonderverwalter (oder einen neuen Verwalter) zu bestellen, stelle sicher, dass das Bestehen etwaiger Ansprüche gegen den Sonderverwalter ohne Einfluss des Interessenkonflikts geprüft und damit einhergehende Prozess- und Kostenrisiken unbefangen bewertet würden. Erst dies ermögliche eine sachgerechte Entscheidung über das weitere Vorgehen. Dass mit der Einsetzung eines Sonderverwalters Kosten verbunden seien, sei hinzunehmen. Sie könnten zudem Teil des gegenüber dem Sonderverwalter zu liquidierenden Schadens sein.

Zugleich schaffe der Ausschluss der Prozessführungsbefugnis des Verwalters Klarheit hinsichtlich des Verjährungsbeginns für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter. Verjährungsfristen begännen grundsätzlich erst dann zu laufen, wenn der betroffene Gläubiger die Möglichkeit habe, verjährungshemmende Maßnahmen einzuleiten. Maßgeblich sei grundsätzlich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs zuständigen Verwalters; zuvor bestehe eine Durchsetzungssperre. Danach bestehe für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter eine Durchsetzungssperre bis zur Einsetzung eines weiteren Sonderverwalters oder der Ernennung eines neuen Verwalters.

Das Amtsgericht als Gesamtvollstreckungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob es einen neuen Sonderverwalter bestellt, der Ansprüche gegen den Beklagten, gegebenenfalls auch gegen den Kläger zu untersuchen haben wird.

Download: Sozialplanausschluss befristet angestellter Arbeitnehmer durch Stichtagsregelungen – ein Rechtsstreit als Spätwirkung des BER - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Sozialpläne sind nicht an feste Gestaltungen gebunden. Vielmehr obliegt es Arbeitgeber und Betriebsrat unter Ausnutzung ihrer Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die Typisierungen und Pauschalierungen einschließen, für den konkreten Betrieb geeignete Vereinbarungen zu treffen.

Gebunden sind sie hierbei allerdings an den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Dieser auf das allgemeine Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zurückzuführende Grundsatz zielt darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Da maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung regelmäßig der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck ist, müssen sich Gruppenbildungen in Sozialplänen an deren zukunftsbezogener Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion orientieren. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

Diesem Grundsatz trägt auch § 4 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG) unter der Überschrift „Verbot der Diskriminierung“ Rechnung:

(1) Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

(2) Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.

Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem Besprechungsurteil eine Sozialplanregelung zu prüfen, die eine gezielte Ungleichbehandlung befristet und unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer aufwies.

Der zu entscheidende Fall

Der klagende Arbeitnehmer (Kläger) verlangt von seiner (ehemaligen) beklagten Arbeitgeberin (Beklagte) eine Sozialplanabfindung.

Die Beklagte erbrachte – zunächst auf der Grundlage eines Nutzungsvertrags aus 2006 mit der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG) – am Flughafen Tegel Dienstleistungen in Form der Betankung von Flugzeugen. Unter dem 22.02.2012 teilte die BFG der Beklagten mit, dass die Betriebsgenehmigung für den Flughafen aufgehoben worden sei. Da Tegel mit Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) zum 03.06.2012 seinen Flugbetrieb als Verkehrsflughafen einstelle, ende der Nutzungsvertrag mit der Beklagten spätestens zu diesem Zeitpunkt. Die Bekl. beschloss daraufhin, ihren Betrieb zum 02.06.2012 stillzulegen.

Nachdem sich im Mai 2012 abzeichnete, dass sich die Eröffnung des BER verzögern würde, schloss die BFG mit der Beklagten unter dem 31.5./1.6.2012 eine „bis zur Schließung des Flughafens Tegel, längstens jedoch bis zum 31.3.2013“ geltende Zusatzvereinbarung zu den Nutzungsverträgen. Nachdem der BER auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet worden war, vereinbarte die Beklagte mit der BFG im März 2013 und – erneut – Anfang September 2015 entsprechende Ergänzungen. Nach Abschluss der (ersten) Zusatzvereinbarung stellte sie Arbeitnehmer nur noch befristet ein.

Der Kläger war bei der Bekl. vom 08.07.2013 bis zum 30.11.2020 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge als Flugzeugtankwart beschäftigt. Der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 18.06.2014 sah vor, dass das Arbeitsverhältnis „bis zum Ende des Betriebszweckes des Betriebs der Beklagten im Flughafen Tegel … (andauere)“.

Am 12.03.2014 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Sozialplan, der nach seinem § 1 I „für sämtliche Mitarbeiter der Betriebe (galt), die am 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der SJS standen“. Ausgenommen waren nach § 1 II des Sozialplans „Mitarbeiter, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, gleich wann dieses begründet wurde“.

Nachdem bekannt geworden war, dass der BER Ende des Jahres 2020 eröffnen würde, teilte die Beklagte dem Kläger am 17.04.2020 mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristungsabrede am 30.11.2020 enden werde. Vorsorglich kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zu diesem Termin. Der Kläger nahm die von ihm daraufhin erhobene Kündigungsschutzklage später zurück.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss befristet beschäftigter Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplans benachteilige ihn ohne sachlichen Grund im Sinne von § 4 Abs. 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam. Sein Anspruch sei nicht verfallen. Hilfsweise stehe ihm ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu.

Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassenen Revision begehrt die Beklagte erfolgreich die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Begründung des BAG

Das BAG hält die in den Sozialplan aufgenommene Stichtagsregelung für undenklich.

Mit der Gruppenbildung, die zum Stichtag 30.06.2012 befristet Beschäftigte von der Geltung des Sozialplans ausnehme, hätten die Betriebsparteien eine sachlich gerechtfertigte, personenbezogene, am Zweck des Sozialplans orientierte Differenzierung vorgenommen, die das Verbot der Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer des § 4 Abs. 2 TzBfG (siehe oben) nicht verletze.

Dieses Verbot, das – unter dem Vorbehalt der sachlichen Rechtfertigung – grundsätzlich jede unterschiedliche Behandlung untersage, umfasse auch eine mittelbare Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer, greife aber nur ein, wenn sich die befristet Beschäftigten in einer vergleichbaren Situation wie Dauerbeschäftigte befänden.

Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen sei zulässig, wenn dafür ein sachlicher Grund bestehe. Der Rechtfertigungsgrund dürfe dabei weder unmittelbar noch mittelbar auf der Befristung selbst beruhen Es sind vielmehr Umstände erforderlich, die sich etwa aus der besonderen Art der Aufgabe oder mit Blick auf ein sozialpolitisches Ziel ergäben. Die Ungleichbehandlung muss überdies geeignet und erforderlich sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Dies sei vorliegend beachtet worden.

Der Sozialplan diene dem Ausgleich oder der Milderung solcher wirtschaftlichen Nachteile, die in Folge der geplanten Betriebsänderung – hier der Betriebseinstellung – entstünden. Er dürfe danach unterscheiden, welche wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitnehmern drohten, die ihren Arbeitsplatz verlören. Damit könne erreicht werden, die nur begrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gerecht zu verteilen.

Die Betriebsparteien durften danach vorliegend typisierend annehmen, dass die Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nach dem Datum der – ursprünglich – beabsichtigten Betriebsstilllegung begründen würden, keine durch den Sozialplan auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteile haben würden.

Diese Gruppe sei zu einem Zeitpunkt eingestellt worden, zu dem bereits festgestanden habe, dass mit der geplanten Eröffnung des BER der Flughafen Tegel schließen und damit auch die Beklagte ihren Betrieb dort stilllegen würde. Diese Arbeitnehmer hätten deshalb bereits von Beginn ihres Arbeitsverhältnisses an nicht die Erwartung haben können, ihr Arbeitsverhältnis würde nicht nur vorübergehend bestehen und sie würden möglicherweise in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Das ändere auch die vorübergehende Fortführung des Betriebs bis zur endgültigen Eröffnung von BER nicht. Die von der Beklagten bei Einstellung der befristet beschäftigten Arbeitnehmer bereits geplante Betriebsstilllegung habe zu keinem Zeitpunkt infrage gestanden. Lediglich die von der BER-Eröffnung abhängige Dauer der Betriebsfortführung sei unklar gewesen.

Der Stichtag 30.06.2012 sei nicht allein wegen der nachfolgenden, teilweise erheblichen Dauer der befristet vereinbarten Arbeitsverhältnisse unwirksam. Zum einen hätten die Betriebsparteien nicht damit rechnen können und müssen, dass sich die Eröffnung des BER in diesem Ausmaß verzögern würde. Zum anderen habe ein Sozialplan lediglich eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihm vorgesehenen Leistungen seien kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste.

Der Umstand, dass die Betriebsparteien nicht den 02.06.2012 – den exakten Tag der geplanten Betriebsstilllegung –, sondern den 30.06.2012 als Stichtag gewählt hätten, gebiete keine andere rechtliche Beurteilung. Die Festlegung des Stichtags auf das Ende des laufenden Monats statt auf den 02.06.2012 sei vom Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien umfasst, der auch solche Pauschalierungen zulasse. Im Übrigen sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Beklagte zwischen dem 02.06. und dem 30.06.2012 überhaupt Arbeitnehmer eingestellt hätte.

Über einen eventuellen Schadensersatzanspruch des Klägers brauchte das BAG aus prozessrechtlichen Gründen nicht zu entscheiden.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei schließlich nicht erforderlich gewesen.

Download: Steuerliche Haftung des vorläufigen Sachwalters als Verfügungsberechtigter nach §§ 69, 35 AO - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Haftung der Vertreter für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

Nach § 69 der Abgabenordnung (AO) haften die in den §§ 34 und 35 AO näher bezeichneten Personen (nach der Gesetzesüberschrift: „die Vertreter“) persönlich, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.

Haftungsvoraussetzung ist deshalb zunächst, dass der vom Finanzamt (FA) in Anspruch genommene unter die in §§ 34 AO beschriebenen Vertreter oder die Verfügungsbefugten im Sinne des § 35 AO fällt. Dies sind nach § 34 Abs. 1 AO unter anderem die gesetzlichen Vertreter natürlicher oder juristischer Personen, nach dessen Abs. 3 aber auch die sogenannten Vermögensverwalter:

„Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.“

Hierunter fallen Insolvenzverwalter, vorläufige Insolvenzverwalter bei allgemeinem Verfügungsverbot des Schuldners (§§ 21 f., 25 der Insolvenzordnung – InsO –, „starker vorläufiger Insolvenzverwalter), Zwangsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder Kanzleiabwickler gemäß § 55 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter und die Sequester alten Rechts (Konkursordnung – KO) werden im Allgemeinen weder als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigte im Sinne des § 35 AO angesehen. § 35 AO lautet:

„Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.“

Im Besprechnungsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) ging es zum einen um die Frage, ob ein vorläufiger Sachwalter im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 InsO in der zur Zeit der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (2014) geltenden Fassung (heute § 270b Abs. 1 InsO), der die Kassenführung des Schuldners gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen und zu diesem Zweck ein Anderkonto eröffnet hat, als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO zu qualifizieren ist. Zum anderen hatte der BFH zu prüfen, ob der Kläger als vorläufiger Sachverwalter für im Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht abgeführte Lohnsteuer gemäß § 69 AO persönlich haftete.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom 01.12.2014 zum vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren in Eigenverwaltung (§ 270b InsO) über das Vermögen der A-GmbH (GmbH) bestellt. Geschäftsführer der GmbH war H. Einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des vorläufigen Sachwalters ordnete das AG nicht an. Im Jahr 2015 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und ernannte den Kläger zum Sachwalter.

Die GmbH beschäftigte 2014 mehrere Arbeitnehmer. Im Monat November 2014, also noch vor Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter, veranlasste H die Zahlung der Löhne in voller Höhe für November 2014 und meldete Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag beim beklagten Finanzamt (FA) an.

Der Kläger zog als vorläufiger Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich. Sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen wurden über ein von ihm hierfür eingerichtetes Anderkonto bei einer Bank realisiert. H überwies hierzu das gesamte Bankguthaben der GmbH auf dieses Anderkonto.

Da in der Folgezeit für den November 2014 weder Lohnsteuer noch Solidaritätszuschlag entrichtet wurden, meldete das FA beide Beträge zur Insolvenztabelle an. Die Beträge wurden zur Tabelle festgestellt und später auf der Grundlage des Insolvenzplans mit einer Insolvenzquote von gerundet 2,4% an das FA ausgezahlt. 2016 hob das AG das Insolvenzverfahren auf.

Das FA nahm den Kläger – und zudem mit gesondertem Bescheid auch den früheren Geschäftsführer H – wegen Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für November 2014 nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO in Haftung. Die zuvor aufgrund der Insolvenzquote vereinnahmten Beträge berücksichtigte das FA bei der Berechnung der Haftungssumme nicht mindernd. Es erläuterte, der Kläger sei als vorläufiger Sachwalter, der die Kassenführung übernommen habe, Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Indem er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für den November 2014 nicht beglichen habe, habe er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Finanzgericht Düsseldorf (FG) Erfolg. Auf die Revision des FA weist der BFH die Klage ganz überwiegend ab. Lediglich in Höhe der ausgezahlten Quote von 2,4 %, die das FA im Haftungsbescheid nicht abgezogen hatte, weist der BFH die Revision zurück.

Die Begründung des BFH

1. Zur Frage der Verfügungsberechtigung des Klägers Im Sinne des § 35 AO

Verfügungsberechtigter sei jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und nach außen hin als Verfügungsberechtigter auftrete. Die Verfügungsmacht könne auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen. Die Person müsse in der Lage ist, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich zu erfüllen, eine rein tatsächliche Verfügungsmöglichkeit reiche dagegen nicht. Es bedürfe vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln.

Der BFH führt sodann an, wie er in der Vergangenheit die Rechtsstellung vorläufiger Verwalter im früheren Konkurs-, Vergleichsverfahren nach der Vergleichsordnung (VglO) und in der heutigen Insolvenz beurteilt hatte.

Danach ist der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter selbst dann nicht Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO, wenn er seine Befugnisse überschreitet.

Dasselbe gilt grundsätzlich für den (vorläufigen) Sachwalter, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten, weil dieser die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen habe, ohne dass ihm eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zukomme.

Dagegen hatte der BFH 1988 den Sachwalter der Vergleichsgläubiger nach § 91 Abs. 1 VglO, den der Schuldner mit notariellem Vertrag ermächtigt hatte, über sein Anlage- und Umlaufvermögen zu verfügen, als verfügungsberechtigt im Sinne das § 35 AO angesehen.

Bemerkenswerterweise bezieht sich der BFH nicht auf ein anderes Urteil desselben Senats vom 29.04.1986 (VII R 184/83), mit dem er den dortigen Sequester (vorläufiger Verwalter nach der KO) weder als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO qualifiziert hatte, obwohl das Konkursgericht ein allgemeines Veräußerungs- und Verfügungsverbot gegen die Schuldnerin erlassen und den Sequester beauftragt hatte, „den Geschäftsbetrieb zu übernehmen“.

Im juristischen Schrifttum ist umstritten, ob der vorläufige Sachwalter durch die Übernahme der Kassenführung zum Verfügungsberechtigten nach § 35 AO wird. Teilweise wird die Frage verneint, teilweise bejaht, einzelne Autoren plädieren für die Anwendung des § 35 AO, wenn der (vorläufige) Sachwalter die Kassenführung übernimmt und weitere Berechtigungen hinzukommen.

Der BFH folgt der letztgenannten Auffassung mit der Maßgabe, dass ein vorläufiger Sachwalter zumindest dann als Verfügungsberechtigter anzusehen ist, wenn er nach Übernahme der Kassenführung auf seinen Namen ein Anderkonto bei einer Bank eröffnet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen des Schuldners über dieses Konto abwickelt.

Er erlange hierdurch die für eine Verfügungsberechtigung im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht. Im Streitfall folgten diese treuhänderischen Befugnisse aus der Verwendung des Anderkontos, durch das der Kläger zudem als Verfügungsberechtigter nach außen aufgetreten sei. Bei dem eingerichteten Rechtsanwaltsanderkonto handele es sich nicht um ein Konto der Insolvenzmasse, sondern um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, dessen Inhaber, hier der Kläger, die Verfügungsmacht über das Konto selbst und die darauf befindlichen Mittel erlange.

Dass der Kläger, wie dieser meint, nur Aufweisung des Schuldners habe handeln dürfe, sei als Absprache im Innenverhältnis belanglos.

Der Kläger habe die Verfügungsmacht auch nach außen genutzt, indem er das Konto eingerichtet und darüber verfügt habe.

2. Zu den Voraussetzungen der Haftung nach 69 AO

§ 69 AO lautet:

„Die in den § 34 und § 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. …“

Obwohl § 69 AO eine relativ einfach formulierte Vorschrift zu beinhalten scheint, setzt er für die Haftungsinanspruchnahme neben der Eigenschaft des Haftenden als Vertreter oder Verfügungsberechtigter mehreres voraus:

  • den Eintritt eines Haftungsschadens,
  • eine Pflichtverletzung,
  • einen Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden,
  • ein Verschulden,
  • das Nichteingreifen des Grundsatzes der anteiligen Tilgung und letztlich
  • fehlfreie Ermessenausübung durch das FA bei Erlass des Haftungsbescheids nach § 191 Abs. 1 AO, die einzige Voraussetzung, die vorliegend in der Revisionsinstanz unstreitig war.

a) Haftungsschaden

Ein Haftungsschaden im Sinne von § 69 AO sei eingetreten, legt der BFH dar, weil die Forderung des FA auf Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, mithin Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO, nicht erfüllt worden seien.

b) Pflichtverletzung durch den Kläger

Nach dem insoweit maßgeblichen Haftungsbescheid hatte das FA eine Pflichtverletzung des Klägers darin gesehen, dass er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für November 2014 nicht beglichen hatte.

Dem schließt sich der BFH an. Als Verfügungsberechtigter habe der Kläger gemäß § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters gehabt, die er auch rechtlich und tatsächlich habe erfüllen können. Er habe dafür zu sorgen gehabt, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete. Die in Rede stehenden Steuern habe er jedoch nicht abgeführt.

Die Pflichtverletzung sei trotz des Insolvenzantrags nicht wegen einer Pflichtenkollision ausgeschlossen gewesen. Zwar habe ein Geschäftsführer bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (GmbHG) eine Massesicherungspflicht, nach der Rechtsprechung des BFH hafte er jedoch nicht nach dieser Vorschrift gegenüber der Gesellschaft, weil die Erfüllung steuerlicher Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. vereinbar gewesen sei. Das habe auch für den vorläufigen Sachwalter zu gelten.

Nach dem jetzt geltenden §15b Abs. 8 InsO, der unter anderem § 64 GmbHG abgelöst hat, liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen. Diese Vorschrift gilt jedoch erst ab dem 01.01.2021. Der BFH wendet sie vorliegend deshalb ausdrücklich nicht (rückwirkend) an.

Ungeprüft lässt der BFH bei allem, ob § 64 GmbHG a. F. bzw. § 15b InsO auf den vorläufigen Sachwalter überhaupt anwendbar sind, was erheblichen Zweifeln unterliegt.

c) Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden

Der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden bestehe. Dass der Kläger, wie dieser vorgetragen habe, als späterer Sachwalter im Falle einer Abführung der Lohnsteuer im Zeitpunkt der Fälligkeit diese Zahlung nach § 130 Abs. Abs. 1 Nr. 2 InsO zweifelsfrei angefochten hätte und das FA die Beträge hätte zurückzahlen müssen, vermöge den Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nicht zu beseitigen. Denn hypothetische (nur gedachte) Geschehensläufe seien bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats unbeachtlich. Hieran ändere nichts, dass der Kläger späterhin auch selbst in Person zum Sachwalter im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren bestellt worden sei.

d) Verschulden

Den Kläger treffe ferner ein Verschulden daran, dass die Lohnsteuer für November 2014 bei Fälligkeit nicht an das FA abgeführt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats stelle die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung dar. Zudem indiziere nach ebenso ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens generell das Verschulden im Sinne von § 69 Satz 1 AO.

Gegenteilige Anhaltspunkte ergäben sich insbesondere nicht daraus, dass dem Kläger im Haftungszeitraum die Rechtslage noch nicht hinreichend bekannt gewesen wäre. Zwar habe sich in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung erst in jüngerer Zeit – nach dem Haftungszeitraum – die Erkenntnis verfestigt, dass es für einen Insolvenzverwalter nicht zulässig sei, ein Anderkonto einzurichten. Vielmehr müsse der Insolvenzverwalter ein Konto unterhalten, aus dem die Insolvenzmasse selbst materiell berechtigt sei. Dies dürfe aufgrund der erforderlichen Trennung zwischen künftiger Insolvenzmasse und dem Vermögen des Sachwalters ebenso für einen vorläufigen Sachwalter gelten. Die Haftung des Klägers beruhe jedoch nicht hierauf, sondern vielmehr darauf, dass er mit dem Anderkonto ein offenes Vollrechtstreuhandkonto eingerichtet habe, woraus die für die Stellung als Verfügungsberechtigter im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht aufgrund der Treuhand abzuleiten sei. Diese Umstände seien dem Kläger bekannt gewesen.

e) Nichteingreifen des Grundsatzes der anteiligen Tilgung

Eine Haftung sei auch nicht deshalb zu verneinen oder in ihrem Umfang zu reduzieren, weil zur Begleichung der Steuerschulden nicht ausreichende Mittel vorhanden gewesen wären.

Stünden zur Begleichung der Schulden insgesamt keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so bewirke nach der Rechtsprechung die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt habe. Diesem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung komme im Zusammenhang mit der Lohnsteuer allerdings die eingeschränkte Bedeutung zu, dass lediglich das FA und die Arbeitnehmer gleichmäßig zu berücksichtigen seien. Daher seien die für die Lohnsteuerabführung erforderlichen Beträge bei der Lohnzahlung zurückzubehalten, die Löhne also entsprechend zu kürzen.

Ob im Streitfall der Grundsatz der anteiligen Tilgung aber möglicherweise trotz Vorliegens eines Lohnsteuerfalls in uneingeschränktem Umfang anzuwenden sein könnte, weil die Löhne bereits vor der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter durch den Geschäftsführer H ausgezahlt worden waren und der Kläger daher keine Möglichkeit gehabt habe, für eine Kürzung der Löhne zu sorgen, könne dahinstehen. Denn von dem Bestand auf dem Anderkonto des Klägers hätte er weniger als ein Zehntel für die offenen Steuerforderungen verwenden müssen. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt das Vermögen der GmbH unter Berücksichtigung anderer Gläubiger nicht ausgereicht haben sollte, worauf die Insolvenzquote von 2,4% schließen lasse, gelte dies zumindest nicht für den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden am 10.12.2014.

Nach allem sah sich der BFH veranlasst, das Urteil des FG, das gegenteilig entschieden hatte, weitestgehend aufzuheben.

Download: Corona und kein Ende – auch im Gesellschaftsrecht - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Gesetzlicher Hintergrund

Nach § 48 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) werden die Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst, wobei Versammlungen auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden können. Allerdings ist dann erforderlich, dass sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären. Abs. 2 erklärt die Abhaltung einer Versammlung dann für überflüssig, wenn sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen sich einverstanden erklären.

Um den Abstandsgeboten in der Covid-19-Pandemie Rechnung zu tragen, regelte das am 27.03.2020 in Kraft getretene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) für die einzelnen Gesellschaftstypen und sonstige Zusammenschlüsse jeweils gesondert die Möglichkeiten, Versammlungen kontaktfrei durchzuführen. Für die GmbH bestimmte § 2 COVMG: „Abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“ Voraussetzung war daher nur, dass die schriftliche Stimmabgabe durch die Geschäftsführung oder einen anderen hierzu Berechtigten angeordnet wurde und eine (einfache) Mehrheit der Gesellschafter eine solche Vorgehensweise befürwortete. Außerdem mussten alle Gesellschafter an dem Beschlussverfahren beteiligt und hierzu rechtzeitig vorab über die Durchführung des besonderen Verfahrens in Kenntnis gesetzt werden.

Diese Sonderregel endete mit Ablauf des 31.08.2022. Für die GmbH-Gesellschafter stellt sich daher heute grundsätzlich die Frage, ob sie durch Satzungsermächtigung virtuelle oder teilvirtuelle Gesellschafterversammlungen zulassen wollen, was aufgrund der Satzungsautonomie in der GmbH im Grundsatz durchaus möglich ist, Ein schriftliches Verfahren kann die Satzung sowohl durch schlichte Anordnung der Geschäftsführung oder auch nach Mehrheitsentscheidung vorsehen, da § 48 Abs. 2 GmbHG insoweit dispositiven Charakter hat. Ob die Gesellschafter eine solche Regelung in die Satzung aufnehmen sollten, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Sie sind sehr sorgfältig zu bedenken, da sie das mitgliedschaftliche Teilnahmerecht beseitigen oder zumindest teilweise entwerten. Je nach Ausgestaltung sind sie zudem bei bestehenden Gesellschaften nur im Einvernehmen aller Gesellschafter in die Satzung integrierbar.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger ist Minderheitsgesellschafter der beklagten GmbH. Deren Satzung regelt in § 10, dass ein Umlaufverfahren möglich ist, wenn kein Gesellschafter dem Verfahren widerspricht. Ende 2020 führte die Geschäftsführung der Beklagten unter Hinweis auf § 2 COVMG ein Umlaufverfahren durch, bei dem über die Feststellung des Jahresabschlusses 2019 und die Verwendung des Bilanzergebnisses 2019 abgestimmt werden sollte. Der Kläger hatte der Durchführung des Umlaufverfahrens über seinen Rechtsanwalt widersprochen. Gleichwohl stellte die Geschäftsführung nach Ablauf der Abstimmungsfrist das Zustandekommen der Beschlüsse mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters zu Protokoll fest.

Dagegen hat der Kläger fristgerecht Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben. Neben inhaltlichen Mängeln rügt er einen Verstoß gegen § 10 Nr. 5 der Satzung. Er meint, dass die Satzungsregelung der Bestimmung des § 2 COVMG vorgehe.

Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts (LG) wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint zum einen, das Abstimmungsverfahren sei wegen Verstoßes gegen § 10 der Satzung fehlerhaft durchgeführt worden, zum anderen litte der Gesellschafterbeschluss an materiellen – inhaltlichen – Mängeln.

Das Oberlandesgericht (OLG) München hält die Berufung des Klägers zwar für zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Die Urteilsbegründung des LG sei zutreffend. Die dagegen gerichteten Rügen des Klägers in seiner Berufungsbegründung hält es nicht für durchgreifend.

Die Vorgehensweise des OLG gestattet § 522 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Grundsätzlich ist auch im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das Berufungsgericht soll die Berufung nämlich durch Beschluss – also in einem Verfahren ohne mündlich Verhandlung – unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,

2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,

3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und

4. eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist.

Die Parteien müssen zuvor auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hingewiesen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Macht der Berufungsführer von der Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch, muss das Berufungsgericht sich im abschließenden Beschluss mit seinen Argumenten auseinandersetzen.

Die Begründung des OLG München

Das OLG München hält die angegriffenen Beschlüsse nicht deshalb für formell rechtswidrig und damit nichtig, weil sie im Umlaufverfahren gefasst wurden. Grundsätzlich sei ein Gesellschafterbeschluss einer GmbH entsprechend § 241 Nr. 1 des Aktiengesetzes nichtig, wenn er in einem gesetzlich oder statutarisch (satzungsmäßig) nicht zugelassenen Abstimmungsverfahren gefasst worden sei.

Dies sei hier nicht der Fall. Zwar sei § 2 COVMG in gleicher Weise gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG dispositiv wie § 48 Abs. 2 GmbHG, an dessen Stelle die Norm trete. Obwohl § 10 der Satzung bestimme, dass das Umlaufverfahren nur möglich sei, wenn kein Gesellschafter widerspreche, und das Verfahren folglich grundsätzlich gerade nicht von dem Einverständnis der Gesellschafter unabhängig sei, führe die Auslegung der Satzungsregelung dazu, dass § 10 der Satzung nicht für die Sondersituation der Corona-Pandemie gelte. Vielmehr greife die gesetzliche Spezialregelung des § 2 COVMG ein.

Die Satzung einer GmbH sei aus sich selbst heraus, anhand objektiver Umstände auszulegen. In erster Linie komme es auf Wortlaut und Sinnzusammenhang im Gesellschaftsvertrag an. Eine daneben mögliche teleologische (zielorientierte) Auslegung habe sich an objektiv bekannten Umständen zu orientieren.

Da die Satzung lange vor der Pandemie beschlossen worden sei, enthalte sie hinsichtlich dieser Situation eine Regelungslücke. Zur Zeit der Beschlussfassung sei allgemein – und also wiederum objektiv ersichtlich – nicht absehbar gewesen, dass eine Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen physische Zusammenkünfte auf längere Zeit verhindern oder zumindest massiv erschweren und (lebens) gefährlicher machen werden würden. § 10 der Satzung sei daher entsprechend teleologisch zu reduzieren. Es erscheine fernliegend, dass die Gesellschafter diese extreme Ausnahmesituation, hätten sie sie bei Erstellung der Satzung bedacht, nicht mit einer gesonderten Regelung bedacht hätten.

Die Regelungslücke sei durch die Heranziehung des dispositiven Rechts zu schließen, soweit dies sachdienlich sei, weshalb hier der dispositive § 2 COVMG, der genau für die aufgetretene Satzungslücke eine interessengerechte Lösung anbiete. Die sich hieran orientierende Durchführung der Beschlussfassung sei daher nicht zu beanstanden.

Das OLG München setzt sich sodann noch mit der von ihm als herrschend qualifizierten Meinung auseinander, wonach sich jedenfalls bei einer den Wortlaut des § 48 Abs. 2 GmbHG (siehe oben) lediglich wiederholenden Satzungsbestimmung die Geltung des § 2 COVMG regelmäßig aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben soll. Auch dieser Ansatz führe hier zum gleichen Ergebnis. § 10 der Satzung gebe zwar nicht rein wiederholend den Gesetzeswortlaut wieder, sondern ersetzt das positive Zustimmungserfordernis des § 48 Abs. 2 GmbHG durch das Erfordernis des Fehlens eines Widerspruchs. Die darin liegende Abmilderung des gesetzlichen Zustimmungserfordernisses spreche jedoch nicht gegen, sondern gerade für eine Geltung der Sonderregelung des § 2 COVMG. Die Satzungsregelung, die das materielle Einstimmigkeitserfordernis für die Gesellschaft leichter handhabbar mache, würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ihretwegen eine diesbezügliche gesetzliche Erleichterung ausgeschlossen werden würde. Mit der Satzungsregelung hätten die Gesellschafter gezeigt, dass sie eher geringere als strengere Anforderungen an ein Umlaufverfahren hätten stellen wollen als das Gesetz.

Da auch die vom Kläger gerügten materiellen Mängel der Beschlussfassung nicht vorgelegen hätten, weist das OLG München mit dem vorliegenden Beschluss auf seine Absicht hin, die Berufung zurückzuweisen. Ob der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht und wie das Gericht hierauf entschieden hat, ist öffentlich (bislang) nicht bekannt gemacht worden.

Download: Bestandskräftige Steuerbescheide – Halten sie der Außenprüfung Stand? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Bestandskraft eines Steuerbescheids kann durchbrochen werden

Nach § 172 der Abgabenordnung (AO) darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben oder abgeändert werden. Neben anderen Gründen ist dies nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich, wenn Tatsachen oder Beweismittel (der Steuerbehörde) nachträglich, also nach der Bestandskraft des Bescheids, bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Rechtfertigen solche Aspekte dagegen eine niedrigere Steuer, können Bescheide nach Nr. 2 auch zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, allerdings darf diesem dann kein grobes Verschulden daran anzulasten sein, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Ist ein Bescheid bereits aufgrund einer Außenprüfung erlassen worden, darf er nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung (strafbar nach § 370 AO bzw. ordnungswidrige nach § 378 AO) vorliegt.

Im vorliegenden Fall ging es um Änderungsbescheide nach einer Außenprüfung, die ursprünglichen Bescheide waren erklärungsgemäß ergangen, sodass eine Änderung nicht vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Verkürzung abhing.

Der zu entscheidende Fall

Die Kläger wurden in den Streitjahren als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger war als Einzelunternehmer tätig und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmenüberschussrechnung. Er betrieb einen Einkaufsladen, und vermittelte verschiedene Dienstleistungen. Dabei verwendete er eine elektronische Kasse, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons fünf Warengruppen auswies (neben anderen Verkauf 19 %, Verkauf 7 %). Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach einzelnen Waren und Dienstleistungen nahm der Kläger nicht vor. Die Z-Bons korrigierte der Kläger gelegentlich handschriftlich.

Außerdem führte er täglich Kassenberichte. Der Kassenbestand am Tagesende wurde nahezu ausschließlich mit 0 EUR angegeben, die Wechselgeldeinlage in der Kategorie „+ zuzüglich Einzahlungen“. Für einige Tage der Streitjahre lautete diese Eintragung auf 0 EUR. Überwiegend entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z-Bons. Soweit der Kläger handschriftliche Korrekturen auf den Z-Bons vorgenommen hatte, entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht teils den korrigierten Zahlen auf den Z-Bons, teils wurden die Korrekturen nicht in den Kassenbericht übernommen. Für einen bestimmten Tag war ein Kassenendbestand von x EUR vermerkt. Dieser wurde für den Folgetag nicht als Einzahlung notiert, die Erlöse und die Auszahlung laut Kassenbericht entsprachen den auf dem Z-Bon ausgewiesenen Beträgen.

Nachdem das Finanzamt (FA) die Kläger zunächst erklärungsgemäß und ohne Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer veranlagt hatte, fand eine Außenprüfung beim Kläger statt. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass

  • der Kläger seinen Aufzeichnungspflichten nach § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht hinreichend nachgekommen sei,
  • ein grundsätzlich nicht zur Führung eines Kassenbuchs verpflichteter Steuerpflichtiger, der – wie der Kläger – ein solches freiwillig führe, die gesetzlichen Anforderungen an ein Kassenbuch erfüllen müsse. Dies sei nicht der Fall gewesen,
  • die Geschäftsvorfälle, die den handschriftlichen Korrekturen auf den Z-Bons zugrunde liegen, mangels Eigenbelegen nicht nachvollziehbar seien.

Eine Geldverkehrsrechnung ergab keine ungeklärten Einnahmefehlbeträge.

Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass wegen erheblicher Kassenführungsmängel eine Hinzuschätzung durch Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der Barerlöse zu erfolgen habe.

Das FA änderte dementsprechend die Bescheide unter anderem über Einkommen-. Es stützte die Änderung § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Nach erfolglosem Einspruch hiergegen hatte die anschließende Klage teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte die Änderungsbescheide dahingehend, dass es die Erhöhung der Betriebseinnahmen für die Einkommensteuer vollständig rückgängig machte und im Übrigen nur noch einen Sicherheitszuschlag von 5 % der Betriebseinnahmen zum Regelsteuersatz (netto) in Ansatz brachte.

Auf die Revision der Kläger hebt der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil und das Verfahren auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurück.

Die Begründung des BFH

Der BFH kann nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlagen.

Der rechtfertigende Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach dieser Vorschrift sei, so führt er aus, nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt (einer nicht vollständigen Tatsachenbasis) ausgegangen sei.

Auch Schätzungsgrundlagen könnten Tatsachen sein, denn Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein könne, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne seien Schlussfolgerungen aller Art, zum Beispiel juristische Subsumtionen.

Im Gegensatz zu einer Schätzung, die selbst eine Schlussfolgerung sei, könnten die Schätzungsgrundlagen neue Tatsachen sein. Zu den Tatsachen gehörten auch objektive Hilfstatsachen, die den sicheren Schluss auf eine subjektive (innere) Haupttatsache (wie etwa eine Kenntnis oder eine Absicht) zuließen. Folglich sei die Art und Weise, in welcher der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt habe, eine solche Tatsache. Dies gelte zum Beispiel für Aufzeichnung über den Wareneingang und die Belegsammlung.

Hieraus folge für den Streitfall, dass namentlich die Art, in der der Kläger seine Bareinnahmen festgehalten habe, der Inhalt der Aufzeichnungen sowie das Vorhandensein der Z-Bons und deren Inhalt als Tatsachen anzusehen seien.

Die Tatsache muss nachträglich bekannt geworden sein, um zur Änderung zu berechtigen. Sie müsse, so der BFH, schon bei Erlass des ursprünglichen Bescheids vorhanden gewesen sein, so dass sie vom FA bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätte berücksichtigt werden können. Vorliegend habe das FA erst durch die nach der Bestandskraft der Bescheide durchgeführte Außenprüfung von den Kassenaufzeichnungen des Klägers sowie von den bei ihm dazu vorhandenen Belegen (Z-Bons) und ihrem Inhalt Kenntnis erlangt.

Voraussetzung für eine Änderung sei ferner die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache und die Ursächlichkeit der Unkenntnis des FA von dieser Tatsache bei der ursprüngliche Veranlagung. Dies sei im Einzelfall nach der im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheids geltenden Rechtslage zu beurteilen.

Vorliegend läge danach Rechtserheblichkeit vor, wenn das FA bei Kenntnis des Zustands der Aufzeichnungen bereits ursprünglich hätte schätzen und eine höhere Steuer festsetzen dürfen.

Unter anderem bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das FA dem Grunde nach zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO berechtigt. Die Norm regelt, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen hat, soweit es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Das gilt insbesondere, wenn der Steuerpflichtige keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden, weil sie Anlass bieten, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

Der BFH führt aus, dass eine Einnahmenüberschussrechnung nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege Vertrauen verdiene und die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen könne. Dennoch müsse sie nicht ungeprüft übernommen werden, der Steuerpflichtige trage vielmehr das Risiko, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen könne und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 AO erfüllt seien.

Zur (Hinzu-)Schätzung berechtigten auch formelle Mängel der Aufzeichnungen über Bareinnahmen, die zwar keinen sicheren Schluss auf eine Einnahmenverkürzung zuließen, aber dazu führten, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen bestehe, ohne dass eine nachträgliche Heilung des Mangels möglich wäre.

Da das FG hierzu keine ausreichenden Tatsachen festgestellt habe, könne der BFH nicht selbst in der Sache entscheiden. Er hat daher die Angelegenheit an das FG zurückverwiesen.

Download: Steuerfreibeträge beim Übergang von Vermögen auf eine Familienstiftung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Stiftung

Stiftungen werden zu unterschiedlichen Zwecken errichtet und erfreuen sich seit einiger Zeit nicht unerheblicher Beliebtheit. Eine Form ist die sogenannte Familienstiftung, die jedoch durch die Satzung und das Stiftungsgeschäft sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann.

Mit der Gründung einer Familienstiftung verbinden die Stifter unterschiedliche Ziele, die jedoch – etwa in Folge unzureichender Beratung bei der Gründung – wie auch der Besprechungsfall zeigt, nicht immer vollständig erreicht werden. Motive für die Gründung der Familienstiftung sind zum Beispiel der langfristige Zusammenhalt des Vermögens, die Verhinderung von Vermögensverschiebungen und der Versilberung, der Schutz vor Gläubigern, der allerdings wegen der Möglichkeit der Insolvenz- und der Gläubigeranfechtung nur eingeschränkt gewährleistet ist, und sehr häufig die Idee, mit der Stiftung „Steuern sparen zu können“. Diese Motivation lag im vorliegenden Fall zumindest auch zugrunde.

Nach § 80 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist die Stiftung eine mit einem Vermögen zur dauernden und nachhaltigen Erfüllung eines vom Stifter vorgegebenen Zwecks ausgestattete, mitgliederlose juristische Person. Die Stiftung wird in der Regel auf unbestimmte Zeit errichtet, sie kann aber auch auf bestimmte Zeit errichtet werden, innerhalb derer ihr gesamtes Vermögen zur Erfüllung ihres Zwecks zu verbrauchen ist (Verbrauchsstiftung). - Zur Entstehung der Stiftung sind das Stiftungsgeschäft und in vielen Bundesländern die Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters anerkannt, so gilt sie für Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.

Die Stiftungsaufsicht ist Ländersache und in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. In Bayern etwa unterliegen ausschließlich privatnützige Stiftungen keiner Rechtsaufsicht.

Der zu entscheidende Fall

Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann die U-Familienstiftung. Die Stiftung wurde mit Vermögen ausgestattet, dessen Steuerwert - unter den Beteiligten unstreitig – 443.000 € beträgt

Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde angegeben, die Familienstiftung habe zum Zweck die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes (§ 3 Buchst. a der Stiftungssatzung), die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter (§ 3 Buchst. b der Stiftungssatzung) sowie die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation (§ 3 Buchst. c der Stiftungssatzung).

Das Finanzamt (FA) sah für Zwecke der Schenkungsteuer hinsichtlich der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als „entferntest Berechtigten“ im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die in § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung angeführten „weiteren Abkömmlinge“ an. Es ordnete den Erwerb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Steuerklasse I („Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder“) zu und brachte gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG einen Freibetrag von 100.000 € in Abzug und setzte die Schenkungsteuer mit rund 60.000 € fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ebenso erfolglos wie die Klage.

§ 15 Abs. 2 ErbStG lautet:
„In den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 8 ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist…“

Mit ihrer Revision machte die Klägerin eine Verletzung von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG geltend. In der Stiftungsurkunde sei geregelt, dass Berechtigte nur die Stifter und ihre Tochter seien. Weitere Abkömmlinge, die noch nicht geboren seien, seien zwar begünstigt, aber erst nach dem Tod der Tochter bezugsberechtigt. Mögliche Nachkommen würden nicht mit ihrer Geburt, sondern erst mit dem Tod der Tochter begünstigt. Im Gesetz stehe „nach der Satzung“ „Berechtigte“ und nicht „mögliche Berechtigte“. Das FA unterscheide nicht zwischen „Berechtigtem“ und „Begünstigtem“. Im Stiftungsrecht seien nur diejenigen Begünstigten berechtigt, denen das jeweilige aktuelle Recht auf Zuwendungen in der laut Satzung bestimmten Reihenfolge zugewiesen sei.

Die Revision der Klägerin hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.

Die Begründung des BfH

Der BFH hält die Argumentation der Klägerin insgesamt für nicht durchgreifend. Der „entferntest Berechtigte“ sei, wie schon das FA richtig gesehen habe, ein möglicher Urenkel der Stifter. Unerheblich sei dabei,

  • dass dieser bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren sei und
  • ob potentielle Urenkel jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten werden.

Das Gesetz behandelt den Übergang von Vermögen in eine Stiftung unter Lebenden steuerlich als Schenkung unter Lebenden. In diesem Fall ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist. „Entferntest Berechtigter“ ist derjenige, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll.

Der „Berechtigte“ im Sinne des 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspreche, so der BFH, dem nach der Stiftungssatzung „potentiell Begünstigten“, der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein könne. Sofortige Anspruchsberechtigung sei dagegen nicht erforderlich. „Entferntest Berechtigter“ sei daher derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt. Dass der Berechtigte bereits geboren sei oder jemals geboren werde, verlange der Wortlaut des Gesetzes nicht, ausreichend sei, wenn er erst in der Generationenfolge bezugsberechtigt werde. Dies entspräche schon der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.

Wer bei der einzelnen Familienstiftung als „entferntest Berechtigter“ anzusehen sei, sei der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen. Es obliege dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potentiell Begünstigten festzulegen.

§ 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sei Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen sei wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16 und 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG.

Zur Steuerklasse I gehören u.a. Kinder und Stiefkinder und die Abkömmlinge der in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG genannten Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG). Die in § 16 ErbStG geregelten Freibeträge sind nicht für alle Personen der Steuerklasse I gleich hoch; das Gesetz unterscheidet dort nochmals detaillierter nach dem jeweiligen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser bzw. Schenker. Dessen Kinder erhalten einen Freibetrag von 400.000 €, seine Enkel einen solchen von 200.000 €, spätere Abkömmlinge, wie Urenkel, verfügen nur über einen Freibetrag in Höhe von 100.000 €.

Hierin liege eine Besserstellung, argumentiert der BFH, denn trotz der genannten Abstufung komme es durch die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG in allen diesen Fällen insgesamt zu einer Besserstellung hinsichtlich des Freibetrags bei der Schenkungsbesteuerung für den Übergang von Vermögen auf die Familienstiftung. Ohne die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person abzustellen. Dies hätte zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III anwendbar und nur ein Freibetrag in Höhe von 20.000 EUR zu gewähren wäre. Da das Gesetz auf die Bestimmungen der Stiftungssatzung abstelle, habe es der Stifter in der Hand, das Privileg so zu nutzen, wie er es für am besten für seine Familie halte.

Eine darüberhinausgehende Privilegierung sei dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich auf das Verhältnis des Zuwendenden zu dem entferntest Berechtigten abgestellt.

Bei gegenteiliger Entscheidung entstünde eine Überprivilegierung, wenn später weitere Abkömmlinge geboren würden, die dann auch finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen können. Unabhängig von der Frage, ob für die Rückgängigmachung dieser Überprivilegierung überhaupt eine Änderungsvorschrift einschlägig wäre, würde dies eine Überwachung der Familienstiftung über einen bestimmten Zeitraum voraussetzen. Eine solche sei im Gesetz aber nicht angelegt.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob im Fall, dass keine Enkel und Urenkel geboren würden, Steuer zu erstatten sei, brauche im Streitfall nicht zu entschieden zu werden.

Es sei schließlich nicht ausschlaggebend, dass die Enkel und Urenkel der Stifter erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation Leistungen aus dem Stiftungsvermögen erhalten sollen. Hierbei handele es sich nur um eine Bedingung, die Urenkel blieben trotz dieser Satzungsregelung potentiell begünstigt.

Auf dieser Basis habe das Finanzgericht zutreffend erkannt, dass nach § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung potentiell Begünstigte des Stiftungsvermögens die Urenkel der Stifter sein könnten. Unerheblich sei, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungssatzung nur die Tochter der Klägerin geboren gewesen sei und die Urenkel erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation begünstigt sein sollten.

Download: Der BGH konkretisiert die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nach § 133 InsO

Schon das römische Recht kannte mit der actio Pauliana eine Klage, die vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen im Fall der Insolvenz rückgängig machen sollte; im deutschen Recht regelte § 31 der Konkursordnung von 1877 die Absichtsanfechtung, der im Grundsatz die heutige Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO) nachgebildet ist.

Die Vorsatzanfechtung setzt je nach Art der anzufechtenden Rechtshandlung voraus:

  • eine Rechtshandlung, die entweder höchstens zehn oder höchstens vier Jahre vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurde,
  • den Vorsatz des Insolvenzschuldners (Schuldner), seine Gläubiger zu benachteiligen, und
  • die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung.

Während die erste Voraussetzung meist leicht feststellbar ist, sind der Vorsatz und die Kenntnis hiervon häufig sehr schwer nachzuweisen. Bis zu einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20) ging die Rechtsprechung davon aus, dass der Schuldner jedenfalls dann mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte, wenn er zahlungsunfähig war und dies wusste. Andere Möglichkeiten, den Vorsatz nachzuweisen, wurden dadurch nicht ausgeschlossen.

Mit dem erwähnten Urteil vom 06.05.2021 änderte der BGH seine Rechtsprechung, und nimmt seitdem an, allein die erkannte Zahlungsunfähigkeit rechtfertige bei sogenannten kongruenten Befriedigungen oder Sicherungen (das sind solche, auf die der Gläubiger einen Anspruch hat) für sich allein in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl der Fälle nicht mit hinreichender Gewissheit den Schluss auf den Vorsatz. Dies gelte insbesondere, wenn der Schuldner aus der maßgeblichen Sicht ex ante, also zum Zeitpunkt der Rechtshandlung, trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können. Habe allerdings die die Zahlungsunfähigkeit begründende Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lasse, müsse dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen könne, ohne andere zu benachteiligen. Befriedige er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handele er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.

Im Grundsatz trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Tatbestands des § 133 InsO. Lediglich für den Nachweis der Vorsatzkenntnis beim Anfechtungsgegner hält das Gesetz eine Beweiserleichterung bereit. Wie weit diese reicht, ist unter anderem Gegenstand der Besprechungsentscheidung.

Der zu entscheidende Fall

Der klagende Insolvenzverwalter wurde in dem auf Insolvenzantrag vom 09.01.2015 am 26.02.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H-GmbH (Schuldnerin) bestellt. Er nimmt die beklagte Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von 20 Einzelzahlungen in Höhe von insgesamt 235.000 € in Anspruch, die die Schuldnerin auf Luftsicherheitsgebührenforderungen geleistet hatte. Sie war mit drei Flugzeugen als Charter-Fluggesellschaft für Reiseveranstalter tätig und führte Flüge von verschiedenen Flughäfen durch. Vor jedem Flug durchsuchten Beamte der Bundespolizei die Fluggäste und deren Gepäck. Dafür erhob die für den jeweiligen Flughafen zuständige Bundespolizeidirektion Gebühren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Zahlstelle für sämtliche Gebührenforderungen war die Bundeskasse. Etwaig erforderliche Vollstreckungsmaßnahmen wurden zentral vom Hauptzollamt durchgeführt. Wurde eine Gebührenforderung nicht rechtzeitig beglichen, mahnte die jeweilige Bundespolizeidirektion die Zahlung an. Blieb die Mahnung erfolglos, übernahm die Bundeskasse die weitere Beitreibung. Waren auch die Maßnahmen der Bundeskasse erfolglos, ordnete wiederum die jeweilige Bundespolizeidirektion die Vollstreckung an und leitete den Vorgang an das Hauptzollamt weiter. Mit den 20 Einzelzahlungen beglich die Schuldnerin in der Zeit vom 25.08. bis zum 14.11.2014 Gebührenforderungen von vier verschiedenen Bundespolizeidirektionen. 18 Zahlungen wurden an die Bundeskasse geleistet, zwei Zahlungen (insgesamt 21.000 €) erfolgten in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag an das Hauptzollamt, nachdem dieses der Schuldnerin die Vollstreckung angedroht hatte.

Das Landgericht Potsdam hat alle Zahlungen für anfechtbar gehalten. Die Berufung der Beklagten zum Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) blieb ohne Erfolg. Ihre Revision war teilweise erfolgreich und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, lediglich wegen der Verurteilung zur Zahlung der 21.000 € wies der BGH die Revision zurück.

Die Begründung des BGH

Der Anfechtungszeitraum war hier ersichtlich nicht überschritten, sodass es entscheidend auf die Feststellung des Vorsatzes und der Kenntnis hiervon ankam.

Zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:

Der BGH akzeptiert die Feststellung des OLG, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt aller Zahlungen im gesetzlichen Sinne bereits zahlungsunfähig war und dies wusste. Zweifel hegt er hingegen, ob die Deckungslücke ausreichend groß gewesen sei, um nach seiner neuen Rechtsprechung auf den Vorsatz schließen zu können.

Das OLG habe keine Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen der Schuldnerin und ihren Verbindlichkeiten festgestellt, sondern lediglich auf die Verbindlichkeiten abgestellt. Das reiche nicht.

Vielmehr müssten die Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung so beschaffen sein, dass aus der Sicht ex ante für jeden objektiven Betrachter in der Position des Schuldners selbst bei optimistischer Betrachtung unzweifelhaft klar sein müsse, diese würden nicht mehr vollständig befriedigt werden können. Das komme etwa Betracht, wenn es sich um Verbindlichkeiten handele, welche die erwartbare Schuldendeckungsfähigkeit des Schuldners offensichtlich bei weitem übersteigen. Für die Annahme derartiger Verbindlichkeiten könne es sprechen, dass diese bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden sind. Für sich genommen reiche dies jedoch nicht. Es müsse sich vielmehr um Verbindlichkeiten handeln, welche für sich genommen, das heißt ohne nähere Betrachtung des liquiden Vermögens sowie der künftigen Geschäftsentwicklung, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners zwingend zur Folge haben mussten. Solche hatte das OLG nicht festgestellt. Die Luftsicherheitsgebühren hätten zum laufenden Geschäftsbetrieb gehört, den die Schuldnerin wenn auch mit schleppendender Zahlungsweise über Jahre aufrechterhalten habe, weshalb sich dies im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen geändert haben sollte, sei nicht festgestellt.

In einem solchen Fall bedürfe es näherer Feststellungen zur Höhe der Deckungslücke. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass insbesondere Gläubiger hoher Forderungen nicht selten zu Zugeständnissen bereit seien, um jedenfalls eine teilweise Realisierung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Reiche auch dies nicht, müsse der Insolvenzverwalter weitere Indizien für den Vorsatz vortragen. Dies wird das OLG im zweiten Rechtszug zu prüfen haben. Dabei werde unter anderem der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen sein, die Bundespolizei sei gesetzlich zur Durchführung der die Luftsicherheitsgebühren auslösenden Maßnahmen verpflichtet gewesen und habe sich nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen dürfen. Dies unterstellt stünde es der Annahme entgegen, die Bezahlung der Luftsicherheitsgebühren sei zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin, was für den Vorsatz sprechen könnte, erforderlich gewesen.

Zur Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:

Die oben erwähnte Beweiserleichterung hält § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bereit. Danach vermutet das Gesetz, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz kannte, wenn er im Zeitpunkt der Rechtshandlung wusste, dass der Schuldner mindestens drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligte. Die zweite Voraussetzung wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit indiziert, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit letzterem muss ein Gläubiger rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig ist.

Entscheidend kam es also darauf an, ob die Beklagte, wie das OLG angenommen hatte, von der Zahlungsunfähigkeit der unternehmerisch tätigen Schuldnerin Kenntnis hatte.

Mit dem Urteil vom 06.05.2021 hatte der BGH auch den Maßstab zur Feststellung der die Zahlungsunfähigkeit indizierenden Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 InsO) abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung definiert. Eine besonders aussagekräftige Grundlage der notwendigen gerichtlichen Überzeugung von der Zahlungseinstellung sei die eigene Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht nur ratenweise – begleichen zu können, dies gelte erst recht, wenn der Schuldner ausdrücklich erkläre, zahlungsunfähig zu sein. Ohne eine solche Erklärung des Schuldners müssten die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt aufträten, reichten dafür häufig nicht.

Erforderliche seien dann weitere Umstände, etwa dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleiche, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen sei. Ferner könne der Mahn- und / oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers den Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen.

Vorliegend gab es wegen der Luftsicherheitsgebührenforderungen keine derartigen Erklärungen. Das OLG hätte sich deshalb davon überzeugen müssen, dass entweder die festgestellten Zahlungsverzögerungen für sich genommen ein Gewicht erreichten, das der Erklärung entsprach, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können, oder sich dies jedenfalls in Zusammenschau mit zusätzlichen Umständen ergab. Das wird es ebenfalls im zweiten Rechtszug nachzuholen haben.

Diese Kriterien gelten auch für die Kenntnis der Zahlungseinstellung, die dann die Zahlungsunfähigkeit indiziert. Vorliegend war zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst keine natürliche Person ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland, die durch ihre Behörden handelt. Unterstellt diese hatten die erforderliche Kenntnis oder Kenntnis von einzelnen Aspekten, die zusammen die Zahlungseinstellung begründeten, stellt sich die Frage, ob diese Kenntnisse der Beklagten zugerechnet werden dürfen und müssen.

Eine Wissenszurechnung zwischen Behörden folgt, so der BGH, nicht schon daraus, dass sie demselben Rechtsträger, hier der Beklagten, angehören. Im Grundsatz komme es vielmehr auf das Wissen des jeweils zuständigen Bediensteten der zuständigen Behörde an. Neben dem zuständigen Sachbearbeiter sei auch der Behördenleiter ein für die Wissenszurechnung geeigneter Kenntnisträger. Ob er an der angefochtenen Rechtshandlung beteiligt gewesen sei, spiele keine Rolle. Denn im rechtsgeschäftlichen Verkehr dürfe sich eine organisationsbedingte „Wissensaufspaltung“ nicht zulasten des Geschäftspartners auswirken; dies gelte aber zunächst nur für die nach außen auftretende Organisationseinheit, also das einzelne Amt oder die einzelne Behörde. Eine Wissenszurechnung zwischen verschiedenen Behörden sei von weiteren Voraussetzungen abhängig.

Sie komme in Betracht, wenn die Behörden eine behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheit gebildet haben. Das hatte der BGH früher bereits angenommen für den Fall der Nachforschung einer Behörde bei weiteren Behörden nach Möglichkeiten, eine gegen den Fiskus gerichtete (Werklohn-)Forderung durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen. Für die Beitreibung von Forderungen des Fiskus durch mehrere Behörden gemeinsam könne nichts anderes gelten. Erforderlich sei die tatsächliche Zusammenarbeit im konkreten Fall, die abstrakte Möglichkeit hierzu reiche dagegen nicht.

Der BGH hatte schon entschieden, dass die Beauftragung einer Vollstreckungsbehörde mit der Beitreibung einer Forderung zur Zurechnung des Wissens der Vollstreckungsbehörde über weitere, von anderen Gläubigern betriebene Vollstreckungsverfahren führt. Hierfür reiche indessen nicht jede untergeordnete Hilfstätigkeit der weiteren Behörde. Für die Zurechnung von außerhalb der konkreten Zusammenarbeit erworbenen Wissens müsse die Einbindung des Wissensträgers so geartet sein, dass sie die Weitergabe auch dieses Wissens erwarten lasse. Das sei der Fall, wenn es sich um Wissen handelt, dass für die konkrete Tätigkeit von Bedeutung sei. Die Erfolgsaussichten eines Vollstreckungsverfahrens hingen etwa auch davon ab, ob es weitere Vollstreckungsverfahren gebe oder gegeben habe und wie diese ausgegangen seien. Für die Tätigkeit als reine Zahlstelle, die sich in der Entgegennahme und Verbuchung von Zahlungen erschöpfe, wie hier die Tätigkeit der Bundeskasse, sei es hingegen ohne Bedeutung, wie sich das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern gestalte.

Auf dieser Grundlage könne nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen vorliegend nicht von einer Zusammenrechnung allen Wissens der Bundeskasse, der vier beteiligten Bundespolizeidirektionen und des Hauptzollamts ausgegangen werden.

Die 20 Zahlungen hätten sich auf Luftsicherheitsgebühren, die von vier rechtlich selbstständigen Bundespolizeidirektionen erhoben worden wären, bezogen. Für die erforderlichen Kenntnisse sei es deshalb im Ausgangspunkt auf das Wissen der jeweiligen Bundespolizeidirektion angekommen. Der Umstand, dass Zahlungen auf die Gebührenforderungen an die Bundeskasse zu leisten gewesen und von dieser verbucht worden seien, führe nicht zu einer Zurechnung des Wissens der Bundeskasse über das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber den anderen Bundespolizeidirektionen. Es habe sich um eine untergeordnete Hilfstätigkeit gehandelt, für deren ordnungsgemäße Erfüllung das sonstige Zahlungsverhalten der Schuldnerin ohne Bedeutung gewesen sei.

Ob dagegen mit Übergang der Zuständigkeit für die weitere Beitreibung der Forderungen nach erfolgloser Mahnung durch die jeweilige Bundespolizeidirektion die für die Wissenszurechnung erforderliche Einbindung der Bundeskasse erfolgt sei, habe das OLG nicht ausreichend festgestellt. Auch zu Vollstreckungsaufträgen an das Hauptzollamt, die sich auf die den angefochtenen Zahlungen zugrundeliegenden Forderungen bezogen hätten, fehle es an Feststellungen. Gleiches gelte für das Wissen des Hauptzollamts. Die Bundeskasse habe aufgrund ihrer Tätigkeit als Zahlstelle jedenfalls die (bloßen) Zahlungsverzögerungen gekannt, die, wie ausgeführt, für sich genommen nicht für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit ausgereicht hätten. Auch diese erforderlichen Feststellungen muss das OLG nachholen.

Da schließlich auch § 130 InsO die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit voraussetze, könnten auch die in dessen dreimonatigen Anfechtungszeitraum fallenden Zahlungen nach den bisherigen Feststellungen nicht nach dieser Norm angefochten werden.

Auf der bisherigen Grundlage anfechtbar seien lediglich die zwei Zahlungen über 21.000 € nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, da sie wegen der Leistung in der Zwangsvollstreckung als inkongruent zu behandeln seien und auch die übrigen Voraussetzungen dieser Norm erfüllt seien.

Download: Kosten der Präimplantationsdiagnostik als außergewöhnliche Belastungen abziehbar? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Entscheidung bewegt sich in einem stark umstrittenen gesellschaftspolitischen Umfeld, der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Hierzu ist unter anderem § 3a des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) ergangen. Nach dessen Abs. 1 wird ist die PID im Grundsatz verboten.

„Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, denn die folgenden Absätze bestimmen:

(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.

(3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur

1. nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen, wobei die Aufklärung vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen hat,
2. nachdem eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präimplantationsdiagnostik die Einhaltung der Voraussetzungen des Absatzes 2 geprüft und eine zustimmende Bewertung abgegeben hat und
3. durch einen hierfür qualifizierten Arzt in für die Präimplantationsdiagnostik zugelassenen Zentren, die über die für die Durchführung der Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten verfügen, vorgenommen werden. Die im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethikkommissionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert.

(5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2 durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Nichtmitwirkung darf kein Nachteil für den Betreffenden erwachsen.
…“

Im vorliegenden Steuerrechtstreit bildeten diese hier nur angerissenen gesellschaftspolitischen Fragen allerdings lediglich den Rahmen des finanzgerichtlichen Rechtsstreits, im Zentrum war vielmehr zu klären, ob die Kosten für die PID einkommensteuerrechtlich als sogenannte außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden können. § 33 EStG lautet auszugsweise:

„(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.

(2) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen…“

Der zu entscheidende Fall

Bei dem Partner der im Streitjahr ledigen Klägerin bestand eine chromosomale Translokation (Chromosomenmutation, in Form einer sog. balancierten reziproken Translokation), welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.

Die Klägerin und ihr Partner ließen sich im Kinderwunschzentrum A behandeln, nachdem sie humangenetische am Universitätsklinikum B und am Institut C beraten worden waren. Das Institut bestätigte, dass aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und ihres Partners die Durchführung einer PID indiziert sei. Nach einem Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum und einer psychosozialen Beratung entschieden sie sich, eine künstliche Befruchtung mit PID durchführen zu lassen. Die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer erteilte die erforderliche Zustimmung zur Durchführung der PID.

Die Behandlungen zur Durchführung der künstlichen Befruchtung fanden aus medizinischen Gründen bei der chromosomalen Translokation des Partners zu einem Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Klägerin selbst statt.

In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin den Abzug von Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Höhe von 22.965 € als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Kosten, die teilweise von ihr gezahlt, teilweise aber auch von ihrem Partner beglichen wurden. Das Finanzamt (FA) lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten der Klägerin auch im Einspruchsverfahren ab. Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage teilweise statt und erkannte – neben geschätzten Fahrtkosten der Klägerin in Höhe von 658,80 EUR – die Aufwendungen insoweit als außergewöhnliche Belastungen an, als die Kosten von der Klägerin selbst getragen worden waren (9.344,95 EUR). Im Übrigen wies es die Klage ab.

Die Revision des FA hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1.Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.

2.Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen – aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen – Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden.

3.Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.

Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Allgemein gelte, dass Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet seien, nach ständiger Rechtsprechung ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwüchsen. Allerdings würden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt würden, die Krankheit erträglich zu machen. Unerheblich sei aber, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen der Heilung dienten oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollten.

Deshalb würden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert werde. Dementsprechend erkenne der BFH Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen würden.

Voraussetzung sei weiter, dass die Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine danach verbotene Behandlung könne keinen zwangsläufigen Aufwand im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Insbesondere dürften die Kosten für eine künstliche Befruchtung nur berücksichtigt werden, wenn die aufwandsbegründende Behandlung nicht gegen das ESchG verstoße.

Bei der im Streitfall vorliegenden chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin mit der wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind handele es sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand und mithin um eine Krankheit in diesem Sinne.

Die PID in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Klägerin seien medizinisch indiziert gewesen, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Unerheblich sei, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt gewesen sei, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohne gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden sei, es reiche eine Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen durch die Behandlung aus.

Da vorliegend die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Klägerin auszugleichen, seien ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der gesunden Klägerin vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Eine Behandlung des Partners allein hätte keine Linderung der Krankheit ermöglicht.

Für belanglos hält der BFH, dass die Klägerin und ihr Partner nicht verheiratet waren. Dies gelte auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht erkrankten Partner, hier der Klägerin, vorzunehmen seien, soweit diese aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer Krankheit des Partners erforderlich seien. Ferner stünde die Behandlung im Einklang mit den Richtlinien der zuständigen Landesärztekammer. Deren PID-Kommission habe auch die erforderliche Zustimmung erteilt.

Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 und 3 ESchG seien nach den bindenden Feststellungen des FG insgesamt eingehalten worden. Es habe aufgrund der beim Partner der Klägerin vorliegenden genetischen Veränderung das hohe Risiko einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos bestanden. Die notwendigen Beratungen seien durchgeführt, die erforderlichen Zustimmungen der Partner erteilt worden.

Dem steuerlichen Abzug der von der Klägerin selbst getragenen Aufwendungen für die an ihr vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen stünde schließlich nicht der Grundsatz der Individualbesteuerung entgegen. Danach sei die Einkommensteuer eine Personensteuer, die die im Einkommen zu Tage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person der Besteuerung zugrunde lege und damit die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sicherstelle. Das FG habe deshalb die der Klägerin entstandenen und von ihr getragenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu Recht berücksichtigt und mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung verstoßen, sondern vielmehr der geminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin Rechnung getragen.

Über die vom Partner der Klägerin getragenen Kosten, wegen derer das FG die Klage abgewiesen hatte, brauchte der BFH nicht zu entscheiden. Da die Klägerin gegen die teilweise Klageabweisung nicht ihrerseits Revision oder Anschlussrevision eingelegt hatte, ist das finanzgerichtliche Urteil bereits im Umfang der Klageabweisung in Rechtskraft erwachsen und der Streit insoweit gar nicht in die Revisionsinstanz gelangt.

Download: Die Nähe zum Insolvenzschuldner erhöht das Risiko der Insolvenzanfechtung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Nahestehende Personen im Insolvenzanfechtungsrecht

Die Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs gemäß §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) muss grundsätzlich der Insolvenzverwalter vortragen und, wenn sie vom Anfechtungsgegner bestritten werden, auch beweisen. Dies ist, da sehr viele Anfechtungstatbestände die Kenntnis des Anfechtungsgegners von bestimmten Umständen aus dem Bereich des Schuldners, insbesondere dessen Zahlungsunfähigkeit oder dessen Gläubigerbenachteiligungsabsicht, erfordern, nicht immer einfach. Das hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, in einigen Fallkonstellationen Beweiserleichterungen für den Insolvenzverwalter zu schaffen. So ist die Anfechtung gegenüber sogenannten nahestehenden Personen deutlich erleichtert.

§ 130 InsO verlangt neben einer anfechtbaren Handlung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner davon Kenntnis hatte. Hinsichtlich dieser Kenntnis regelt § 130 Abs. 3 InsO:

„Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.“

Ist eine nahestehende Person Anfechtungsgegner, braucht der Insolvenzverwalter deren Kenntnis also nicht nachzuweisen, das Gesetz geht vielmehr davon aus – „vermutet“ –, dass diese Person die Zahlungsunfähigkeit kannte. Es ist dann Sache des Anfechtungsgegners, den sogenannten Gegenbeweis zu führen. Er muss nachweisen, dass er die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte, obwohl er dem Schuldner nahestand. Dieser Beweis ist wiederum für den Anfechtungsgegner nicht leicht zu führen.

Die Vorschrift des § 130 Abs. 3 InsO greift auch bei anderen Tatbeständen ein, die die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit fordern.

Darüber hinaus beinhaltet § 133 Abs. 4 InsO einen Anfechtungstatbestand, der ausschließlich bei nahestehenden Personen in Betracht kommt:

„Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.“

Hier geht das Gesetz davon aus, dass eine nahestehende Person den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen kannte. Um die Anfechtung nach dieser Vorschrift abzuwenden, muss der Anfechtungsgegner beweisen, dass ihm dieser Vorsatz nicht bekannt war.

Wer als nahestehende Person zu behandeln ist, bestimmt § 138 InsO, wobei Absatz 1 diese Frage bei natürlichen Personen als Insolvenzschuldner regelt und Absatz 2 bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften (zum Beispiel eine offene Handelsgesellschaft – oHG).

Bei natürlichen Personen sind nahestehend insbesondere deren Ehegatten und Lebenspartner, nahe Verwandte und Personen, die mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft leben. Aber auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können dem Schuldner nahestehen, wenn er zum Beispiel Mitglied des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans oder persönlich haftender Gesellschafter ist.

Ist dagegen Insolvenzschuldnerin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, stehen ihr unter anderem nahe die Mitglieder ihres Vertretungs- oder Aufsichtsorgans, ein persönlich haftender Gesellschafter und Personen, die zu mehr als einem Viertel an ihrem Kapital beteiligt sind.

Der zu entscheidende Fall

Insolvenzschuldnerin ist eine GmbH, der beklagte Anfechtungsgegner ist ein eingetragener Verein, der zu 100 % an einer anderen Gesellschaft, der M-GmbH (M), beteiligt ist. Die M wiederum hält 100 % der Anteile der schuldnerischen GmbH.

Am 16.07.2013 überwies die Schuldnerin dem beklagten Verein auf eine bestehende, fällige Forderung 146.000 €. Auf einen eigenen Insolvenzantrag der Schuldnerin vom 22.08.2013 wurde am 30.10.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Verwalter hat diese Zahlung angefochten und Rückgewähr zu Masse gemäß § 130 InsO mit der Behauptung verlangt, die Schuldnerin sei bei der Zahlung zahlungsunfähig gewesen. Der Beklagte hat schon die Zahlungsunfähigkeit bestritten und geltend gemacht, jedenfalls nicht von einer Zahlungsunfähigkeit gewusst zu haben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Insolvenzverwalters zurückgewiesen. Es hat dabei das objektive Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit offengelassen, weil der Beklagte, sollte sie vorgelegen haben, sie nicht gekannt hatte. Daher könnten die Voraussetzungen des § 130 InsO nicht vorliegen.

Auf die Revision des Insolvenzverwalters hebt der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verweist die Sache an das Oberlandesgericht zurück, damit dieses im zweiten Rechtszug die notwendigen Feststellungen zur objektiven Zahlungsunfähigkeit nachholen kann. Der BGH ist reine Rechtsinstanz und kann selbst die zugrundeliegenden Tatsachen nicht feststellen.

Die Entscheidungsgründe

Der BGH führt aus, dass die für jede Insolvenzanfechtung nach § 129 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung der 146.000 € eingetreten sei, aber auch die Voraussetzungen des § 130 InsO könnten vorliegen. Die Zahlung sei in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgt. Sollte die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig gewesen sein, was das Oberlandesgericht – wie erwähnt – nicht geprüft hatte, sei § 130 InsO vollständig erfüllt, denn die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit sei gemäß § 130 Abs. 3 InsO zu vermuten, weil der Beklagte eine der Schuldnerin nahestehende Person sei.

Die Eigenschaft des Beklagten als nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO habe das Berufungsgericht zu Unrecht verneint. Bei einer nahestehenden Person werde die Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit vermutet, wie sich aus § 130 Abs. 3 InsO ergebe.

Ist der Schuldner – wie hier die GmbH – eine juristische Person, so sind, wie schon dargestellt, gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO unter anderem solche Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.

Die Bestimmung erfasse auch mittelbare Beteiligungen, meint der BGH, wie sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes ergebe. Maßgeblich sei das Verständnis der Insolvenzordnung zu dieser Frage.

Bei der Auslegung eines Gesetzes sind verschiede Aspekte zu berücksichtigen, einer davon ist die Gesetzgebungsgeschichte. Der 1992 veröffentlichte Entwurf der Bundesregierung zur neu zu schaffenden InsO bestimmte in § 154 Abs. 2 ausdrücklich, dass eine Person auch insoweit am Schuldner beteiligt ist, als ein von der Person abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt ist. Damit sollte bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital auch eine mittelbare Beteiligung zu berücksichtigen sein. Aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses, der nach Bundestag und Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen worden war, erfolgte eine Neugliederung und redaktionelle Straffung, in deren Folge nunmehr § 153 des Regierungsentwurfs die von § 154 geregelten Beziehungen erfassen sollte. § 153 des Entwurfs erwähnte ebenso wie die dann Gesetz gewordene Regelung des § 138 InsO mittelbare Beteiligungen nicht mehr ausdrücklich, eine inhaltliche Änderung habe damit, so der BGH, aber nicht einher gehen sollen. Der Gesetzgeber habe den § 154 des Entwurfs parallel zur Vorschrift des § 16 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) formuliert. Die Vorschrift entspreche daher dem in § 16 Abs. 4 AktG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, für die Berechnung der Kapitalbeteiligung auch mittelbare Beteiligungen am Schuldner einzubeziehen.

Die Regelung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO beruhe darauf, dass zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heiße über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügten, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten. Das Bestehen einer solchen Möglichkeit werde in typisierender Weise bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % unwiderleglich vom Gesetz vermutet. Dies müsse nach dem Grundgedanken der Regelung auch dann gelten, wenn eine Beteiligung von mehr als 25 % durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht werde.

Vorliegend sei der Beklagte (mittelbar) mit mehr als 25 % am Kapital der Schuldnerin beteiligt, weil er alleiniger Gesellschafter der M-GmbH und diese wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin sei. Ob der Gesellschafter einer GmbH als nahestehende Person anzusehen sei, hänge nach dem Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit nicht davon ab, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürften.

Bevor der BGH ein Urteil aufhebt, prüft er stets, ob das Urteil nicht aus anderen als den vom Berufungsgericht angeführten Gründen richtig ist, so auch hier. Das Urteil des Oberlandesgerichts wäre nämlich im Ergebnis auch dann richtig gewesen, wenn, wie der beklagte Verein auch vorgebracht hatte, der Anfechtungsanspruch verjährt gewesen wäre.

Der BGH verneint indessen die Verjährung des Anfechtungsanspruchs.

Der Anfechtungsanspruch verjährt gemäß § 146 Abs. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Gemäß § 195 BGB verjährt der Anfechtungsanspruch daher grundsätzlich nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist läuft mit dem Schluss des Jahres an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. – Der durch die Insolvenzanfechtung geltend gemachte Rückgewähranspruch entsteht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Vorliegend hatte der Lauf der Frist aufgrund der Insolvenzeröffnung am 30.10.2013 frühestens mit Ablauf des 31.12.2013 begonnen und ist folglich nicht vor dem 31.12.2016 beendet gewesen.

Die Zustellung des vom Kläger für den Rückgewähr beantragten Mahnbescheids beim Beklagten sei am 21.12.2016 erfolgt und habe die Verjährung daher gehemmt. Anders als der Beklagte meine, habe der Kläger für den geltend gemachten Anspruch vom Mahnverfahren Gebrauch machen dürfen. Die Voraussetzungen unter denen dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werde, lägen nicht vor. Der Anfechtungsanspruch sei entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht von einer Gegenleistung abhängig, was dem Erlass eines Mahnbescheids allerdings entgegengestanden hätte. Dem Anfechtungsgegner stehe im Anfechtungsprozess auch kein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick darauf zu, dass die Forderung, deren Befriedigung angefochten werde, als Insolvenzforderung gemäß § 144 InsO wieder auflebt, wenn der Anfechtungsgegner den Anfechtungsanspruch erfüllt.

Download: Urlaubsfahrt „ins Blaue“ ist kein Grund für eine Vertagung eines Gerichtstermins - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Gerichte bestimmen ihre Termine im Allgemeinen, ohne sie mit den Beteiligten, den Parteien und ihren Rechtsanwälten, zuvor abzusprechen. Die Beteiligten sind deshalb darauf verwiesen, einen Vertagungsantrag zu stellen. Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bedarf es hierfür jedoch eines „erheblichen Grundes“, der auf Verlangen des Gerichts glaubhaft gemacht werden muss. Diese Vorschrift gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren, da § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Vorschriften der ZPO verweist, soweit die FGO keine eigenen Regelungen trifft, und solche sich in der FGO zur Vertagung nicht finden.

Der zu entscheidende Fall

Das Verfahren befindet sich bereits im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang hatte der Bundesfinanzhof (BFH) die Vorentscheidung des Sächsischen Finanzgerichts (FG) aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da das FG trotz eines dargelegten und glaubhaft gemachten wichtigen Grundes für eine Terminsverlegung in der Sache verhandelt und entschieden hatte

Im zweiten Rechtsgang stellte der Kläger zunächst erfolgreich zwei weitere Anträge auf Terminsverlegung. Bei der streitgegenständlichen dritten Ladung wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22.02.2023 (Aschermittwoch) bestimmt. Der ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte, ein selbständiger Einzelanwalt, beantragte mit Schreiben vom 31.01.2023 Terminsverlegung mit der Begründung, dass er sich vom 16.02.2023 bis zum 22.02.2023 im Urlaub befinde.

Das FG lehnte diesen Antrag ab, da der Prozessbevollmächtigte nicht dargetan – und erst recht nicht glaubhaft gemacht – habe, dass er infolge eines bereits vor Anberaumung des Termins geplanten Urlaubs ortsabwesend sei.

Der Rechtsanwalt erwiderte, dass der Urlaub schon vor der Terminierung geplant und festgesetzt gewesen sei. Denn es handele sich um eine an seinem Kanzleiort sehr ausgeprägte Karnevalszeit; nahezu alle Firmen arbeiteten nicht. Er sei seit 25 Jahren verheiratet und habe mit seiner Frau über die Karnevalstage vom 16.02.2023 bis 22.02.2023 „Urlaub genommen“. Der Entschluss sei in der Weihnachtszeit 2022 gefallen. Hierüber könne dem FG auch die Ehefrau berichten. Wohin man fahren werde, stehe noch nicht fest.

Das FG verlegte den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht. Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte erschienen zur mündlichen Verhandlung. Das FG verhandelte, dies ist in einem solchen Fall zulässig, in Abwesenheit der Klägerseite und wies die Klage ab, die Revision ließ es nicht zu. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die er mit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und damit mit einem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 FGO begründete. Der BFH hat den Antrag auf Zulassung der Revision zurückgewiesen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen eines in der Privatsphäre liegenden Vorhabens setzt die Darlegung und (gegebenenfalls) die Glaubhaftmachung von Umständen voraus, wonach das Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist.

2. Ein vor Zugang der Ladung gefasster Entschluss zu einem Kurzurlaub "ins Blaue" ist kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten.

Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs könne durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt werden. Habe das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so werde die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet. Die Rüge dieses Verfahrensmangels erfordere daher nicht einmal die Darlegung, was der Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können.

Das Gericht könne aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen sowie eine Verhandlung vertagen. Wenn ein Beteiligter erhebliche Gründe geltend und (gegebenenfalls) glaubhaft mache, verdichte sich das in § 227 ZPO eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, das heißt der Termin müsse in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif halte und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde.

Welche Gründe als erheblich anzusehen seien und deshalb von demjenigen, der eine Verlegung des Termins beantragt, darzulegen seien, richte sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der Prozessbevollmächtigten seien dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz sei und die Beteiligten ein Recht darauf hätten, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung komme eine Terminsverlegung wegen einer durch eine anderweitige Verpflichtung bedingten Ortsabwesenheit eines Beteiligten oder einen Urlaub des Prozessbevollmächtigten allerdings grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die andere Sache vorrangig sei oder der Urlaub oder ein sonstiges in der Privatsphäre liegendes Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet gewesen sei, dass dem Prozessbevollmächtigten unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar sei. Der Vortrag eines Beteiligten, er habe (gegebenenfalls auch zusammen mit einer anderen Person) vor Zugang der Ladung den Entschluss gefasst, am Tag der mündlichen Verhandlung Urlaub zu machen, genüge dafür nicht. Andernfalls hätten es die Beteiligten in der Hand, nahezu nach Gutdünken Terminsänderungen herbeizuführen.

Die vom FG verlangte Glaubhaftmachung nach § 292 ZPO erfordere zwar nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet werde, tatsächlich vorliegen. Das Fehlen dieser Glaubhaftmachung könne nach § 227 Abs. 2 ZPO den Beteiligten nur nach entsprechender erfolgloser Aufforderung durch den Vorsitzenden oder den Einzelrichter entgegengehalten werden, wenn nicht eine derartige Aufforderung insbesondere wegen der Kurzfristigkeit des Verlegungsantrags zeitlich nicht möglich gewesen sei.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe könne das Vorgehen des FG nicht beanstandet werden. Der durch einen Rechtsanwalt und damit rechtskundig vertretene Kläger habe gegenüber dem FG schon keinen erheblichen Grund dargelegt, der eine Terminsverlegung gerechtfertigt hätte, obwohl er hierzu Anlass gehabt habe. Er habe vor der mündlichen Verhandlung weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass die Urlaubsplanung des Prozessbevollmächtigten bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass diesem unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar gewesen sei.

Der Vortrag im Schreiben des Rechtsanwalts vom 08.02.2023, er habe sich vor Zugang der Ladung mit seiner Frau darauf verständigt, am Sitzungstag Urlaub zu machen, sie wüssten aber nicht, wohin die Reise gehen solle, genüge nicht, um eine Terminsverlegung zu erreichen. Bei einer derartigen Urlaubsfahrt „ins Blaue“ liege die Erheblichkeit des Grundes im Sinne des § 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 227 ZPO nicht auf der Hand, sondern könne sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergeben. Weitere zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Umstände habe der Kläger jedoch nicht vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht, obwohl das FG mit Schreiben vom 03.02.2023 deutlich gemacht hätte, dass es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht (ein weiteres Mal) wegen eines nicht näher präzisierten Urlaubs verlegen werde, und sich aus diesem Schreiben in Zusammenschau mit dem vorangegangenen Schriftwechsel ergeben habe, dass das FG auch eine Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe verlangt habe. Dies sei dem Rechtsanwalt auch klar gewesen, denn er habe kritisiert, dass der Richter durchwegs Nachweise hätte haben wollen, ob seine (des Rechtsanwalts) Aussagen wahr seien.

Als Rechtsanwalt habe dem Prozessbevollmächtigten bekannt sein müssen, dass er in einem derartigen Fall zusätzlich zu dem angegebenen Verlegungsgrund – dem beabsichtigten Urlaub – Umstände vortragen und glaubhaft machen müsse, wonach die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins nach den Gesamtumständen des Einzelfalls als nicht zumutbar erscheint.

Schließlich ergäben sich auch aus den Akten keine Umstände, wonach sich dem FG die Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung geradezu aufdrängen musste.

Der BFH sah folglich keinen Grund für die Zulassung der Revision.

Download: Der Fiskus als Erbe und Gläubiger – ein Fall zum Anfechtungsrecht - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Gläubigeranfechtung nach dem Anfechtungsgesetz (AnfG)

Die Anfechtung von Rechtshandlungen durch den Insolvenzverwalter mit dem Ziel vorinsolvenzlich weggebene Vermögensbestandteile des Insolvenzschuldners für die Insolvenzmasse und damit zugunsten der Insolvenzgläubiger zurückzugewinnen, ist allgemein, zum Teil aus eigener Erfahrung, bekannt. Weniger bekannt ist die Anfechtung nach dem AnfG außerhalb des Insolvenzverfahrens. Hier ist jeder Gläubiger, der über einen (auch vorläufig) vollstreckbaren Titel verfügt, anfechtungsberechtigt, wenn er zuvor in der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner keine vollständige Befriedigung erlangt hat oder anzunehmen ist, dass die die Vollstreckung nicht hierzu führen würde. Anders als bei der Insolvenzanfechtung kommen bei der Gläubigeranfechtung nur Rechtshandlungen des Schuldners in Betracht, er muss selbst einen Vermögensgegenstand anfechtbar übertragen haben. Die Anfechtungstatbestände sind im Verhältnis zur Insolvenzordnung reduziert und beschränken sich auf die Vorsatzanfechtung nach § 3 AnfG, die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen nach § 4 InsO und die Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen sowie Gesellschaftersicherheiten für Drittdarlehen nach §§ 6 und 6a AnfG.

Die Gläubigeranfechtung ist grundsätzlich innerhalb der jeweiligen Anfechtungsfristen durch Klage geltend zu machen. Der Klageantrag richtet sich dabei – auch hier abweichend von der Insolvenzanfechtung – nicht auf Rückübertragung des Vermögensbestandteils an den Schuldner, sondern auf Duldung der Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand. Der Anfechtungsgegner muss die Vollstreckung so dulden, als gehörte der Gegenstand noch dem Schuldner, denn die Gläubigeranfechtung soll nur die Vollstreckungschancen des anfechtenden Gläubigers so wiederherstellen, wie sie vor der angefochtenen Rechtshandlung, der Weggabe des Gegenstands, bestanden. Diese Besserstellung erlangt nur der anfechtende Gläubiger, nicht weitere Gläubiger des Schuldners. Das AnfG ist damit eine Ausprägung des in der Zwangsvollstreckung geltenden Prioritätsgrundsatzes.

Die Gläubigeranfechtung durch die Finanzverwaltung

Auch das Finanzamt (FA) ist als (Steuer)Gläubiger zur Anfechtung berechtigt, allerdings steht ihr zu diesem Zweck der Zivilrechtsweg nicht offen, sie hat vielmehr nach § 191 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) die Anfechtung durch einen sogenannten Duldungsbescheid geltend zu machen und ist dabei an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht gebunden. Ansonsten gelten die Voraussetzungen des AnfG auch für das Finanzamt.

Der Empfänger eines solchen Duldungsbescheids kann sich mit dem Einspruch und, bei dessen Erfolglosigkeit, mit der Anfechtungsklage an das Finanzgericht, wehren. Er muss zur Wahrung seiner Rechte also selbst aktiv werden, während der zivilrechtliche Anfechtungsgegner abwarten kann, dass der Anfechtende Klage zum Zivilgericht erhebt.

Die Fiskalerbschaft

Durch die Erbschaft geht das Vermögen des Erblassers samt den Verbindlichkeiten als Ganzes auf den oder die Erben über. Liegt keine testamentarische Verfügung, auch kein Erbvertrag vor, sind die gesetzlichen Erben berufen. Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers nach § 1924 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), Erben zweiter Ordnung die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, Erben dritter Ordnung die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmling, Erben der vierten Ordnung die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge, Erben der fünften Ordnung sind die ferneren Verwandten (§§ 1925 bis 1929 BGB). Daneben besteht nach § 1931 BGB das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten.

Fehlt es an einer letztwilligen Verfügung und ist zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden, erbt nach § 1936 BGB das Bundesland, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Übrigen erbt der Bund. Dasselbe gilt gemäß § 1953 BGB, wenn alle testamentarisch oder kraft Gesetzes berufenen Erben die Erbschaft ausschlagen, weil dann der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden nicht als erfolgt fingiert wird.

Der zu entscheidende Fall

Die Beteiligten stritten im vorliegenden Fall darüber, ob ein Duldungsbescheid des Finanzamts infolge der auch vom Finanzgericht (FG) angenommenen Fiskalerbschaft, die ein Erlöschen der geltend gemachten Abgabenforderungen zur Folge haben könnte, aufrecht erhalten bleiben kann. Das Finanzamt hatte gegen die Abgabenschuldnerin S eine offene Steuerforderung festgesetzt, die diese nicht, auch später nicht entrichtete.

Das FA nahm daher die Klägerin gemäß § 191 AO i. V. m. §§ 1 und 3 AnfG mit Bescheid auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück in Anspruch. Die Klägerin, eine Schwägerin der S, hatte dieses Grundstück zuvor von dieser erworben. Als Gegenleistung übernahm die Klägerin eine Briefgrundschuld samt des hierdurch gesicherten Kredits sowie die Verpflichtung zur Zahlung eines weiteren Kaufpreises. Zudem räumte sie der S und deren Ehemann ein lebenslanges dingliches Wohnungsrecht ein und verpflichtete sich, dem Sohn der S ein unwiderrufliches Verkaufsangebot zu unterbreiten.

Das FA erklärte in dem Duldungsbescheid die Anfechtung des Erwerbsvorgangs. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid erfolglos Einspruch ein. 2015 verstarb S. Ihr Ehemann und ihr einziger Sohn als gesetzliche Erben schlugen das Erbe aus. Ob ein weitere Person, der B, gesetzlicher Erbe geworden ist, der die Erbschaft nicht ausgeschlagen hatte, hat das FG, das die Klage für unbegründet hielt und daher abwies, nicht prozessordnungsgemäß geklärt.

Die Klägerin begründete die Revision damit, dass für einen Duldungsbescheid der Grundsatz der Akzessorietät gelte. Dieser werde im Falle der hier vorliegenden Fiskalerbschaft nicht durchbrochen. Der Grundsatz der Akzessorietät besagt, dass das Anfechtungsrecht ohne Weiters mit der titulierten Forderung erlischt, etwa weil der Schuldner sie doch noch beglichen hat. Der BFH hat die Revision zurückgewiesen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH hat keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 3 AnfG hier vorliegen, soweit ersichtlich war das in der Revisionsinstanz auch nicht mehr zwischen den Parteien streitig. Entscheidend kann es entsprechend dem Grundsatz der Akzessorietät darauf an, ob die Steuerforderung noch bestand. Die Frage, ob B oder der Fiskus Erbe geworden waren, lässt der BFH bei seiner Lösung offen. In beiden Fällen hält die Revision unbegründet.

Wäre B Erbe geworden, hätte dies auf die Steuerforderung keine Auswirkungen gehabt, die Forderung bestand trotz des Erbfalls fort. Unter dieser Prämisse wäre der Duldungsbescheid daher nach wie vor rechtmäßig.

Wäre hingegen der Fiskus Erbe geworden, wäre die Steuerforderung in Folge der Konfusion – der Fiskus ist Gläubiger der Steuerforderung und gleichzeitig durch den Erbanfall auch Schuldner dieser Verbindlichkeit geworden – erloschen. Unter Anwendung des Grundsatzes der Akzessorietät fehlte es folglich für den Duldungsanspruch an einem vollstreckbaren Schuldtitel, hier in Form des Steuerbescheids, denn der sich aus der Anfechtung ergebende Duldungsanspruch wird in seinem Umfang durch die im Bescheid angegebene Steuerforderung begrenzt.

Dennoch sei vorliegend das Anfechtungsrecht nicht untergegangen, da, so meint der BFH, im Fall der Fiskalerbschaft der Grundsatz der Akzessorietät solches nicht bewirke.

Der BFH vergleicht den vorliegenden Sachverhalt mit demjenigen der Aufteilung einer Steuerschuld von zusammen veranlagten Ehegatten nach § 268 AO. Diese Vorschrift bestimmt, dass Gesamtschuldner, und zwar jeder einzeln, wie etwa gemeinsam veranlagte Ehegatten, die zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden sind, beantragen können, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach einer Aufteilung der Steuer (§§ 269 bis 278 AO) auf den einzelnen ergibt.

Diese Aufteilung hat gemäß § 278 Abs. 1 AO zur Folge, dass danach die Vollstreckung nur nach Maßgabe der auf die einzelnen Schuldner entfallenden Beträge durchgeführt werden darf. Abs. 2 bestimmt aber, dass, wenn einem Steuerschuldner von einer mit ihm zusammen veranlagten Person in oder nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände bestehen, unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet werden, der Empfänger für einen bestimmten Zeitraum bis zur Höhe des Wertes dieser Zuwendung für die Steuer in Anspruch genommen werden kann. Für diesen Fall hatte der BFH mit Urteil vom 07.03.2006 (VII R 12/05) bereits entschieden, dass die Inanspruchnahme des Empfängers der unentgeltlichen Zuwendung nicht dadurch gehindert wird, dass die Steuerschuld durch Konfusion erlischt. Begründet hatte der BFH diese Entscheidung damit, dass die uneingeschränkte Akzessorietät der Verpflichtung des zusammen veranlagten Zuwendungsempfängers im Falle der Konfusion der Steuerschuld bei einer Fiskalerbschaft dem Zweck des § 278 Abs. 2 Satz 1 AO zuwiderliefe, dem Steuergläubiger im Gegenzug zur Vollstreckungsbegrenzung durch Aufteilungsbescheid den Zugriff auf die Vermögenswerte zu bewahren, die dem Vermögen des Erblassers durch unentgeltliche Übertragung auf den zusammen veranlagten anderen Ehegatten entzogen worden sind. Von derselben Interessenlage sei auch im Falle der Anfechtung nach dem AnfG auszugehen. Der Grundsatz der Akzessorietät müsse daher bei der Fiskalerbschaft zurücktreten.

Diese Auffassung teile auch der Bundesgerichtshof (BGH). Dieser habe nämlich entschieden, dass eine Forderung als fortbestehend fingiert werden müsse, wenn dies nach der Interessenlage etwa mit Rücksicht auf Rechte Dritter an der Forderung geboten erscheine (BGH, Urteil vom 14.06.1995 – IV ZR 212/94).

Der BFH verneint abschließend den Eintritt der Zahlungsverjährung nach § 228 AO, sodass er die Revision insgesamt als unbegründet behandeln konnte.

Download: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nach Aufhebung des Insolvenzverwalters gegen den ehemaligen Insolvenzschuldner - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Forderungskategorien im Insolvenzverfahren

Das Insolvenzverfahren dient nach § 1 der Insolvenzordnung (InsO) dazu, durch Verwertung des Vermögens des Schuldners seine Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen. Die hier angesprochenen Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO solche Gläubiger, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Soweit diese Gläubiger im Insolvenzverfahren nicht befriedigt werden können, können sie nach Aufhebung des Verfahrens ihre Forderungen gegen den Schuldner weiterverfolgen. Das gilt allerdings nur, wenn dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wurde und seine Verbindlichkeiten auch nicht im Rahmen eines Insolvenzplans erlassen wurden, denn das wirtschaftliche Überleben des Schuldners ist der zweite in § 1 InsO niedergelegte Zweck des Insolvenzverfahrens.

Soweit hier von Interesse stehen neben den Insolvenzforderungen die sogenannten Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO, das sind vor allem Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden. Diese Möglichkeit hat der Insolvenzverwalter, weil auf ihn nach § 80 InsO das Recht, das Vermögen des Schuldners, soweit es in die Insolvenzmasse fällt, zu verwalten und darüber zu verfügen, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens übergeht. Er handelt insoweit als sogenannte Partei kraft Amtes. Diese Masseverbindlichkeiten sind ebenso wie die Kosten des Insolvenzverfahrens vorweg aus der Masse zu berichtigen, bevor eine Quote an die Insolvenzgläubiger ausgeschüttet werden darf.

Der Insolvenzverwalter hat sorgfältig zu prüfen, ob er die von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse befriedigen kann. Unterlässt er dies und kann eine Masseverbindlichkeit nicht befriedigt werden, so ist der Insolvenzverwalter mit seinem eigenen Vermögen dem Massegläubiger zum Schadenersatz nach näherer Maßgabe des § 61 InsO verpflichtet.

Schließlich kann es auch im laufenden Insolvenzverfahren Verbindlichkeiten geben, die die Insolvenzmasse nicht betreffen, sondern das sogenannte massefreie Vermögen des Schuldners. Hierbei handelt es sich um solche die der Schuldner, hier kommen vor allem natürliche Personen in Betracht, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, nicht nur, aber allem, wenn der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO „freigegeben“ hatte.

Ist der Insolvenzverwalter auch gehalten, die von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten zu befriedigen, kommt es doch immer wieder vor, dass solche offen bleiben und bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht befriedigt werden, sei es, weil die Masse nicht ausreicht, sei es, weil der Verwalter sie aus sonstigen Gründen, etwa aus Nachlässigkeit nicht befriedigt, bevor er die Masse an die Insolvenzgläubiger verteilt.

Ob der frühere Insolvenzschuldner, eventuell gar nach einer ihm erteilten Restschuldbefreiung, für diese unbefriedigt gebliebenen Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen werden kann, ist juristisch umstritten. Die ganz herrschende Meinung lässt die Inanspruchnahme des Schuldners zwar zu, beschränkt sie aber auf eine ihm eventuell nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgehändigte Restmasse. Ihre Begründung findet diese Auffassung in der Verpflichtungsmacht des Insolvenzverwalters aus § 80 InsO, denn dieser ist nicht schlechthin gesetzlicher Vertreter des Schuldners, sondern kann nur für die Insolvenzmasse handeln, den Schuldner also nur insoweit verpflichten, als es die Insolvenzmasse betrifft.

Anderer Meinung ist seit einigen Jahren der Bundesfinanzhof (BFH), der die Beschränkung der Nachhaftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten bei Steuerschulden nicht gelten lassen will. Die Restschuldbefreiung steht nach seiner insoweit zutreffenden Meinung der Inanspruchnahme nicht entgegen, da von ihr lediglich Insolvenzforderung und keine Masseverbindlichkeiten erfasst werden.

Der zu entscheidende Fall

Über das Vermögen des Klägers, eines Einzelunternehmers, war am 29.06.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Insolvenzverfahren wurde nach dem Vollzug der Schlussverteilung am 19.01.2016 aufgehoben. Gleichzeitig wurde bekannt gemacht, dass die Wohlverhaltensphase des Kl. im Restschuldbefreiungsverfahren am 290.6.2018 enden werde. Ob die Restschuldbefreiung auch erteilt wurde, lässt sich dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Halle nicht entnehmen.

Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen des Klägers zunächst fort und beschäftigte fünf Arbeitnehmer des Klägers für einige Zeit weiter. Hierzu wurde ihm antragsgemäß eine neue Betriebsnummer durch den Sozialversicherungsträger erteilt.

Bei einer nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung durch die beklagte Deutsche Rentenversicherung stellte sich heraus, dass bei den Beitragsnachweisen für die Zeit des laufenden Insolvenzverfahrens von falschen Berechnungsgrundlagen ausgegangen worden war, sodass sich Nachforderungen ergaben. Diese wurden in voller Höhe gegen den Kläger als ehemaligen Insolvenzschuldner und Arbeitgeber festgesetzt.

Diese Geltendmachung könne, so ist in der Nachforderung ausgeführt, in Anbetracht der Aufhebung des Insolvenzverfahrens in der Regel nur gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber (dem Insolvenzschuldner) erfolgen, der im Rahmen des Insolvenzverfahrens seine wirtschaftliche Tätigkeit fortsetze. Eine Inanspruchnahme des ehemaligen Insolvenzverwalters nach § 61 InsO erfolge nicht (Anmerkung: Sie hätte auch keinen Erfolg, da Sozialversicherungsbeiträge ebenso wie Steuern von § 61 InsO nicht erfasst werden. Ob eine Haftung des Verwalters nach § 60 InsO wegen der fehlerhaften Berechnungsgrundlagen in Betracht kommen könnte ist eine andere, hier nicht relevante Frage.)

Mit seiner Klage hat der Kläger die Aufhebung des Nachforderungsbescheids verfolgt und geltend gemacht, der angefochtene Bescheid richte sich an den falschen Beteiligten. Nicht er, sondern der Insolvenzverwalter sei unter der neuen Betriebsnummer als Arbeitgeber geführt. Dieser habe auch die fehlerhaften Meldungen zur Sozialversicherung zu vertreten.

Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klage abgewiesen, hiergegen richtet die Berufung, die das LSG Halle zurückgewiesen hat.

Die Begründung des LSG Halle

Das LSG Halle meint, die Beklagte habe zu Recht vom Kläger die Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert.

Die Beklagte habe den angefochtenen Bescheid richtigerweise an den Kläger als Arbeitgeber der im Insolvenzverfahren weiterbeschäftigten Arbeitnehmer gerichtet. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien diese Arbeitnehmer des Klägers gewesen. Die Arbeitsverhältnisse hätten noch über den Eröffnungstag hinaus bis zum 31.07.2012 fortbestanden.

Die aus den fortbestehenden Arbeitsverhältnissen erwachsenen Verbindlichkeiten auf Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen seien Masseverbindlichkeiten gemäß § § 55 Abs. 1 InsO gewesen, die vom Insolvenzverwalter, der anstelle des Klägers gemäß § 80 InsO in der Funktion des Arbeitgebers das insolvenzbefangene Unternehmen fortgeführt habe, zu erfüllen gewesen seien. Die Beitragsforderung richte sich aber nicht gegen den Insolvenzverwalter persönlich.

Soweit vom Insolvenzverwalter aufgrund fehlerhafter Berechnung die Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig entrichtet worden seien, könnten sie nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger durch Beitragsbescheid festgesetzt werden, denn mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens habe der Kläger die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen zurückgewonnen, die infolge der Eröffnung auf den Insolvenzverwalter übergegangen gewesen sei. An Verpflichtungen und Verfügungen, die der Verwalter eingegangen sei, bleibe der Kläger gebunden.

Mit der Frage, ob diese vom LSG umschriebene Nachhaftung eventuell begrenzt sein könnte, wie es von der ganz herrschenden Meinung vertreten wird, setzt sich das Gericht nicht weiter auseinander, obwohl hierin die eigentliche Problematik des Rechtsstreits lag.

Der Nachhaftung stehe, so das LSG, nicht entgegen, dass der Insolvenzverwalter eine neue Betriebsnummer beantragt hatte. Denn dies habe nur zur Abgrenzung der Verpflichtungen des Insolvenzschuldners vor der Insolvenzeröffnung und den Masseverbindlichkeiten für die Zeit ab Insolvenzeröffnung gedient.

Ob die festgesetzte Beitragsnachforderung durchsetzbar sei, sei nicht Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens. Im Rahmen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Betriebsprüfung sei lediglich zu prüfen, ob die arbeitgeberseitigen melde- und beitragsrechtlichen Pflichten erfüllt worden seien. Der auf dieser Grundlage von der Beklagten erlassene Beitragsbescheid habe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den Charakter eines Grundlagenbescheides, der den Rechtsgrund für das Tätigwerden der Einzugsstellen der Sozialversicherung als Gläubiger der Beitragsforderungen darstelle. Einwendungen, insbesondere gegebenenfalls vorliegende Vollstreckungshindernisse, habe der Kläger nach der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides gegebenenfalls gegenüber den Einzugsstellen geltend zu machen. Auch dies Begründung vermag nicht recht zu überzeugen, denn die vom LSG hierzu in Bezug genommen Urteile des BSG befassen sich mit einem anderen Sachverhalt, nämlich er Rechtslage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit.

Schließlich meint das LSG, nicht streitgegenständlich sei der Vorwurf des Klägers, der Insolvenzverwalter habe die fehlerhafte Beitragsentrichtung und damit die ihm gegenüber geltend gemachte Beitragsnachforderung zu verantworten. Dessen Haftung, die sich aus § 60 InsO wegen Pflichtverletzungen durch die unzutreffenden Beitragsnachweise ergeben könne, sei erst nach rechtskräftigem Abschluss des vorliegenden Verfahrens zu prüfen.

Download: Insolvenzanfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Insolvenzanfechtung

Die Insolvenzanfechtung ist für den von ihr Betroffenen, den Anfechtungsgegner, schwer zu akzeptieren, auch allgemein wird sie häufig hinterfragt. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass in der Insolvenz die Insolvenzgläubiger gleichbehandelt werden sollen, also einzelne Gläubiger keine Sondervorteile beanspruchen können. Dieser Grundsatz gilt zwar erst ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, soll aber dann vorverlagert werden, wenn ein Gläubiger oder gar ein Dritter aus dem Schuldnervermögen vor der Verfahrenseröffnung etwas erlangt hat und dabei die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands erfüllt worden sind. Das gesetzgeberische Motiv für die einzelnen Anfechtungstatbestände ist dabei recht unterschiedlich. Während die Anfechtung wegen der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers nach §§ 130, 131 der Insolvenzordnung (InsO) Handlungen für anfechtbar erklärt, die während der wirtschaftlichen Krise des Schuldners, konkret während der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag, vorgenommen worden sind, kommt in der Regelung der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO der Gedanke zum Ausdruck, dass ein Schuldner nicht berechtigt ist, vorsätzlich einzelne Gläubiger gegenüber anderen zu bevorzugen, soweit die ihnen gegenüber bestehenden Verpflichtungen gleichrangig sind. Ein entgegenstehender Erwerb soll keinen Bestand haben. Die Vorschrift schützt also die Interessen der Gläubiger daran, dass der Schuldner ihre prinzipiell gleichen Befriedigungschancen nicht beeinträchtigt. Die Anfechtung wegen unentgeltlicher Leistungen nach § 134 InsO, die nicht nur Schenkungen erfasst, soll verhindern, dass der Schuldner durch Freigebigkeit sein Vermögen zu Lasten der Gläubiger mindert. Schließlich bestimmt § 135 InsO, das im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag zurückgezahlte Gesellschafterdarlehen an die Insolvenzmasse zurückgewährt werden müssen.

Vorsatzanfechtung

Die Insolvenzanfechtung setzt allgemein eine vor der Insolvenzeröffnung vorgenommene Rechtshandlung voraus, die die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger benachteiligt. Wer Urheber der Rechtshandlung ist, ist belanglos. Allerdings verlangen einige Anfechtungstatbestände, dass die Rechtshandlung vom Schuldner ausgegangen ist, zu diesen gehört § 133 InsO.

Diese Vorschrift bestimmt, dass Rechtshandlungen, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen hat, anfechtbar sind, wenn der Schuldner mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, gehandelt hat und der Anfechtungsgegner zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Hat der Schuldner mit der Rechtshandlung einen Gläubiger gesichert oder befriedigt, beträgt diese Frist nur vier Jahre. Die zehnjährige Frist kommt daher nur bei klassischen Vermögensverschiebungen zur Anwendung. Verschärfte Sonderregeln gelten für Anfechtungsgegner, die dem Schuldner nahestehen.

Die einzelnen Tatbestandsmerkmale muss im Ausgangspunkt der Insolvenzverwalter dartun und, wenn der Anfechtungsgegner die zugrundeliegenden Tatsachen bestreitet, auch beweisen. Im Einzelnen verlangt § 133 Abs. 1 InsO

  • eine Rechtshandlung des Schuldners,
  • der Schuldner muss bei dieser Rechtshandlung mit dem Vorsatz gehandelt haben, seine Gläubiger zu benachteiligen,
  • von diesem Vorsatz muss der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Rechtshandlung Kenntnis gehabt haben.

Sowohl der Vorsatz wie die Kenntnis hiervon sind innere Tatsachen, die im Allgemeinen schwer zu beweisen sind. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden, die wiederum der Insolvenzverwalter zu beweisen hat.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 06.02.2018 ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Am 11.07.2018 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger verlangt vom beklagten Bundesland (Land) gezahlte Umsatz-, Lohn- und Körperschaftsteuer zurück.

Schon im Jahr 2013 vollstreckte das Land offene Steuerforderungen gegen die GmbH. Am 21.03.2013 erhielt es die Mitteilung des Regierungspräsidiums, wonach ein Gewerbeuntersagungsverfahrens auf Anregung des Finanzamts eingeleitet worden sei. Grund: „Zahlungs- und Mitwirkungspflichten nicht erfüllt“, „Zahlungsrückstände 13.691,62 €“, „Betreibungsversuche ganz oder überwiegend erfolglos gewesen.“ In de Folgejahren kam es zu vielfachen weiteren Vollstreckungen durch das Land, ab Februar 2015 stiegen die Umsatzsteuerrückstände kontinuierlich an und erreichten schließlich 16.000 €. Eine Sozialkasse stellte im Mai 2015 einen Insolvenzantrag, der jedoch nach Entrichtung der offenen Beiträge zurückgenommen wurde.

Der Insolvenzverwalter verlangt vom Land sämtliche Steuerzahlungen nach dem 24.02.2014 im Wege der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO zurück. Bei den angefochtenen Zahlungen handelte es sich zum Teil um Überweisungen, zum Teil aber auch um Barzahlungen an den Vollstreckungsbeamten. Letzteres waren stets „glatte Beträge“, 7.800 €, 12.000 € und 8.000 €.

Die GmbH sei, so behauptete der Insolvenzverwalter, schon bei der ersten angefochtenen Zahlung zahlungsunfähig gewesen und habe die Zahlungsfähigkeit bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr wiedererlangt. Bereits bei der ersten Zahlung hätten offene Sozialversicherungsbeiträge bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ausgeglichen worden und zur Insolvenztabelle festgestellt worden seien. Die trotz der Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen habe die GmbH mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geleistet, was dem Land aufgrund der zahlreichen Vollstreckungsmaßnahmen bekannt gewesen sei. Dies erfülle den Tatbestand der vorsätzlichen Benachteiligung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, auf die Berufung des Klägers verurteilt das OLG Frankfurt das Land in vollem Umfang.

Die Begründung des OLG Frankfurt

Das Oberlandesgericht differenziert zwischen den Überweisungen und den Barzahlungen. Beide Zahlungsarten führten als Minderungen der sogenannten Aktivmasse zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung, denn die geleisteten Beträge standen nicht mehr für die Zahlung der Insolvenzquoten zur Verfügung. Die vom Insolvenzverwalter bestrittene Mutmaßung des Landes, die Gelder könnten auch von dritter Seite stammen, hält das Gericht nicht für durchgreifend.

Anfechtbarkeit der Überweisungen

Die Überweisungen stellten, wie von § 133 InsO vorausgesetzt, zweifelsfrei Rechtshandlungen der GmbH dar, die diese durch ihren Geschäftsführer vorgenommen hatte, sie waren von dessen Willen getragen und lösten rechtliche Wirkungen aus. Dass das OLG Frankfurt hierfür lediglich auf § 129 InsO statt auf § 133 InsO rekurriert, ist lediglich ein Schönheitsfehler, es gelangt jedenfalls zum zutreffenden Ergebnis.

Das Oberlandesgericht bestätigt auch den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung. Es folgt dabei der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, noch nicht zwingend mit dem notwendigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, obwohl er weiß, dass er aufgrund der Zahlungsunfähigkeit aktuell seine (anderen) Gläubiger nicht vollständig befriedigen kann. Es müsse vielmehr hinzukommen, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Dies soll sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen richten. – Das OLG Frankfurt stellt sowohl die Zahlungsunfähigkeit der GmbH als auch die zukünftige Unfähigkeit der Gläubigerbefriedigung fest.

Schon bei der ersten Zahlung sei die GmbH zahlungsunfähig gewesen. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO tritt Zahlungsunfähigkeit ein, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Hierzu ist ein Liquiditätsstatus aufzustellen, in dem die aktuelle und die innerhalb der folgenden drei Wochen zu realisierende Liquidität den aktuellen, fälligen sowie den in den folgenden drei Wochen fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen ist. Erreicht die Deckungsquote nicht mindestens 90 % ist der Schuldner zahlungsunfähig. Die Ermittlung setzt im Allgemeinen eine aussagekräftige Buchführung voraus, die bei insolventen Unternehmen nicht stets vorhanden ist. Dies gilt auch für andere zulässige Ermittlungsmethoden.

Das Gesetz hilft dem Insolvenzverwalter hier jedoch mit einer Vermutung, denn nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Der Nachweis erfolgt durch hierfür in der Rechtsprechung entwickelte Indizien.

Vorliegend hatte die GmbH aufgehört, ihre Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit (vollständig) zu befriedigen. Es bestanden erhebliche Umsatzsteuerrückstände, vielfache Vollstreckungen mussten durchgeführt werden, sodass das OLG Frankfurt aufgrund dieser Indizien annehmen konnte, die GmbH habe die Zahlungen eingestellt. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen haben könnte, hatte das Land nicht vorgetragen, sodass zu vermuten war, dass die Zahlungseinstellung und damit die Zahlungsunfähigkeit bis zur Verfahrenseröffnung nicht behoben werden konnte. Die GmbH war folglich bei allen Zahlungen objektiv zahlungsunfähig.

Das OLG Frankfurt meint darüber hinaus, dass die GmbH keinerlei Anlass gehabt habe anzunehmen, ihre Gläubiger in Zukunft befriedigen zu können. Die GmbH habe keinerlei Sanierungsbemühungen unternommen, für die Beseitigung der Deckungslücke ließen ihr die Gläubiger auch keinen zeitlichen Spielraum, vielmehr sei sie kontinuierlichen Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen und habe nur geringe Einnahmen generiert. In der erforderlichen Gesamtschau hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die GmbH aufgrund der dargestellten Tatsachen mit dem notwendigen Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat.

Desgleichen bejaht es die Kenntnis des Landes von diesem Vorsatz. Die Kenntnis hat grundsätzlich der Insolvenzverwalter zu beweisen, ihm hilft jedoch § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach die Kenntnis vermutet wird, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

Das Land hatte nach den Feststellungen des OLG Frankfurt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH. Es musste ab 2013 vielfach seine Steuerforderungen vollstrecken, zudem hatte es Kenntnis davon, dass nicht nur das Finanzamt, sondern auch das Regierungspräsidium bei Vollstreckungen teilweise erfolglos blieb und die Umsatzsteuerrückstände kontinuierlich anwuchsen. Dies reiche aus, die Kenntnis zu bejahen.

Keine Feststellungen hat das Gericht dazu getroffen, dass das Land wusste, dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt. Allerdings wäre dies zu bejahen gewesen, da nach der Rechtsprechung des BGH der Anfechtungsgegner, der weiß, dass der Schuldner gewerblich tätig ist, annehmen muss, dass weitere Gläubiger vorhanden sind, die aufgrund der Leistung des Schuldners trotz Zahlungsunfähigkeit benachteiligt werden. Im Ergebnis hat das OLG Frankfurt deshalb zu Recht die Voraussetzungen der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO als erfüllt angesehen. Da das Land nichts Substantiiertes vorgetragen und bewiesen hatte, was die Vermutung hätte widerlegen können, hat es dessen Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz der GmbH annehmen dürfen. Das Land muss folglich die durch Überweisung erlangten Zahlungen der GmbH an die Masse zurückgewähren.

Anfechtbarkeit der Barzahlungen

Das Oberlandesgericht Frankfurt behandelt die Barzahlungen im Ausgangspunkt ebenso wie die Überweisungen. Allerdings hatte hier das Land bestritten, dass die Barzahlungen Rechtshandlungen der GmbH durch ihren Geschäftsführer waren, weil sie nicht freiwillig erfolgten, sondern in der Zwangsvollstreckung. Dies hat folgenden, vom Gericht zutreffend wiedergegebenen Hintergrund:

„Eine Vollstreckungsmaßnahme des Vollstreckungsorgans stellt keine Rechtshandlung i.S.v. § 129 Absatz 1 InsO dar (Anmerkung: Dies ist so nicht zutreffend, auch Vollstreckungsmaßnahmen sind zweifelsfrei Rechtshandlungen im Sinne des § 129 InsO, problematisch ist allein, ob sie auf den Schuldner zurückgehen oder ausschließlich auf das Vollstreckungsorgan, zum Beispiel den Gerichtsvollzieher). Einer Rechtshandlung steht es aber nicht entgegen, wenn der Schuldner unter dem Druck der Zwangsvollstreckung zahlt. Rückausnahme ist allerdings, wenn der Schuldner nur noch die Wahl hatte, sofort zu zahlen oder die Vollstreckung durch den anwesenden Vollziehungsbeamten zu dulden. Übergibt der Schuldner also dem Vollziehungsbeamten Bargeld, dessen Pfändung er andernfalls hätte hinnehmen müssen, ist diese Zahlung nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Umgekehrt ist aber bei einer Barzahlung von einer Rechtshandlung auszugehen, wenn der Vollziehungsbeamte auf das Bargeld nicht ohne tatsächliche oder rechtliche Hindernisse hätte zugreifen können. Die Beweislast für die Rechtshandlung trägt der Insolvenzverwalter.“

Der Kläger habe, so das Oberlandesgericht, ausreichende Indizien vorgetragen, die für eine ‚willensgeleitete Entscheidung des Schuldners‘ sprächen: Nach den vorgelegten Urkunden handele es sich um „Quittung“[en] für den „Einzahler“. Dieser Wortlaut spreche für willensgeleitete Entscheidungen des Geschäftsführers der GmbH, denn eine Quittung erhalte gemeinhin diejenige Person, die etwas geleistet habe. In allen drei Fällen habe der Vollziehungsbeamte offensichtlich eine Einzahlung entgegengenommen, die jeweils – ausgehend von einem „glatten“ Einzahlungsbetrag den offenen Steuerforderungen zugeordnet worden sei. Diese drei „glatten“ Beträge sprächen für willensgeleitete Entscheidungen der GmbH und gegen Pfändungen durch den Vollziehungsbeamten des Landes. Die Urkunden sprächen ferner dafür, dass der Geschäftsführer der GmbH willensgeleitet überlegt habe, welchen Betrag er übergebe. Das Land habe schließlich nicht behauptet, dass die GmbH nur noch die Wahl gehabt habe, sofort zu zahlen oder die Vollstreckung durch den anwesenden Vollziehungsbeamten zu dulden.

Im Ergebnis waren die Barzahlungen daher nicht anders zu beurteilen als die Überweisungen, sodass der Insolvenzverwalter auch diese zugunsten der Insolvenzmasse zurückverlangen kann.

Download: Der nicht gezoomte Richter – Grund für eine Besetzungsrüge? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Der gesetzliche Richter – ein hohes Gut

Art. 101 des Grundgesetzes (GG) bestimmt: Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Dies gilt nicht nur im Strafverfahren, sondern in jeglichem gerichtlichen Verfahren.

Die Regelung garantiert den gesetzlichen Richter (besser: gesetzlich bestimmten Richter), der durch abstrakte Form und daher ohne Rücksicht auf die Person der Beteiligten bestimmt ist, wie der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee es definierte. Damit sollen Eingriffe Unbefugter in die Rechtspflege verhindert werden. Ferner soll das Vertrauen der Rechtssuchenden und auch der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte geschützt werden. Die Vorschrift soll aus der geschichtlichen Erfahrung heraus die Eingriffe in die Justiz verhindern. Die grundrechtsgleiche Gewährleistung des gesetzlichen Richters wendet sich zum einen an die Legislative und die Exekutive, denen sie Einflussnahmen zur Erwirkung einer Entscheidung durch einen bestimmten, „genehmen“ Richter untersagt, und zum anderen an die Justiz selbst, die sie zur Einhaltung der abstrakten gesetzlichen Zuständigkeitsordnung verpflichtet.

Die Vorschrift beruht auf der leidvollen geschichtlichen Erfahrung, die insbesondere auf die Zeit des Nationalsozialismus (1933 – 1945) zurückgeht. Damals wurde das Recht auf den gesetzlichen Richter mit Schnell- und Sondergerichten wie dem Volksgerichtshof außer Kraft gesetzt. Allerdings konnte schon im Absolutismus der Monarch als oberster Gerichtsherr für ein bestimmtes Verfahren spontan einen zuständigen Richter bestimmen oder ablösen oder auch die Sache an sich ziehen und selbst entscheiden und auf diese Weise Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen.

Art. 101 GG schließt allerdings Spezialgerichtsbarkeiten nicht aus, können allerdings nur durch Gesetz errichtet werden. Der Gesetzgeber hat hiervon Gebrauch gemacht und neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafverfahren) besondere Gerichte für Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsrecht sowie für Steuersachen errichtet.

Wie wichtig das Recht auf den gesetzlichen Richter ist, zeigt in der jüngsten Geschichte die Einflussnahme, die in Polen die bis vor kurzem regierende PiS auf die Justiz praktiziert hat, um eine Rechtsprechung in ihrem Sinne zu gewährleisten.

Bestimmung des gesetzlichen Richters

Um das Recht auf den gesetzlichen Richter zu gewährleisten, müssen die Gerichte vor Beginn eines Geschäftsjahrs einen Geschäftsverteilungsplan aufstellen. Soweit es sich um ein Gericht mit Spruchkörpern handelt, die mit mehr als einem Richter besetzt sind (zum Beispiel die Kammern der Landgerichte), gilt dasselbe zusätzlich für jeden einzelnen Spruchkörper.

Den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan beschließt das Gerichtspräsidium – ein richterliches Selbstverwaltungsorgan – gemäß § 21e des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für jedes Geschäftsjahr neu. Die Anordnungen des Geschäftsverteilungsplans dürfen im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird. Vor der Änderung ist den Vorsitzenden Richtern, deren Spruchkörper von der Änderung der Geschäftsverteilung berührt wird, Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben.

Innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers werden die Geschäfte nach § 21g GVG durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter auf die Mitglieder verteilt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Präsidium. Auch dieser Beschluss bestimmt abstrakt vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; auch er kann nur geändert werden, wenn es wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird.

Wie die Geschäftsverteilung erfolgt, ist im Grundsatz Sache des Präsidiums oder der Richter des Spruchkörpers. Eine einfache Methode ist die Verteilung nach Eingang der Sache bei dem Gericht oder Spruchkörper: Die erste Sache wird der 1. Kammer zugeteilt, die zweite der 2. Kammer und so fort. Wenn alle Kammern bedacht sind, beginnt ein neuer Durchlauf. In der Praxis sind allerdings wesentlich komplexere Verteilungsschlüssel die Regel, die eine möglichst weitgehende Gleichbelastung der einzelnen Richter gewährleisten sollen. Zulässig und zum Teil in den einzelnen Prozessordnungen zwingend vorgeschrieben ist darüber hinaus die Verteilung nach Sachgebieten. Diese sogenannten Sonderzuständigkeiten sind wiederum abstrakt zu beschreiben und bestimmten Spruchkörpern zuzuweisen, um auch hier Manipulationen auszuschließen.

Verstöße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter

Wird gegen den Geschäftsverteilungsplan verstoßen, sodass ein danach nicht zuständiger Richter an einem Verfahren beteiligt wir, so liegt darin ein Verfahrensfehler, der in der nächsthöheren Instanz gerügt werden kann.

Der zu entscheidende Fall

Dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt ein etwas ungewöhnlicher Fall zugrunde.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind verheiratet, hatten im Jahr 2016 ihren Wohnsitz im Inland, wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und erzielten jeweils Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Sie wenden sich gegen die Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr 2016. Soweit sich die Kläger hiergegen mit ihrem Einspruch wehrten, blieb dieser ebenso erfolglos wie die danach erhobene Klage. Das Finanzgericht hatte den Klägern durch Beschluss die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung gestattet.

Die Zulässigkeit einer solchen Gestattung regelt § 91a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO):

„Das Gericht kann den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.“

Die Revision hatte das Finanzgericht nicht zugelassen. In einem solchen Fall kann die von dem Urteil beschwerte Partei, hier die Kläger, die sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH erheben, um eine nachträgliche Zulassung der Revision zu erreichen. Der BFH darf in einem solchen Fall die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO nur zulassen, muss dies dann aber auch, wenn erstens die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, zweitens die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder drittens ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Mit dem in dieser Kommentierung allein behandelten Aspekt der Verfahrensrüge machen die Kläger geltend, das Finanzgericht habe § 119 Nr. 1 FGO verletzt, indem die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts nicht hinreichend feststellbar gewesen sei, weil während der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz nur eine Kamera zur Verfügung gestanden habe, die die Richter nur aus der Ferne gezeigt habe; es sei weder eine Eigensteuerung der einzigen Kamera durch den Bevollmächtigten der Kläger möglich gewesen noch habe ein Zoomverfahren angewendet werden können.

Der Nichtzulassungsbeschwerde hat der BFH nicht abgeholfen.

Die Begründung des BFH

Die Ausführungen der Kläger, so der BFH, entsprächen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Kläger hätten nach dieser Vorschrift in der Begründung ihrer Beschwerde die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO darlegen müssen, woran es fehle. Sie hätten einen Verfahrensfehler nicht hinreichend dargetan.

Werde als Mangel des Verfahrens gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, gehöre zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge die Darstellung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergebe, weshalb der erkennende Senat des Finanzgerichts fehlerhaft besetzt gewesen sein soll. Soweit der Besetzungsrüge nicht zu entnehmen sei, welcher Besetzungsfehler gerügt werde, genüge das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger genüge den vorgenannten Anforderungen nicht. Sie machten die vermeintlich fehlerhafte Besetzung des Gerichts an keinerlei konkreten Anhaltspunkten fest, sondern äußerten lediglich den Verdacht, dass ein Verstoß vorgelegen haben könnte. Sie trügen aber selbst vor, dass sie den gesamten Senat hätten sehen können. Dass die Kamera im Sitzungssaal den Senat nur aus der Ferne gezeigt habe und nicht durch den Bevollmächtigten der Kläger zu steuern gewesen sei und keine Zoomfunktion gehabt habe, ändere daran nichts. Ein „Blick ins Gesicht“ sei „an dem anderen Ort“ – wenn auch der Qualität nach gesteuert durch die technische Ausstattung, die aber nicht in der Verantwortungssphäre des Gerichts liege – möglich gewesen und es sei nicht erkennbar, woraus sich ein Besetzungsfehler ergeben solle.

Überraschenderweise meinten die Kläger zudem ein Verfahrensfehler ergebe sich aus dem Beschluss des Finanzgerichts, der ihnen die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung durch Videoübertragung gestattete. Der BFH weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Kläger diese Gestattung selbst beantragt hatten, ein Ermessensfehler folglich nicht erkennbar sei, und zudem der entsprechende Beschluss nach § 91a Abs. 3 Satz 2 FGO unanfechtbar, also auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbar sei.

Die weiteren Rügen der Kläger betrafen anderweitige Aspekte und blieben im Ergebnis auch ohne Erfolg.

Download: Biersteuer – ein Haftungsrisiko für den Geschäftsführer - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Biersteuer
Die Biersteuer ist eine seit 1993 in der Europäischen Union harmonisierte Verbrauchsteuer. Sie ist eine der ältesten Abgaben auf Verbrauchsgüter und wurde schon in den mittelalterlichen deutschen Städten unter verschiedenen Bezeichnungen wie Bierungeld, Bierpfennig oder Malzaufschlag erhoben. Heute wird die Biersteuer von der Zollverwaltung erhoben, das Steueraufkommen steht jedoch den Ländern zu. Im deutschen Steuergebiet unterliegen ihr Bier aus Malz und Mischungen von Bier mit nicht alkoholischen Getränken. Die Höhe der Biersteuer richtet sich nach dem Stammwürzegehalt. Dieser wird in Grad Plato gemessen. Der Regelsteuersatz beträgt pro Hektoliter 0,787 Euro je Grad Plato. Ein Hektoliter Bier mit einem Stammwürzegehalt von 12 Grad Plato – das entspricht einem durchschnittlich starken Bier – ist mit 9,44 Euro (= 12 x 0,787 Euro) Biersteuer belastet. Auf einen Kasten Bier mit 20 Flaschen à 0,5 Liter wird also 0,94 Euro Biersteuer erhoben. – Quelle: BMF –

Steuerlager sind nach § 4 Biersteuergesetz (BierStG) Orte, an oder von denen Bier unter Steueraussetzung im Brauverfahren oder auf andere Weise hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt werden darf, etwas vereinfacht also Brauereien. Die Steuer entsteht gemäß § 14 BierStG zum Zeitpunkt der Überführung des Bieres in den steuerrechtlich freien Verkehr, zum Beispiel also mit dem freien Verkauf oder auch mit dem Ausschank in einer Brauereigaststätte.

Grundlagen der steuerrechtlichen Haftung
Geschäftsführer und Liquidatoren von Gesellschaften mit beschränkter Haftung haben bei Fehlverhalten das Risiko einer persönlichen Haftungsinanspruchnahme zu befürchten. So haften sie gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), wenn sie ihre gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzen. Stellen sie bei Eintritt der materiellen Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit und/oder insolvenzrechtliche Überschuldung) nicht oder nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft droht ihnen die vom Insolvenzverwalter zu realisierende Haftung nach § 15b der Insolvenzordnung (InsO). Aber auch bei steuerrechtlichem Fehlverhalten kann es zur Haftung kommen. Darum geht es hier, konkret um die Haftung für Biersteuer. Der Fall scheint sehr speziell zu sein – mit der Biersteuer kommt man in der Regel nur mittelbar als Käufer von mit ihr belastetem Bier in Berührung –, der Bundesfinanzhof (BFH) erörtert aber eine Reihe von Haftungsfragen rund um § 69 der Abgabenordnung (AO) losgelöst vom Thema Bier.

Nach § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie rechtsfähiger Personenvereinigungen und die Geschäftsführer von Vermögensmassen deren – also der Vertretenen – steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Die Abs. 2 und 3 übertragen diese Pflichten auch auf die Mitglieder, Gesellschafter oder Gemeinschafter nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensverwalter, zum Beispiel Insolvenz- oder Zwangsverwalter.

Die genannten Personen haften nach § 69 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Bemerkenswert ist zunächst, dass für einfache Fahrlässigkeit (die Abgrenzung zur groben Fahrlässigkeit kann im Einzelfall sehr schwer sein) nicht gehaftet werden muss. Die Finanzverwaltung ist zur Durchsetzung der Haftung nicht auf eine Klage vor den Zivilgerichten angewiesen, sondern kann nach § 191 AO selbst Haftungsbescheide erlassen, die von dem Betroffenen nur mit dem Einspruch und bei dessen Erfolglosigkeit mit der Klage zum Finanzgericht bekämpft werden können.

Der zu entscheidende Fall
Das Hauptzollamt (HZA – eine Steuerbehörde mit bestimmten Sonderzuständigkeiten) hat den Kläger nach §§ 34, 69, 191 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AO auf Haftung für Biersteuer der „Produktions-GmbH“ (GmbH) in Anspruch genommen, deren Liquidator er war. Die GmbH verfügte über eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaberin für Bier. Sie braute selbst und veräußerte das Bier ausschließlich an konzernangehörige Gesellschaften.

Die GmbH entrichtete am 08.10. und 10.12.2014 Entgelte für Strom, Gas und Wasser an die Stadtwerke. Aufgrund der Steuererklärungen der GmbH setzte der das beklagte HZA am 13.10.2014 die Biersteuer gegen die GmbH für 09/2014 (fällig am 20.10.2014), am 11.11.2014 für 10/2014 (fällig am 20.11.2014), am 09.12.2014 für 11/ 2014 (fällig am 20.12.2014) und am 13.01.2015 für 12/2014 (fällig am 20.1.2015) fest.

Mit Schreiben vom 04.12.2014 beantragte die GmbH Stundung der Biersteuer für 10/2014 bis zum 15.12.2014. Das HZA teilte ihr mit, dass der Zahlungseingang bis zum 20.12.2014 erwartet werde. Die Zahlung erfolgte am 15.12.2014.

Mit Schreiben vom 10.12.2014 teilte die GmbH der Vollstreckungsstelle mit, dass die Verhandlungen über einen Kreditrahmen noch nicht abgeschlossen seien. Sie bat um Stundung der Biersteuer für 10/2014 bis 22.12.2014. HZA erklärte sich damit einverstanden. Die Zahlung ging am 23.12.2014 beim HZA ein. Für die Begleichung der am 20.12.2014 fälligen Biersteuer für 11/2014 und der sonstigen fälligen Verbindlichkeiten waren keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden. Auch die Biersteuer für 12/2014 blieb unbezahlt.

Am 30.12.2014 beantragte die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom 02.01.2015 ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte, dass Verfügungen der GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Das Insolvenzverfahren wurde später eröffnet.

Das HZA verrechnete teilweise die offene Biersteuer mit Erstattungsforderungen der GmbH und nahm den Kläger für die Steuer 11/2014 in Haftung. Nach erfolglosem Einspruch des Klägers hob das Finanzgericht den Haftungsbescheid auf. Die Revision des HZA blieb vor dem BFH ohne Erfolg.

Die Begründung des BFH
Der BFH prüft die Haftung zum einen wegen eines Verstoßes gegen die „Mittelvorsorgepflicht“, zum anderen wegen eines Verstoßes gegen die „Mittelverwendungspflicht“ des Klägers.

Keine Verletzung der Mittelvorsorgepflicht
Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen, wenn er nicht vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten, auch erst später fällig werdenden Steuern bereithält. Er verletzt seine Pflichten deshalb auch dann, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt oder zumindest absehbar ist, zu tilgen. Die Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

In diesem Zusammenhang hatte der BFH bisher im Wesentlichen zu zwei Fallgruppen judiziert.

Zum einen hat danach der Inhaber eines offenen Zolllagers (nicht eines Steuerlagers für Bier) die Pflicht dafür zu sorgen, dass am Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der Steuer vorhanden sind. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht ergibt sich vor allem daraus, dass in Folge der Überführung der Waren in den freien Verkehr die Sachhaftung gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AO erlischt. Die Sachhaftung erfasst verbrauchsteuerpflichtige Waren und einfuhr- und ausfuhrabgabenpflichtige Waren, sie dienen ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern. Die Sachhaftung erlischt unter anderem dadurch, dass die Waren mit Zustimmung der Finanzbehörde in einen steuerlich nicht beschränkten Verkehr übergehen. Der Wegfall dieser Sicherheit der Finanzverwaltung bedingt, dass der Lagerinhaber zwar nicht generell von Entnahmen aus dem Zolllager absehen muss, aber bei Eintritt der Fälligkeit ohne Rücksicht auf Forderungen anderer Gläubiger vorrangig die Abgaben an den Steuergläubiger abzuführen hat.

Zum anderen hat der BFH zur Umsatzsteuer weniger streng judiziert, dass der gesetzliche Vertreter auch in Zeiten der Krise, unbeschadet gesellschafts- und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine steuerliche Haftung nicht begründen kann, nicht verpflichtet ist, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann. Der gesetzliche Vertreter bleibt auch in Krisenzeiten in seinen unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei, ohne die Haftung nach § 69 AO fürchten zu müssen.

Im Vergleich mit diesen beiden Fallgruppen sieht der BFH bei der Beisteuer eine größere Nähe zur Umsatzsteuer und findet eine der Praxis gerecht werdende Lösung.

Er meint, wenn man die Auslagerung von Bier aus dem Steuerlager, die die Steuer begründet, in einer finanziell angespannten Situation als objektive Pflichtverletzung ansähe und in Folge dessen den Geschäftsführer des Inhabers des Biersteuerlagers in Haftung nähme, käme dies im Ergebnis einer Betriebseinstellung gleich. - Bei der Biersteuer handele es sich darüber hinaus um eine Verbrauchsteuer, die typischerweise auf Überwälzung an den Endverbraucher angelegt sei. Da die Person des Steuerschuldners und des wirtschaftlich Belasteten, des Verbrauchers, auseinanderfielen und nur wenige Personen – zum Vorteil des Staates – als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden müssten, erscheine es sachgerecht, für die Frage der Pflichtverletzung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit und nicht bereits auf denjenigen der Entstehung der Steuer abzustellen. Es müssten dem Steuerschuldner auch die Möglichkeit und die Zeit bleiben, die der Verbrauchsteuer unterliegenden und zu besteuernden Waren zu verkaufen und dabei die Verbrauchsteuern über den Kaufpreis an den Endverbraucher weiterzugeben. Verlange man vom Unternehmer, gleich im Zeitpunkt der Steuerentstehung die Mittel für die Entrichtung der Steuer – aus anderweitigen Quellen – vorzuhalten, liefe dies dem Sinn und Zweck der Überwälzbarkeit der Verbrauchsteuern auf den Abnehmer zuwider.

Daher könne die Entnahme von Bier aus einem Biersteuerlager nur dann eine Pflichtverletzung begründen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Entnahme feststehe, dass bei Fälligkeit der Steuer keine Mittel zur Verfügung stehen werden. Solange dies jedoch noch ungewiss sei, etwa weil noch Verkäufe durchgeführt würden oder Verhandlungen mit einer kreditgebenden Bank liefen, könne eine Pflichtverletzung bereits bei Entnahme von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus dem Steuerlager noch nicht angenommen werden.

Basierend auf diesen grundsätzlichen Überlegungen hatte der Kläger seine Mittelvorsorgepflicht nicht verletzt. Es sei ihm gestattet gewesen, die Liquidität für die Entrichtung der Biersteuer aus dem Verkauf des entnommenen Biers zu generieren. Zusätzlich sprächen die Umstände des Einzelfalls gegen eine Pflichtverletzung des Klägers. Der BFH hielt für bedeutsam, dass das HZA die Biersteuer für September und Oktober 2014 gestundet hatte, was annehmen ließe, dass es davon ausgegangen sei, der Kläger werde entsprechende Erlöse erwirtschaften und die Steuern entrichten können. Es liege daher kein Sachverhalt vor, in dem bereits bei der Entnahme des Bieres aus dem Steuerlager feststand, dass keine zur Steuerentrichtung ausreichenden Zahlungseingänge mehr erfolgen würden. Schließlich seien mit der Bank noch Verhandlungen über einen Kreditrahmen geführt worden, weshalb auch aus diesem Grund keinesfalls sicher gewesen sei, dass die Biersteuer bei Fälligkeit am 20.12.2014 nicht würde entrichtet werden können. Eine Pflicht, einen Betrag in Höhe der Steuer von anderen Einnahmen abzuzweigen, bestehe ebenfalls nicht.

Der Kläger habe das HZA schließlich nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt. Vielmehr habe er die im Dezember noch vorhandenen Mittel zu einem großen Teil zur Tilgung der – wenn auch gestundeten – Biersteuer verwendet.

Keine Verletzung der Mittelverwendungspflicht
Kann der Steuerschuldner nicht alle Schulden tilgen, hat er zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen (sogenannter Grundsatz der anteiligen Tilgung). Steuern sind grundsätzlich nicht vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten zu tilgen, aber in dem gleichen Umfang wie diese (es gibt allerdings Ausnahmen, etwa bei der Lohnsteuer). Insbesondere Verbrauchsteuern sind wie andere Forderungen zu behandeln, weil Kriterien, die eine bevorzugte Behandlung verlangen könnten, nicht ersichtlich sind.

Da nach den Feststellungen des Finanzgerichts keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ab dem Fälligkeitszeitpunkt der Biersteuer am 20.12.2014 überhaupt noch Zahlungen erfolgt seien, könne dem Kläger, so der BFH, auch kein Verstoß gegen die Mittelverwendungspflicht vorgeworfen werden.

Kein ausreichendes Verschulden
Grundsätzlich ist allerdings die Nichtentrichtung einer Steuer bei Fälligkeit schon für sich gesehen eine Pflichtverletzung. Soweit vorliegend in der Nichtentrichtung der Biersteuer eine objektive Pflichtverletzung liege, meint der BFH jedoch, habe der Kläger diese Pflicht nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt, wie von § 69 AO verlangt wird.

Zwar indiziere die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens das Verschulden im Sinne des § 69 AO, mithin die zumindest grobfahrlässige Begehung. Es hätte aber bei Fälligkeit der Biersteuer an der notwendigen Liquidität gefehlt, eine Entrichtung mithin unmöglich gewesen. Es seien zuvor die Löhne und früher fällig gewordene Biersteuer gezahlt worden.

Praxishinweis
Stellt sich nach der Besprechungsentscheidung die Auslösung von Verbrauchsteuern bei fehlender Liquidität im Ausgangspunkt nicht als haftungsbegründend dar, gilt für die Lohnsteuer grundlegend anderes. Verfügt der Arbeitgeber nicht über ausreichend Liquidität, um die Löhne in voller Hohe zu zahlen und zusätzlich die darauf anfallende Lohnsteuer zu entrichten, muss er die Lohnzahlungen soweit kürzen, dass er die auf die gekürzten Löhne anfallende Lohnsteuer entrichten kann. Bei schuldhaftem Verstoß gegen diese Plicht greift die Haftung nach § 69 AO.

Download: Der insolvente Rechtsanwalt - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Der Rechtsanwalt ist gemäß § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, er ist nicht Gewerbetreibender, sondern Angehöriger eines freien Berufs. Er bedarf der nur auf seinen Antrag hin zu erteilenden Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer, die in jedem Oberlandesgerichtsbezirk gebildet ist. Erforderlich hierfür ist die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz, was nichts anderes bedeutet als die erfolgreiche Ablegung des Zweiten Juristischen Staatsexamens. Eine Eingangsprüfung findet nicht statt.

Trotz der Befähigung zum Richteramt kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 BRAO jedoch zu versagen sein. Dies gilt insbesondere,

- wenn die antragstellende Person nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat;

- wenn die antragstellende Person sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das sie unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben;

- wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft;

- wenn die antragstellende Person sich im Vermögensverfall befindet. Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der antragstellenden Person eröffnet oder die antragstellende Person in das Schuldnerverzeichnis (§ 882b der Zivilprozessordnung – (ZPO)) eingetragen ist.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, bei deren Kenntnis die Zulassung hätte versagt werden müssen. Lagen derartige Tatsachen bei der Zulassung nicht vor, treten aber nach der Zulassung des Rechtsanwalts derartige Umstände ein, muss die hierfür zuständige Rechtsanwaltskammer prüfen, ob die Zulassung widerrufen werden muss. Dies folgt aus § 14 Abs. 2 BRAO, nach dem die Zulassung zum Beispiel zu widerrufen ist, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird, wie im Zulassungsverfahren auch, nach der Zulassung vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist.

Hintergrund für diese Regelung ist der Schutz der Rechtssuchenden, also der aktuellen und potenziellen künftigen Mandanten, denn der Rechtsanwalt geht vielfach mit Fremdgeld um, und bei einem insolventen Rechtsanwalt vermutet der Gesetzgeber die latente Gefahr der Veruntreuung dieser Gelder. Die Vorschrift enthält mithin eine zweifache gesetzliche Vermutung. Zum einen wird vermutet, dass der Rechtsanwalt, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder der ins Schuldnerverzeichnis eingetragen ist, in Vermögensfall geraten ist, zum anderen wird vermutet, dass durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet werden. Diese Vermutungen sind grundsätzlich widerlegbar, sie sind nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen, die Gefährdung folgt also nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls. Die Gefährdung kann jedoch im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft, er also nachweisen muss, dass ausnahmsweise trotz seines Vermögensverfalls die Rechtssuchenden nicht gefährdet sind.

Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt der Prüfung des Widerrufs durch die Rechtsanwaltskammer eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Die Annahme einer derartigen Sondersituation kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gerechtfertigt sein, wenn der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Erforderlich ist dafür, dass die Einhaltung der Beschränkungen durch die Sozietätsmitglieder überprüft wird und effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen, wobei es immer einer wirksamen Kontrolle und einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung bedarf, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt nicht beziehungsweise nicht unkontrolliert mit Mandantengeldern in Berührung kommt (vgl näher BGH, Beschluss vom 10.10.2022 – AnwZ (Brfg) 19/22). Beschränkungen, die sich der Rechtsanwalt selbst auferlegt, sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtssuchenden auszuschließen.

Eine andere Möglichkeit, den Widerruf zu verhindern, besteht in dem vom Rechtsanwalt zu führenden Nachweis, dass er alle Verbindlichkeiten, die den Vermögensverfall begründeten, erfüllt hat, der Vermögensverfall also nicht mehr besteht.

Allerdings kann der Vermögensverfall nicht nur über die hierfür bei Insolvenz oder Eintragung in das Schuldnerverzeichnis für ihn streitende Vermutung nachgewiesen, sondern auch durch sonstige Umstände belegt werden. Hierfür können Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen zumindest nicht unerheblicher Forderungen ausreichen. Mit einem solchen Fall befasst sich die kommentierte Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs.

Hat die Rechtsanwaltskammer die Zulassung entzogen, kann der Rechtsanwalt hiergegen vor dem für ihn zuständigen Anwaltsgerichtshof Klage erheben. Auch in diesem Verfahren ist es allerdings Sache des Rechtsanwalts selbst die dargestellten Vermutungen zu widerlegen. Der Anwaltsgerichtshof ist ein bei jedem Oberlandesgericht gebildetes Berufsgericht für Rechtsanwälte. Vergleichbare Berufsgerichtsbarkeiten gibt es etwa für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Notare.

Der zu entscheidende Fall

Der gegen einen Widerrufsbescheid der Rechtsanwaltskammer klagende Rechtsanwalt war seit 2001 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. 2019 wurden der Rechtsanwaltskammer zwei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn bekannt, wobei sich die Forderungen auf insgesamt rund 3.500 € beliefen. Eine weitere Vollstreckung wegen rund 5.000 € erfolgte im Jahr 2020. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen konnte der Rechtsanwalt durch Zahlungen seiner Angehörigen verhindern. Dennoch liefen vollstreckbare Steuerschulden von über 14.000 € auf. Nachdem die Rechtsanwaltskammer ihn hierzu mehrfach angehört hatte, widerrief sie die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit seiner Klage zum Anwaltsgerichtshof, mit der geltend machte, die betreffenden Forderungen habe er bei Erlass des Bescheids bereits ausgeglichen, jedoch „den Kopf in den Sand gesteckt“. Tatsächlich verfüge er über die finanziellen Mittel, sämtliche Forderungen zu begleichen, habe dies aber teilweise einfach zu spät getan. Seine Versäumnisse seien unentschuldbar, er sei aber seit mehr als zwei Jahren in der Lage, sich endlich professionelle und psychologische Hilfe und Unterstützung zu holen.

Die beklagte Rechtsanwaltskammer wies darauf hin, dass der Rechtsanwalt zwischenzeitlich wegen Steuerhinterziehung in Höhe von mehr als 180.000 € angeklagt worden sei.

Kurz nach der mündlichen Verhandlung wies der Rechtsanwalt der Kammer gegenüber den Ausgleich aller offenen Forderungen nach, sodass diese den Widerruf der Zulassung wiederrief. Der Rechtsanwalt nahm daraufhin seine Klage zurück.

Mit einem zweiten Bescheid widerrief die beklagte Kammer nach Anhörung des Rechtsanwalts erneut dessen Zulassung, weil neue Steuerschulden in Höhe von 165.000 € bestanden, die der Rechtsanwalt nur in Höhe von 130.000 € habe begleichen können. Zudem waren zwei Vollstreckungsbescheide gegen den Rechtsanwalt über zusammen rund 5.000 € ergangen.

Der Rechtsanwalt wendet sich mit seiner zweiten Klage gegen den neuen Bescheid und beantragt dessen Aufhebung. Im Ergebnis bleibt die Klage ohne Erfolg.

Die Entscheidungsgründe

Die Rechtsanwaltskammer, so der AGH, habe die Verfahrensvorschriften eingehalten, insbesondere den Rechtsanwalt vor Bescheiderlass angehört.

Die Kammer habe auch zu recht einen Vermögensverfall des Rechtsanwalts festgestellt. Zwar befinde er sich nicht im Insolvenzverfahren und sei nicht im Schuldnerregister eingetragen, ein Vermögensverfall liege aber – in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse gerate, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen könne und außerstande sei, seinen Zahlungsverpflichtungen geregelt nachzukommen. Beweisanzeichen seien insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn; insbesondere die Ladung zur Abnahme der Vermögensauskunft nach § ZPO § 807 ZPO und der Erlass des Haftbefehls in einem solchen Verfahren. Gebe es Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, welche den Schluss auf den Eintritt des Vermögensverfalls zuließen, könne der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlege, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides gegen ihn bestanden und wie er sie – bezogen auf diesen Zeitpunkt – zurückführen oder anderweitig regulieren wolle.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Zulassung sei allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen sei nach der Rechtsprechung einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.

Die vom Rechtsanwalt geltend gemachte angebliche Steuerzahlung nach Bescheiderlass könne daher nicht berücksichtigt werden, zudem sei sie nicht nachgewiesen. Ebenso wenig habe der Rechtsanwalt die Befriedigung der übrigen Forderungen belegt. Er habe darauf verwiesen, über ein Kontoguthaben in Höhe von 50.000 € zu verfügen, dies jedoch auch nicht nachgewiesen. Unabhängig von der nach Bescheiderlass und deshalb nicht zu seinen Lasten zu berücksichtigen Eintragung in das Schuldnerverzeichnis, spräche der Forderungsverlauf der letzten Jahre für den Vermögensverfall. Sein Bedauern bleibe irrelevant.

Schließlich sei die Ansicht des Rechtsanwalts, die Interessen der Rechtssuchenden seien zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, ohne Bedeutung. Die Annahme der –oben dargestellten - Sondersituation, wie sie vom BGH gefordert werde, nämlich die Anstellung in einer Rechtsanwaltssozietät, könne nicht festgestellt werden.

Dem – jetzt ehemaligen – Rechtsanwalt bleibt, weil die Entscheidung des AGH rechtskräftig geworden ist, nur der Versuch, eine Neuzulassung zu beantragen. Diese wird jedoch versagt werden, wenn er seine Vermögensverhältnisse bis dahin nicht geordnet hat.

Der vorliegende Fall ist kein Einzelfall, sondern beschäftigt die anwaltliche Berufsgerichtsbarkeit recht häufig. Zuletzt hatte der BGH mit Beschluss vom 01.09.2023 – AnwZ (Brfg) 21/23 – einen ähnlich gelagerten Fall zu entscheiden.

Download: Kosten des Insolvenzverfahrens – sind sie für den Gesellschafter einer Personengesellschaft relevant? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Liegt eine steuerrechtliche Organschaft vor, wird die Organgesellschaft steuerrechtlich nicht mehr als Steuersubjekt behandelt, die steuerrechtliche Verantwortung für die Organgesellschaft lastet vielmehr auf dem Organträger, das heißt, die durch die Organgesellschaft verursachten Steuern werden als Steuern des Organträgers behandelt. Es ist daher sehr wichtig, eine Organschaft zu erkennen und entsprechende Steuererklärungen abzugeben. Die Verkennung der Organschaft, aber auch ihre unzutreffende Annahme können weitreichende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen, insbesondere, aber nicht nur, wenn im sog. Organkreis ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sei es über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft.

Kursorische Übersicht über die Voraussetzungen der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft

Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft, die nicht mit der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nach§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) verwechselt werden darf, ist in §§ 14 ff. Körperschaftsteuergesetz (KStG) geregelt.

Während die umsatzsteuerrechtliche Organschaft vorliegt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft), knüpft die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nach § 14 KStG in erster Linie an das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) an:

„Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 nichts anderes ergibt, dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind …“

Zu diesen Voraussetzungen gehört die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft, die anders als in § 2 UStG nicht nur genannt, sondern vom Gesetz umschrieben wird: „Der Organträger muss an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung). Mittelbare Beteiligungen sind zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt. Satz 2 gilt nicht, wenn bereits die unmittelbare Beteiligung die Mehrheit der Stimmrechte gewährt.“

Daneben beinhaltet § 14 KStG weitere Anforderungen hinsichtlich der am Organkreis Beteiligten und insbesondere der Mindestdauer des Gewinnabführungsvertrags und seiner Durchführung während dieser Zeit. Nach § 17 KStG können auch bestimmte andere Kapitalgesellschaften als die oben genannten Gesellschaftsformen Organgesellschaft sein, zum Beispiel eine GmbH mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland.

Der vorliegende Fall befasst materiellrechtlich mit der finanziellen Eingliederung und prozessrechtlich mit der sogenannten Klagebefugnis.

Der zu entscheidende Fall

Die Beteiligten streiten darüber, ob zwischen der Klägerin zu 1 als Organträger und der Klägerin zu 2 als Organgesellschaft eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.

Die Klägerin zu 1, eine GmbH, war zu 79,8 % an der Klägerin zu 2, ebenfalls eine GmbH, beteiligt. Die übrigen Anteile hielten zu 10,2 % C und zu 10 % D. Der Gesellschaftsvertrag (GV) der Klägerin zu 2 enthielt unter anderem folgende Regelungen:

§ 8 Gesellschafterversammlung/Gesellschafterbeschlüsse

4. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn die erschienenen Gesellschafter 100 % des Stammkapitals vertreten. Kommt eine beschlussfähige Gesellschafterversammlung nicht zustande, so ist eine neue Versammlung einzuberufen, die dann ohne Rücksicht auf die Höhe des vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist; auf diesen Umstand ist bei der 2. Einberufung ausdrücklich hinzuweisen.

6. Beschlüsse der Gesellschaft bedürfen einer Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen, soweit nicht das Gesetz oder die Satzung eine höhere Mehrheit vorschreibt. …“

2013 schlossen die Klägerin zu 1 als Organträgerin und die Klägerin zu 2 als Organgesellschaft unter Zustimmung aller Gesellschafter einen „Gewinnabführungsvertrag“ – Ergebnisabführungsvertrag (EAV).

Das Finanzamt (FA) erließ für die Streitjahre zunächst Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des der Organträgerin zuzurechnenden Einkommens gemäß § 14 Abs. 5 KStG, also unter Berücksichtigung der (angeblichen) Organschaft. Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das FA diese Bescheide aber auf und behandelte die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien. Die Einsprüche beider Klägerinnen gegen die neuen Bescheide, ihre Klagen und Revisionen blieben erfolglos.

Die Entscheidungsgründe des BFH

Der Bundesfinanzhof (BFH) untersucht zunächst, ob beiden Klägerinnen die für die vorliegenden Anfechtungsklagen notwendige Klagebefugnis zusteht und bejaht dies, weil sowohl Organträger als auch Organgesellschaft als Feststellungsbeteiligte der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung von deren Bindungswirkung betroffen sind. Die Klagen waren insgesamt zulässig.

In der Sache teilt der BFH jedoch die Auffassung von FA und Finanzgericht, dass zwischen den Klägerinnen trotz des EAV keine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bestand.

Wie einleitend dargestellt, setzt die Organschaft unter anderem voraus, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Daran fehle es.

Für die finanzielle Eingliederung sei auf die „Mehrheit der Stimmrechte“ in der Gesellschafterversammlung abzustellen. Grundsätzlich reiche die einfache Mehrheit der Stimmen aus, die den Gesellschaftern nach der Satzung zustehen. Die erforderliche Stimmenmehrheit werde nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen über die Stimmrechte, etwa Stimmbindungsverträge oder Stimmrechtsvollmachten, beeinflusst. Dies folge insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte „aus den Anteilen“ maßgebend sind.

Anderes habe jedoch zu gelten, wenn die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vorsehe. Dann müsse der Organträger zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit generell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen. Auch wenn der Gesetzeswortlaut die Interpretation zulasse, es reiche in jedem Fall die einfache Mehrheit der Stimmen für die finanzielle Eingliederung aus, ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte das Gegenteil.

Dies zugrunde gelegt bezieht sich der entscheidende I. Senat des BFH auf die Rechtsprechung des V. Senats zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Dieser verlangt für die finanzielle Einordnung im Sinne des § 2 Abs. 2 UStG, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschafterversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann. Entscheidend seien danach die Mehrheitserfordernisse nach der Satzung.

Die Klägerin zu 1 verfüge nach der Satzung zwar über die einfache, nicht aber über die von der Satzung geforderte qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte. Nach § 8 GV war für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Hierüber habe die Klägerin zu 1 nicht verfügt.

Den von den Klägerinnen hiergegen erhobenen Einwendungen blieb der Erfolg versagt. Dass das KStG anders als § 2 Abs. 2 UStG für die Organschaft auf die organisatorische und wirtschaftliche Einordnung verzichte, ließe sich nicht dahin interpretieren, dass der daraus resultierende Beherrschungsgedanke in die finanzielle Eingliederung hineinzulesen sei. Auch ergebe sich aus § 17 AktG nichts Abweichendes. Nach dieser Vorschrift werde zwar vermutet, dass bei einer Mehrheitsbeteiligung eine Abhängigkeit bestehe, es handele sich aber gerade nur um eine Vermutung, die durch nach der Satzung erforderliche Mehrheitserfordernisse – wie vorliegend - widerlegt werden könne.

Der BFH lässt offen, ob und in welchen Konstellationen für die finanzielle Eingliederung gemäß § 14 KStG auch dann die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erforderlich ist, wenn diese nur für einen Teil der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung von der Satzung verlangt wird, da vorliegend die qualifizierte Mehrheit für alle Beschlüsse erforderlich war.

Download: Folgen des Betriebsübergangs gemäß § 613aBGB für den Geschäftsführer - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Betriebsübergang – Arbeitnehmer was nun?

Bis zur Einfügung des § 613a in das Arbeitsrechts des BGB war nicht abschließend geklärt, welche Folgen der Betriebsinhaberwechsel auf bestehende Arbeitsverhältnisse hatte. Die herrschende Meinung lehnte einen automatischen Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber ab. Dieser konnte daher, wenn er die Belegschaft reduzieren wollte, weitestgehend entscheiden, welche Arbeitnehmer er übernahm und welche nicht. Den damit verbundenen sozialen Problemen soll der mit Wirkung zum 19.01.1972 eingefügte § 613a BGB entgegenwirken: Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen …, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. … Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam.

Durch diese Regelungen wird zum einen erreicht, dass die Arbeitsverhältnisse nicht mehr mit dem bisherigen Betriebsinhaber, der sie im Allgemeinen nicht mehr mit Leben füllen kann, verbleiben, sondern auf den neuen übergehen und zum anderen, dass sie nicht wegen des Betriebsübergangs seitens der Arbeitgeber beendigt werden können. Es soll verhindert werden, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass genommen wird, die erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer abzubauen. In der Insolvenz des alten Betriebsinhabers gilt nichts anderes, allerdings haftet der neue Arbeitgeber, der vom Insolvenzverwalter den Betrieb erwirbt, nicht für bereits entstandene Ansprüche, hier gehen die Verteilungsregeln der Insolvenzordnung vor. Ein bereits vor der Insolvenzeröffnung gekündigter Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Wiedereinstellung.

Im Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ging es allerdings nicht um das Arbeitsverhältnis selbst, sondern um die Frage, ob auch die Organstellung des angestellten Geschäftsführers den Grundsätzen des § 613a BGB unterliegt oder nur sein Anstellungsverhältnis.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger war seit 2000 bei der späteren Insolvenzschuldnerin (Schuldnerin), die weitere elf Arbeitnehmer und zwei Auszubildende beschäftigte, als Angestellter tätig. 2013 wurde er zu deren Geschäftsführer bestellt. Ein Geschäftsführerdienstvertrag wurde weder schriftlich noch mündlich geschlossen. Mit der „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom 20.12.2017 vereinbarte der Kläger mit der alleinigen Gesellschafterin der Schuldnerin neue Arbeitszeitregelungen. Zudem einigten sich beide darauf, dass alle anderen Bestandteile des Vertrags bestehen bleiben.

Mit Beschluss vom 15.01.2020 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Am selben Tag kündigte dieser das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „sowie ein etwaig bestehendes Geschäftsführeranstellungsverhältnis“ zum 30.04.2020. Das Schreiben ging dem Kläger am 16.01.2020 zu. Wenige Stunden später erklärte der Kläger in einer an den Geschäftsführer und den Insolvenzverwalter der ebenfalls in Insolvenz befindlichen Gesellschafterin der Klägerin adressierten und um 14:56 Uhr gesendeten E-Mail, dass er das Amt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung niederlege.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a BGB und den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2 geltend gemacht, von der er behauptet, auf sie sei der Betrieb der Schuldnerin übergegangen. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Niederlegung seines Amts als Geschäftsführer am 16.01.2020 sei wirksam erfolgt. Ungeachtet dessen greife die negative Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht ein, weil das Arbeitsverhältnis fortgeführt worden sei.

Die Beklagten meinen dagegen, die Kündigung sei gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht am Maßstab des § 1 KSchG zu messen. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch als Geschäftsführer im Amt gewesen. Dieses habe er auch nicht rechtswirksam niedergelegt. Als Geschäftsführer falle er zudem nicht unter den Anwendungsbereich des § 613a BGB. Dessen Voraussetzungen lägen im Übrigen nicht vor.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass zum einen das Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin nicht aufgelöst sei und zum anderen mit der Beklagten zu 2 als Betriebserwerberin über den Betriebsübergang hinaus fortbestehe.

Der Kläger obsiegt vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht (LAG). Das BAG hebt die Entscheidung des LAG auf und verweist die Sache zurück.

Die Entscheidungsgründe

§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bestimmt, dass die Regeln des allgemeinen Kündigungsschutzes der §§ 1 bis 13 KSchG für die Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, zum Beispiel für den Geschäftsführer einer GmbH, nicht greifen. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (noch) besteht.

Bestand der Organstellung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung
Es kam daher zunächst darauf an, ob der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung noch die organschaftliche Stellung eines Geschäftsführers der Schuldnerin innehatte. Dies war der Fall. Das BAG lässt offen, ob die Niederlegung des Geschäftsführeramts formal ordnungsgemäß erfolgte, denn jedenfalls erfolgte sie erst nach dem Zugang der Kündigung. Nach den Feststellungen des LAG ging ihm die Kündigung am Vormittag des 16.01.2020 zu, wohingegen die Niederlegung des Amts erst am Nachmittag dieses Tags erfolgte

Der Kläger habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Schuldnerin allein auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags, nicht etwa eines Dienstvertrags, auf den § 613a BGB nicht anwendbar wäre, erbracht. Ein Dienstvertrag, meint das BAG, sei weder schriftlich noch mündlich geschlossen worden.

Ein solcher sei auch nicht konkludent zustande gekommen. Die Bestellung zum Geschäftsführer begründe für sich genommen keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer. Organ- und Anstellungsverhältnis seien nach dem Grundsatz des § 38 GmbHG in ihrem Bestand unabhängig voneinander. Für die Annahme, die Parteien hätten zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag schließen wollen, bedürfte es weiterer, über die Bestellung hinausgehender konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte, die aber weder festgestellt noch dargelegt worden seien. Die „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom 20.12.2017 habe lediglich dazu gedient, den bereits bestehenden Arbeitsvertrag an die dem Kläger übertragene Geschäftsführertätigkeit anzupassen, und den Vertrag im Übrigen unverändert fortbestehen lassen. Ein Dienstverhältnis sei damit nicht beabsichtigt gewesen.

Dieser Sicht stehe schließlich nicht entgegen, dass ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig werde. Hätten die Parteien – wie vorliegend – ein Arbeitsverhältnis vereinbart, sei es als Folge der Vertragsfreiheit auch regelmäßig als ein solches einzuordnen. Auf die tatsächliche Durchführung komme es dann nicht an.

Bestand des Arbeitsverhältnisses des Geschäftsführers steht der Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen
Dass das der Organstellung zugrunde liegende Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, stehe der Anwendung des§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen. Die Vorschrift komme auch und gerade dann zum Tragen, wenn das der Organstellung zugrunde liegende schuldrechtliche Anstellungsverhältnis – wie vorliegend – materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis sei. Andernfalls wäre die Regelung bedeutungslos. Die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bezeichneten Organvertreter seien ungeachtet eines etwaig zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses allein aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes herausgenommen.

Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB?
Wie schon erwähnt bestimmt § 613a Abs. 4 BGB, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam ist. Diese Vorschrift wollte das LAG jedoch im Wege einer teleologischen Reduktion auf den Kläger als Geschäftsführer nicht anwenden.

Mit der teleologischen Reduktion, so das BAG, die zu den von Verfassungs wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehöre, werde der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut einer Norm auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher ihrem gesetzgeberischen Sinn entspreche. Sie sei jedoch nur dann zulässig, wenn sich eine planwidrige Regelungslücke feststellen lasse. Dies setze voraus, dass sich die betreffende Vorschrift, gemessen an ihrer zugrunde liegenden Regelungsabsicht, in dem Sinn als unvollständig erweisen würde, dass sie einen erforderlichen Ausnahmetatbestand, der dem Sinn des Gesetzes zum Durchbruch verhelfe, nicht aufweise. Ihre Anwendung müsste ohne diesen Ausnahmetatbestand zu zweckwidrigen Ergebnissen führen.

Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. § 613a Abs. 4 BGB weise hinsichtlich der aufgrund von Arbeitsverträgen tätigen Organmitglieder juristischer Personen keine planwidrige Lücke auf. Dafür spreche bereits der Wortlaut der Vorschrift, dasselbe lasse sich aber auch aus der Gesetzgebungsgeschichte ableiten. Das BAG habe schon früh § 613a BGB auf angestellte Geschäftsführer angewandt, was den Gesetzgeber aber bei späteren Änderungen und Ergänzungen der Vorschrift nicht zu einer Korrektur dieser Rechtsprechung veranlasst habe.

Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Anwendung des § 613a BGB auf den Kläger zu zweckwidrigen Ergebnissen führe. Bei GmbH-Geschäftsführern sei strikt zwischen der Bestellung zum Organ der Gesellschaft und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Anstellungsverhältnis – vorliegend dem Arbeitsverhältnis – zu unterscheiden.

Durch die Bestellung als solche werde noch keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet. Die Organstellung des GmbH-Geschäftsführers habe ihren Rechtsgrund nicht im Anstellungsverhältnis, sondern gründe auf einem besonderen (körperschaftlichen) Bestellungsakt. Es handele sich um selbstständige, nebeneinanderstehende Rechtsverhältnisse mit einem jeweils eigenen rechtlichen Schicksal.

§ 613a BGB erfasst nur das Arbeitsverhältnis nicht die Organstellung
Da nach § 613a BGB nur Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis übergehen, die Organstellung selbst aber ihren Rechtsgrund gerade nicht im zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis habe, gehe sie im Fall des Betriebsübergangs nicht mit über. Ein Anspruch, beim Erwerber zum Organ bestellt zu werden, könne aus § 613a BGB deshalb nicht folgen. Dem Erwerber werde damit kein Organ gegen seinen Willen aufgezwungen. Der Geschäftsführer habe im Fall des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses nur einen Anspruch auf eine Beschäftigung mit den Tätigkeiten, die er als Geschäftsführer aufgrund seines Arbeitsvertrags ausgeübt habe. Eine andere Tätigkeit könne ihm ohne Änderung – einvernehmlich oder durch Änderungskündigung – des Arbeitsvertrags nur übertragen werden, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass mit dem Ende der Organstellung nach Ablauf der Kündigungsfrist wieder die ursprüngliche oder eine im Einzelnen festgelegte anderweitige Tätigkeit zum Vertragsinhalt werde. Das sei aber nicht der Fall.

Entgegen der Annahme des LAG gebiete auch das Unionsrecht keine teleologische Reduktion des § BGB § 613a BGB.

Der Kläger erlange durch die Anwendung von des § 613a Abs. 4 BGB auch keine inadäquate kündigungsschutzrechtliche Begünstigung. Die Vorschrift schließe keine Lücke im nationalen Kündigungsschutz. Diese Bestimmung enthalte vielmehr ein eigenständiges, vom Anwendungsbereich des KSchG gerade unabhängiges Kündigungsverbot. An diesem Schutz hat auch der Kläger als Arbeitnehmer teil. Hieraus folge keine zu missbilligende Besserstellung des Klägers, weil ein Kündigungsschutz gewährt werde, der ihm aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer nicht zustünde.

Zurückverweisung
Das BAG konnte dennoch in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil in der Vorinstanz keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen worden waren, ob die Voraussetzung des § 613a BGB – der vom Kläger behauptete und von den Beklagten bestrittene Betriebsübergang – überhaupt vorlag.

Download: Ist Haifischfleisch Walfischfleisch – Fehlvorstellungen beim Grundstückskauf - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Vertragsauslegung in Zweifelsfällen

Verträge sind - abgesehen von einfachsten Geschäften des täglichen Lebens – selten in jeder Hinsicht eindeutig. Häufig bedarf es daher der Auslegung, für die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in den §§ 133 und 157 Hilfestellungen gibt. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Vor diesem Hintergrund hat schon das Reichsgericht in einem Urteil vom 08.06.1920 einen Fall zu entscheiden, der seitdem in der juristischen Ausbildung als Schulfall verwendet wird. Die Entscheidung würde auch heute in gleicher Weise getroffen.

Der dortige Kläger kaufte im November 1916 beim dortigen Beklagten 214 Fass Haakjöringsköd aus Norwegen, das sich auf einem von Norwegen kommenden Dampfer auf dem Weg zum Hamburger Hafen befand. Beide gingen davon aus, dass es sich bei Haakjöringsköd um Walfleisch handele. Tatsächlich bezeichnet „Haakjöringsköd“ im Norwegischen jedoch Haifischfleisch. Ende November 1916 zahlte der Kläger den vollen Kaufpreis an den Beklagten.

Beim Eintreffen des Dampfers stellte sich heraus, dass die Fässer Haifischfleisch enthielten, für das es in Folge des Ersten Weltkriegs Einfuhrbeschränkungen gab, sodass die staatliche Zentral-Einkaufsgesellschaft die Ladung beschlagnahmte und dem Kläger einen Übernahmepreis zahlte, der jedoch um fast 50.000 Mark niedriger war als der von ihm gezahlte Kaufpreis. Diese Differenz verlangte der Kläger vom Beklagten. Die Vorinstanzen verurteilten den Beklagten, seine Revision hatte beim Reichsgericht keinen Erfolg.

Entscheidend für die Lösung war die Auslegung des Vertrags. Beinhalte dieser den Verkauf von Haifisch- oder Walfischfleisch? Das Reichsgericht entschied, dass ein Vertrag über Walfleisch zustande gekommen war, obwohl beim Vertragsschluss beide Parteien den Ausdruck Haakjöringsköd verwendet hatten. Die Parteien hatten hier subjektiv etwas anderes gewollt, als sie objektiv erklärten. Sie haben sich somit beide in gleicher Weise über den Inhalt ihrer Erklärungen geirrt. Es bestand daher kein Anlass, sie am Wortsinn „Haifischfleisch“ festzuhalten.

Maßgeblich war, dass die Vertragsparteien dasselbe wollten. Die übereinstimmende Falschbezeichnung spielte keine Rolle. Es gilt - in der juristischen Sprache – der Grundsatz falsa demonstratio non nocet („falsche Bezeichnung schadet nicht“).

Der zu entscheidende Fall
Bei dem Fall, den der BGH am 23.06.2023 zu entscheiden hatte, ging es vor allem um die Frage, ob der Sachverhalt gebot, den Grundsatz falsa demonstratio non nocet anzuwenden.

Mit notariellem Vertrag vom 09.12.2009 verkauften die Beklagten den Klägern ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zum Preis von 270.000 €. Als Kaufgegenstand war in der Notarurkunde das Flurstück 291/3 genannt. Die Kläger gingen bei Vertragsschluss irrtümlich davon aus, dass hierzu auch das angrenzende, 19 m² große Flurstück 277/22 gehöre. Tatsächlich steht dieses Flurstück jedoch im Eigentum eines Dritten, der es nunmehr von den Klägern als den Besitzern in einem weiteren Streitfall herausverlangt.

Die Kläger begehren die Rückabwicklung des Vertrages sowie die Feststellung, dass die Beklagten sie von sämtlichen sich im Zuge der Rückabwicklung ergebenden materiellen Schäden freizustellen haben. Das Landgericht hat die am 28.12.2020 eingegangene Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem BGH zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.

Eine solche Revisionszulassung durch den BGH bedeutet nicht, dass der Revisionsführer gesteigerte Aussichten auf Erfolg seines Begehrens hätte. Denn der BGH lässt die Revision unabhängig von den Erfolgsaussichten zu, wenn entweder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Vorliegend konnte der BGH mangels geeigneter Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht nicht feststellen, dass Anspruch der Kläger, sein Bestehen unterstellt, verjährt gewesen wäre oder dass es sich bei dem Grundstück 277/22 um eine so untergeordnete Fläche handelte, dass der Rücktritt schon deshalb ausgeschlossen gewesen wäre.

Die Entscheidungsgründe
Diese Fragen konnten indessen offenbleiben, weil schon aus anderen Gründen den Klägern kein Rücktrittsrecht zur Seite stand. Denn, so der BGH, der Kaufgegenstand sei allein das Hausgrundstück 291/3 gewesen, nicht das Flurstück 277/22. Zu diesem Ergebnis gelangt der BGH durch Auslegung des notariellen Vertrags.

Ausgangspunkt der Auslegung ist stets der Wortlaut einer Vereinbarung, daneben hat die Auslegung aber weitere Aspekte, etwa die Entstehungsgeschichte des Vertrags, die Äußerungen der Parteien vor dem Vertragsschluss und die Interessenlage der Parteien, zu berücksichtigen, also Umstände, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und für einen Dritten nicht oder nicht ohne Weiteres zu erkennen sind.

Bei notariell zu beurkundenden Verträgen gelten aber Einschränkungen für diese Regel, da anzunehmen ist, dass die Parteien unter der Leitung des Notars das erklären, was sie tatsächlich auch erklären wollen.

Allerdings können für die Auslegung eines der notariellen Beurkundung bedürftigen Vertrags nach der Rechtsprechung des BGH auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände im Einzelfall herangezogen werden. Dies setzt aber grundsätzlich voraus, dass der rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat. Einen solchen sah der BGH vorliegend nicht. Der Wortlaut des Vertrags bezog sich eindeutig nur auf das Hausgrundstück.

Allerdings greift das Erfordernis des zumindest andeutungsweisen Niederschlags des Vereinbarten in der Urkunde ausnahmsweise nicht bei einer versehentlichen Falschbezeichnung, einer falsa demontrtio. Es muss dann allerdings feststehen, dass die Vertragsparteien in der Erklärung Begriffe anders als nach dem Wortsinn verstanden haben oder mit Flurstück- oder Grundbuchangaben andere Vorstellungen über den verkauften Grundbesitz verbunden haben. Beurkundet ist in diesem Fall das übereinstimmend Gewollte.

Anders ist das jedoch wiederum, wenn es nicht um den Kaufgegenstand selbst geht, sondern um seine Eigenschaften oder Beschaffenheiten. Fehlt es hier an einem Niederschlag im Vertragstext, liegt keine Falschbezeichnung vor, sondern es fehlt an dem notwendigen entsprechenden Rechtsbindungswillen.

Eine Falschbezeichnung des verkauften Grundstücks konnte der BGH vorliegend nicht ermitteln. Eine solche läge zum Beispiel vor, wenn die Parteien die Parzellenbezeichnung verwechseln, eine von mehreren verkauften Parzellen in der Urkunde vergessen, wenn irrtümlich im Vertragstext das gesamte Grundstück aufgeführt ist, aber nur die Veräußerung eines Teilgrundstücks vereinbart war, oder eine Parzelle nicht im Text aufgeführt wurde, die aber nach den Umständen des Einzelfalls mitverkauft sein sollte. Bei allem handelt es sich um engumgrenzte Ausnahmen.

Eine solche Ausnahme liegt im Allgemeinen nicht mehr vor, wenn die vermeintlich mitverkaufte Parzelle nicht im Eigentum des Verkäufers steht, weil dieser regelmäßig nicht fremde Grundstücke veräußern will. Das ändert sich auch dann nicht, wenn die Grundstücke scheinbar eine Einheit bilden, etwa weil sie gemeinsam eingefriedet sind. Ein anderes Ergebnis ist nur gerechtfertigt, wenn besondere und gewichtige Indizien für einen abweichenden Willen der Parteien sprechen.

Hier kam die Anwendung des Grundsatzes falsa demonstratio non nocet vor allem aber deshalb nicht zur Anwendung, weil nur die Kläger einer falschen Vorstellung unterlagen, nur sie nahmen an, die Parzelle 277/22 sei mitverkauft. Das ist selbst dann nicht anders zu beurteilen, wenn die Beklagten bei den Klägern diese Fehlvorstellung geweckt oder zumindest erkannt hätten. Eine Einigung über die nicht im Eigentum der Beklagten stehende Parzelle ist damit gerade nicht verbunden. Der BGH geht sogar noch einen Schritt weiter: „Und selbst wenn auch die Beklagten davon ausgegangen sein sollten, dass das Flurstück des Nachbarn (277/22) Bestandteil ihres eigenen Grundstücks (291/3) war, sind keinerlei Anhaltspunkte festgestellt oder von der Revision vorgebracht, die ausnahmsweise auf den auch von den Klägern so zu verstehenden Willen der Beklagten hindeuten könnten, mehr verkaufen zu wollen als das, was nach dem Grundbuch und dem Liegenschaftskataster in ihrem Eigentum stand. Hierfür genügt, … , insbesondere die gemeinsame Besichtigung nicht.“

In dieser Situation richtet sich der Blick des Gerichts auf eine weitere Facette des Falls.

Hätten die Beklagten einen Irrtum der Kläger über den Umfang des zu verkaufenden Grundstücks hervorgerufen oder einen solchen Irrtum erkannt, aber nicht berichtigt, käme eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) in Betracht. Eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach wäre dann auch nicht davon abhängig, ob sie nur fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt haben.

Ein solcher Anspruch könnte zwar unter Umständen auf Rückabwicklung gerichtet sein, wenn die versprochene Leistung, hier also (nur) das Flurstück 291/3, ohne das Flurstück 277/22 für die Zwecke der Kläger nicht geeignet wäre und hierin der Schaden bestünde. Ein solcher Anspruch, wiederum sein Bestehen unterstellt, wäre aber verjährt gewesen. Es bedurfte deshalb keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der BGH konnte abschließend entscheiden und die Revision der Kläger zurückweisen.

Download: Lohnsteuerabführung – Rückforderung durch den Insolvenzverwalter zur Insolvenzmasse - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Zahlung von Arbeitslohn ist unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung im laufenden und im vorigen Jahr in den Blick der höchstrichterlichen Fachgerichtsbarkeit – Bundesarbeitsgericht (BAG) und Bundesfinanzhof (BFH) – geraten.

Das BAG hatte 2014 eine Diskussion darüber angestoßen, ob bei der Anfechtung von Lohnzahlungen durch den Insolvenzverwalter das Existenzminimum zugunsten des Arbeitnehmers geschützt werden müsse. Diese höchstrichterliche Äußerung ist vielfach fehlinterpretiert worden. Der Insolvenzrechtssenat des BAG stellte dies kürzlich mit Urteil vom 22.05.2022 (6 AZR 497/21) richtig. Danach ist es nicht Aufgabe des Insolvenzanfechtungsrechts, das Existenzminimum des Arbeitnehmers als Anfechtungsgegner zu sichern, dies habe vielmehr durch die Pfändungsschutzvorschriften der Zivilprozessordnung und das Sozialrecht zu erfolgen. Daher sei auch die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn oder des Anteils des Mindestlohns in der Lohnzahlung ohne Rücksicht auf soziale Implikationen anfechtbar

Der BFH hatte sich in den beiden Besprechungsentscheidungen mit der Frage zu befassen, ob die Aufrechnung mit Lohnsteuerforderungen mit anderweitigen Steuererstattungsansprüchen in der Insolvenz des Arbeitgebers Bestand hat, was unter anderem davon abhängt, ob eine nicht durch Aufrechnung, sondern durch Zahlung erfolgte Entrichtung der Lohnsteuer anfechtbar sein kann oder ob dies schon von Rechts wegen ausgeschlossen ist.

Die zu entscheidenden Fälle

Dem Urteil vom 18.04.2023 lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der späteren Insolvenzschuldnerin stand aus 2014 ein Körperschaftsteuerguthaben zu. Im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag zahlte sie zwar noch Löhne, führt die Lohnsteuer aber nicht mehr ab. Das Finanzamt verrechnete daraufhin das Körperschaftsteuerguthaben mit der offenen Lohnsteuer. Der Insolvenzverwalter meinte, die Verrechnung sei unzulässig gewesen, weil das Finanzamt die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe, und verlangte die Auszahlung des Körperschaftsteuerguthaben.

Der Sachverhalt der zweiten Entscheidung ist ganz ähnlich gelagert, allerdings lagen die Verrechnungen hier längere Zeit vor dem Insolvenzantrag. Verrechnet wurden Umsatzsteuererstattungsbeträge mit offener Lohnsteuer. Hier begehrte der Verwalter die Auszahlung des Umsatzsteuerguthabens.

Nachdem die Insolvenzverwalter die Verrechnungen nicht anerkannten, erließen in beiden Fällen die beteiligten Finanzämter Abrechnungsbescheide nach § 218 der Abgabenordnung (AO), mit denen sie feststellten, dass die jeweiligen Forderungen auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens beziehungsweise auf Erstattung von Umsatzsteuer wirksam mit der Lohnsteuerforderung aufgerechnet worden waren.

Nach erfolglosen Einsprüchen gegen die Abrechnungsbescheide erhoben die Insolvenzverwalter Klage vor dem Finanzgericht. In beiden Fällen wurden die Klagen abgewiesen. Vor dem BFH obsiegten die Insolvenzverwalter.

Die Entscheidungsgründe

Wird etwas aus der späteren Insolvenzmasse (dem pfändbaren Vermögen des Schuldners) weggeben, kann der Insolvenzverwalter das Weggegebene zur Insolvenzmasse zurückverlangen, wenn die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) gegeben sind.

Eine vergleichbare Situation tritt ein, wenn ein Insolvenzgläubiger sich seinerseits einer Forderung des späteren Insolvenzschuldners ausgesetzt sieht. Rechnet hier entweder der Schuldner oder der Insolvenzgläubiger auf, wird zwar aus dem Vermögen des Schuldners nichts weggegeben, der Schuldner verliert aber seine Forderung, die der Insolvenzverwalter anderenfalls zur Masse hätte ziehen können, sodass durch die Aufrechnung grundsätzlich eine Gläubigerbenachteiligung eintritt. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmt deshalb, dass die Aufrechnung unwirksam ist, wenn die Aufrechnungslage anfechtbar geschaffen wurde. Dies ist der Fall, wenn die Begründung mindestens einer der beiden wechselseitigen Forderungen die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO erfüllt.

Zentrale Frage in beiden Rechtsstreiten war deshalb, ob die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen worden war. Streitig war schon, ob die Lohnsteuerforderungen „durch Rechtshandlungen“ begründet werden. Das hatte der jetzt entscheidende VII. Senat des BFH früher verneint, weil er die Ansicht vertrat, die Begründung von Steuerforderungen sei der Anfechtung schon deshalb entzogen, weil ihnen keine Rechtshandlungen zugrunde lägen, sondern sie kraft Gesetzes entstünden. Dieser Auffassung ist der Bundesgerichtshof (BGH) entgegengetreten. Er urteilte, es sei zwar zutreffend, dass die Steuer kraft Gesetzes entstünde, jedoch nur aufgrund von Rechtshandlungen des Steuerschuldners. Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne Insolvenzanfechtung ist nach dessen Rechtsprechung weit auszulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, das heißt ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst. So hatte der BGH 2009 entschieden, dass der Realakt des Bierbrauen eine Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO darstellt, weil es unabhängig vom Willen der Beteiligten die Biersteuer begründet und die sogenannte Sachhaftung nach § 76 der Abgabenordnung (AO) am gebrauten Bier.

Dieser Ansicht des BGH hatte sich der BFH späterhin für die Begründung der Umsatzsteuer angeschlossen. Die anfechtbare Rechtshandlung liegt hier in der Ausführung eines Umsatzes, also etwa einer Lieferung des Unternehmers an einen Abnehmer (Leistungsempfänger).

Dies dehnt der BFH jetzt auch auf die Lohnsteuer aus. Zwar entstehe diese kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich nach § 38 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Zahlung des Arbeitslohns, sie beruhe aber gerade auf dieser Handlung.

Zudem meinte der BFH in früheren Entscheidungen, die Begründung der Lohnsteuer sei Teil eines Bargeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, weshalb sie nach § 142 InsO der Anfechtung nicht zugänglich sei. Diese rechtlich nur schwer vertretbare und der Ansicht des BGH ebenfalls entgegenstehende Meinung gibt der BFH jetzt ohne nähere Begründung auf.

Dementsprechend hat der BFH dem Urteil vom 18.04.2023 folgenden Leitsatz vorangestellt:

„Die Zahlung von Arbeitslohn stellt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO dar.“

Das allein reicht jedoch nicht um die Zahlung des Lohns als anfechtbar anzusehen. Zusätzlich muss diese Rechtshandlung zunächst die Insolvenzgläubiger benachteiligt haben. Die Gläubiger werden benachteiligt, wenn die Rechtshandlung zu einer Minderung der Insolvenzquote führt, dies kann entweder durch Weggabe des aktiven Vermögens (Minderung der Aktivmasse) oder durch eine Vermehrung des Schuldenbestands (Mehrung der Passivmasse) geschehen. Auch im letzten Fall sinkt die Quote, weil die Insolvenzmasse dann auf ein größeres Forderungsvolumen zu verteilen ist.

In diesem Sinn führt die Lohnzahlung zu der erforderlichen Gläubigerbenachteiligung, weil sie im Endergebnis den Arbeitgeber mit der Lohnsteuerforderung des Finanzamts belastet. Zwar ist Schuldner der Lohnsteuer nach § 38 EStG nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber haftet jedoch nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er vom Lohn einzubehalten und abzuführen hat.

In beiden zu entscheidenden Fällen war durch die Lohnzahlung damit letztlich auch die Aufrechnungslage zugunsten des Finanzamts geschaffen worden. Beiden Insolvenzschuldnerinnen standen Forderungen gegen das Finanzamt zu, durch die Begründung der Lohnsteuer konnte das Finanzamt aufrechnen.

Die Anfechtbarkeit einer die Insolvenzgläubiger benachteiligenden Rechtshandlung setzt ferner voraus, dass einer der besonderen Anfechtungstatbände der §§ 130 bis 137 InsO erfüllt ist.

In der Entscheidung vom 18.04.2023 war dies § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger (genauer gesagt: jemandem, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung Insolvenzgläubiger wäre) eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Regelung ist ein scharfes Schwert, das der Gesetzgeber dem Insolvenzverwalter an die Hand gibt, weil Leistungen im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag als hochgradig verdächtig gelten. Neben der zeitlichen Komponente ist allein die Inkongruenz der Rechtshandlung erforderlich. Das entscheidet sich im Fall der Schaffung einer Aufrechnungsalge danach, ob der Insolvenzgläubiger, hier das Finanzamt, einen Anspruch auf Befriedigung seiner Forderung gerade durch die geschaffene Möglichkeit der Aufrechnung hatte. Maßgeblich kommt es darauf an, ob sich die Aufrechnungsbefugnis aus dem zuerst entstandenen Rechtsverhältnis ergibt. Dies war hier die Begründung des Körperschaftsteuerguthabens. Daraus ergab sich für das Finanzamt kein Anspruch auf Aufrechnung der Lohnsteuer. Ohne die – eher zufällig entstandene – Möglichkeit der Aufrechnung hätte das FA die Steuererstattung zur Masse auszahlen müssen und die Lohnsteuerforderung nur zur Insolvenztabelle anmelden können. Die Schaffung der Aufrechnungslage war mithin inkongruent und erfüllte damit alle Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Aufrechnung selbst somit war unwirksam, sodass der Insolvenzverwalter zu Recht die Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens verlangte.

Der Fall des Urteils vom 20.06.2023 lag etwas schwieriger. Da hier die Löhne längere Zeit vor dem Insolvenzantrag gezahlt worden waren, kam allein die Anfechtbarkeit nach § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung in Betracht. Da das Finanzgericht die hierfür erforderlichen Feststellungen nicht vollständig getroffen hatte, hob der BFH die Sache auf und verwies den Streit an das Finanzgericht zurück. In diesem Verfahren trat ein zusätzliches Problem (die sogenannte bargeschäftsähnliche Lage) auf, das wegen einer Gesetzänderung nur noch Insolvenzverfahren betrifft, die vor dem 05.04.2017 eröffnet wurden. Von einer näheren Darstellung wird daher hier angesehen.

Download: Unvereinbarkeit von Betriebsratvorsitz und Amt des Datenschutzbeauftragten - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Nach einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs durch Urteil vom 09.02.2023 (C-453/21 – X-FAB Dresden) hält das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Aufgaben des Betriebsratsvorsitzenden für unvereinbar mit dem Amt des Datenschutzbeauftragten. Die Inkompatibilität der Ämter mache den zunächst zum Betriebsratsvorsitzenden gemäß § 26 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) gewählten und später zum Datenschutzbeauftragten bestellten Kläger für dieses Amt unzuverlässig. Hierin ist indessen keine Unzuverlässigkeit in der Person des Klägers zu sehen, die Unzuverlässigkeit ergibt sich vielmehr aus der Kombination, der Inkompatibilität der Ämter.

Der konkret zu entscheidende Fall

Der Kläger war Betriebsratsvorsitzender der beklagten, dem X. Konzern angehörenden Gesellschaft. Er wurde 2015 zusätzlich von der Beklagten, deren Muttergesellschaft sowie deren weiteren in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften jeweils gesondert zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Mit der parallelen Bestellung des Klägers verfolgten die Unternehmen das Ziel, einen konzerneinheitlichen Datenschutzstandard zu etablieren.

2017 äußerte der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber Muttergesellschaft der Beklagten, er habe Bedenken, dass der Kläger die zur Erfüllung seiner Aufgaben als betrieblicher Datenschutzbeauftragter erforderliche Zuverlässigkeit besitze, und stützte sich hierbei auf § 4f Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes in der bis zum 24.05.2018 gültigen Fassung (BDSG aF).

Mit Schreiben aus November 2017 stellte der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber der Muttergesellschaft abschließend fest, der Kläger verfüge nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit. Aufgrund der Inkompatibilität mit dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden sei der Kläger bereits nicht wirksam zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt worden. Das Unternehmen verfüge deshalb seit 2015 über keinen betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Die Muttergesellschaft erhielt fristgebundene Gelegenheit zur Stellungnahme mit dem Hinweis, dass nach Fristablauf ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter von Amts wegen bestellt werde und die Verletzung der Pflicht, einen Beauftragten für den Datenschutz zu bestellen, mit einer Geldbuße bis zu 50.000 EUR geahndet werden könne.

Die Beklagte und die weiteren in Deutschland ansässigen Konzernunternehmen teilten dem Kläger daraufhin in eigenständigen Schreiben mit, dass eine wirksame Bestellung als betrieblicher Datenschutzbeauftragter nicht erfolgt sei und nunmehr zur Vermeidung eines Bußgeldes ein geeigneter Datenschutzbeauftragter bestellt werde. Hilfsweise widerriefen sie seine Bestellung mit sofortiger Wirkung. Vorsorglich beriefen sie ihn nach Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gemäß Art. 38 Absatz 3 Satz 2 DSGVO als Datenschutzbeauftragten ab.

Der Kläger meinte, er sei wirksam für deren Betrieb zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden. Seine Abberufung sei daher nicht wirksam. Die Beklagte beantragte Klageabweisung, da jedenfalls der durch sie erklärte Widerruf der Bestellung des Klägers zum Datenschutzbeauftragten Wirksamkeit entfaltet hätte.

Seiner Klage hat das Arbeitsgericht Dresden stattgegeben, die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auf ihre Revision hat das BAG nun die Klage abgewiesen.

Die Entscheidungsgründe
Das BAG meint, der Kläger sei zwar wirksam zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden, seine Bestellung sei durch die beklagte Arbeitgeberin aber ebenso wirksam widerrufen worden.

- Zur Stellung des Datenschutzbeauftragten
Die Überschneidung der Interessensphären des Betriebsratsvorsitzenden einerseits und des Datenschutzbeauftragten andererseits könne, so das BAG, der vom BDSG geforderten Zuverlässigkeit entgegenstehen. Dafür reiche nicht jede Berührung der verschiedenen Aufgaben aus, da das Gesetz die Berufung eines Arbeitnehmers zum Datenschutzbeauftragten im Grundsatz zulasse, aber der Datenschutzbeauftragte habe das Arbeitsumfeld eines jeden Mitarbeiters zu überwachen, letztlich also auch sich selbst.

Es müsse gewährleistet sein, dass der Datenschutzbeauftragte seine Pflichten in völliger Unabhängigkeit erfüllen könne. Ein Grund für den Widerruf der Funktion des Datenschutzbeauftragten sei danach in der Regel gegeben, wenn der Arbeitnehmer bei der Erfüllung seiner weiteren Aufgaben und Pflichten gestaltenden Einfluss auf die Datenverarbeitung in der verantwortlichen Stelle habe. In einem solchen Fall könne die unabhängige Erfüllung der Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten gefährdet sein. Das Recht des Verantwortlichen, die Bestellung des Datenschutzbeauftragten im Fall eines gestaltenden Einflusses auf die Datenverarbeitung zu widerrufen, wahre dessen funktionelle Unabhängigkeit, genauer: diejenige des Amtes, und gewährleiste damit die Wirksamkeit der datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

Der Datenschutzbeauftragte habe auf die Einhaltung des BDSG alter Fassung und anderer Vorschriften über den Datenschutz hinzuwirken. Dabei habe er insbesondere die ordnungsgemäße Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme, mit deren Hilfe personenbezogene Daten verarbeitet werden sollen, zu überwachen sowie die bei der Verarbeitung personenbezogener Daten tätigen Personen durch geeignete Maßnahmen mit den Vorschriften über den Datenschutz und mit den jeweiligen besonderen Erfordernissen des Datenschutzes vertraut zu machen.

- Die Stellung des Betriebsratsvorsitzenden
Das BAG lässt offen, ob die Stellung als einfaches Betriebsratsmitglied mit derjenigen des Datenschutzbeauftragten vereinbar ist, die des Vorsitzenden sei es jedenfalls nicht.

Der Betriebsrat lege als Gremium Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten fest. Er entscheide, unter welchen konkreten Umständen er welche personenbezogenen Daten in Ausübung der ihm zugewiesenen Aufgaben erhebe und auf welche Weise er diese anschließend verarbeite.

In bestimmten sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten stünden dem Betriebsrat Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte zu, die von der bloßen Anhörung bzw. Unterrichtung, über die Beratung bis hin zum Zustimmungsverweigerungsrecht und schließlich zum Mitbestimmungsrecht reichten. In Erfüllung dieser Aufgaben verarbeite der Betriebsrat personenbezogene Daten, die er vom Arbeitgeber erhalte, aber auch von Beschäftigten selbst, etwa im Rahmen der Sprechstunde, einer Beschwerde, des Vorschlagsrechts der Arbeitnehmer, des Meinungsaustauschs im Rahmen von Betriebs- oder Abteilungsversammlungen oder der Anhörung eines von einer personellen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers. Des Weiteren könne der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen schließen, etwa zu technischen Überwachungseinrichtungen, die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand haben könnten. Im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben lege der Betriebsrat die Zwecke der Datenverarbeitung fest und insbesondere, welche mitarbeiterbezogenen Informationen er verlange und wie er damit tatsächlich umgehe.

- Der Abgleich der beiden Positionen
Schon nach dem BDSG alter Fassung habe es dem Datenschutzbeauftragten oblegen, die Datenschutzkonformität der auf Anforderung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber vorgenommenen Übermittlung personenbezogener Mitarbeiterdaten zu überprüfen. Bei der Übermittlung sensitiver Daten habe er dementsprechend in eigener Sache überwachen müssen, ob das Schutzkonzept des Betriebsrats datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprochen habe und der Arbeitgeber die Daten an den Betriebsrat habe übermitteln dürfen.

Demgegenüber bestimme der Betriebsrat auch über die Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Als Beauftragter für den Datenschutz sei der Vorsitzende des Betriebsrats verpflichtet zu prüfen, ob die von ihm nach außen vertretene Beschlusslage des Betriebsrats mit den Bestimmungen des Datenschutzes im Einklang stehe. Zwar sei er in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktion in erster Linie Mitglied des Betriebsrats, habe aber dessen Beschlüsse nach außen zu vertreten. Zudem sei er zur Entgegennahme von dem Betriebsrat gegenüber abzugebenden Erklärungen berechtigt. Diese Aufgaben stellten die funktionelle Unabhängigkeit als Datenschutzbeauftragter und damit die Gewährleistung des Datenschutzes infrage.

Bei gleichzeitiger Wahrnehmung der Funktion eines Datenschutzbeauftragten müsse er in identischer Angelegenheit – neutral und allein dem Datenschutz verpflichtet – überprüfen, ob Auskunftsersuchen und beschlossene Schutzvorkehrungen datenschutzrechtlichen Vorgaben genügen, und den Arbeitgeber insoweit unter Umständen datenschutzrechtlich beraten. Dies sei wegen seiner Bindung an Betriebsratsbeschlüsse gegebenenfalls nicht möglich. Dieser Interessenkonflikt beeinträchtige die funktionelle Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten und gefährde die Wirksamkeit datenschutzrechtlicher Regelungen, so dass er den Arbeitgeber zum Widerruf der Bestellung berechtige.

PDF als Download: Ermittlungspflicht des Insolvenzverwalters – Verjährung von Anfechtungsansprüchen
PDF als Download: BGH, Urteil vom 27.07.2023 – IX ZR 138/21 aus beck-online

Ansprüche verjähren. Sie gehen dadurch nicht ersatzlos unter, beruft sich jedoch der Forderungsschuldner berechtigterweise auf die Verjährung, kann der Anspruch nicht mehr durchgesetzt werden, eine nach der Verjährung erhobene Klage ist abzuweisen.

Der Kläger verfolgt mit seinem Klageantrag die Ausschließung des Beklagten aus der GmbH. Die Gründe hierfür werden im Urteil des BGH nicht benannt, was darauf beruht, dass der BGH in diesem Verfahren zwei Rechtsfragen anders beurteilte als das OLG München in der Berufungsinstanz und im Anschluss hieran die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Das OLG München wird im neuerlichen Berufungsverfahren zu klären haben, ob die Voraussetzungen für eine Ausschließung des Beklagten tatsächlich vorliegen.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt nicht direkt mit dem Entstehen des Anspruchs, sondern nach § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Darlegungs- und beweispflichtig hierfür ist der Schuldner, denn ihm kommt die Möglichkeit der Verjährungseinrede zugute.

In der Praxis lässt sich der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs im Nachhinein meist gut feststellen, zum Beispiel entstehen Anfechtungsansprüche mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Schwieriger ist die Feststellung der Kenntnis oder gar der grob fahrlässigen Unkenntnis. Um letzteres ging es in der Entscheidung des BGH vom 27.07.2023. Die vom Insolvenzverwalter etwa acht Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch genommene Anfechtungsgegnerin berief sich im Rechtsstreit auf Verjährung. Dass der Verwalter länger als drei Jahre zuvor Kenntnis von den Umständen erlangt hatte, die den Anfechtungsanspruch begründen, hatte die Beklagte aber nicht dartun können. Entscheidend war daher vor allem, ob der Verwalter schon längere Zeit zuvor Kenntnis hätte haben müssen, ob er also grob fahrlässig die Umstände nicht kannte, die den Anspruch begründeten. Dies wiederum hängt von der Frage ab, welche konkreten Aktivitäten ein Insolvenzverwalter zur Ermittlung von Anfechtungsansprüche ergreifen muss, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit auszuschließen, und wieviel Zeit seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihm hierfür eingeräumt werden kann.

Der PFO-Partner Rechtsanwalt Alexander Kubusch hat die der Prüfung zugrunde zu legenden Kriterien in einem Aufsatz in der Fachpresse umfassend beschrieben (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht, Jahrgang 2018, Seite 634 ff.). Diesen Ausführungen hat sich der Insolvenzsenat des BGH mit dem Urteil vom 27.07.2023 angeschlossen.

PDF als Download:Wenn es nicht mehr anders geht: Die Ausschließung eines Gesellschafters aus der Gesellschaft – der BGH ändert teilweise seine Rechtsprechung

Der zu entscheidende Sachverhalt
Kläger und Beklagter sind jeweils hälftig an einer GmbH beteiligt. Das Stammkapital ist vollständig eingezahlt. Die Satzung der GmbH enthält keine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters oder zur Einziehung von Geschäftsanteilen. Entscheidend für den folgenden Streit über den Ausschluss des einen Gesellschafters durch den anderen war daher allein die Gesetzeslage.

Der Kläger verfolgt mit seinem Klageantrag die Ausschließung des Beklagten aus der GmbH. Die Gründe hierfür werden im Urteil des BGH nicht benannt, was darauf beruht, dass der BGH in diesem Verfahren zwei Rechtsfragen anders beurteilte als das OLG München in der Berufungsinstanz und im Anschluss hieran die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Das OLG München wird im neuerlichen Berufungsverfahren zu klären haben, ob die Voraussetzungen für eine Ausschließung des Beklagten tatsächlich vorliegen.

Folgende Vorfragen hat der BGH nun unter teilweise Änderung seiner Rechtsprechung entschieden:

Prozessführungsbefugnis für die Ausschließungsklage

Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Ausschließungsklage grundsätzlich von der GmbH zu erheben. Ob abweichend hiervon in einer Zwei-Personen-GmbH den Gesellschaftern selbst ein Klagerecht zur Ausschließung des jeweils anderen zusteht, hat der BGH jedoch bisher noch nicht entschieden.

Die Frage ist in der juristischen Literatur und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Teilweise wird angenommen, dass in einer Zwei-Personen-GmbH jeder Gesellschafter persönlich eine Ausschließungsklage gegen den Mitgesellschafter anstrengen kann. Begründet wird diese Prozessführungsbefugnis zum einen mit Praktikabilitätserwägungen, zum anderen wird auf die Grundsätze der actio pro socio bzw. deren Rechtsgedanken zurückgegriffen.

Nach anderen Stimmen besteht kein Bedürfnis für eine vom allgemeinen Grundsatz – dem alleinigen Klagerecht der Gesellschaft – abweichende unmittelbare Klagebefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters bei einer Zwei-Personen-GmbH. Da über die Erhebung der Ausschließungsklage die Gesellschafterversammlung zu befinden habe und der betroffene Gesellschafter nicht stimmberechtigt sei, bestehe ein praktisches Bedürfnis für eine Prozessführungsbefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters allenfalls dann, wenn der auszuschließende Gesellschafter zugleich der einzige Geschäftsführer der GmbH sei.

Der BGH entscheidet die Streitfrage jetzt im Sinne der zuerst genannten Auffassung. Auch er überträgt die Grundsätze der actio pro socio auf den vorliegenden Fall. Aufgrund dieser Rechtsfigur kann ein Gesellschafter einer GmbH berechtigt sein, einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, was namentlich dann in Betracht kommt, wenn dieser seine zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht verletzt und durch eine damit verbundene Schädigung des Vermögens der Gesellschaft mittelbar auch dasjenige des klagenden Gesellschafters geschädigt hat. Die Übertragung dieser Grundsätze sei gerechtfertigt, weil auch die Ausschließung ihren Anlass in der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten habe. Hier wie dort sollten die anderen Gesellschafter vor Beeinträchtigungen durch eine unrechtmäßige Einflussnahme auf die Geschäftsführung bei der Verfolgung von aus der gesellschafterlichen Treuepflicht erwachsenden Ansprüchen geschützt werden. Der grundsätzlich bestehende Vorrang der Gesellschaftsklage müsse daher zurücktreten.

Der Zeitpunkt des Ausscheidens durch Gestaltungsurteil – Änderung der Rechtsprechung

Kommt es mangels gesellschaftsvertraglicher Regelung – wie vorliegend – nicht zu einer bestandskräftigen Ausschließung eines Gesellschafters durch Gesellschafterbeschluss, müssen der oder die ausschließungswilligen Gesellschafter hierauf klagen. Sofern das Gericht die Klage für begründet erachtet, erklärt es den Gesellschafter durch ein sogenanntes Gestaltungsurteil für ausgeschlossen. Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, wann der Ausschluss wirksam wird. Bisher hatte der BGH die Ausschließung eines Gesellschafters durch Gestaltungsurteil an die Bedingung geknüpft, dass der betroffene Gesellschafter binnen einer im Urteil festzusetzenden angemessenen Frist den ebenfalls im Urteil zu bestimmenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil tatsächlich ausgezahlt erhält (sogenannte Bedingungslösung). In Abkehr hiervon meint der BGH jetzt, dass in einem Fall, in dem ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische (satzungsmäßige) Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen wird, die Ausschließung bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird und nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt ist.

Begründet wird diese Rechtsprechungsänderung mit Blick auf die neuere Rechtsprechung zur Einziehung eines Geschäftsanteils, wonach diese bereits mit der Mitteilung eines entsprechenden Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter wirksam wird, wenn der Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird. Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird, müsse allerdings davor geschützt werden, dass die verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert seines Anteils aneignen und ihn aufgrund der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Die Gesellschafter hafteten daher dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig auf Zahlung der Abfindung, wenn die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen sei. Diese Rechtsprechung sei auf die Ausschließung eines Gesellschafters ohne statutarische Regelung durch Gestaltungsurteil übertragbar.

Die aufgrund der bisherigen Rechtsprechung auch nach der Rechtskraft des Urteils entstehende Schwebelage – bis zur Leistung der Abfindung – sei den übrigen Gesellschaftern in besonderem Maße unzumutbar, weil die Ausschließung, anders als die Einziehung, als äußerstes und letztes Mittel stets nur zulässig sei, wenn in der Person oder dem Verhalten des Gesellschafters ein wichtiger Grund vorliege, mithin ein Verbleib des Gesellschafters in der Gesellschaft die gedeihliche Fortführung des Unternehmens in Frage stellte oder aus sonstigen Gründen die Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses mit ihm für die übrigen Gesellschafter unzumutbar wäre.

Der Abfindungsanspruch des Gesellschafters werde auch bei einem mit Rechtskraft des Ausschließungsurteils wirksamen Ausscheiden ausreichend gesichert.

Einerseits gelte das Gebot der Kapitalerhaltung auch dann, wenn die Gesellschaft einen Gesellschafter ausschließen will. Könne ohne das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG die Abfindung nicht geleistet werden, komme die Ausschließung eines Gesellschafters nicht in Betracht. Andererseits hafteten die verbliebenen Gesellschafter nach Wirksamwerden der Ausschließung persönlich für die Abfindung des ausgeschlossenen Gesellschafters ab dem Zeitpunkt, in dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen sei. Das bestehen bleibende Restrisiko des ausgeschlossenen Gesellschafters sei hinzunehmen.

Zudem werde bei entsprechender Satzungsregelung auch bei der Ausschließung durch Beschluss deren Wirksamkeit von der Rechtsprechung seit jeher nicht an die Bedingung der Abfindungszahlung geknüpft. Die Gesellschafterstellung des Betroffenen lebe auch dort nicht wieder auf, wenn die Gesellschaft nicht in angemessener Frist die Einziehung des Geschäftsanteils beschließe oder seine Abtretung verlange und nichts dazu tue, dass der Ausgeschlossene den Gegenwert seines Geschäftsanteils erlange. Auch die fehlende vorweggenommene Zustimmung zum Ausschluss ohne satzungsmäßige Regelung zwinge nicht zur Kopplung des Abfindungsanspruchs an die Wirksamkeit der Ausschließung.

Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsverbot?

Wie schon erwähnt ist nach der neuen Rechtsprechung die Ausschließung durch Gestaltungsurteil nicht möglich, wenn die Gesellschaft die Abfindung nur unter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG leisten könnte.

Für das im Gläubigerinteresse bestehende Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt nach ständiger Rechtsprechung eine bilanzielle Betrachtungsweise. Auszahlungen an (ausgeschiedene) Gesellschafter dürfen nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen. Deren Vorliegen bestimmt anders als bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 InsO sich nicht nach Verkehrswerten, sondern nach den Buchwerten einer stichtagsbezogenen Handelsbilanz; stille Reserven finden keine Berücksichtigung. Ist ohne Verstoß hiergegen die Zahlung an den Auszuschließenden nicht möglich, ist – wie ebenfalls schon dargestellt – die Ausschließung nicht zulässig. Allerdings steht dem solventen ausschließungswilligen Gesellschafter eine Möglichkeit offen, diese Situation zu verhindern. Hat er nämlich mit der GmbH vereinbart, sie in der Weise auszustatten, dass die Zahlung der Abfindung an einen ausgeschiedenen Gesellschafter nicht zur Entstehung einer Unterbilanz führt, kann nach allgemeinen Grundsätzen die sich daraus ergebende Forderung der GmbH gegen den Gesellschafter in der Handelsbilanz der Gesellschaft aktiviert und so eine Unterbilanz oder gar Überschuldung verhindert werden. Es begegnet keinen Bedenken – so der BGH –, wenn sich ein Gesellschafter, gegebenenfalls auch erst im Rahmen des Ausschließungsprozesses, gegenüber der Gesellschaft dazu verpflichtet, sie so auszustatten, dass sie die Abfindungsforderung eines ausscheidenden Gesellschafters ohne Verstoß gegen das Auszahlungsverbot befriedigen kann.

Auch hierzu hatte das Berufungsgericht vorliegend keine ausreichenden Feststellungen getroffen, es wird dies in der neuerlichen Berufungsverhandlung ebenso nachzuholen haben.

Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Tennis-Point GmbH (AG Bielefeld; Az.: 43 IN 701/23) wird dazu führen, dass etliche Kunden dieses Online-Shops vermutlich (wieder einmal) einen finanziellen Schaden erleiden. Grund genug, sich daher einmal den rechtlichen Grundlagen und auch den Schutzmöglichkeiten für Kunden zuzuwenden.

Vorab:
Bestellen Sie einen Artikel bei einem Online-Händler, der wegen des Insolvenz(antrags)verfahrens nicht mehr geliefert wird, entsteht Ihnen so lange kein Schaden, wie Sie keine Zahlung geleistet haben. Gut, der bestellte Artikel wird u.U. nicht mehr geliefert, weil das Angebot zurückgezogen wird und Sie werden den Artikel anderweitig womöglich teurer kaufen können/müssen. Das lässt sich noch verkraften.

Vorsicht bei Vorkasse:
Wesentlich ärgerlicher wird es dann schon bei einer Vorkassezahlung,, die im Vorfeld des Insolvenzantragsverfahrens von Ihnen geleistet wurde. Wird dann der bestellte Artikel nicht mehr geliefert, ist einerseits der sowohl der Erfüllungsanspruch (Lieferung des Artikels), andererseits aber auch der Rückabwicklungsanspruch bei Rücktritt (Rückzahlung der Vorkassezahlung) eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Diese kann also (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens) nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden; es wird am Ende des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzquote auf diese Forderung gezahlt. In der Regel verlieren also Vorkassezahler im Zuge eines Insolvenzverfahrens den Großteil ihrer Anzahlung.

Was ist mit Retouren?
Möglich ist auch die Konstellation, dass der Kunde seine Ware per Vorkasse bezahlt und sogar erhalten hat, im Anschluss das Insolvenzantragsverfahren eingeleitet wird und der Kunde dann feststellt, dass die bestellte Ware ihm/ihr nicht passt oder gefällt. Vorsicht ist bei einer kommentarlosen Rücksendung geboten, weil im Falle einer Rückabwicklung die Rückzahlung des Kaufpreises wieder eine Insolvenzforderung ist und ebenso nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden kann. Bedeutet also: Geld weg und Ware wieder zurückgeschickt! Bei der Tennis-Point GmbH führt diese Konstellation gerade dazu, dass Retouren derzeit gar nicht bearbeitet werden, um solche Schadenseintritte für Kunden möglichst zu vermeiden.

Gleiche Folgen bei Zahlung auf Rechnung?
Insolvenzrechtlich besser stehen dann schon die Kunden da, die ihre Warenlieferung erst nach Erhalt per Rechnung bezahlen. Hier wird seitens des Kunden keine Leistung ausgelöst, bevor die Ware beim Kunden angekommen ist. Gefällt die Ware dem Kunden, wird er sie behalten und den Kaufpreis dafür bezahlen. Gefällt oder passt die gelieferte Ware nicht, wird der Kunde diese (ohne Bezahlung) zurücksenden. Der bisweilen fällige Zahlungsaufschlag für eine Zahlung per Rechnung kann sich also in einem solchen Fall schon lohnen. Klar ist aber: das Insolvenz(antrags)verfahren des Lieferanten entbindet den Kunden nicht von der Zahlung der Rechnung, wenn er die Ware erhalten hat und behalten möchte.

Ist es jetzt "zu gefährlich" bei Tennis-Point GmbH zu bestellen?
Das kann man jetzt noch nicht abschließend beurteilen... grundsätzlich ermöglicht die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter gleichzeitiger Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann hierbei die Ermächtigung vom Insolvenzgericht erhalten, sog. Verbindlichkeiten aus Neugeschäften als Masseverbindlichkeiten einzugehen. Heißt also: wenn der vorläufige Insolvenzverwalter dem Geschäft zustimmt, dann ist dieses Geschäft (entweder durch Warenlieferung oder aber durch Zahlung) auch zu erfüllen. Wie das jedoch bei einer Vielzahl von täglichen Bestellungen über das Internet konkret ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind Kunden gut damit beraten, die Lieferung auf Zahlung per Rechnung umzustellen - auch wenn dies manchmal mit Zahlungsaufschlägen verbunden ist.

Insolvenzantragspflichten

Bei juristischen Personen, aber auch bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (z. B. Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR -, OHG, KG), bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, besteht für die Geschäftsleiter (im Folgenden: Geschäftsführer unabhängig von der Gesellschaftsform) nach § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Der Insolvenzantrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Die Frist beginnt unabhängig von der Kenntnis des Geschäftsführers, knüpft also ausschließlich an den objektiven Eintritt des Insolvenzereignisses an. Sie ist eine Höchstfrist und darf nur ausgenutzt werden, wenn Sanierungsmaßnahmen innerhalb der Frist sinnvoll und erfolgversprechend erscheinen.

Schon hieran wird deutlich, dass der Geschäftsführer die finanzielle Lage der Gesellschaft stets überwachen muss, um bei Eintritt einer Krise gegebenenfalls rechtzeitig Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, denn innerhalb der Antragsfristen ist eine Sanierung in den wenigsten Fällen noch möglich.

Unabhängig davon hat seit 2021 nach § 1 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) der Geschäftsführer ohnehin fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können.

Erstattungspflichten der Geschäftsführer bei nicht rechtzeitigem Insolvenzantrag
Wird der Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt, machen sich die Geschäftsführer nicht nur strafbar, sondern müssen auch nach Ablauf der Frist noch geleistete Zahlungen erstatten. Einzelheiten regelt heute § 15b InsO. Vor dessen Inkrafttreten 2021 gab es dem Grundsatz nach entsprechende, in Einzelheiten jedoch stark abweichende Regelungen in den Gesetzen, die die jeweilige Gesellschaftsform behandeln, für die GmbH war dies § 64 GmbHG a. F.

Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Die beiden Insolvenzgründe, Zahlungsunfähigkeit und insolvenzrechtliche Überschuldung, sind häufig nicht leicht zu ermitteln. Das Besprechungsurteil befasst sich mit letzterem.

Nach § 19 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Ob die bestehenden Verbindlichkeiten in diesem Sinne noch gedeckt sind, ergibt sich nicht aus der Handelsbilanz oder einer nach den bisherigen Bilanzgrundsätzen aufgestellten Zwischenbilanz, sondern aus der Überschuldungsbilanz, die zu diesem Zweck aufgestellt werden muss. Bei ihr sind die Aktiva nur mit den Werten anzusetzen, die eine Veräußerung im Insolvenzverfahren erbringen würde, also die Liquidationswerte, die um die Verwertungskosten und die Umsatzsteuer zu reduzieren sind. Reichen die so ermittelten Aktiva nicht aus, die Passiva zu decken, muss eine Fortführungsprognose erstellt werden. Es ist darin zu untersuchen, ob eine größere Wahrscheinlichkeit für das Überleben der Gesellschaft besteht oder für deren Scheitern. Der Prognosetatbestand ist nicht deckungsgleich mit der going-concern-Annahme nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Überwiegend wahrscheinlich ist die Fortsetzung, wenn von mehr als 50 % Fortsetzungswahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann. Nur dann liegt bei Vermögensunterdeckung der Insolvenzgrund der Überschuldung nicht vor.

Der entschiedene Fall

Dem Urteil des OLG Düsseldorf lag – etwas vereinfacht – folgender Fall zugrunde:

V gründete 2014 die R. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), ein Start-up-Unternehmen, über deren Vermögen am 28.12.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Schuldnerin plante ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge ähnlich der heute bekannten Plattform „hey-car“ einzurichten und investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software.

Die Schuldnerin finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen eines Investors, der auch erhebliche Anteile an ihr hielt und ihr beginnend ab dem 10.07.2014 regelmäßig Darlehen „zur Stärkung des Eigenkapitals … in der Gründungsphase des Unternehmens … als Mezzanine Kapital“ gewährte. Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Bis Ende 2015 beliefen sich diese Darlehensforderungen auf insgesamt 608.000 €. Sie wuchsen bis zum 20.07.2016 auf insgesamt 778.000 € an.
Im Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 126.000 € ausgewiesen. Im Jahr 2015 erzielte die Schuldnerin lediglich Umsätze in Höhe von rund 12.000 € und erwirtschaftete einen Verlust von 494.000 €, was zu einer Erhöhung des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags auf rund 620.200 € zum 31.12.2015 führte.
Die Schuldnerin unterhielt bei einer Bank ein Geschäftskonto, das teils im Soll, teils im Haben geführt wurde. In dem Zeitraum zwischen dem 01.01.2016 und dem 29.02.2016 kam es zu Zahlungsbewegungen von insgesamt 55.000 €, denen teilweise Auszahlungen von dem zu diesen Zeitpunkten kreditorisch, also im Haben, geführten Geschäftskonto und teilweise Einzahlungen auf dem zu den entsprechenden Zeitpunkten debitorisch geführten Geschäftskonto zugrunde lagen.
Nachdem der klagende Insolvenzverwalter bestellt worden war, verlangte er von V, der seit der Gründung der Schuldnerin bis Anfang März 2016 deren Geschäftsführer gewesen war, die Erstattung der angeführten Zahlungen, weil er meinte, die Schuldnerin sei seit Ende 2015 überschuldet gewesen, sodass V zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet gewesen wäre. Er ging dabei von der Handelsbilanz aus und legte dar, er sehe keine stillen Reserven oder sonstige nicht in der Handelsbilanz abgebildete Vermögensgegenstände der Schuldnerin.
Der Beklagte meinte dagegen, die Schuldnerin sei nicht im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet gewesen, da die Darlehen wie Eigenkapital gewährt worden seien. Außerdem seien die bis Ende 2015 angefallenen Entwicklungskosten für die Software von ca. 320.000 € bzw. etwaige Anschaffungskosten von 650.000 € für eine externe Entwicklung als stille Reserven anzusetzen. Im Übrigen sei der Investor bereit gewesen, die Schuldnerin auf unbestimmte Zeit zu finanzieren, solange die Planungen realistisch erschienen, was jedenfalls bis September 2016 der Fall gewesen sei. Die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin sei sichergestellt gewesen. Er, der Beklagte, habe monatliche Finanzpläne aufgestellt, die bis 31.12.2020 gereicht hätten und ständig aktualisiert worden seien. Danach hätten im Juli 2016 erstmals Überschüsse erwirtschaftet werden sollen. Den sich aus der Planung ergebenden Finanzbedarf für die bevorstehende Planungsperiode habe er konkret mit dem Investor abgesprochen, die bevorstehenden Ausgaben seien sehr genau mit ihm abgestimmt und die notwendigen Mittel jeweils als Darlehen zur Verfügung gestellt worden. Bis zur Beendigung seiner – des Beklagten – Geschäftsführertätigkeit hätten keine Anzeichen bestanden, dass der Investor von seinem Fortführungswillen abrücken werde.
Das OLG verurteilte den Beklagten zur Erstattung der 55.000 €.

Die Begründung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf schließt sich der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, wonach die Handelsbilanz zwar nicht für die insolvenzrechtliche Überschuldung maßgeblich ist, ihr aber für die Frage der rechnerischen Überschuldung im auf Zahlungserstattung gerichteten Prozess gegen den Geschäftsführer indizielle Bedeutung zukommt. Legt der Insolvenzverwalter für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, und legt er dar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind, muss der beklagte Geschäftsführer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vortragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind.

Vorliegend war von einem nicht durch Eigenkapitalbetrag gedeckten Fehlbetrag von mehr als 600.000 € auszugehen und der Kläger hatte geltend gemacht, stille Reserven seien nicht vorhanden.

Der Beklagte hatte sich einerseits darauf berufen, der Kläger habe immaterielle Vermögensgegenstände von beträchtlichem Wert, nämlich die erstellte Software, und eine harte Patronatserklärung des Investors nicht berücksichtigt. Außerdem habe dieser für seine Darlehensforderung eine Rangrücktrittserklärung abgegeben. Sie seien in der Überschuldungsbilanz folglich nicht zu berücksichtigen.

Dagegen stellte das OLG Düsseldorf nach der Vernehmung von Zeugen fest, dass die in der Bilanz mit 30.000 € angesetzte Software im Insolvenzverfahren nur für 10.000 € veräußert werden konnte, stille Reserven also nicht beinhaltete. Von einer harten Patronatserklärung, wie vom Beklagten behauptet, konnte das OLG sich ebenfalls nicht überzeugen. Schließlich erklärte der als Zeuge vernommene Investor, keinen Rangrücktritt für seine Darlehen erklärt zu haben. Auch in den schriftlichen Darlehensverträgen konnte das OLG eine solche nicht auffinden.

Als Folge der Unterdeckung blieb daher zu klären, ob eine positive Fortführungsprognose bestand. Der hieran anzulegende Maßstab, so meint das OLG, müsse von dem üblichen Maßstab, den die Rechtsprechung hierfür entwickelt habe, unter Berücksichtigung der Start-up-Situation modifiziert werden.

Solche Unternehmen seien in einer – mehr oder weniger langen – Anfangsphase meist nicht ertragsfähig, jedoch seien operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. In Fällen von Start-Ups sehe auch der BGH die Ertragsfähigkeit (Selbstfinanzierungskraft) nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an. Es liege in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst nur Schulden mache und von Darlehen abhängig sei. In diesen Fällen müsse daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum (12 Monate) abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden könnten. Der Rückgriff auf eine Ertragsfähigkeit würde diesen Unternehmen dagegen die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen. Bei einem Start-Up-Unternehmen müssten daher die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden. Die Fortführungsfähigkeit muss im Sinne des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50% wahrscheinlich sein; maßgeblich sei also, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken. Das OLG knüpft damit die Fortführungswahrscheinlichkeit an die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsfähigkeit an.

Als Grundlage dieser Beurteilung fordert es allerdings eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept, das die in den Blick genommene Etablierung der Geschäftsidee eines Start-Up-Unternehmens erfolgversprechend erscheinen lasse. Denn eine mittelfristige Liquiditätssicherung werde in der Regel nur dann erreicht, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden könnten. Die bloße Darstellung von Zahlen reiche hierfür folglich nicht aus. Vielmehr sei die Liquiditätsplanung ständig an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Soweit hierbei auf Finanzierungszusagen Dritter rekurriert werde, müsse der Nachweis erbracht werden, dass die Planungen diesen zur Kenntnis gebracht worden seien und sie ihre Finanzierungszusagen aufrechterhalten haben.

Diese Nachweise habe der Beklagte nicht erbracht. Seine entsprechenden Behauptungen wurden von dem auch hierzu als Zeugen vernommenen Investor nicht bestätigt.

Trotz der wie dargestellt reduzierten Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose konnte sich das OLG Düsseldorf nicht von deren Vorliegen überzeugen und verurteilte den Beklagten dem Klageantrag entsprechend.

Eine weitere Besonderheit des Falles musste das OLG Düsseldorf bei der Entscheidung berücksichtigen. V hatte als Geschäftsführer, wie oben erwähnt, nicht nur Zahlungen vom kreditorisch geführten Konto geleistet, sondern zu Zeiten, in denen dieses im Soll geführt wurde, Forderungen der Schuldnerin hierauf eingezogen. Die Summe dieser Buchungen ergab den Klagebetrag von 55.000 €. Auf den ersten Blick erscheint es befremdlich, den Forderungseinzug als „Zahlung“ zu interpretieren. Verdeutlicht man sich jedoch, dass bei debitorischem Konto der Bankkredit reduziert wird, stellt sich der Forderungseinzug wirtschaftlich als Zahlung an einen einzelnen Gläubiger, nämlich die Bank, dar, was es nach der Rechtsprechung des BGH rechtfertigt, ihn als solche zu behandeln und die Erstattungspflicht hierauf zu erstrecken.

Parallele Wertungen im Insolvenzanfechtungsrecht

Die Modifizierung der Voraussetzungen einer positiven Fortführungsprognose im Rahmen des § 19 InsO korrespondiert mit der Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen, die bei der Insolvenz von Start-Up-Unternehmen an die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Sinne des Insolvenzanfechtungstatbestands des § 133 InsO gestellt werden (BGH, Urteil vom 05.03.2009 – IX ZR 85/07). Danach gilt: Überträgt der Gründer eines Unternehmens der finanzierenden Bank nahezu das gesamte Vermögen zur Sicherung ihrer Kredite, handelt er auch dann nicht mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn seine Hoffnung, die Gründung werde erfolgreich sein, objektiv unberechtigt ist. Der BGH stellt damit auch insoweit auf die besondere Situation von Start-Up-Unternehmen ab.

Liegt eine steuerrechtliche Organschaft vor, wird die Organgesellschaft steuerrechtlich nicht mehr als Steuersubjekt behandelt, die steuerrechtliche Verantwortung für die Organgesellschaft lastet vielmehr auf dem Organträger, das heißt, die durch die Organgesellschaft verursachten Steuern werden als Steuern des Organträgers behandelt. Im Umsatzsteuerrecht steht ihm allerdings auch der Vorsteuerabzug zu. Es ist daher sehr wichtig, eine Organschaft zu erkennen und entsprechende Steuererklärungen und – voranmeldungen abzugeben. Die Verkennung der Organschaft, aber auch ihre unzutreffende Annahme können weitreichende Folgen nach sich ziehen, insbesondere, aber nicht nur, wenn im sog. Organkreis ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sei es über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft.

Kursorische Übersicht über die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft, die nicht mit der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft nach §§ 14 ff. Körperschaftsteuergesetz (KStG) verwechselt werden darf, ist in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) geregelt.

Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird danach nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).

Schlagwortartig zusammengefasst müssen für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein.

Für die finanzielle Eingliederung ist erforderlich, dass der Organträger über eine Kapitalbeteiligung verfügt, die ihm nach Gesetz und Satzung ermöglicht, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen, im Regelfall also mehr als 50 % der Anteile.

Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt immer von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Dies gilt selbst gegenüber rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandanten, auch sogar gegenüber Rechtsanwälten als Mandanten. Der anwaltlich vertretene Mandant hat Anspruch darauf, dass er die erforderliche Beratung erhält. Er muss die Beratung nicht durch eigene Überlegungen ersetzen und erst recht keinen weiteren Berater hinzuziehen. Die Beratungsbedürftigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil der Mandant von sich aus in der Lage wäre, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Der Rechtsanwalt darf deshalb nur dann von einer (weiteren) Beratung des Mandanten absehen, wenn er positiv weiß, dass dieser über die erforderlichen Informationen bereits verfügt.

Die wirtschaftliche Eingliederung setzt voraus, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint, weil ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung vorhanden ist.

Dieorganisatorische Eingliederung folgt nicht notwendig aus der finanziellen, viel-mehr wird verlangt, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft wirklich wahrgenommen wird. Der Abhängigkeitsvermutung des § 17 AktG kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Nach der seit einigen Jahren herrschenden Rechtsprechung ist erforderlich, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann.

Die neuen Entscheidungen
„Juristische Person“ als Organgesellschaft

Die erste Neuerung betrifft die Anforderungen an die Beteiligten des Organkreises, genauer an die Organgesellschaft. Der Gesetzeswortlaut ist hier eindeutig, Organgesellschaft kann nur eine juristische Person sein (vor allem eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH). Dennoch gibt es seit längerer Zeit Bestrebungen, auch Personenhandelsgesellschaften, also OHG und KG hierunter zu fassen. Im speziellen Fall der sogenannten Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ (etwa eine GmbH & Co. KG) hatte der BFH diesen Forderungen schon früher nachgegeben, dabei allerdings vorausgesetzt, dass neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft nur Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Diese Anforderung gibt der BFH mit dem Urteil vom 16.03.2023 jetzt auf. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ kann daher auch Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind. Das betrifft sowohl juristische wie natürliche Personen als Gesellschafter.

Die erforderliche Kapitalbeteiligung
Das Gesetz verlangt eine Beteiligung des Organträgers am Kapital der Organgesellschaft von mehr als 50 %, grundsätzlich genügt somit eine exakt fünfzigprozentige Beteiligung nicht. Mit dem Urteil vom 18.01.2023 macht der BFH auch hiervon eine Ausnahme, allerdings ist auch dieser Fall sehr speziell.

Ausgehend von der Überlegung, dass die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger diesem die Durchsetzung seines Willens in der Organgesellschaft ermöglichen soll, beharrt der BFH schon bisher nicht auf der Voraussetzung einer Beteiligung von mehr als 50 %; weicht die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab, ist nämlich auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen. Verfügt der Organträger über mehr als 50 % der Stimmrechte, so genügt dies, da er auch so seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Daran anknüpfend gilt nach dem neuen Urteil nunmehr: Eine finanzielle Eingliederung kann auch dann vorliegen, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter (Organträger) zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt. Da der Organträger in der Gesellschafterversammlung hier nicht überstimmt werden kann, reicht die Einflussnahme auf den von ihm gestellten Geschäftsführer aus, um seinem Willen bei Stimmengleichheit zum Durchbruch zu verhelfen, meint der BFH.

Aspekte der wirtschaftlichen Eingliederung
Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Eingliederung scheint der Wortlaut des Gesetzes recht eindeutig. Die Organgesellschaft muss in das Unternehmen des Organträgers wirtschaftlich eingegliedert sein. Bei genauerer Betrachtung fordert das Gesetz aber nicht, dass die Eingliederung auf der unmittelbaren Beziehung zwischen Organgesellschaft und Organträger beruhen muss, sondern weiter zu fassen ist. Gibt es etwa neben der (potenziellen) Organgesellschaft weitere Organgesellschaften, die sich wirtschaftlich ergänzen, kann für die Organschaft ausreichend sein, dass eine Verflechtung dieser Gesellschaften im Organkreis gegeben ist. Nach der Rechtsprechung ist allerdings ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen erforderlich, wobei die Tätigkeiten in diesen Bereichen zumindest aufeinander abgestimmt sein und sich dabei fördern und ergänzen müssen.

Dem Urteil vom 11.05.2023 lag dabei folgender Fall zugrunde: Die Klägerin, eine GmbH, meinte, in das Einzelunternehmen des G, dessen Gegenstand der Erwerb von Immobilienvermögen war, auch wirtschaftlich eingeordnet zu sein, was das Finanzamt in Abrede stellte.

Die Klägerin war Teil der „V-Gruppe“, der mehrere Kapitalgesellschaften sowie eine KG angehörten und die Dienstleistungen im Immobilienbereich anbot. Hierzu gehörten neben der Sanierung und dem Neubau von Wohn- und Geschäftshäusern die Finanzierungsberatung von Anlegern und Eigentümern, die Vermittlung, Vermarktung, Vermietung und Verwaltung von Objekten sowie die Projektentwicklung, wobei jede Gesellschaft ihren eigenen Geschäftsbereich hatte. Die KG trat als Spitze der Unternehmensgruppe auf. Zur Geschäftstätigkeit der Klägerin gehörte unter anderem die Verwaltung von Mieteinheiten, die sich auf zwölf mit Wohnhäusern bebauten Grundstücken befanden, die im Eigentum des G standen. Zudem mietete die Klägerin Büroräume von einer GbR, an der G zu 95 % beteiligt war. Der BFH, ein Revisionsgericht, das erstinstanzliche Urteile ausschließlich auf Rechtsfehler hin untersucht, sah sich auf der Basis dieses vom Finanzgericht in erster Instanz festgestellten Sachverhalts nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine ausreichende Verflechtung der Klägerin mit den anderen Gesellschaften bestand, die es gerechtfertigt hätte, eine wirtschaftliche Eingliederung in das Unternehmen des G anzunehmen. Er hat die Sache daher aufgehoben und an das Finanzgericht zu neuerlicher Entscheidung zurückverwiesen.

Zum Umfang der anwaltlichen Beratungspflicht
Führt die anwaltliche Beratung nicht das vom Mandanten gewünschte Ergebnis herbei, kommt es nicht selten zu einem zweiten Rechtsstreit, nämlich über die Haftung des Rechtsanwalts wegen mangelhafter Beratung. So auch vorliegend.

Der BGH stellt seiner Entscheidung in der Sache einen kurzen Überblick über einige Aspekte der Beratungspflichten eines Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten voran:

Amtliche Leitsätze der Entscheidung:
1. Der Rechtsanwalt ist im Grundsatz gehalten, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu treffen; hierzu hat er den Mandanten über die Vor- und Nachteile des Vergleichs zu beraten.

2. Die Beratungsbedürftigkeit des Mandanten entfällt erst dann, wenn der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Bilde ist; dies hat der Rechtsanwalt darzulegen und zu beweisen.

Grundsatz der umfassenden Beratungspflicht:
Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige Mandanten muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist.

Einschränkungen des Grundsatzes der umfassenden Beratungspflicht:
Nicht jeder Mandant ist beratungsbedürftig. Das gilt auch im Fall der beabsichtigten Beendigung einer Rechtsangelegenheit durch Vergleich. Ist der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile im Bilde und deshalb in der Lage, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen, bedarf es keiner (zusätzlichen) Beratung durch den Rechtsanwalt.

Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt immer von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Dies gilt selbst gegenüber rechtlich vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandanten, auch sogar gegenüber Rechtsanwälten als Mandanten. Der anwaltlich vertretene Mandant hat Anspruch darauf, dass er die erforderliche Beratung erhält. Er muss die Beratung nicht durch eigene Überlegungen ersetzen und erst recht keinen weiteren Berater hinzuziehen. Die Beratungsbedürftigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil der Mandant von sich aus in der Lage wäre, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Der Rechtsanwalt darf deshalb nur dann von einer (weiteren) Beratung des Mandanten absehen, wenn er positiv weiß, dass dieser über die erforderlichen Informationen bereits verfügt.

Beweislast für umfassende Vorinformation des Mandanten:
Behauptet der Rechtsanwalt im Regressprozess, der Mandant sei umfassend informiert und deshalb nicht beratungsbedürftig gewesen, trifft ihn insoweit die Beweislast.

Der notwendige Beratungsinhalt:
Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-)Entscheidungen in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Dazu muss sich der Anwalt über die Sach- und Rechtslage klarwerden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen. Der Mandant benötigt, insbesondere wenn er juristischer Laie ist, nicht unbedingt eine vollständige rechtliche Analyse, sondern allein die Hinweise, die ihm im Hinblick auf die aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendige Entscheidungsgrundlage liefern. Erscheint unter mehreren rechtlich möglichen Alternativen die eine deutlich vorteilhafter als die andere, hat der Anwalt darauf hinzuweisen und eine entsprechende Empfehlung zu erteilen.

Beratungspflicht bei beabsichtigtem Vergleichsschluss:
Zu den entscheidenden Weichenstellungen in einer Rechtsangelegenheit zählt die Frage, ob diese durch einen Vergleich beendet werden soll. Auch hier muss der Mandant in die Lage versetzt werden, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dazu bedarf es in aller Regel einer anwaltlichen Beratung, deren Art und Umfang nicht generell abstrakt festgelegt werden kann. Die konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen vielmehr, in welcher Art und in welchem Umfang der Mandant zu beraten ist.

Um eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs treffen zu können, muss der Mandant insbesondere um die Vor- und Nachteile einer (vorzeitigen) Beendigung seiner Rechtsangelegenheit durch Vergleich wissen. Eine Beendigung der Angelegenheit durch Vergleich kann für den Mandanten derart nachteilig sein, dass der Rechtsanwalt vom Vergleichsschluss abzuraten hat.

Die Frage, ob der Rechtsanwalt über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs zu beraten hat, ist unabhängig vom vorgesehenen Inhalt des Vergleichs. Ist der Mandant über die Vor- und Nachteile des Vergleichs nicht bereits aus anderen Gründen im Bilde, muss er in jedem Fall entsprechend beraten werden. Zwar kann ein Abfindungsvergleich besondere Risiken für den Mandanten mit sich bringen. Das bedeutet aber nicht, dass der Mandant nicht oder nur in abgeschwächtem Maße über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs zu beraten ist, der keine Abfindungsregelung enthält. Der notwendige Beratungsaufwand wächst mit der Komplexität des vorgesehenen Vergleichs und dessen (Abfindungs-)Folgen.

Der zu entscheidende Fall
Der Kläger nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch. Er wirft ihm vor, über die Folgen eines (Abfindungs-)Vergleichs nicht ordnungsgemäß beraten zu haben. Dem liegt der folgende Ausgangsrechtsstreit zugrunde:

Der Kläger beauftragte einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb (im Folgenden: Betrieb) mit Drainage- und Abdichtungsarbeiten an seinem Hausgrundstück. Nach Durchführung der Arbeiten bemängelte er Feuchteschäden am Haus und beauftragte einen Privatsachverständigen, der ein Gutachten erstellte, und den jetzt beklagten Rechtsanwalt. Letzterer leitete ein selbstständiges Beweisverfahren ein, das allein der Tatsachenfeststellung dient und nicht zu einem Urteil führt. Das Gericht bestellte ebenfalls einen Sachverständigen, der einen ersten Ortstermin durchführte, in dem er sich ein äußerliches Bild von den Gegebenheiten machte. Aufgrabungen zu einer näheren Begutachtung des Werks des Betriebs wurden nicht vorgenommen. Im Anschluss an den ersten Ortstermin erstellte der Sachverständige einen Zwischenbericht, in dem er mit hoher Wahrscheinlichkeit Arbeiten an der Drainage für erforderlich hielt und darauf hinwies, dass ein Teil der Mängelbeseitigungskosten Sowieso-Kosten sein könnten, die im Rahmen der Mängelbeseitigung nicht vom Unternehmer zu tragen sind.

Anlässlich eines zweiten Ortstermins (Teilnehmer aufseiten des Klägers: der Kläger, der Privatsachverständige und der Rechtsanwalt) stand ein Bagger bereit, mit dessen Hilfe die erforderlichen Aufgrabungen vorgenommen werden sollten. Noch vor Beginn dieser Arbeiten wurde ein durch gerichtlichen Beschluss bestätigter Vergleich geschlossen, durch den sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag über die Drainage- und Abdichtungsarbeiten abgegolten und erledigt sein sollten.

Der Kläger behauptet im vorliegenden Regressprozess gegen den Rechtsanwalt, die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten betrügen mehr als das Vierfache der Vergleichssumme von 55.000 €. Er verlangt von seinem Rechtsanwalt Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen Vergleichssumme und Mängelbeseitigungskosten.

Die Klage hatte weder vor dem Land- noch dem Oberlandesgericht in der Berufung Erfolg. Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidungsgründe
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze meint der BGH, das Berufungsgericht hätte aufklären müssen, ob der Rechtsanwalt den Kläger über den Inhalt des Vergleichs, insbesondere im Hinblick auf die Abgeltungsklausel beraten hatte. Dies habe es unterlassen. Anders als das Berufungsgericht sieht der BGH im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses Prognoseschwierigkeiten über den notwendigen Umfang und die Kosten der Mängelbeseitigung und der vom Kläger selbst zu tragenden Sowieso-Kosten. Es habe nicht einmal eine konkrete Vorstellung über die Kosten gegeben. Der Rechtsanwalt hätte den Kläger umfassend über die sich hieraus ergebenden Risiken beraten müssen, insbesondere darüber, dass die Kosten weit über 55.000 € liegen könnten. Der beklagte Rechtsanwalt habe auch nicht ausreichend dargelegt, dass der Kläger auch ohne Beratung über die Risiken im Bilde gewesen sei. Erforderlich dafür wäre die Kenntnis des Klägers darüber, dass er möglicherweise einen ganz erheblichen Teil der Mangelbeseitigungskosten selbst zu tragen haben würde. Zu einer solchen Kenntnis hatte das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.

Nach der Zurückverweisung wird das Oberlandesgericht die bisher nicht getroffenen Feststellungen nachzuholen und eine neue Entscheidung zu treffen haben.

Das Amt des Geschäftsführers einer GmbH ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dies gilt nicht nur für das operative Geschäft der Gesellschaft, vielmehr hat der Geschäftsführer stets die finanzielle Lage zu überwachen, um gegebenenfalls Krisen zu erkennen und, wenn sie sich nicht innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Fristen beseitigen lassen, zur Vermeidung der eigenen persönlichen Haftung und Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung, einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft zu stellen.

Ungemach droht dem Geschäftsführer allerdings auch, wenn er die steuerlichen Pflichten, die ihm die Abgabenordnung für die Gesellschaft auferlegt, nicht erfüllt. Nach § 35 Abs. 1 GmbHG wird die Gesellschaft durch den Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Als gesetzlicher Vertreter der GmbH hat er deshalb gemäß § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) deren steuerliche Pflichten zu erfüllen und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln der GmbH entrichtet werden und Steuererklärungen vollständig, richtig und rechtzeitig abgegeben und unzutreffende berichtigt werden. Verletzt er diese Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann ihn das Finanzamt nach § 69 AO durch Haftungsbescheid nach § 191 AO in Haftung nehmen, wenn Steuern in Folge der Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet werden. Unter Umständen kommt die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO hinzu.

Der zu entscheidende Fall
Der Kläger und Revisionskläger war in der Zeit zwischen 2002 und 2012 alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Faktischer Geschäftsführer der GmbH, also derjenige, der die Geschäfte tatsächlich führte, war allerdings der Sohn des Klägers, B, der formal als Prokurist der GmbH angestellt war. Zudem war der Kläger zu 90 % an der GmbH beteiligt. Die übrigen 10 % der Gesellschaftsanteile hielt sein Enkelsohn, C. Dieser übernahm 2012 auch die Geschäftsführung der GmbH.

Ab dem Jahr 2010 führte die Steuerfahndung Oldenburg bei der GmbH eine Fahndungsprüfung durch. Diese kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Sohn, B, in der Zeit von 2007 bis 2011 Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer verkürzt hätten. Dabei habe der Kläger in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass sein Sohn als faktischer Geschäftsführer 67 Scheinrechnungen tatsächlich nicht existierender Firmen und 34 beleglose Buchungen für angebliche Wareneinkäufe und Fremdleistungen in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage der jeweiligen Jahressteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht habe. Tatsächlich hätten diesen Rechnungen jedoch keine realen Leistungen zugrunde gelegen.

Das Finanzamt erließ in der Folge der Betriebsprüfung entsprechende Änderungsbescheide gegenüber der GmbH. Die ursprünglichen Steuerbescheide hatten auf den unzutreffenden Steuererklärungen der GmbH beruht. Diese Änderungsbescheide sind bestandskräftig.

Gegen den Kläger wurde wegen Steuerhinterziehung ein Strafverfahren eingeleitet, das allerdings gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Der Sohn des Klägers wurde wegen Steuerhinterziehung und weiterer Delikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Strafverfahren hatte er eingeräumt, dass es sich bei den von der Steuerfahndung aufgegriffenen Rechnungen um „Scheinrechnungen“ gehandelt habe. Ebenfalls verurteilt wurde der Rechnungsaussteller, der eingeräumt hatte, auf Veranlassung des Sohnes des Klägers und nach dessen Vorgaben die Scheinrechnungen ausgestellt zu haben.

Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 2013 auf Antrag des Finanzamts das Insolvenzverfahren eröffnet.

Das Finanzamt nahm den Kläger wegen Steuerschulden der GmbH nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 Abs. 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch. Seinen Einspruch wies das Finanzamt zurück. Mit seiner Klage blieb er vor dem Finanzgericht Münster ohne Erfolg. Auch mit seiner Revision konnte der Kläger nicht durchdringen.

Der Kläger hatte sich unter anderem darauf gestützt, nicht grob fahrlässig gehandelt zu haben. Er meinte, auch ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer hätte nicht erkennen können, dass Scheinrechnungen und beleglose Buchungen in die Buchführung eingestellt worden seien. Zudem wäre er aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und insbesondere aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht in der Lage gewesen, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen.

Die Entscheidungsgründe
Der BFH stellt seinem Beschluss folgenden Leitsatz voraus:

„Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.“

Diese auf der bisherigen Rechtsprechung des BFH beruhende Entscheidung wird im Einzelnen wie folgt begründet: Der Kläger habe durch die Abgabe unrichtiger Steuerklärungen, teilweise auch die Nichtabgabe von Steuererklärungen seine aus § 34 Abs. 1 AO beruhenden Pflichten verletzt. Er habe dabei auch mit der von § 69 AO vorausgesetzten groben Fahrlässigkeit gehandelt. Hier gelte die prozessrechtliche Besonderheit, dass die objektive Pflichtverletzung das notwendige Verschulden indiziere. Das wiederum bedeute für den in Haftung Genommenen, hier den Kläger, dass er das durch die objektive Pflichtverletzung indizierte Verschulden entkräften muss.

Der Kläger hatte sich hierfür zunächst darauf berufen, seinem Sohn die Geschäftsführungsaufgabe überlassen zu haben. Der BFH folgt dieser Argumentation nicht. Grundsätzlich brauche ein Geschäftsführer die steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft zwar nicht selbst zu erledigen, sondern dürfe sie anderen Personen übertragen. Der Geschäftsführer dürfe aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfspersonen, hier der Sohn des Klägers, Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen wolle. Er sei daher verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der steuerlichen Pflichten übertrage, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Er müsse sich insbesondere ständig so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen könne und ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar werde. Mangelhafte Überwachung der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen sei regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung einzustufen, wenn auch die notwendigen Überwachungsmaßnahmen weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhingen. Die Anforderungen seien umso höher, je weniger sich der Geschäftsführer ein auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden konnte, ob die hinzugezogene Person die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung biete.

Der Kläger konnte sich auch mit der Auffassung nicht durchsetzen, das Verschulden entfalle, weil er nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen, sei es seiner Unfähigkeit oder seinem Alter geschuldet. Wie im Leitsatz formuliert, könne sich niemand auf eigens Unvermögen berufen. Wer die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernehme, hafte, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden könne, nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen. So könne sich ein Geschäftsführer nicht damit entschuldigen, dass in Wirklichkeit zum Beispiel der Ehepartner die Geschäftsführung innehatte. Ebenso wenig entschuldige, dass der Betreffende als Strohmann oder Strohfrau nur vorgeschoben worden sei.

Vorliegend habe der Kläger die faktische Geschäftsführung durch seinen Sohn geduldet, sich um die GmbH nicht gekümmert und auch keinerlei Überwachungsmaßnahmen ergriffen. Er habe sich deshalb auch nicht darauf berufen können, dass für einen sorgfältigen Geschäftsführer die Manipulationen des B ebenfalls nicht erkennbar gewesen seien. Ein solcher hätte schon die faktische Geschäftsführung nicht geduldet oder für ausreichende Überwachung gesorgt. Zudem hätte der Kläger „durch einen Blick in die Buchführung“ die beleglosen Buchungen erkennen können.

Die Forderungsanmeldung
Wer im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vermögensrechtliche Forderung – in erster Linie ist das ein Anspruch auf Zahlung von Geld - gegen den Insolvenzschuldner hat, kann diesen nicht mehr selbst durchsetzen, sondern muss seine Forderung zur Insolvenztabelle schriftlich unter Beifügung geeigneter Belege anmelden. Häufig stellen die Insolvenzverwalter hierfür Formulare auf einer Website zur Verfügung. Das Insolvenzgericht bestimmt für die Forderungsanmeldung eine Frist.

Ferner setzt das Insolvenzgericht einen sogenannten Prüfungstermin an, an dem neben dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner alle Insolvenzgläubiger oder ihre Vertreter teilnehmen können. In diesem Termin muss der Insolvenzverwalter erklären, welche der angemeldeten Forderungen er anerkennt und welche er bestreitet. Auch jeder einzelne Gläubiger hat das Recht der Forderung eines anderen zu widersprechen. Die nicht bestrittenen Forderungen stellt das Gericht zur Tabelle fest, sie nehmen später an der Auszahlung der Quote teil.

Bestrittene Forderungen werden dagegen jedenfalls zunächst nicht zur Tabelle festgestellt. In der Tabelle wird der Widerspruch vermerkt. Der Gläubiger hat aber die Möglichkeit, gegen den Bestreitenden eine sogenannte Tabellenfeststellungsklage zu erheben. Ist die angemeldete Forderung dagegen tituliert, liegt etwa ein vollstreckbares Urteil oder ein Vollstreckungsbescheid vor, bleibt es dem Bestreitenden überlassen, gegen den anmeldenden Insolvenzgläubiger gerichtlich vorzugehen, um das Nichtbestehen der Forderung feststellen zu lassen. Das gilt ebenso, wenn das eine Steuerforderung zur Tabelle anmeldende Finanzamt die Steuer durch Bescheid feststellt, nachdem sie bestritten wurde, oder der Anmeldung eine bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuerforderung zugrunde liegt, denn auch dies ist eine Titulierung.

Häufig ist der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin noch nicht in der Lage, den Bestand oder die Höhe der angemeldeten Forderung abschließend zu beurteilen. Im Allgemeinen erklärt er dann, dass er die Forderung vorläufig bestreitet, und teilt nach Abschluss seiner Ermittlungen mit, ob das Bestreiten endgültig ist oder er die Forderung nachträglich ganz oder teilweise anerkennt. In der Insolvenzordnung ist dieses vorläufige Bestreiten zwar nicht vorgesehen, es entspricht aber einem praktischen Bedürfnis und auch der Handhabung in der Praxis. Rechtlich ist das vorläufige Bestreiten so zu behandeln wie das uneingeschränkte Bestreiten, die (vorläufig) bestrittene Forderung wird also nicht zur Tabelle festgestellt, aber das vorläufige Bestreiten ebenso wie das uneingeschränkt erklärte Bestreiten in der Tabelle vermerkt.

Der zu entscheidende Fall
Im vorliegenden Fall geht es um ein solches vorläufiges Bestreiten, bei dem der Insolvenzverwalter nach Ansicht des klagenden Gläubigers, hier der Freistaat Sachsen, vertreten durch das Finanzamt, Fehler bei der weiteren Abwicklung gemacht haben soll.

Das Finanzamt hatte Steuerforderungen in Höhe von 50.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet, die nur in Höhe von 9.000 € zur Tabelle festgestellt wurden, die weitergehende Forderung in Höhe von 41.000 € hatte der beklagte Insolvenzverwalter vorläufig bestritten. Später teilte er dem Finanzamt schriftlich mit, nach nochmaliger Prüfung könne die Forderung mit kleinen Ausnahmen insgesamt anerkannt werden. Das Finanzamt unterließ es deshalb, die Forderung durch Bescheid festzustellen, wie oben beschrieben.

Erst nachdem der Schlusstermin für das Insolvenzverfahren bekannt gemacht worden war, forderte das Finanzamt die Insolvenztabelle an und verlangte von dem Verwalter die Korrektur wegen der Steuerforderung, also die nachträgliche Feststellung zur Tabelle. Dieser lehnte das Ansinnen als rechtlich nicht mehr möglich ab. Da die Steuerforderung folglich bestritten blieb, erhielt das Finanzamt keine Quote zugeteilt, die anderenfalls rund 4.000 € betragen hätte.

Das Finanzamt meint, es habe nur deshalb keinen Feststellungsbescheid erlassen, weil der Verwalter die Forderung anerkannt habe. Er hätte entweder das Insolvenzgericht von der Aufgabe des Bestreitens informieren oder das Finanzamt zur Betreibung der Tabellenberichtigung auffordern müssen. Da er beides nicht getan habe, habe er sich in Höhe der anderenfalls ausgezahlten Quote dem Finanzamt gegenüber persönlich schadenersatzpflichtig gemacht. Diesen Betrag verlangt das Finanzamt mit seiner Klage und stützt sich dabei auf § 60 InsO.

In beiden Vorinstanzen, Amts- und Landgericht, hatte das Finanzamt keinen Erfolg. Das Landgericht hatte jedoch die Revision zugelassen, sodass trotz des geringen Streitwerts das Finanzamt Revision zum BGH einlegen konnte. Diese hatte insoweit Erfolg als der BGH das landgerichtliche Urteil aufhob und die Sache an das Landgericht zurückverwies.

Die Begründung des BGH
Ebenso wie das Finanzamt und entgegen den Vorinstanzen meint der BGH, dass der Insolvenzverwalter sich im Ausgangspunkt persönlich schadenersatzpflichtig gemacht habe. Auch er leitet dies aus § 60 InsO ab. Nach dieser Norm ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten des Insolvenzverfahrens zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Er hat für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen

Zu den Beteiligten des Insolvenzverfahrens gehören zweifelsfrei die Insolvenzgläubiger, hier also auch der durch das Finanzamt vertretene Freistaat Sachsen. Schwieriger ist zu ermitteln, welche Pflichten insolvenzspezifisch sind, sodass ihre Verletzung zu einer Ersatzpflicht nach § 60 InsO führen kann. So werden auch die Pflichten des Verwalters im Zusammenhang mit der Rücknahme des Bestreitens einer Insolvenzforderung in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und juristischen Fachliteratur nicht einheitlich beurteilt. Der BGH hatte die Frage bisher noch nicht entscheiden müssen. Vertreten wird auf der einen Seite, der Insolvenzverwalter müsse das Insolvenzgericht zur Berichtigung der Tabelle, in der der Widerspruch noch eingetragen ist, veranlassen. Auf der anderen Seite wird angenommen, der Verwalter müsse den Gläubiger von der Aufgabe des Bestreitens unterrichten. Vertreten wird aber auch, dass der Verwalter zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen könne.

Im Grundsatz schließt der BGH sich der letzten Auffassung an, lässt dem Insolvenzverwalter also die Wahl. Allerdings modifiziert er diese Auffassung maßgeblich. Nehme nämlich der Insolvenzverwalter seinen ursprünglichen Widerspruch zurück, werde die Insolvenztabelle unrichtig, der Verwalter habe deshalb alles dafür zu tun, dass durch den Vermerk der Rücknahme die Tabelle wieder korrekt werde, müsse also auf ihre Berichtigung hinwirken. Entweder er beantrage selbst bei Gericht die Berichtigung oder er weise den Gläubiger auf die Notwendigkeit eines entsprechenden Antrags an das Gericht hin.

Für den Hinwies an den Gläubiger reiche jedoch nicht die einfache Information über die Rücknahme, die der Verwalter vorliegend allein erteilt hatte. Er hafte deshalb grundsätzlich nach § 60 InsO gegenüber dem durch das Finanzamt vertretenen Freistaat Sachsen.

Der BGH konnte den Fall allerdings nicht abschließend entscheiden, da das Berufungsgericht – aus seiner Sicht konsequent – ein Mitverschulden des Finanzamts, das dem Freistaat zuzurechnen wäre, nicht geprüft hatte. Eine solche Tatsachenprüfung ist dem BGH als reiner Rechtsinstanz verwehrt. Der BGH macht keine Ausführungen dazu, worin er ein Mitverschulden des Finanzamts erblickt. Naheliegend wäre zu berücksichtigen, dass das Finanzamt sich über mehrere Jahre um seine Forderung nicht gekümmert und erst nach Einreichung des Schlussberichts des Verwalters Informationen aus der Tabelle verlangt hat. Von erheblichem Gewicht dürfte sein, dass das Finanzamt die Mittelung des Verwalters über die Rücknahme des Widerspruchs nicht zum Anlass genommen hat, sich zu erkundigen, ob dieser auch für die Berichtigung der Tabelle gesorgt hatte. Dabei wird auch die Wertung des § 183 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen sein, der es für den Fall des Obsiegens des Gläubigers im Feststellungsprozess diesem überlässt, die Berichtigung der Tabelle bei Gericht zu beantragen. Zwar gab es hier keinen Feststellungsprozess, die Interessenlage ist aber vergleichbar.

Wohnungsrecht gegen Eigentumsrecht
Die Wohnung ist unverletzlich. Das gilt auch für den Wohnungsmieter. Dieses Gebot des Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) richtet sich wie alle Grundrechte in erster Linie an den Staat, aber zumindest mittelbar über Gerichtsentscheidungen auch an die Bürger, da die Gerichte als staatliche Institutionen durch die Grundrechte gebunden sind.

Aber auch der Vermieter von Wohnraum ist in seinem Eigentumsrecht durch das Grundgesetz geschützt, denn Art. 14 Abs. 1 GG bestimmt: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

Will der Wohnungseigentümer die vermietete Wohnung veräußern, hat er ein massives Interesse daran, die Wohnung mit Maklern, Kaufinteressenten, Handwerkern und anderen Personen zu betreten. Im Gegensatz dazu möchte der Mieter ungestört sein – im Grundsatz auch den Eigentümer ausschließendes – Besitzrecht an der Wohnung ausüben. Erschwert wird die Situation zusätzlich, dadurch, dass auch das Besitzrecht an der Mietwohnung nach der Rechtsprechung des BVerfG durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt wird.

Ein vergleichbarer Interessengegensatz ergibt sich auch, wenn der Vermieter während des Laufs der Kündigungsfrist bereits mit neuen Mietinteressenten oder Maklern die noch vermietete Wohnung besichtigen möchte.

Zur Vermeidung von Streitigkeiten finden sich in vielen Fällen bereits vertraglich geregelte Zutrittsrechte für den Vermieter. So hatten auch die Parteien im vorliegenden Fall in § 14 des Mietvertrags das Recht zum Betreten der Mieträume geregelt:

Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei.

Zudem bestätigt der BGH im vorliegenden Urteil seine frühere Rechtsprechung, wonach eine entsprechende vertragliche Nebenpflicht zur Duldung der Besichtigung aus dem Mietvertrag besteht, selbst wenn eine solche vertraglich gar nicht geregelt ist. Er leitet diese Nebenpflicht aus § 242 BGB ab. Die Vorschrift bestimmt, dass die Parteien ihre beiderseitigen Leistungen nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu erbringen haben.

Trotz dieser oder einer vergleichbaren Regelung im Vertrag und trotz der allgemeinen vertraglichen Nebenpflicht kommt es doch immer wieder zum Streit über das Besichtigungsrecht des Vermieters, so auch in diesem sehr speziellen Fall.

Der zu entscheidende Fall
Die Wohnung ist unverletzlich. Das gilt auch für den Wohnungsmieter. Dieses Gebot des Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) richtet sich wie alle Grundrechte in erster Linie an den Staat, aber zumindest mittelbar über Gerichtsentscheidungen auch an die Bürger, da die Gerichte als staatliche Institutionen durch die Grundrechte gebunden sind.

Zur Begründung verwies sie auf ihre schwerwiegende psychische Erkrankung. Ein später vom Landgericht in der Berufungsinstanz eingeholtes psychologisches Sachverständigengutachten ergab ein komplexes, seit über 20 Jahren bestehendes psychisches Störungsbild mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen Störungen. Die Mieterin war in dieser Zeit in teilweise stationärer Behandlung und unternahm mehrere Suizidversuche. Der Sachverständige befand, dass trotz andauernder fachärztlicher Behandlung im Falle ihrer Verurteilung sowie bei Vollstreckung eines Urteils, das dem Vermieter die Besichtigung ermögliche, ein hohes Risiko von selbstschädigenden Handlungen bis hin zum vollendeten Suizid bestehe. Der ohnehin schlechte Zustand drohe sich noch weiter zu verschlechtern. Die Mieterin empfinde ihre Wohnung als Rückzugs- und Schutzraum.

Nachdem das Amtsgericht die Mieterin in erster Instanz verurteilt hatte, den genannten Personen (maximal zwei) werktags zwischen 10.00 und 18.00 Uhr mit einer Woche Ankündigungsvorlauf für die Dauer von höchstens 45 Minuten Zutritt zu gewähren, wies das Landgericht auf die Berufung der Mieterin unter Berücksichtigung des Gutachtens die Klage ab.

Die Revision des Vermieters hatte Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück.

Die Begründung des BGH
Dieses Ergebnis der Revisionsinstanz erscheint zunächst etwas überraschend, zumal der BGH die gesamten Urteilsgründe des Landgerichts für zutreffend erachtet. Unter Berücksichtigung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG stehe dem Vermieter grundsätzlich das von ihm wegen der geplanten Veräußerung geforderte Besichtigungsrecht zu. Die Einschränkung des ebenfalls durch Art. 14 GG geschützten Besitzrechts der Mieterin und ihr Interesse, gemäß Art. 13 GG in der Wohnung „in Ruhe gelassen zu werden“, sei im Regelfall geringfügig und müsse hinter dem berechtigten Interesse des Vermieters zurücktreten.

Unter besonderen Umständen, wie sie im konkreten Fall vorliegen, muss in die Interessenabwägung jedoch ein weiteres Interesse des Mieters einbezogen werden, nämlich das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das von den Gerichten verlangt, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und bei der Interessenabwägung besondere Rücksicht auf die der einen Partei drohenden Gefahren zu nehmen. Deshalb hatte das Landgericht richtigerweise das psychiatrische Gutachten eingeholt und überwiegend zutreffend bei der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung gewürdigt.

Dabei hatte es den besonders gravierenden Krankheitszustand der Mieterin ebenso im Blick wie die zwanzigjährige im Ergebnis nicht sehr erfolgreiche Therapie, auch hatte es berücksichtigt, dass eine zukünftige Besserung des Zustands äußerst unwahrscheinlich war. Auf der anderen Seite hatte es nicht übersehen, dass das geschilderte Krankheitsbild unter Umständen zu einem dauerhaften Entzug des Besichtigungsrechts führen könnte, dem aber auch entgegengehalten, dass, wenn auch mit Einschränkungen, eine Veräußerung ohne Besichtigung möglich sei und zumindest zum Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Preisverfall auf dem Wohnungsmarkt nicht drohte. Zugunsten der Mieterin lehnte das Landgericht eine temporäre Unterbringung der Mieterin in einer psychiatrischen Einrichtung zutreffend als unverhältnismäßig ab.

Diese Abwägung des Landgerichts hält auch der BGH in der Begründung und im Ergebnis für richtig. Das Landgericht hatte aber bei seinen Überlegungen die Ansicht des Sachverständigen nicht einbezogen, das Risiko gesundheitlicher Komplikationen lasse sich verringern, wenn die Mieterin sich von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, weil es fälschlich annahm, der Sachverständige hätte dies nur im Fall einer zuvor eingetreten Besserung des Gesundheitszustands in Erwägung gezogen.

Dieser Fehler in der Sachverhaltsermittlung führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. In der jetzt anstehenden neuerlichen Berufungsinstanz wird das Landgericht den Widerspruch in den Ausführungen des Sachverständigen aufzuklären haben, der einerseits bereits die Verurteilung der Mieterin als lebensbedrohlich eingeschätzt, andererseits aber ein vermindertes Risiko bei einer Besichtigung attestiert hatte, wenn die Mieterin sich durch eine Vertrauensperson vertreten lasse. Hierzu wird der Sachverständige ergänzend befragt werden müssen.

BGH, Beschluss vom 02.03.2023 – V ZB 64/21
Ein Grundstück, sei es Hausgrundstück, eine Gewerbeimmobilie oder landwirtschaftliche Nutzfläche, stellt im Allgemeinen einen erheblichen Vermögenswert dar, auf den Gläubiger säumiger Schuldner gern zugreifen. Grundstücke werden zudem als Kreditsicherheiten eingesetzt. Der Wert des Grundstücks als Zugriffs- oder Sicherungsobjekt sinkt, wenn es dinglich, durch Eintragung im Grundbuch belastet ist. Neben den in der Abteilung III. des Grundbuchs einzutragenden Sicherungsrechten, etwa eine Grundschuld, eine Hypothek oder auch eine in der Zwangsvollstreckung einzu-tragende Zwangssicherungshypothek, gibt es weitere nicht so bekannte Rechte, die in der Abteilung II. des Grundbuchs vermerkt werden. Hierzu gehören Wege- oder Überbaurechte, aber auch die sogenannten beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten.

Nach § 1190 BGB kann ein Grundstück in der Weise belastet werden, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, das Grundstück in einzelnen Beziehungen zu benutzen, oder dass ihm eine sonstige Befugnis zusteht, die den Inhalt einer Grunddienstbarkeit bilden kann. Eine besondere Form der be-schränkten persönlichen Dienstbarkeit ist das in § 1093 BGB geregelte Wohnungsrecht. Es gestattet dem Wohnungsberechtigten, ein Gebäude oder einen Teil hiervon unter Ausschluss des Eigentümers zu benutzen. Der Berechtigte ist befugt, seine Familie sowie die (das BGB trat 1900 in Kraft) zur standesgemäßen Bedienung und zur Pflege erforderlichen Personen in der Wohnung aufzunehmen. Das Wohnungsrecht kann unentgeltlich und auf Lebenszeit des Berechtigten eingeräumt werden, es ist nicht übertragbar und kann einem anderen nur dann zur Ausübung überlassen werden, wenn dem Berechtigten dies ausdrücklich gestattet wird. Für Wohnungseigentum gilt Entsprechendes.

Dass das Wohnungsrecht, das nicht zur Ausübung an Dritte überlassen werden kann, und das gesamte Gebäude oder – bei Wohnungseigentum – die gesamte Wohnung umfasst, die Verwertung des Grundstücks oder des Wohnungseigentums in der Zwangsvollstreckung, also typischerweise durch Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung, und in der Insolvenz erheblich erschwert und häufig wirtschaftlich unmöglich macht, bedarf keiner näheren Erläuterung. Das wäre im Ergebnis immer noch unproblematisch, wenn das Wohnungsrecht selbst gepfändet werden oder in der Insolvenz mit dem Grundstück verwertet werden könnte. Dies ist indessen nicht der Fall, weil § 857 Abs. 3 ZPO bestimmt, dass unter anderem das Wohnungsrecht, das nicht einem Dritten zur Ausübung überlassen werden kann, der Pfändung nicht unterliegt. Es steht damit für den Zugriff der Gläubiger in der Zwangsvollstreckung nicht zur Verfügung und fällt deshalb nach den insolvenzrechtlichen Regelungen nicht in die Insolvenzmasse. Das bedeutet, dass der Insolvenz-verwalter das Grundstück nur mit der Belastung durch das Wohnungsrecht veräußern kann, Interessenten dürften hierfür im Allgemeinen fehlen. Dasselbe Bild zeigt sich in der Einzelzwangsvollstreckung. Das Grundstück ist faktisch wertlos.

Nach dem gesetzlichen Modell der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten kann der Eigentümer des Grundstücks ein solches Recht nur einem Dritten einräumen, nicht aber sich selbst. Dennoch hat der Bundesgerichtshof schon 1964 auch die Bestellung eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück für zulässig erachtet. In der Folge ergibt sich hieraus, dass ein Schuldner, der den wirtschaftlichen Wert eines Wohngrundstücks oder eines Wohnungseigentums seinen Gläubigern entziehen möchte, nicht einmal auf das Mittun eines Dritten angewiesen ist. Es scheint sich also um ein perfektes Modell der Gläubigerbenachteiligung zu handeln.

Bisherige Rechtsprechung
Dieser Missstand könnte beseitigt werden, wenn der Insolvenzverwalter mithilfe der Insolvenzanfechtung den Schuldner auf Löschung des Wohnungsrechts in Anspruch nehmen könnte. Diese Möglichkeit versagt ihm der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs jedoch, weil er jegliche Anfechtung gegenüber dem Schuldner für unzulässig erachtet. Zwar ist der Bundesfinanzhof, der für Anfechtungen des Finanzamts nach dem Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens zuständig ist, hier großzügiger und lässt die Anfechtung auch gegenüber dem Schuldner zu, eine Anglei-chung der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung hat jedoch bislang nicht stattgefunden.

Zumindest in der Insolvenz hielt die Gläubigerbenachteiligung durch Einräumung ei-nes Wohnungsrechts am eigenen Grundstück daher stand.

Der zu entscheidende Fall
Der vorliegend zur Entscheidung berufene V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte – etwas vereinfacht - folgende Situation zu klären. Der spätere Insolvenzschuldner bestellte sich an seinem eigenen werthaltigen Grundstück ein Wohnungsrecht, das nicht zur Ausübung an Dritte überlassen werden konnte. Das Wohnungsrecht wurde im Grundbuch eingetragen. Drei Jahre später wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Verwalter bewilligte und beantragte die Löschung des zugunsten des Schuldners eingetragenen Wohnungsrechts. Seinem Antrag gab das Grundbuchamt statt und löschte das Wohnungsrecht im Grundbuch.

Hiergegen wendete sich der Schuldner mit seiner Beschwerde und mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er blieb in allen Instanzen erfolglos.

Der V. Senat des Bundesgerichtshofs verweist auf seine schon erwähnte Rechtsprechung aus dem Jahr 1964, wonach nicht nur die Eintragung eines Wohnungsrechts am eigenen Grundstück zulässig ist, sondern dass in diesem Sonderfall stillschweigend die Gestattung der Überlassung des Wohnungsrecht an Dritte gleichsam automatisch als Inhalt des Wohnungsrechts zu erachten ist. Anders formuliert: Das außerhalb von Zwangsvollstreckung und Insolvenz nicht übertragbare Wohnungsrecht wird in für deren Zwecke so behandelt, als sei die Überlassung zur Ausübung an Dritte im Bestellungsakt vereinbart worden.

Der bisher gegenteilig entscheidende IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Anfrage des V. Senats erklärt, an seiner gegenteiligen Rechtsprechung nicht mehr festhalten zu wollen.

Seinen Beschluss begründet der V. Senat mit dem Schutzzweck des Übertragungsverbots. Bei dem gesetzgeberischen Modell der Personenverschiedenheit von Eigentümer und Wohnungsberechtigtem solle die Unübertragbarkeit des Wohnungsrechts den Eigentümer davor schützen, dass der Berechtigte ohne Mitwirkung des Eigentümers ausgetauscht werden könne. Dieses Schutzes bedürfe der Schuldner mit Wohnungsrecht am eigenen Grundstück nicht, er müsse sich so behandeln lassen, als habe er gestattet, die Ausübung einem anderen zu überlassen. Seine Gläubiger können folglich außerhalb der Insolvenz in das Grundstück zusammen mit dem Wohnungsrecht vollstrecken, der Insolvenzverwalter kann es freihändig verwerten. Eine Art der Verwertung liegt in der Löschung des Wohnungsrechts.

Diese Rechtsfolge soll zudem unabhängig davon eintreten, ob der Schuldner bei Bestellung des Wohnungsrechts schon Eigentümer des Grundstücks war oder es erst später erworben hat. Sie soll auch greifen, wenn der Schuldner das Grundstück nach Bestellung des Wohnungsrechts veräußert hat und dieses erst aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Erwerber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wieder für den Schuldner im Grundbuch eingetragen wird.

Damit ist das in der Überschrift dieses Beitrags erwähnte Schlupfloch zugunsten der Gläubiger geschlossen.

BGH, Urteil vom 17.11.2022 – IX ZR 42/22

BGH, Urteil vom 13.10.2022 – IX ZR 266/20

BGH, Urteil vom 10.03.2022 – IX ZR 178/20

Stellung und Funktion des gemeinsamen Vertreters
Der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist eine weitgehend unbekannte Rechtsfigur, obwohl er in der Praxis eine wichtige Rolle spielt. Das gilt nicht nur für werbende Schuldner (im Folgenden als Unternehmer bezeichnet), die Schuldverschreibungen begeben, sondern auch dann, wenn der Unternehmer sich im Insolvenzverfahren befindet. Maßgeblich sind die Grundsätze des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG). Dieses Gesetz gilt für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungen), jedoch nicht für gedeckte Schuldverschreibungen im Sinne des Pfandbriefgesetzes und nicht für Schuldverschreibungen, deren Schuldner eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft ist.

Die Gläubiger können nach Maßgabe des § 5 SchVG die Anleihebedingungen mit der erforderlichen Stimmenmehrheit ändern und zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. Der gemeinsame Vertreter hat nach § 7 SchVG die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt wurden und hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. Er haftet den Gläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben, bei der er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Vom Unternehmer kann er alle Auskünfte verlangen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Die Kosten und Aufwendungen des gemeinsamen Vertreters, einschließlich einer angemessenen Vergütung, trägt der Unternehmer. Da die Schuldverschreibungen häufig in sehr großer Zahl begeben werden, erleichtert die Installation des gemeinsamen Vertreters die Handhabung, denn die große Zahl der Gläubiger bereitet leicht erhebliche logistische Schwierigkeiten. Die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters liegt damit in der Regel sowohl im Interesse des Unternehmers wie der Gläubiger.

In den letzten Jahren ist eine besondere Form des gemeinsamen Vertreters gelegentlich in der Wirtschaftspresse im Zusammenhang mit insolventen Gesellschaften in Erscheinung getreten, die vor ihrem Zusammenbruch im Rahmen von Anlegerbetrugsmodellen Schuldverschreibungen begeben haben. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Infinus-Gruppe aus Dresden.

In der Insolvenz des Unternehmers und unter besonderen Umständen in der Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz können die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen besonderen Typus des gemeinsamen Vertreters bestellen. Das Insolvenzgericht muss zu diesem Zweck eine Gläubigerversammlung einberufen. Dieser gemeinsame Vertreter wird ausschließlich im Insolvenzverfahren tätig und ist allein für alle Gläubiger berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Anders als der einzelne Gläubiger braucht der gemeinsame Vertreter die Schuldurkunden nicht vorzulegen, was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn die aktuellen Gläubiger nicht bekannt sind, denn die Rechte aus der Schuldverschreibung sind häufig abtretbar.

Auch dem gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren steht eine Vergütung zu. Wie er diese erlangen kann, ist Gegenstand der drei Besprechungsentscheidungen des Bundesgerichtshofs. Dieser hat bereits 2016 und 2017 entschieden, dass im Ausgangspunkt auch in der Insolvenz der Unternehmer die Vergütung des gemeinsamen Vertreters aller Gläubiger zu tragen hat. Im SchVG ist allerdings nicht geregelt, ob es sich bei der Vergütung um Insolvenzforderungen handelt, die im Allgemeinen nur mit einer geringen Quotenzahlung rechnen können, oder um Massekosten oder -verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter vorab aus der Masse zu leisten hat. In Betracht kommt schließlich, dass die Vergütungsforderung weder Insolvenzforderung noch Masseverbindlichkeit ist, sondern sich gegen das freie Vermögen des Insolvenzschuldners richtet, der gemeinsame Vertreter aller Gläubiger also sogenannter Neugläubiger ist und auch dann faktisch keine Aussicht auf Befriedigung hat.

Der Bundesgerichtshof hat sich im Urteil vom 12.01.2017 – IX ZR 87/16 – für Letzteres entschieden, was bei wirtschaftlicher Betrachtung dazu führt, dass der gemeinsame Vertreter aller Gläubiger de facto keine Vergütung erhält, ein Ergebnis, das das Gericht dogmatisch zwar zutreffend abgeleitet hat, das praktisch aber ausgesprochen unbefriedigend ist, da unter diesen Bedingungen kaum qualifizierte Person zur Übernahme des Amts bereit sind.

Der zu entscheidende Fall
Die Klägerin hält Schuldverschreibungen einer inzwischen insolventen F. KGaA. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung, an der die Klägerin nicht teilnahm, zum gemeinsamen Vertreter bestellt.

In der Folgezeit zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartende Insolvenzquote. Der Beklagte leitete den auf die Klägerin entfallenden Betrag an diese weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1% der Nominalhöhe der Schuldverschreibung zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt 654,50 €, als Abschlag auf seine Vergütung ein.

Die Klägerin verlangt nunmehr auch die Auszahlung des einbehaltenen Betrags. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der 654,50 € verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts, also die Klageabweisung, erreichen. Der Bundesgerichtshof gibt ihm Recht.

Entnahmerecht des gemeinsamen Vertreters aus der ausgezahlten Insolvenzquote
Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter hat, so der Bundesgerichtshof, Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richte sich zwar – wie oben dargestellt - grundsätzlich gegen den Unternehmer, was auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu gelten habe. Auch hier stehe dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durch¬setz¬barer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu, wenn er mit diesem keine gesonderte Vergütungsvereinbarung geschlossen habe.

Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage dieser Entnahmebefugnis sei der nach § 19 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das SchVG schütze den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirkten. Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Vergütung des gemeinsamen Vertreters auch in der Insolvenz des Unternehmers diesem zur Last falle, lasse sich im Insolvenzverfahren nicht mehr verwirklichen.

Diese erstmals im Urteil vom 10.03.2022 – IX ZR 178/20 – vom BGH angeführte Begründung ist dogmatisch zwar kaum zu vertreten und deshalb in der juristischen Literatur heftig kritisiert worden, der Bundesgerichtshof hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber in den beiden angeführten neueren Entscheidungen ohne weiterreichende Begründung an ihr fest.

Die Folge ist, dass die Vergütung des gemeinsamen Vertreters für alle Gläubiger nunmehr über den Einbehalt von den Gläubigern der Schuldverschreibung anteilig zu tragen ist. Wirtschaftlich entspricht dieses dogmatisch zweifelhafte Urteil praktischer Vernunft, tragen doch jetzt die von der Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters Begünstigten auch dessen Vergütung. Dass allerdings auch der Insolvenzverwalter und damit letztlich die Insolvenzmasse durch die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters eine Entlastung erfährt, spiegelt das Ergebnis nicht wider.

BGH, Urteil vom 14.03.2023 – II ZR 162/21

Die Haftung des Geschäftsführers – ein weites Feld
Der Geschäftsführer einer GmbH handelt nicht nur für die Gesellschaft, er haftet auch persönlich, wenn er seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Meist geht es um Schadenersatzansprüche der Gesellschaft, nicht selten aber auch um Ansprüche dritter Personen.

Gegenüber der Gesellschaft haftet er gemäß § 42 Abs. 2 GmbHG, wenn er in deren Angelegenheiten nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anwendet, wie es § 43 Abs. 1 GmbHG formuliert. Auf ihn finden dabei die haftungsrechtlichen Milderungen nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen keine Anwendung. Insbesondere hat der Geschäftsführer die finanzielle Lage der Gesellschaft zu beobachten und darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesell-schafter auszahlen. Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und / oder der Überschul-dung im insolvenzrechtlichen Sinn ist er nach § 15a InsO verpflichtet, für die Gesell-schaft einen Insolvenzantrag zu stellen, und darf im Grundsatz keine Zahlungen mehr leisten. Verstößt er hiergegen, hat er der Gesellschaft die pflichtwidrigen Zah-lungen aus seinem eigenen Vermögen zu erstatten. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, ist es Aufgabe des Insolvenzverwal-ters, diese Ansprüche gegen den Geschäftsführer durchzusetzen. Zwar kann wegen der Haftungsrisiken eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden, ob sie im Fall der Insolvenzverschleppung aber eintritt, ist in der Praxis zweifelhaft. Häufig muss gegen den Versicherer ein Deckungsprozess geführt werden.

Im öffentlich-rechtlichen Bereich droht dem Geschäftsführer vor allem die Haftung gegenüber der Finanzverwaltung nach § 69 AO, wenn Steuern infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten steuerrechtlichen Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder es zu ungerechtfertig-ten Steuererstattungen kommt. Im sozialrechtlichen Umfeld ist vor allem die Haftung für nicht abgeführte Beiträge zur Gesamtsozialversicherung zu nennen.

Besonderheiten bei der GmbH & Co. KG
Besonders gelagerte Fragen stellen sich im Bereich der Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber der GmbH & Co. KG, die der Bundesgerichtshof bisher nur für den Fall entschieden hat, dass die GmbH innerhalb der KG die Funktion der (geschäftsführenden) Komplementärin übernommen hatte. Hier erstreckt Bundesge-richtshof in ständiger Rechtsprechung den Schutzbereich des zwischen der Kom-plementär-GmbH einer GmbH & Co. KG und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses im Hinblick auf die Haftung des Geschäftsfüh-rers aus § 43 Abs. 2 GmbHG auf die Kommanditgesellschaft, was bedeutet, dass der Geschäftsführer auch für Schäden der Kommanditgesellschaft einzustehen hat.

Der zu entscheidende Fall
Im konkreten Fall war die maßgebliche GmbH jedoch nicht Komplementärin, sondern unüblicherweise eine Kommanditistin. Komplementärin muss daher eine weitere, vom Bundesgerichtshof allerdings nicht erwähnte GmbH gewesen sein. Nach dem Gesellschaftsvertrag oblag der Kommanditistin dennoch die alleinige Geschäftsfüh-rung der KG. Der Beklagte wiederum war einer von zwei Geschäftsführern der GmbH, die auch in weiteren Kommanditgesellschaften, es handelte sich um soge-nannte Fondsgesellschaften, diese Rolle spielte.

In den mit einer Vielzahl von Anlegern geschlossenen Gesellschaftsverträgen hatte die GmbH Co. KG sich verpflichtet, die Anlegergelder einer D. AG als Darlehen zur Verfügung zu stellen, jedoch nur nach Stellung werthaltiger Sicherheiten. Dennoch hatte sie dieser Aktiengesellschaft bei werthaltigen Sicherheiten in Höhe von lediglich 2,7 Mio. € Darlehen in Höhe von 38 Mio. € ausgereicht. In dieser Situation überwies der weitere Geschäftsführer der GmbH an die D. AG noch einmal 510.000 €. Nach-dem über das Vermögen der GmbH & Co. KG ein Insolvenzverfahren eröffnet wor-den war, verlangt der Insolvenzverwalter von dem Beklagten Erstattung der 510.000 €.

Es stellten sich folglich mehrere Fragen:

1. Ist die oben dargestellte Rechtsprechung auf den Fall zu übertragen, dass die ge-schäftsführende GmbH nicht Komplementärin, sondern (nur) Kommanditistin der GmbH & Co. KG ist?

2. Gilt das gegebenenfalls auch dann, wenn die Führung der Geschäfte der GmbH & Co. KG nicht die alleinige oder zumindest wesentliche Aufgabe der GmbH darstellt?

3. Haftet der Beklagte selbst, obwohl nicht er, sondern der weitere Geschäftsführer die Überweisung veranlasst hatte?

Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur geschäftsführenden Komplementärin auf die geschäftsführende Kommanditistin
Der Bundesgerichtshof bejaht die erste Frage, weil die Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hier zugunsten der GmbH & Co. KG fruchtbar gemacht werden könnten. Diese komme mit der Leistung des Geschäftsführers in gleicher Weise in Berührung wie bei der geschäftsführenden Komplementärin.

Das wohlverstandene Interesse der die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft führenden und an dieser beteiligten GmbH gehe dahin, dass ihr Geschäftsführer die Leitung der GmbH & Co. KG im Rahmen seiner Organpflichten ordnungsgemäß ausübt. Sie müsse auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung ihrer Beteiligung be-dacht sein. Vor allem aber hafte sie der Kommanditgesellschaft für Schäden aus der Verletzung der von ihr im Gesellschaftsvertrag übernommenen Geschäftsführungs-aufgaben. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die geschäftsführende GmbH die Komplementärin oder eine Kommanditistin der Kommanditgesellschaft sei.

Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes bestehe ein Bedürfnis, was für die GmbH auch erkennbar war.

Exklusive Tätigkeit für die Kommanditgesellschaft erforderlich?
Auch die zweite Frage entscheidet der Bundesgerichtshof im Sinne des klagenden Insolvenzverwalters. Am Pflichtenkreis der geschäftsführenden GmbH ändere sich nichts dadurch, dass sie noch in weiteren Kommanditgesellschaften die Geschäfts-führung übernommen hatte. Der Geschäftsführer selbst habe sich bei Antritt seines Amts über den Umfang der Geschäftsführung und den damit verbundenen Aufgaben einen Überblick zu verschaffen. Könnten die GmbH oder ihr Geschäftsführer diese nicht gewährleisten, sei nicht der Haftungsumfang zu reduzieren, sondern die GmbH müsse ihren Aufgabenkreis so weit reduzieren, dass sie die von ihr geschuldeten, vertraglich übernommen Pflichten auch erfüllen könne.

Haftungsausschluss durch Ressortverteilung?
Schließlich komme es nicht darauf an, so der Bundesgerichtshof, dass der Beklagte nach der internen Ressortverteilung zwischen ihm und dem weiteren Geschäftsfüh-rer für die konkrete GmbH & Co. KG nicht einmal zuständig gewesen sei.

Den Geschäftsführer einer GmbH treffe grundsätzlich die Pflicht zur Geschäftsfüh-rung im Ganzen. Eine gleichwohl zulässige Ressortverteilung lasse daher die Ver-antwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft nicht entfallen, vielmehr verblieben dem organisatorisch nicht betroffenen Geschäftsführer wegen seiner Allzuständigkeit Überwachungspflichten, deren Reichweite nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sei. Insbesondere müsse der nach der Geschäftsverteilung nicht zuständige Geschäftsführer Hinweisen auf Fehl-entwicklungen oder Unregelmäßigkeiten in einem fremden Ressort immer und unverzüglich nachgehen.

Das Berufungsgericht habe zudem beanstandungsfrei festgestellt, dass der Beklagte seine Überwachungspflichten nicht erfüllt habe. Aus dem schon vor der Überweisung der 510.000 € vorliegenden Geschäftsbericht habe sich ergeben, dass nur ein Bruchteil der Anlegergelder wie in den Anlageverträgen versprochen von der D. AG besichert worden sei. Dieser Missstand im Kerngeschäft der Kommanditgesellschaft habe dem Beklagten bei pflichtgemäßer Geschäftsführung nicht verborgen bleiben können. Er hat deshalb persönlich einzustehen.

Haftungsausschluss wegen mangelnder persönlicher Fähigkeiten?
Bei den vielfältigen Haftungsrisiken des Geschäftsführers mag man sich die Frage stellen, ob im Fall persönlicher Unfähigkeit die Haftung des Geschäftsführers eingeschränkt werden kann.

Dies verneint der Bundesfinanzhof jedenfalls für die steuerrechtliche Haftung nach § 69 AO mit Beschluss vom 15.11.2022 – VII R 23/19, und führt dazu im Leitsatz der Entscheidung aus:

„Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.“

Ein offenbar erst vor kurzem aufgetauchtes Testament aus dem Jahre 2005 könnte nach dem, was in den Medien berichtet wird, das Potenzial haben, die zuletzt angenommene gesetzliche Erbenstellung der beiden Töchter des im Jahre 2019 verstorbenen Schalke-Managers Rudi Assauer zu beseitigen. Bereits im Herbst 2022 erließ das zuständige Amtsgericht Recklinghausen einen Beschluss, wonach ein in 2012 von Rudi Assauer notariell errichtetes Testament, welches seine ältere Tochter Katy Assauer als Alleinerbin benennt, unwirksam sei. Assauer, auch bekannt für Krombacher Werbespots, litt an Demenz, weshalb aufgrund von Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung - so das AG Recklinghausen - nicht der Inhalt des Testaments, sondern die gesetzliche Erbfolge maßgeblich sein soll.

Das nunmehr aufgetauchte handschriftliche Testament aus dem Jahre 2005 soll Simone Thomalla, mit der Assauer von 2000-2009 liiert war, als Alleinerbin benennen. Dem Nachlassgericht zukommen lassen hat Thomalla das Testament über ihre Steuerberaterin per Fax. Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung zur Abgabe von Testamenten gem. § 2259 BGB. Wer der Ablieferungspflicht nicht nachkommt, läuft Gefahr, sich wegen Urkundenunterdrückung gem. § 274 StGB strafbar zu machen.

Auch wenn Thomalla bisher keinen Erbscheinsantrag gestellt haben soll, stellt sich die Frage wie das offenbar nur als Faxkopie vorhandene Testament zu bewerten ist. Das Oberlandesgericht Düsseldorf und das Oberlandesgericht München sind sich dahingehend einig und haben entschieden, dass auch ein nur noch in Kopie vorhandenes Testament zumindest zu eröffnen ist. Argumentiert wird damit, dass auch ein formunwirksames Testament, dem bspw. die Unterschrift fehlt, eröffnet werden muss. Zwar trifft die Eröffnung eines Schriftstücks als Testament noch keine Aussage über dessen Wirksamkeit, es ist jedoch auch nicht allzu schwer, ein wirksames Testament zu errichten: Testieren kann grundsätzlich jede testierfähige Person bereits ab ihrem 16. Lebensjahr, sofern sie das Testament eigenhändig verfasst und unterschreibt. Es kann daher mangels anderer Anhaltspunkte zunächst davon ausgegangen werden, dass Rudi Assauer 2005 ein wirksames Testament zu Gunsten von Simone Thomalla errichtet hat.

Auch wenn der Grundsatz gilt, dass die gewillkürte Erbfolge durch Vorlage der Originalurkunde zu belegen ist, so kann, wenn das Originaltestament nicht mehr auffindbar ist, die Existenz, die formgültige Errichtung sowie der Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln, also auch einer Kopie, bewiesen werden und damit unter engen Voraussetzungen die Erbenstellung begründen, so das OLG Naumburg .

Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Streitigkeiten um Rudi Assauers Nachlass weiterentwickeln.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.08.2022 – I-3 Wx 119/22

OLG München, Beschl. 07.04.2021 – 31 Wx 108/21

OLG Naumburg, Beschl. v. 29.03.2012 – 2 Wx 60/11

Hatten wir in unserem News-Beitrag im „Anspruch auf Löschung des Merkmals Restschulbefreiung gegenüber der Schufa“ noch darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des OLG Schleswig die Schufa zu einer Löschung des Merkmals „Restschuldbefreiung“ nach sechs Monaten verurteilt hatte, die Schufa jedoch gegen dieses Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einlegte, kommt jetzt von unerwarteter Seite – nämlich von der Schufa höchst selbst – Bewegung in die Sache.

Am 28.03.2023 ließ die Schufa eigeninitiativ verlauten, dass sie die Speicherung von Einträgen zu Privatinsolvenzen von drei Jahren auf sechs Monate verkürzt. Die Schufa begründet diesen Schritt mit dem Streben nach Klarheit und Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Meiner Einschätzung nach ist die Schufa damit einer absehbaren Verurteilung zur Löschung nach sechs Monaten zuvorgekommen. Der Bundesgerichtshof hatte nämlich in der Revisionsangelegenheit (siehe oben) ebenfalls am 28.03.2023 verfügt, die Revision auszusetzen, bis die Frage der Speicherdauer durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in zwei ganz ähnlich gelagerten Fällen geklärt ist. Es wird also definitiv eine Klärung, inwieweit die derzeitige dreijährige Speicherung mit geltendem und in Deutschland seit Mai 2018 umgesetzten EU-Datenschutzrecht vereinbar ist, geben. Gegenwärtig – und unseres Erachtens völlig zurecht – ist anzunehmen, dass sich der EuGH für die kürze Frist der Datenspeicherung von sechs Monaten entscheiden wird. Nur so ist auch das proaktive Handeln der Schufa zu erklären.

Spannend ist auch die Frage, ob ebenso ein Anspruch auf Löschung seitens der Verbraucher*innen nach sechs Monaten besteht, wenn die Betroffenen die Restschuldbefreiung nicht auf Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung, sondern auf andere Weise, z.B. durch Gläubigerentscheid im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens erhalten haben!

BFH, Urteil vom 17.06.2020 – X R 26/18
BFH, Urteil vom 12.05.2022 – V R 19/20

Verkäufe bei eBay oder anderen Versteigerungsplattformen gehören zum täglichen Leben. Handelt es sich dabei um einmalige oder seltene Verkäufe aus dem eigenen Bestand (private Vermögensverwaltung), unterliegen sie keinerlei Besteuerung. Anders kann es jedoch sein, wenn nicht vorhandene, sondern zum Zweck des Weiterverkaufs erworbene Gegenstände angeboten werden, wie es typischerweise bei gewerblichen Händlern der Fall ist.

Der zu entscheidende Fall

Die Klägerin kaufte von 2009 bis 2013 Gegenstände aus Haushaltsauflösungen an und bot sie auf eBay in Form von Versteigerungen zum Verkauf an. Dort war sie als private Kundin angemeldet. Dazu legte sie vier eBay-Konten an und eröffnete zwei Girokonten. Steuererklärungen gab sie nicht ab. 2009 erzielte sie bei 577 Auktionen Einkünfte von ca. 40.000 €, 2010 bei 1057 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €, 2011 bei 628 Auktionen Einkünfte von ca. 95.000 €, 2012 bei 554 Auktionen Einkünfte von ca. 90.000 € und 2013 bei 260 Auktionen Einkünfte von ca. 78.000 €.

Nach einer Außenprüfung meinte das Finanzamt, die Klägerin sei in diesen Jahren gewerblich tätig gewesen und setzte gegen sie Einkommen- sowie Umsatzsteuer fest und erließ Gewerbesteuermessbescheide, wobei es einen Schätzbetrag für Betriebsausgaben (30 %) abzog.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erreichte die Klägerin mit ihrer Klage zum Finanzgericht Hessen nur einen Teilerfolg, weil dieses die Betriebsausgaben auf 60 % schätze, die Veranlagung ansonsten aber für rechtmäßig erachtete. Ihre Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im X. Senat wegen der Einkommen- und Gewerbesteuer und im V. Senat wegen der Umsatzsteuer), führte nicht zu dem von ihr erstrebten Erfolg. Die beiden Senate des BFH hoben zwar die jeweiligen Teile des erstinstanzlichen Urteils auf und verwiesen die Sachen an das Finanzgericht zurück, jedoch nur wegen eines Berechnungs- und eines Begründungsmangels. An der Gewerblichkeit der Auktionen hatten auch sie keine Zweifel. Im zweiten Durchgang wird das Finanzgericht lediglich die beiden Fehler zu beseitigen haben, an der Beurteilung der Gewerblichkeit wird sich nichts mehr ändern.

Mit der Revision hatte die Klägerin geltend gemacht, sie sei nicht als Händlerin anzusehen, da sie weder ein Konzept noch eine Organisation noch Vorkenntnisse im Handel habe. Sie kaufe gelegentlich aus Haushaltsauflösungen und verkaufe die Gegenstände wieder über eBay für ein Mindestgebot von 1 €. Zahlreiche Gegenstände verkaufe sie deutlich unter Einkaufswert, andere werfe sie einfach weg. Sie habe auch nichts dafür getan, die Gegenstände gewinnbringend zu veräußern (z.B. nicht geworben) und jedenfalls per Saldo keinen Gewinn erzielt. Ihr Ziel sei der Nervenkitzel gewesen, es habe sich um reine Liebhaberei gehandelt.

Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer

Entscheidend für die Einkommensteuerpflicht ist in diesem Zusammenhang die Gewerblichkeit der fraglichen Tätigkeit, die zu verneinen ist, wenn es lediglich um private Vermögensverwaltung geht. Hierzu definiert § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, dass ein Gewerbebetrieb eine selbständige nachhaltige Betätigung ist, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer. Die Betätigung muss über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgehen. Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt. Maßgebend ist unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse und der Verkehrsanschauung, ob die Tätigkeit, soll sie gewerblich sein, dem Bild entspricht, das einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist.

Nach ständiger Rechtsprechung ist das „Bild des Gewerbebetriebs“ durch Orientierung an unmittelbar der Lebenswirklichkeit entlehnten Berufsbildern zu konturieren. Eine typische gewerbliche Tätigkeit ist der Handel. Zu seinem Wesen gehört der Kauf oder die sonstige Anschaffung von Sachen zum Zwecke der Weiterveräußerung in gleichem Zustand oder nach weiterer Be- oder Verarbeitung. Der Steuerpflichtige verhält sich wie ein Händler, wenn er planmäßig und auf Dauer mit auf Güterumschlag gerichteter Absicht tätig geworden ist. Er handelt dann gewerblich.

Gemessen an diesen Grundsätzen sei die Einschätzung des Finanzgerichts Hessen, die Klägerin habe ein händlertypisches Verhalten gezeigt, nicht zu beanstanden, so der BFH.

Das Finanzgericht habe nicht allein auf die Dauer und die Anzahl bzw. Höhe der Verkäufe abgestellt. Vielmehr habe es im besonderen Maße den planmäßigen An- und Verkauf gewürdigt. Werde nämlich ein solcher wie im Streitfall betrieben und liege schon beim Ankauf Wiederveräußerungsabsicht vor, sei die Grenze der privaten Vermögensverwaltung überschritten. Eindeutig stehe bei der Klägerin die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung im Vordergrund. In den andauernden und wiederholten An- und Verkäufen der Klägerin sei ein planmäßiges Vorgehen zu sehen. Sie kaufe in systematischer Art und Weise einerseits bei Haushaltsauflösungen Gegenstände an und biete andererseits die hierbei erworbenen Gegenstände über eBay wieder zum Verkauf an.

Das Finanzgericht habe zudem die Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin zutreffend festgestellt, nachdem es sich zu Recht davon überzeugt habe, dass die Klägerin in den Streitjahren tatsächliche Gewinne erzielt hatte. Der Betriebsausgabenabzug in Höhe von 60 % der Umsätze, den das Finanzgericht vorgenommen habe, sei fehlerfrei. Da die Klägerin pflichtwidrig keinerlei Aufzeichnungen getätigt habe, ließ sich ihre Behauptung, überhaupt keinen Gewinn erzielt zu haben, nicht verifizieren. War danach von tatsächlich erzielten Gewinnen, wenn auch nur in Höhe von 40 %, auszugehen, stellten diese nach der Rechtsprechung ein kaum zu widerlegendes Indiz dafür dar, dass auch die Absicht bestand, solche zu erzielen.

Nicht gegen die Gewerblichkeit ließe sich dagegen anführen, wie die Klägerin es versucht hatte, dass sie Spaß an der Versteigerung gehabt, sie kein bestimmtes Konzept verfolgt und keine Mindestpreise gefordert habe. Unerheblich sei ebenso, dass sie über keine Vorkenntnisse im Handel verfüge.

Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer

Der Umsatzbesteuerung unterliegen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen ausschließlich Unternehmer. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn – anders als bei der Einkommensteuer – die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Es muss sich dabei um eine wirtschaftliche Betätigung handeln, die nachhaltig ausgeübt wird. Der BFH hatte bereits früher entschieden, dass die Beurteilung als nachhaltig bei der laufenden Veräußerung von Gegenständen in erheblichem Umfang in Betracht kommt, es liege keine nur private Vermögensverwaltung vor, wenn der Verkäufer aktive Schritte zum Vertrieb der Gegenstände unternehme, indem er sich ähnlicher Mittel bediene wie ein Händler.

Auch der V. Senat des BFH sieht im Grundsatz keinen Anlass, die Entscheidung des Finanzgerichts zu kritisieren. Es habe richtig auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abgestellt und berücksichtigt, dass die Klägerin ihre Verkaufstätigkeit über viele Jahre hinweg nachhaltig ausgeübt habe, weil auch die Anzahl der Verkäufe von beträchtlichem Umfang gewesen sei, was eine Betriebsorganisation erfordert habe. Sie habe Verpackungsmaterial kaufen, Waren verpacken, Porto zahlen und digitale Bilder der angebotenen Gegenstände fertigen müssen. Auf die Absicht der Gewinnerzielung stelle das Umsatzsteuerrecht zudem nicht ab.

Das Finanzgericht hatte danach zu recht die Klägerin der Umsatzsteuer unterworfen. Zurückverwiesen wurde die Sache, weil das Finanzgericht nicht festgestellt hatte, ob die Klägerin der sogenannten Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterfiel oder zumindest einzelne Umsätze nur dem ermäßigten Steuersatz hätten unterworfen werden dürfen.

BFH, Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.01.2023 – IX R 15/20 entschieden.

Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte "Reichensteuer", die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Der BFH ist dem nicht gefolgt. Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.

Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.

Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen.
Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.

Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.

Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.

Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

Anmerkung: Gegen die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, des höchsten deutschen Steuergerichts ist nur noch eine Verfassungsbeschwerde möglich.

BFH, Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 33/18

BFH, Urteil vom 24.08.2022 – XI 3 3/22

Es geht um eine Selbständige und Arbeitnehmer betreffende Frage: Kann ich die Kosten beruflich genutzter Kleidung, vor allem wenn sie speziell für die Berufsausübung angeschafft wird, steuermindert geltend machen, auch wenn es sich um bürgerliche Kleidung wie etwa einen schwarzen Anzug handelt, den ich aber außerhalb des Berufs nicht trage. Bei Selbständigen geht es dabei nicht nur um die Einkommensteuer, sondern auch um den Vorsteuerabzug.

Der zu entscheidende Fall
Die in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Eheleute waren als Trauerredner und Trauerbegleiter selbständig tätig. Sie machten die Kosten der Anschaffung, Änderung, Reparatur und Reinigung von Kleidung (u.a. Anzüge, Hemden, Röcke, Kleider, Mäntel, Blusen, Pullover, Hosen, Jacken, Krawatten, Schals, Schuhe) als Betriebsausgaben geltend und zogen die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Steuer als Vorsteuer ab.

Nach steuerlichen Außenprüfungen versagte das Finanzamt hinsichtlich der Einkommensteuer die Anerkennung der Kosten als Betriebsausgaben und bezüglich der Umsatzsteuer den Vorsteuerabzug. Der nach den erfolglosen Einspruchsverfahren eingereichten Klage entsprach das FG Berlin-Brandenburg nicht. Auch die Revision, über die der BFH nach Trennung des Verfahrens in zwei verschiedenen Senaten verhandelte (im VIII. Senat wegen der Einkommen- und im XI. Senat wegen der Umsatzsteuer) führte nicht zum Erfolg der Eheleute.

Rechtlicher Hintergrund bei der Einkommensteuer
Dazu bestimmt § 12 Abs. 1 EStG unter anderem, dass die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen. Dazu gehören auch die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Derartige Aufwendungen, so der Bundesfinanzhof, sind durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums (sogenannter Grundfreibetrag) pauschal abgegolten oder als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbar. In aller Regel liegen allerdings die Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs oder der außergewöhnlichen Belastungen jedenfalls nicht allein aufgrund der Beschaffung der für den Beruf benötigten Kleidung vor.

Allerdings gestattet das Einkommensteuergesetz den Abzug der Aufwendungen für typische Berufskleidung als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben an. Welche Art von Kleidungsstücken unter den Begriff der „typischen Berufskleidung“ fällt, ist im Gesetz nicht näher definiert.

Bei der Gesetzesauslegung ist zu berücksichtigen, dass Aufwendungen für bürgerliche Kleidung grundsätzlich den nicht abziehbaren und nicht aufteilbaren unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung zuzurechnen sind, die durch den Grundfreibetrag pauschal abgegolten werden. Typische Berufskleidung umfasst daher nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind. Dies gilt insbesondere für Uniformen, Kleidung mit dauerhaft angebrachten Firmenemblemen oder Schutzkleidung, wie zum Beispiel Arbeitsschutzschuhen.

Kleidungsstücke, die als normale bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegen, fallen dagegen nicht unter den Begriff der typischen Berufskleidung, selbst wenn sie durch die berufliche Nutzung einem erhöhten Verschleiß unterliegen oder ihre Anschaffung überhaupt nur aus beruflichen Gründen erfolgt. Danach sind die Ausgaben für die von den Eheleuten als Trauerredner und Trauerbegleiter getragenen Kleidungsstücke nicht steuermindernd abziehbar, selbst wenn, wie sie im Rechtsstreit geltend gemacht hatten, von dieser Berufsgruppe kulturhistorisch von der Verkehrsauffassung das Tragen schwarzer Kleidung zwingend erwartet werden sollte.

Rechtlicher Hintergrund bei der Umsatzsteuer
Ein Unternehmer, hier die Eheleute, kann unter anderem die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, gemäß § 15 UStG als Vorsteuer abziehen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nicht abziehbar sind nach § 15 Abs. 1a UStG zum Beispiel Vorsteuerbeträge, die auf Aufwendungen entfallen, für die das Abzugsverbot § 12 Nr. 1 EStG gilt. Wie zuvor zur Einkommensteuer schon behandelt, wird von diesem Abzugsverbot bürgerliche Kleidung, auch wenn sie ganz oder überwiegend beruflich getragen wird, betroffen.

Nachdem der VIII. Senat des BFH schon am 16.03.2022 den Abzug bei der Einkommensteuer nicht zugelassen hatte, schließt sich der XI. Senat in seinem Urteil vom 24.08.2022 im Wesentlichen der Entscheidung des VIII. Senats an. Mithin wurde den Eheleuten auch der Vorsteuerabzug versagt.

BFH, Beschluss vom 28.10.2022 – VI B 15/22 (AdV)

Der zu entscheidende Fall
Die Antragstellerin entrichtete die Lohnsteuer (2.805,54 €) und Umsatzsteuer (1.435,68 €) für Juli 2021 trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die dadurch angefallenen Säumniszuschläge in Höhe von 28 € zur Lohnsteuer und 14 € zur Umsatzsteuer entrichtete sie nicht. Das Finanzamt wies die Säumniszuschläge in einem Abrechnungsbescheid aus. Über den gegen diesen gerichteten Einspruch hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Die Antragstellerin begehrt vor dem Finanzgericht Münster (Beschluss vom 14.02.2022 – 8 V 2789/21) erfolgreich die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids. Auf die Beschwerde des Finanzamts hebt der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) diesen Beschluss auf und weist den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück.

Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Nachzahlungszinsen
Die Abgabenordnung (AO) kennt neben den Straftatbeständen der Steuerhinterziehung einige Sanktionen für steuerliches Fehlverhalten. So kann nach § 152 AO gegen Steuerpflichtige, die ihrer Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommen, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Dieser beträgt im Allgemeinen für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 % der festgesetzten Steuer. Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, also verspätet oder eventuell gar nicht gezahlt, entsteht gemäß § 240 AO kraft Gesetzes für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % der rückständigen Steuer. Während die Verfassungsmäßigkeit der Verspätungszuschläge nicht ernstlich in Frage steht, werden in jüngerer Zeit wegen der lange andauernden Niedrigzinsphase vermehrt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge geäußert. Diese wurden vertieft durch zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), nach denen die Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO in Höhe 0,5 % pro Monat, jedoch sogar nur für volle Monate, derzeit als nicht verfassungsgemäß anzusehen ist. Zwar könne der Gesetzgeber, so das BVerfG, Zinsen typisierend – ohne Rücksicht auf den Einzelfall - regeln, eine solche gesetzliche Festlegung des Zinssatzes sei aber trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen wie etwa der Niedrigzinsphase seit 2014 oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.

Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge?
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist allerdings streitig, ob diese Entscheidungen des BVerfG ohne Weiteres auf die Säumniszuschläge übertragen werden können. Säumniszuschläge sind nämlich keine Zinsen, sondern zum einen ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (Druckfunktion), zum anderen verfolgen sie den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das ungerechtfertigte Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten (Zinsfunktion). Durch die Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den Finanzämtern dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen. In Rechtsprechung und juristischer Literatur ist im Einzelnen umstritten, welcher Anteil auf die einzelnen Funktionen entfällt. Weitestgehend gesichert ist nur, dass die Druckfunktion mit der Hälfte der Zuschläge, also mit 0,5 % monatlich zu Buche schlägt. Da die Abgeltung der Verwaltungsaufwendungen eher niedrig zu bemessen sein dürfte, lässt sich der Zinsfunktion der Säumniszuschläge grob ermittelt auch ein Anteil von 0,5 % der Zuschläge zuweisen. Bei dieser Aufteilung entspricht die Zinsfunktion rechnerisch der vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Verzinsung von Steuernachforderungen nach §§ 233a, 238 AO.

Diese Realation hat den V. und den VII. Senat des BFH bewogen, auch die Säumniszuschläge als derzeit nicht mit der Verfassung in Einklang stehend anzusehen: BFH, Beschluss vom 23.05.2022 – V B 4/22 (AdV) und BFH, Beschluss vom 26.05.2021 – VII B 13/21, wobei letzterer bereits vor den Entscheidungen des BVerfG ergangen ist.

Der VI. Senat des BFH tritt dem V. und dem VII. Senat jetzt in einer Serie von Beschlüssen vom 28.10.2022, die am 24.11.2022 veröffentlicht wurden, entgegen - VI B 15/22 (AdV), VI B 27/22 (AdV), VI B 31/22 (AdV), VI B 38/22 (AdV), VI B 48/22 (AdV) . Er kann die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge nicht erkennen.

Besonderheiten des „AdV-Verfahrens“
Den Aktenzeichen aller genannter Beschlüsse lässt sich entnehmen, dass es um „AdV-Verfahren“ geht, schnellere Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids. Die Finanzgerichtsordnung sieht ein solches Verfahren vor, damit nicht Steuerbescheide, die im Allgemeinen vollziehbar, also vollstreckbar sind, vollzogen werden, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen und hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Diese brauchen nicht einmal zu überwiegen.

Trotz dieser relativ niedrigen Schwelle meint der VI. Senat des BFH, dass die vom BVerfG zu beurteilende Verzinsungspflicht nach §§ 233a, 238 AO und die Säumniszuschläge keine ausreichende Gemeinsamkeit aufweisen, um auch die Säumniszuschläge bei summarischer Prüfung für verfassungswidrig zu halten. Dies folge schon aus den drei Funktionen der Säumniszuschläge, die bei der Verzinsung keine Rolle spielten, insbesondere komme dieser keine Lenkungs- oder Druckfunktion zu. Außerdem vermöge ein lediglich gedachter, gesetzlich aber nicht quantifizierter Zinsanteil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht zu begründen. Werde die Lohnsteuer nicht rechtzeitig abgeführt, habe dies schon deshalb zu gelten, weil der Arbeitgeber nicht selbst Steuerschuldner sei, sondern der Arbeitnehmer, für den der Arbeitgeber lediglich treuhänderisch nach Abzug vom Lohn die Steuer abzuführen habe. Ähnliches gelte auch für die Umsatzsteuer, die der Unternehmer wirtschaftlich auf den Leistungsempfänger abwälze.

Ein völlig anderer Aspekt veranlasste den II. Senat des BFH ebenso zu entscheiden wie jetzt der VI. Senat, wenn auch nur im Ergebnis (Beschluss vom 20.09.2022 – II B 3/22). Beruhen nämlich die ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, wie hier bei den Säumniszuschlägen, auf eventuellen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der ihm zugrunde liegenden Vorschrift und nicht auf schlichter Fehlanwendung eines Gesetzes, wird von der Rechtsprechung allgemein verlangt, dass ein besonderes Aussetzungsinteresse besteht. Dieses besondere Interesse verneint der II. Senat, wenn ein durchaus auch erheblicher Säumniszuschlag (im zu entscheidenden Fall immerhin über 6.000 €) den Steuerschuldner wirtschaftlich nicht erheblich belaste und seine wirtschaftliche Tätigkeit nicht in bedeutendem Maße beeinträchtigt.

Verfassungswidrigkeit nur der Gesamtregelung der Säumniszuschläge“
Einig sind sich alle Senate des BFH nur insoweit, als die Säumniszuschläge unter keinen Umständen nur teilweise als verfassungswidrig qualifiziert werden können, insbesondere nicht etwa beschränkt auf die Zinsfunktion. Sollte die Regelung des § 240 AO über die Säumniszuschläge verfassungswidrig sein, erfasste dies die gesamte Vorschrift. Der Gesetzgeber müsste sodann eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen.

Ausblick
Angesichts dieser sich widersprechenden Beschlüsse des höchsten deutschen Steuergerichts bleibt nicht nur der Steuerbürger, sondern auch sein steuerlicher Berater etwas ratlos zurück. Es ist anzunehmen, dass erst eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge, insbesondere in einem Regelverfahren, nicht in einem solchen über die Aussetzung der Vollziehung endgültige Klarheit bringen wird.

Beginnend im September 2022 wurde den Arbeitnehmern einmalig zur Entlastung bei den gestiegenen Energiekosten die Energiepreispauschale (EPP) ausbezahlt. Die Auszahlung erfolgte bei Arbeitern und Angestellten über den Arbeitgeber mit dem Lohn/Gehalt zur Auszahlung gebracht und war weder der Lohnsteuer noch der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterworfen. 300,00 EUR brutto gleich netto soweit so gut. Wie sieht jedoch die Situation in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Leistungsempfängers aus? Das Amtsgericht Norderstedt hat hierzu in einem Beschluss vom 15.09.2022 – Az.: 66 IN 90/19 entschieden, dass die Energiepreispauschale im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens gemäß §§ 112 ff. EStG pfändbar ist und insbesondere dem Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO unterliegt. Der Insolvenzverwalter hat also – will er sich nicht persönlich haftbar machen – keine andere Möglichkeit, als dem betroffenen Insolvenzschuldner den gesamten Betrag der EPP zu nehmen und der Insolvenzmasse zukommen zu lassen. Es fragt sich sodann, welche Möglichkeiten der Schuldner hat, seine erhöhten Kosten letztendlich doch über die EPP abzudecken?

Auch hierzu hat sich das AG Norderstedt im Rahmen des vorgenannten Beschlusses geäußert: Möchte sich der Schuldner gegen die Vereinnahmung der EPP durch den Insolvenzverwalter zur Wehr setzen, muss er einen Antrag auf Vollstreckungsschutz für die EPP nach § 765a ZPO zum zuständigen Insolvenzgericht stellen:
Hier können Sie sich den Musterantrag herunterladen
Das AG Norderstedt hat aber schon in seinem oben zitierten Beschluss richtigerweise darauf hingewiesen, dass für den Erfolg eines solchen Antrages hohe Hürden zu überwinden sind. Es handelt sich bei § 765a ZPO um eine Ausnahmevorschrift! Der Antragsteller muss daher im Rahmen seines Antrages geltend machen, dass er tatsächlich von höheren Energiekosten und -preisen belastet ist, die einen Entzug des Geldes gegenüber den Gläubigern rechtfertigen können. Hierzu könnte auch gehören, dass der Schuldner diese erhöhten Kosten im Rahmen von Nachzahlungsbelegen, Vergleichsrechnungen der Benzinpreise etc. darlegt. Inwieweit die jeweiligen Insolvenzgerichte den Argumentationen der antragstellenden Schuldner folgen werden, bleibt abzuwarten.

Die Welt am Sonntag vom 06.11.2022 fasst im Wirtschaftsteil unter der Überschrift „Liquiditätsopfer“ vermeintliche Zahlungsschwierigkeiten beim Hannoveraner Medizin-Start-Up Syntellix AG zusammen. Im Artikel selbst wird von Mitarbeiterin berichtet, die längst fällige Gehaltszahlungen nicht erhalten haben und deswegen zum Teil auch vor das zuständige Arbeitsgericht gezogen seien. Dort seien dann jeweils Vergleiche geschlossen worden, in denen sich die Syntellix AG verpflichtet habe, die rückständigen und fälligen Gehälter zu bezahlen. Weiter wird berichtet, dass zunächst die im Vergleich vereinbarte Zahlungsfrist ohne Zahlung verstrichen sei und anschließende Vollstreckungsversuche aus den gerichtlichen Vergleichen für die Arbeitnehmer erfolglos verlaufen seien. Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zu Lasten eines Kontos der Aktiengesellschaft bei der NordLB hätten nicht zur Befriedigung der Forderungen aus den Vergleichen geführt. Konkret heißt es in dem Artikel: „Einige Ex-Beschäftigte haben sich aus Angst vor Repressalien vertraulich an WELT AM SONNTAG gewandt, ihre Namen sind der Redaktion bekannt. Syntellix bestreitet die Angaben des Amtsgerichts und der früheren Beschäftigten auf Anfrage: „Es trifft nicht zu, dass Anträge auf Pfändung des Kontos der Syntellix AG bei der NordLB vorliegen“, teilt das Unternehmen mit. „Die Syntellix AG ist selbstverständlich in der Lage, alle ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.““

Der Artikel wirft indirekt die Frage auf, was die (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit fälligen Gehaltsforderungen nun tun können. Er wirft weiter die Frage auf, ob die Syntellix AG möglicherweise insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) ist. Die Syntellix AG bestreitet dies. Eine Klärung ist auf diese Weise nicht möglich. Die Situation wirft aber dennoch die Frage auf, wie Gläubiger erforderlichenfalls ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners initiieren können bzw. dessen Insolvenzreife unabhängig prüfen lassen können.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzantrag eines Gläubigers (sog. Fremdantrag) zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Legt man die Angaben der (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG als zutreffend zugrunde, sind sie Gläubiger der Aktiengesellschaft. Sie verfügen über einen vollstreckbaren Titel in Form des arbeitsgerichtlichen Vergleichs und haben erfolglos versucht, aus diesem Vergleich die Vollstreckung zu betreiben. Reicht das für die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit? Im praktischen Fall müssten die (ehemaligen) Mitarbeiter wohl damit rechnen, dass sich die Syntellix AG gegen diese Behauptung im Rahmen eines Insolvenzantragsverfahrens zur Wehr setzt.

Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit ist das praktisch gängigste Mittel die Vorlage einer sog. Fruchtlosigkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers gemäß § 63 GVGA. Diese Bescheinigung sollte nicht älter als sechs Monate sein (so das OLG Dresden in ZInsO 2001, Seite 1110). Um eine solche zu erhalten, müssten also die Gläubiger zunächst einmal den zuständigen Gerichtsvollzieher mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung beauftragen. Das kann dauern. Fraglich ist aber, ob das – weiterhin die Angaben im Zeitungsartikel als zutreffend unterstellt – überhaupt notwendig ist? Hierzu halten wir fest, dass die (ehemaligen) Mitarbeiter keine Befriedigung aus der Pfändung des Geschäftskontos erlangen konnten. Die Pfändung des Kontos wurde eingeleitet, nachdem die Syntellix AG die sie treffende Zahlungsverpflichtung aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen nicht – jedenfalls nicht fristgemäß – eingehalten hat. Hierzu wiederum heißt es bei Vuia – Münchener Kommentar zur InsO, 4. Auflage (2019), § 14, Rn. 14: „Als urkundliche Mittel der Glaubhaftmachung kommen bei der Zahlungsunfähigkeit … ferner schriftliche Erklärungen des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, in denen er seine Zahlungsunfähigkeit für die absehbare Zukunft eingesteht, etwa Gesuche um Zahlungsaufschub von deutlich mehr als einem Monat, ferner schriftliche Anerkenntnisse oder Zahlungsankündigungen, denen (was gesondert glaubhaft zu machen ist) allenfalls eigenmächtige Teilzahlungen folgen sowie zuverlässige substantiierte Presseberichte, auch wenn keine amtliche Verlautbarung enthalten,“ [in Betracht].

Für die (ehemaligen) Mitarbeiter der Syntellix AG könnte sich also zur weiteren Sachaufklärung durchaus ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Syntellix AG lohnen. Die Vorlage des gerichtlichen Vergleichs, die Nichteinhaltung der im Vergleich enthaltenen vereinbarten Zahlungsfrist und die letztendlich erfolglose Pfändung des Geschäftskontos bei der NordLB könnten das Insolvenzgericht überzeugen, hier den Insolvenzantrag zunächst für zulässig zu erachten und einen Gutachter zur weiteren Sachaufklärung zu bestellen.

Unabhängig von der objektiven Frage der Insolvenzreife zeigen Fremdanträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch immer wieder, dass solche Anträge dem betroffenen Schuldner lästig sind und er infolgedessen bisweilen neue Eigen- und/oder Fremdmittel beschafft, um letztendlich die der Antragstellung zugrundeliegenden Forderung doch noch zu erfüllen!

BGH, Urteil vom 23.09.2022 – V ZR 148/21

Allgemeines zum Autokauf

Für die Übertragung des Eigentums reicht der Abschluss eines Kaufvertrags entgegen weit verbreiteter Ansicht nicht aus, hinzukommen muss die Übereignungshandlung. Bewegliche Sachen, zu denen auch PKW gehören, werden übereignet, indem der bisherige Eigentümer sich mit dem Erwerber, meist ein Käufer, darüber einig wird, dass das Eigentum übergehen soll, was nicht notwendig ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Handeln erfolgen kann, und die Sache körperlich übergeben wird. Bei der Übereignung eines PKW werden dazu im Allgemeinen die Fahrzeugschlüssel übergeben.

Sinnvoll, aber keineswegs erforderlich ist wiederum entgegen weit verbreiteter Ansicht die Übergabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und II (früher KFZ-Schein und KFZ-Brief).

Im Grundsatz möglich ist es aber auch, von einem Nichteigentümer – auch gegen den Willen des tatsächlichen Eigentümers – das Eigentum zu erwerben, wenn die Voraussetzungen des sogenannten gutgläubigen Erwerbs vorliegen. Der Bundesgerichtshof hatte in folgendem Sachverhalt zu klären, ob dies der Fall war.

Der zu entscheidende Fall

Die Käuferin schloss mit einem Autohaus einen Kaufvertrag über einen PKW zum Preis von 30.000 € ab. Der PKW gehörte allerdings nicht dem Autohaus, sondern einer Leasinggesellschaft, die auch die Zulassungsbescheinigung Teil II in ihrem Besitz und der Veräußerung nicht zugestimmt hatte. Der PKW wurde der Käuferin am Tag des Kaufes übergeben, nicht jedoch die Zulassungsbescheinigung Teil II. Diese sollte ihr einige Tage später zugeschickt werden, was aber nicht geschah.

Später erfuhr die Käuferin, dass der Geschäftsführer des Autohauses in ähnlicher Weise etwa 100 weitere Kunden betrogen hatte. Nach erfolglosen außergerichtlichen Bemühungen klagt nun die Käuferin gegen die Leasinggesellschaft auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II. Sie behauptet dazu, ihr sei eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II beim Kauf vorgelegt worden, in der das Autohaus als Halter eingetragen gewesen sei. Sie sei Eigentümerin des PKW geworden und daher auch Eigentümerin der Zulassungsbescheinigung Teil II, sodass ihr ein Herausgabeanspruch zustehe.

Die Leasinggesellschaft bestreitet die Vorlage einer gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II und meint, sie sei nach wie vor Eigentümerin des PKW. Sie erhebt deshalb Widerklage gegen die Käuferin auf Herausgabe des PKW.

Der Klage wurde stattgegeben, die Widerklage abgewiesen.

Die Zulassungsbescheinigung Teil II

Erneut entgegen weit verbreiteter Ansicht wird in der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht der Eigentümer, sondern der Halter des PKW eingetragen, die häufig nicht identisch sind. Ein typischer Fall für das Auseinanderfallen dieser beiden Eigenschaften ist die Sicherungsübereignung des PKW, die ohne Übergabe des Fahrzeugs möglich ist. Eigentümer ist hier die finanzierende Bank, Halter hingegen der Kreditnehmer, der das Auto in Besitz behält und nutzt. Genauso verhält es sich bei Leasingfahrzeugen, hier tritt an die Stelle der Bank im vorigen Beispiel die Leasinggesellschaft.

Das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung Teil II steht dem Eigentümer des PKW zu, wird also das Eigentum am PKW übertragen, geht das Eigentum an der Bescheinigung automatisch auf den Erwerber des Fahrzeugs über.

Im zu entscheidenden Fall kam es daher für die Klage und die Widerklage allein darauf an, ob die Käuferin das Eigentum am PKW erworben hatte oder ob die Leasinggesellschaft weiter Eigentümerin war.

Der gutgläubige Erwerb des Fahrzeugs

Für einen gutgläubigen Eigentumserwerb von einem Veräußerer, der selbst nicht Eigentümer ist, muss der Erwerber beim Übertragungsakt berechtigter Weise davon ausgehen dürfen, dass der Veräußerer zur Veräußerung berechtigt ist, er muss also glauben dürfen, dieser sei der Eigentümer. Das Gesetz formuliert negativ, der Erwerber sei nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.

Da die Käuferin nicht wusste, dass der PKW nicht dem Autohaus, sondern der Leasinggesellschaft gehörte, hatte sie nur dann nicht das Eigentum erworben, wenn sie dies grob fahrlässig nicht bemerkt hätte. Hier kommt die Zulassungsbescheinigung Teil II ins Spiel. Wie schon ausgeführt, ist in dieser zwar nicht der Eigentümer, sondern der Halter eingetragen, sie gibt daher – anders als das Grundbuch – keine Auskunft über die Eigentümerstellung. Da üblicherweise jedoch der Eigentümer auch im Besitz der Bescheinigung ist, verlangt die Rechtsprechung, dass ein Erwerber, dem die sie nicht vorgelegt wird, nachforschen muss, weshalb der Veräußerer sie nicht vorlegen kann. Tut er das nicht, ist er grob fahrlässig und daher nicht in gutem Glauben. Er kann das Eigentum nicht gutgläubig erwerben. Nicht anders ist es, wenn die Bescheinigung zwar vorgelegt wird, jedoch jemand anderes als der Veräußerer als Halter eingetragen ist.

In unserem Fall behauptete die Käuferin, sie habe wegen der Hochwertigkeit der Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht erkennen können, dass das Autohaus in Wahrheit nicht Halter des PKW gewesen sei, sie habe daher gutgläubig das Eigentum erworben. Das bestreitet aber die beklagte Leasinggesellschaft. Es kam daher darauf an, ob die Käuferin ihre Gutgläubigkeit oder umgekehrt die Leasinggesellschaft deren Bösgläubigkeit zu beweisen hat. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der bisherige Eigentümer die Bösgläubigkeit zu beweisen hat, dem Erwerber obliegt es nur, die Tatsachen vorzutragen, aus denen er seine Gutgläubigkeit ableitet.

Dieser sogenannten Vortragslast war die Käuferin mit ihren Ausführungen zur Vorlage einer Fälschung nachgekommen. Die Leasinggesellschaft hätte daher beweisen müssen, dass deren Behauptungen zur Vorlage einer Fälschung nicht zutrafen. Das wäre etwa durch Benennung des Geschäftsführers des Autohauses als Zeugen möglich gewesen. Einen Beweis hatte die Leasinggesellschaft jedoch nicht angeboten. Da das Gericht im Zivilrechtsstreit anders als zum Beispiel im Strafverfahren den Lebenssachverhalt nicht von sich aus ermittelt, war die Behauptung der Käuferin zur Fälschungsvorlage als zutreffend anzusehen und der Entscheidung zugrunde zu legen, sodass die Käuferin als gutgläubig zu behandeln war. Ihr wurde deshalb ein Anspruch auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II zugesprochen und die Widerklage auf Herausgabe des PKW abgewiesen.

Rechte des bisherigen Eigentümers

Der bisherige Eigentümer in einer solchen Situation ist nicht vollständig rechtlos gestellt. Zwar hat er das Eigentum an der Sache (hier PKW) verloren, kann aber von dem unberechtigt handelnden Veräußerer verlangen, dass dieser ihm herausgibt, was er für die Sache erhalten hat, regelmäßig also den Kaufpreis. Ist dieser jedoch nicht mehr vorhanden, was bei kriminellem Vorgehen nicht unüblich, aber auch sonst nicht ausgeschlossen ist, bleibt der bisherige Eigentümer auf dem Schaden sitzen. Das Gesetz mutet dem Eigentümer also zu, auf seine Sachen Acht zu geben und genau zu schauen, wem er den Besitz daran überlässt.

Angemerkt sei noch, dass ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist, er also den Besitz unfreiwillig verloren hat.

BFH, BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 17/21 >br>BGH, Beschluss vom 15.08.2022 – IX ZB 19/21

In jedem Beruf gibt es schwarze Schafe, leider auch unter Insolvenzverwaltern.

Nach § 58 InsO steht der Insolvenzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Begeht er in Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren eine Straftat, zum Beispiel eine Untreue, hat das für ihn regelmäßig nicht nur strafrechtliche Folgen, sondern fordert auch insolvenzgerichtliche Maßnahmen heraus.

In dem Verfahren, das dem ersten Beschluss des BGH zugrunde lag, hatte der (spätere) Insolvenzverwalter für seine Gutachtertätigkeit im Eröffnungsverfahren aus der Staatskasse die ihm zustehende Vergütung erhalten, dennoch entnahm er nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet und er zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, der Masse ein zweites Mal diese Vergütung.

Dieses Vorgehen musste insolvenzgerichtliche Sanktionen nach sich ziehen, nachdem es bekannt wurde. In Betracht gekommen wäre ohne Weiteres von Amts wegen eine Entlassung aus dem Amt des Insolvenzverwalters nach § 59 InsO, wenn er nicht seinerseits einen eigenen Antrag auf Entlassung aus dem Amt gestellt hätte, dem das Insolvenzgericht nachgekommen war.

Grundsätzlich hat allerdings auch derjenige Insolvenzverwalter Anspruch auf die Vergütung seiner Tätigkeit, der sich nicht pflichtgemäß verhält. Dementsprechend stellte der (jetzt frühere) Insolvenzverwalter einen Antrag an das Gericht, seine Vergütung festzusetzen. Das Gericht wies seinen Antrag zurück, weil er seinen Vergütungsanspruch verwirkt habe. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück. Ebenso wenig hatte er mit seiner Rechtsbeschwerde zum BGH Erfolg.

Der Insolvenzverwalter, so das Bundesgericht, verwirkt seinen Anspruch auf Vergütung, wenn er vorsätzlich oder grob leichtfertig die ihm obliegende Treuepflicht so schwerwiegend verletzt, dass er sich seines Lohnes als „unwürdig“ erweist. Da der Insolvenzverwalter einen gemäß Art. 12 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit hat, kommt ein solcher Ausschluss der Vergütung bei Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.

Dafür genügt nicht jede objektiv erhebliche Pflichtverletzung. Die Versagung jeglicher Vergütung kommt vielmehr nur bei einer schweren, subjektiv in hohem Maße vorwerfbaren Verletzung der Treuepflicht in Betracht. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Insolvenzverwalter besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen in Form von Straftaten zum Nachteil der Masse begangen hat. Eine solche gravierende Straftat liegt in einer bewusst die Insolvenzmasse schädigenden Untreuehandlung, wie sie hier gegeben war.

In dem zweiten Verfahren hatte der Verwalter zwar keine Unterschlagung begangen, das Insolvenzgericht hat ihm dennoch die Vergütung versagt, weil er in dem ersten Verfahren die erwähnte Unterschlagung begangen hatte und es in 18 weiteren Insolvenzverfahren zu erheblichen Pflichtverletzungen gekommen war. Eine Pflichtverletzung in diesem zweiten Verfahren war jedoch nicht gegeben.

Der BGH hat sich auch in diesem Fall den Vorinstanzen angeschlossen, die den Vergütungsanspruch als verwirkt angesehen hatten. Dieses Ergebnis begründet der BGH wie folgt.

Die Verwirkung des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters könne grundsätzlich nur auf Pflichtverletzungen des Verwalters bei der Ausübung des konkreten Amtes gestützt werden, für das er eine Vergütung beansprucht. Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters in anderen Verfahren führten demgegenüber nur unter besonderen Umständen zum Verlust des Anspruchs auf Vergütung. So komme die Versagung der Vergütung grundsätzlich nur bei gewichtigen, vorsätzlichen oder zumindest leichtfertigen Pflichtverstößen in Betracht. Allerdings könne eine einmalige, in der Begehung einer Straftat zum Ausdruck kommende Pflichtverletzung genügen, denn auch eine in einem anderen Verfahren verübte Straftat könne die unbedingt und ausnahmslos erforderliche charakterliche Eignung des Verwalters, fremdes Vermögen zu verwalten, entfallen lassen.

BFH, Urteil vom 12.07.2022 – VIII R 8/19

Allgemeines zum häuslichen Arbeitszimmer
Das häusliche Arbeitszimmer (ein eigener Raum in Wohnung oder Haus mit nur untergeordneter privater Mitbenutzung) kann einkommensteuermindernd berücksichtigt werden – jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen:

  • Für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit steht dem Steuerpflichtigen kein anderer Arbeitsplatz, etwa im Betrieb des Arbeitgebers, zur Verfügung, das häusliche Arbeitszimmer ist aber nicht Tätigkeitsmittelpunkt. Hier ist die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € im Kalenderjahr begrenzt. Abzugsfähig sind zum Beispiel die anteilige Wohnungsmiete, bei Eigentümern die anteilige AfA, die Heiz- und Reinigungskosten, die Anschaffungskosten für Möbel, insbesondere einen Schreibtisch. Typische Betroffene können hier unter vielen anderen Lehrer oder Richter sein.
  • Die Begrenzung auf 1.250 € gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
  • Liegen die Voraussetzungen eines häuslichen Arbeitszimmers nicht vor, wird die betriebliche oder berufliche Tätigkeit aber ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt und keine außerhalb belegene Betätigungsstätte aufsucht, ist ein pauschaler Abzug von 5 € je Kalendertag, höchstens 600 € pro Kalenderjahr zulässig (sogenannte Homeoffice-Regelung).

Die für den Steuerabzug notwendigen Angaben hat der Steuerpflichtige in seiner jährlichen Einkommensteuererklärung zu machen. Es ist offensichtlich, dass diese Angaben leicht manipuliert werden können, viele Steuerpflichtige können dieser Versuchung auch nicht widerstehen. Insbesondere die tatsächliche Nutzung und Gestaltung des angeblichen Arbeitszimmers wird häufig „geschönt“.

Dementsprechend kritisch betrachten die Veranlagungsbeamten der Finanzämter die Angaben der Steuerpflichtigen, gelegentlich möchten sie sich auch vor Ort von den Tatsachen überzeugen. Das ist grundsätzlich zulässig, aber auch das Finanzamt muss die dafür geltenden Regeln beachten, insbesondere darf es nicht gegen den auch für das Arbeitszimmer geltenden Grundrechtsschutz aus Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen, der die Unverletzlichkeit der Wohnung als Teil der Privatsphäre schützt.

Der zu entscheidende Fall
Im hier besprochenen Fall hatte die Steuerpflichtige, die die Kosten ihres Arbeitszimmers steuermindernd geltend machen wollte, ihrer Einkommensteuererklärung eine Skizze beigefügt, auf der nicht alle Räume der Wohnung, sondern nur ein als Schlafzimmer bezeichneter Raum und ein Wohn-/Essraum verzeichnet waren. Das Wort „Schlafzimmer“ war gestrichen und darunter „Arbeitszimmer“ vermerkt. Für den Veranlagungsbeamten lag der Schluss nahe, dass dies nur möglich war, wenn der Wohn-/Essraum auch zum Schlafen genutzt wurde. Hieran hatte er nicht ganz unberechtigte Zweifel. Er beauftragte daher einen Mitarbeiter der Steuerfahndung, einen „Flankenschutzprüfer“, mit einer Ortsbesichtigung.

Der Steuerfahnder erschien unangekündigt in der Privatwohnung der Steuerpflich-tigen, wies sich aus und betrat die Wohnung zur Überprüfung der Angaben in der Steuererklärung. Die Steuerpflichtige widersprach dem nicht. Dabei stellte sich heraus, dass die Angaben zum Arbeitszimmer zutrafen, die Skizze jedoch nicht alle Räume der Wohnung umfasste. Es gab zwei weitere Zimmer, von denen eines als Schlafzimmer diente.

Die Steuerpflichtige wies den Steuerfahnder zudem darauf hin, dass sie alsbald in die Nachbarwohnung umziehen werde.

Mit ihrer Klage möchte die Steuerpflichtige die Feststellung erreichen, dass die Besichtigung rechtswidrig war, was der BFH im Revisionsverfahren anders als erstinstanzlich das Finanzgericht Münster für berechtigt hält, weil die Klage zulässig und begründet war.

Rechtswidrigkeit der Besichtigung
Im Ergebnis meint der BFH, das Finanzamt habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Grundsätzlich gilt nach § 88 Abgabenordnung (AO) der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz, das bedeutet, dass das Finanzamt selbst alle für die Besteuerung notwendigen Tatsachen zu ermitteln hat. Dabei darf es sich nach pflichtgemäßem Ermessen aller zulässigen Beweismittel bedienen und dabei im Ausgangspunkt auf das zweckmäßigste Mittel zugreifen.

Bei der Ermessensausübung hat das Finanzamt dabei zunächst zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige den erheblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offenlegen kann. Außerdem muss es wie bei jeder Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, mit anderen Worten muss es prüfen, ob das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich ist, den erstrebten Zweck, hier die Ermittlung der Wohnungssituation der Steuerpflichtigen, zu erreichen. Nicht erforderlich ist eine Maßnahme, wenn eine andere, gleich wirksame, aber weniger fühlbar den Bürger einschränkende Maßnahme gewählt werden könnte.

Nach den §§ 92, 99 AO darf das Finanzamt grundsätzlich zur Einnahme eines Augenscheins die Wohnräume eines Bürgers betreten, zumal wenn dieser, wie hier die Steuerpflichtige, zustimmt. Die unangemeldete Besichtigung war auch geeignet, die Angaben der Steuerpflichtigen zu überprüfen.

Die unangekündigte Besichtigung war aber nach der höchstrichterlichen Ansicht nicht erforderlich, da mildere Mittel unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung zur Verfügung gestanden hätten. Das Finanzamt hätte zunächst die Steuerpflichtige zu einer ergänzenden Erläuterung zu ihrer Wohnung auffordern müssen, da zu vermuten stand, dass die entstandenen Unklarheiten der Raumsituation dadurch beseitigt werden konnten.

Zusätzlich war auch die konkrete Durchführung der Besichtigung nicht verhältnismäßig. Das Eindringen staatlicher Organe in die Wohnung bedeutet regelmäßig einen Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Bürgers. Daher muss es – so der BFH – zur Feststellung der häuslichen Verhältnisse im Allgemeinen genügen, aus dem äußeren Anschein die erforderlichen Folgerungen zu ziehen.

Im Zusammenhang mit dem Arbeitszimmer der Steuerpflichtigen bedeutet dies, dass eine Besichtigung nur ganz ausnahmsweise zulässig ist. Das Finanzamt ist in einem solchen Fall nach § 99 Abs. 1 AO gehalten, die Besichtigung angemessene Zeit vorher anzukündigen. Nur ausnahmsweise darf die Ankündigung unterbleiben, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt wür-de, etwa die berechtigte Annahme besteht, das Besichtigungsobjekt, also das Ar-beitszimmer im Zusammenhang mit der gesamten Wohnungssituation könne ver-ändert werden. Anhaltspunkte dafür gab es vorliegend nicht.

Das Finanzamt handelte schließlich auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil nicht der Veranlagungsbeamte die Besichtigung durchführte, sondern ein Beamter der Steuerfahndung. Die Besichtigung durch die Steuerfahndung belastet den Bürger mehr, weil bei zufällig anwesenden anderen Personen der Eindruck entstehen könnte, gegen den Bürger werde strafrechtlich ermittelt, was sein persönliches Ansehen gefährden könnte. Dabei ist unerheblich, ob die Besichtigung tatsächlich von Dritten bemerkt wurde, es reicht insoweit die abstrakte Gefahr aus.

Weil die Steuerpflichtige in die Durchführung der Ortsbesichtigung eingewilligt hatte, lag zwar kein schwerer Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung vor, das Finanzamt durfte sein Ermessen dennoch selbstverständlich nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben ausüben.

BGH, Urteil vom 28.06.2022 – II ZR 112/21
BGH, Urteil vom 28.04.2022 – IX ZR 48/21
BGH, Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20

Alle drei Entscheidungen befassen sich mit dem im Insolvenzrecht zentralen Begriff der Zahlungsunfähigkeit, den die Insolvenzordnung in § 17 regelt. Ihm kommt insbesondere im Zusammenhang mit den folgenden Themen Bedeutung zu:

  • Die Zahlungsunfähigkeit ist neben der (insolvenzrechtlichen, nicht bilanziellen) Überschuldung Insolvenzgrund.
  • Bei juristischen Personen (z. B. GmbH, AG) trifft die Organe (Geschäftsführer, Vorstand) gemäß § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, weshalb sie die Liquiditätslage ihrer Gesellschaft ständig überwachen müssen.
  • Unterlassen die Organe nach Eingreifen der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit die rechtzeitige Insolvenzantragstellung, haften sie für nach diesem Zeitpunkt noch geleistete Zahlungen ihrer Gesellschaft persönlich, soweit die Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Das heißt, sie haben diese Zahlungen in voller Höhe der Gesellschaft zu erstatten.
  • Die Zahlungsunfähigkeit ist gemeinsam mit anderen Tatbeständen eine maßgebliche Voraussetzung mehrerer Insolvenzanfechtungstatbestände. So sind zum Beispiel in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragstellung Leistungen des Insolvenzschuldners nach § 130 InsO anfechtbar, wenn der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit kannte.

Für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zur Zahlungsstockung stellt das Gesetz mehrere Methoden zur Verfügung.

Erste Methode:

Zunächst ist der Schuldner nach § 17 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Diesen für Nichtjuristen schwer greifbaren Tatbestand hat der Bundesgerichtshof dahingehend konkretisiert, dass Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn die liquiden Mittel die Verbindlichkeiten nicht zu mehr als 90 %decken, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Will der Geschäftsführer aktuell feststellen, ob sein Unternehmen zahlungsunfähig in diesem Sinne ist, muss er zunächst auf den laufenden Tag (Stichtag) einen sogenannten Liquiditätsstatus erstellen, in den auf der einen Seite die vorhandene Liquidität (Barkasse Bankguthaben, nicht ausgeschöpfter Kredit = Aktiva I) und auf der anderen die fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) eingestellt werden müssen. Erreicht der so ermittelte Deckungsgrad nicht mindestens 90 %, ist zu untersuchen, ob und wie sich die Finanzlage in den kommenden drei Wochen ändert. Dazu ist ein Finanzplan aufzustellen, bei dem auf der Aktivseite zusätzlich zu der Liquidität am Stichtag die im Drei-Wochenzeitraum zu erwartende Liquidität (Forderungseinzug, Erlös aus der Verwertung von schnell zu veräußernden beweglichen Gegenständen des Anlagevermögens, der in diesem Zeitraum zu erzielen ist, neue Kreditbeschaffung = Aktiva II) und auf der Passivseite die im Drei-Wochenzeitraum zusätzlich noch fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) einzustellen sind. Ergibt sich hieraus keine über 90 % hinausgehende Deckung, ist Zahlungsunfähigkeit mit den oben aufgezeigten Konsequenzen gegeben.

Allerspätestens jetzt, besser schon bei ernstlichen Zweifeln an der gegenwärtigen und/oder zukünftigen Liquidität der Gesellschaft, sollte die Geschäftsleitung einen erfahrenen Fachmann für Sanierungsberatungen hinzuziehen, um das Überleben der Gesellschaft zu sichern.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2022 ist nunmehr eine modifizierte Methode zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zulässig, die allerdings nur bei rückwärtiger Betrachtung eingesetzt werden kann. Ausgehend von dem Stichtag, an dem der Liquiditätsstatus eine Unterdeckung von 10 % oder mehr ausweist, ist eine aussagekräftige Anzahl (ausreichend sind drei im Wochenabstand) taggenauer Liquiditätsstatus aufzustellen. Ergibt sich auch zu diesen Zeitpunkten kein besserer oder gar ein schlechterer Deckungsgrad, ist Zahlungsunfähigkeit eingetreten.

Da die erste Methode ein prognostisches Element enthält, kann sie zu anderen Ergebnissen führen als die retrograde, von feststehenden Zahlen ausgehende zweite Methode. Welcher in einem solchen Fall der Vorrang einzuräumen ist, hat der Bundesgerichtshof bislang allerdings nicht entschieden. Es spricht viel dafür, dass die retrograde Ermittlung hier maßgeblich ist.

Zweite Methode:

In diesem Zusammenhang arbeitet § 17 InsO mit einer sogenannten gesetzlichen Vermutung. Danach ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Trotz der Ähnlichkeit der Begriffe Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung sind sie inhaltlich nicht deckungsgleich. Die Zahlungseinstellung ist dasjenige äußerliche Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Sie wird nicht durch Liquiditätsstatus festgestellt, sondern beruht auf Indizien (tatsächlichen Umständen), die üblicherweise für einen Mangel an liquiden Mitteln sprechen.

In der Rechtsprechung sind dafür Kriterien herausgearbeitet worden, die entweder allein oder in ihrer Zusammenschau die Zahlungseinstellung ergeben können. Von der Rechtsprechung anerkannte Indizien sind (nicht abschließend) etwa:

  • Rückstände auf die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung.
  • Steuerrückstände, insbesondere bei Umsatz- und Lohnsteuer.
  • Dauerhaft schleppende Zahlungsweise.
  • Eine Stundungsbitte, wenn sie mit der Erklärung verbunden ist, anderenfalls die Gläubigerforderung nicht, jedenfalls nicht vollständig begleichen zu können.
  • Die Erklärung des Schuldners, zahlungsunfähig zu sein.
  • Nichteinhaltung von vereinbarten Raten oder Zahlungszusagen des Schuldners, insbesondere, wenn verspätete Zahlungen nur unter dem Druck einer angedrohten Liefersperre erfolgen.
  • Rückstände bei betriebswichtigen Lieferanten, jedenfalls wenn sie nicht schnell ausgetauscht werden können.
  • Eine einzelne Verbindlichkeit kann die Zahlungseinstellung begründen, wenn sie gerade gegenüber dem Anfechtungsgegner besteht und absolut und relativ hoch ist.
  • Sprunghaftes Anwachsen der Zahlungsrückstände.
  • Liefersperren.
  • Belieferung nur noch gegen Vorkasse.
  • Zwangsvollstreckungen in das Schuldnervermögen.
  • Frühere Insolvenzanträge, auch wenn sie später zurückgenommen oder für erledigt erklärt wurden.
  • Rücklastschriften.
  • Ist der Schuldner gewerblich tätig, spricht eine Vermutung dafür, dass er weitere Verbindlichkeiten hat.

Rückstände bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.04.2022 sehr konkret gewürdigt und erstmals eine Art Rasterprüfung vorgestellt. Danach gilt:

  • Mehr als sechsmonatiges Nichtabführen stellt ein erhebliches Beweisanzeichen für die Zahlungseinstellung dar und reicht im Allgemeinen hierfür allein aus.
  • Viermonatiges Nichtabführen reicht in der Regel ebenfalls aus.
  • Zwei- bis dreimonatiges Nichtabführen soll dagegen allein nicht ausreichen, es müssen dann weitere für die Zahlungseinstellung sprechende Umstände (siehe oben) hinzutreten.
  • Durchgängig um einen Monat verspätete Zahlungen bilden zwar auch ein Indiz für die Zahlungseinstellung, jedoch ist sein Beweiswert deutlich reduziert.

Während herkömmlich alle diese Indizien im Grundsatz als gleichwertig eingeschätzt wurden und im Einzelfall gewichtet werden mussten, sieht der Bundesgerichtshof seit dem Urteil vom 06.05.2021 die eigene Erklärung des Schuldners im Vordergrund. Als besonders aussagekräftig im Sinne einer Zahlungseinstellung ist danach nunmehr die Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht ratenweise - begleichen zu können. Besonders gravierend ist die ausdrückliche Erklärung des Schuldners, zahlungsunfähig zu sein.

Fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die übrigen Umstände in der Gesamtschau ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.

Bei allem soll nicht schematisch vorgegangen, sondern alle Aspekte des Einzelfalls gewürdigt werden. Allerdings hält der Bundesgerichtshof diesen Ansatz selbst nicht konsequent durch, wie etwa die Rasterprüfung zu Rückständen bei den Trägern der Gesamtsozialversicherung zeigt.

Ergibt sich aus der Wertung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände die Zahlungseinstellung kann die daraus folgende Vermutung der Zahlungseinstellung von dem dadurch Belasteten, etwa dem Anfechtungsgegner oder dem auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführer entkräftet werden. Möglich ist dies im Rechtsstreit durch die Einholung eines (sehr teuren) Sachverständigengutachtens, typischerweise eines Wirtschaftsprüfers. Nach der langjährigen Erfahrung des Verfassers dieser Kommentierung wird die Zahlungsunfähigkeit bei zuvor festgestellter Zahlungseinstellung jedoch nahezu ausnahmslos durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Dadurch erhöhen sich die Kosten des Rechtsstreits, die derjenige tragen muss, der im Prozess unterliegt, ganz erheblich. Bevor also ein Sachverständigengutachten zur Beweisführung im Prozess angeboten wird, müssen die Chancen und Risiken dieser Beweisführung sehr sorgfältig gegenübergestellt werden.

BGH, Urteil vom 03.03.2022 – IX ZR 78/20

Der Bundesgerichtshof hatte schon mit Urteil vom 06.05.2021 die Voraussetzungen deutlich verschärft, unter denen Insolvenzverwalter die Vorsatzanfechtung im Insolvenzverfahren nach § 133 InsO durchführen können. So soll es insbesondere nicht mehr möglich sein, automatisch von der dem Insolvenzschuldner bekannten eigenen Zahlungsunfähigkeit auf den Benachteiligungsvorsatz zu schließen. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht danach für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nur, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Erst wenn also die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht hat, nach dem selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung aufgrund objektiver Anhaltspunkte in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lässt, muss dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen darf, ohne andere zu benachteiligen. Nur wenn er in einer solchen Lage, die der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss, einzelne Gläubiger, handelt er weiterhin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, und solche Zahlungen bleiben anfechtbar nach § 133 InsO. Der Vorsatz fehlt hingegen (anders als nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung), wenn Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit besteht. Wieviel Zeit dem Schuldner hierfür verbleibt, kann dabei nicht pauschal bestimmt werden, sondern hängt vom Verhalten der (übrigen) Gläubiger ab. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Sieht sich der Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung, die Gegenstand einer anfechtungsrechtlichen Auseinandersetzung ist, erheblichem Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck ausgesetzt, begrenzt dies den für eine Beseitigung der vorhandenen Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum. Das Gericht betont mehrfach, dass für die Feststellung des Vorsatzes eine pauschale Betrachtung nicht ausreicht, sondern alle Aspekte des jeweiligen Einzelfalls einer besonderen Würdigung zu unterziehen sind.

Mit dem neuen recht komplex gestalteten Urteil aus dem Frühjahr 2022 konkretisiert der Bundesgerichtshof nun diese bereits 2021 verschärften Anforderungen für eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO durch die Insolvenzverwalter. Maßgeblich ist danach auch, ob der noch zahlende Schuldner aufgrund der ihm bekannten Krisenursachen nach den objektiven Umständen erkannt hat, dass ein Insolvenzverfahren unvermeidlich ist und er tatsächlich keine Aussichten mehr hat, seine Gläubiger zukünftig zu befriedigen. Daran soll es fehlen, wenn der Schuldner nach den objektiven Umständen noch annehmen konnte, dass die Krise nur vorübergehend ist oder die von ihm eingeleiteten Schritte zur Überwindung der Krise oder die begonnenen Sanierungsmaßnahmen Erfolg haben werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner damit rechnet, dass alsbald ein anderer Gläubiger einen zulässigen und begründeten Insolvenzantrag stellen wird.

Bisher erschien es naheliegend, dass die Insolvenzantragspflicht bei juristischen Personen (etwa GmbH, AG oder auch eingetragener Verein) diesen Zeitraum auf drei Wochen begrenzt, denn die Organe sind bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, spätestens nach dieser Zeit einen Insolvenzantrag zu stellen, sodass ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint. Dieser Überlegung erteilt der Bundesgerichtshof jetzt aber bei der Vorsatzanfechtung eine Absage, weil die Voraussetzungen, unter denen der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handele, nicht deckungsgleich seien mit dem vom Gesetzgeber für die Insolvenzantragspflicht der Organe der juristischen Person bestimmten Zeitraum.

Der Benachteiligungsvorsatz soll nicht mehr alleinstrong> aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit hergeleitet werden können. Ausreichend soll bei drohender Zahlungsunfähigkeit aber sein, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sicher zu erwarten ist und alsbald bevorsteht, der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt. Als weiteres Indiz wird eine unmittelbare Benachteiligung angesehen, die vorliegt, wenn die angefochtene Rechtshandlung selbst ohne das Hinzutreten weiterer Umstände die Benachteiligung bewirkt.

Unternimmt der Schuldner in der ihm verbleibenden Zeit einen Sanierungsversuch, kann dies auch gegen den Benachteiligungsvorsatz sprechen. Bislang verlangte die Rechtsprechung dann vom Anfechtungsgegner den Nachweis, dass das zugrunde liegende Konzept ungeeignet gewesen ist. Diese Beweislastverteilung ändert der Bundesgerichtshof nun ab. jetzt muss der Insolvenzverwalter beweisen, dass der Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat.

Bisher wurde für ein erfolgversprechendes, den Vorsatz ausschließendes Sanierungskonzept verlangt, dass es im Zeitpunkt der Rechtshandlung bereits in den Anfängen in die Tat umgesetzt worden war, etwa die Bank einen Sanierungskredit zugesagt hatte. Bei der Anfechtung von Honorarzahlungen an einen Sanierungsberater soll dies nach der neuen Entscheidung nicht uneingeschränkt gelten, sofern der Sanierungsversuch nicht von vornherein aussichtslos ist und der Schuldner mit der Vorstellung handelt, dass eine Vergütung der Beratungsleistungen erforderlich ist, um die Erfolgsaussichten einer Sanierung prüfen oder eine Sanierung beginnen zu können.

Bemerkenswert ist bei allem, dass das Gesetz bei der für die Vorsatzanfechtung notwendigen Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners eine Vermutung aufstellt. Wusste dieser nämlich, dass der Schuldner zumindest drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die übrigen Gläubiger benachteiligt, wird vermutet, dass er den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kannte. In einem solchen Fall muss der Anfechtungsgegner diese Vermutung widerlegen, was in der Praxis nur sehr schwer gelingt. Zumindest vordergründig erscheint es nicht vollständig ohne Widerspruch, den Vorsatz des Schuldners an anderen Maßstäben zu messen, wie es die neue Rechtsprechung tut.

In einer weiteren Entscheidung vom 03.03.2022 misst der Bundesgerichtshof der vom Insolvenzverwalter zu beweisenden insolvenzrechtlichen Überschuldung den Charakter eines eigenständigen Indizes für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei. Die Stärke des Beweisanzeichens soll davon abhängen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht.

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass Zahlungen im Vorfelde der Insolvenz für die Insolvenzverwalter nunmehr schwieriger anzufechten sind und die Erfolgssausichten von Zahlungsempfängern, sich gegen solche Anfechtungen zu wehren, damit erheblich gestiegen sind.

Boris Becker ist vom Southwark Crown Court in London zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen unvollständiger/falscher Angaben zu seinen Vermögenswerten in seinem Insolvenzverfahren verurteilt worden. Der ehemalige Ausnahmesportler musste nach Urteilsverkündung seine Haftstrafe umgehend aus dem Gerichtssaal antreten, wenngleich ihm noch das Rechtsmittel der Berufung zusteht.

Als Boris Becker seinen ersten von insgesamt drei Wimbledonsiegen erreichte, war ich selbst acht Jahre alt. Es ist wohl das älteste Sport-Großereignis, an das ich konkrete Erinnerungen habe. Steffi Graf, Boris Becker, Michael Stich, Anke Huber, Michael Westphal, Patrick Kühnen, Charly (Carl-Uwe) Steeb… sie alle haben in den 1980er und 1990er-Jahren zahlreiche Kinder und Jugendliche begeistert, sportlich inspiriert und letztendlich auch selbst zum Tennisspielen angetrieben. Und doch war „Boris“ immer besonders. Nicht nur sein langjähriger Trainer, Günther Bosch, sah das so, wie er in zahlreichen Co-Kommentatorenauftritten nimmermüde betonte. Boris war ein Garant für Drama, für Mitfiebern, für Kampf – er war im wahrsten Sinne des Wortes „mitreißend“. Und wenn sich diese Kindheitserinnerung nunmehr mit meiner beruflichen Expertise kreuzt, dann wird klar, warum mich dieser Fall beschäftigt.

Oft habe ich in letzter Zeit gelesen, dass Boris Becker „wegen Insolvenzverschleppung“ vor Gericht steht/verurteilt worden ist. Schon das ist so nicht korrekt und wäre im Übrigen auch nach deutschem Insolvenzrecht schlicht falsch. Das „delayed filing for insolvency“ ist zwar grundsätzlich auch im Vereinigten Königreich strafbar, jedoch betrifft diese Straftat – ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland die Geschäftsführer/Vorstände von Kapitalgesellschaften. Deren strafbewehrte Pflicht ist es, unverzüglich bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Natürliche Personen (Menschen) sind jedoch weder in Großbritannien noch in Deutschland dazu verpflichtet, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, können also in diesem Sinne in Bezug auf ihr eigenes Vermögen schon keine Insolvenzverschleppung begehen.

Boris Becker hat im Übrigen auch zu keinem Zeitpunkt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen selbst beantragt. Im Jahre 2017 wurde er von einem Londoner Gericht für zahlungsunfähig erklärt, nachdem die britische Privatbank Arbuthnot Latham die gerichtliche Feststellung gegen Becker beantragt hatte. Dieser Fall ist soweit nicht ungewöhnlich und auch dem deutschen Insolvenzrecht nicht fremd: auch in Deutschland kann ein Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Schuldners beantragen, wenn er gegenüber dem zuständigen Insolvenzgericht seine Gläubigerstellung und den Insolvenzgrund auf Seiten des Schuldners glaubhaft macht (§ 14 InsO).

Im Falle des Fremdantrages der britischen Privatbank über das Vermögen von Boris Becker hatte sich Letzterer im Jahre 2017 versucht, mit allen Mitteln gegen den Antrag zu stemmen. Die prominenteste Verteidigungsstrategie war sicherlich im April 2018 der Versuch der Prozessbevollmächtigten, Boris Becker diplomatischen Schutz aufgrund seiner Funktion als Sportattaché der Zentralafrikanischen Republik zuzubilligen, mit dem Ziel die Unzulässigkeit des Insolvenzverfahrens wegen diplomatischer Immunität zu erreichen. Ein Versuch, der allenfalls kreative Wertschätzung abringt, da unabhängig von der Tatsache, dass diplomatische Immunität sicher nicht rückwirkend entfaltet werden kann, es sich bei der Funktion des Sportattachés um kein Amt mit Diplomatenstatus handelte und Becker im Übrigen ein entsprechender Pass von der Regierung der Zentralafrikanischen Republik zu keinem Zeitpunkt ausgestellt wurde.

Das Insolvenzverfahren in Großbritannien über das Vermögen von Boris Becker wurde bekanntlich durchgeführt und Becker zur Zusammenarbeit mit dem „Trustee“ (Insolvenzverwalter) angehalten. Nichts anderes gilt auch in Deutschland: nach § 97 InsO ist der Insolvenzschuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch der Gläubigerversammlung Auskunft über „alle das Verfahren betreffende Verhältnisse“ zu geben. Dies beinhaltet selbstverständlich auch sämtliche Vermögenswerte des Schuldners, unabhängig davon, wo sich diese Vermögensverhältnisse befinden.

Boris Becker wurde nunmehr aufgrund der Verletzung einer inhaltsgleichen Verpflichtung nach englischem Insolvenzrecht verurteilt. Konkret hatte es der heute 54-jährige versäumt, richtige und vollständige Angaben zu seinen Vermögenswerten – konkret einer Immobilie in Leimen (Deutschland) und Gesellschaftsanteile an einer Firma für Künstliche Intelligenz sowie die Existenz einer Darlehensschuld – zu machen. Darüber hinaus hatte Becker unerlaubt hohe Summen auf andere (fremde) Konten transferiert und somit dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen.

Sämtliche der vorstehenden Handlungen wären im Übrigen auch nach deutschem Recht in einem Insolvenzverfahren mit Folgen verbunden. Zum einen liefert der Schuldner als natürliche Person damit seinen Gläubigern einen Grund, einen (wohl begründeten) Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu stellen. Die Erteilung einer Restschuldbefreiung ist aber nach deutschem Insolvenzrecht sowieso nur dann denkbar, wenn der Schuldner zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hat, der wiederum regelmäßig mit einem eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden sein muss. Würde man also „deutsche Insolvenzrechtsmaßstäbe“ auf das Insolvenzverfahren Beckers übertragen, kam für Boris Becker die Erteilung einer Restschuldbefreiung in seinem Insolvenzverfahren nicht in Betracht, weil das Verfahren ja bekanntlich nur auf Antrag der englischen Privatbank eröffnet wurde.

Zum anderen wären aber auch die von Becker vorgenommen Handlungen bzw. seine Unterlassungen auch nach deutschem Strafrecht relevant gewesen: Betrug, Untreue, Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung oder auch Bankrott wären im vorliegenden Fall sicherlich Straftatbestände, nach denen ein deutscher Staatsanwalt das Verhalten Boris Beckers zu beurteilen gehabt hätte. Und auch hier wäre – insbesondere gemessen an den vergleichsweise hohen Vermögenswerten, die den Taten zugrunde liegen und eben nach der kriminellen Energie – eine nicht unempfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten gewesen. Die Strafzumessung muss letztendlich auch unter dem Aspekt betrachtet werden, dass Boris Becker zumindest den deutschen Strafverfolgungsbehörden – nicht nur wegen seines sportlichen Ausnahmekönnens – kein Unbekannter ist: am 24.10.2002 wurde Boris Becker wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, außerdem musste er einen Betrag von 200.000,00 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen.

Insgesamt können also folgende Punkte festgehalten werden:

1. Boris Becker ist ein Garant für Drama – auch lange Zeit, nachdem er seine aktive Tenniskarriere beendet hat;

2. Boris Becker hat aus seiner Vergangenheit nicht wirklich etwas gelernt: spätestens nachdem er wegen Steuerhinterziehung (möglicherweise aufgrund falscher Beratung?) verurteilt worden ist, hätte er ein eigenes Interesse an der Ordnung seiner Vermögensverhältnisse entwickeln müssen;

3. Boris Becker hat sowohl im Insolvenzverfahren als auch im sich anschließenden Strafverfahren schlicht eine falsche und für ihn verheerende Strategie gewählt: Falsch- und Desinformation sowie Verschleierung und Leugnung haben hier zu Kopfschütteln und rechtlichen Konsequenzen geführt, die durch Kooperation und Transparenz vollständig hätten vermieden werden können.

OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2021 – 2 U 23/21
Die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegenüber Steuerberatern und GmbH-Geschäftsführern insolventer Unternehmen ist für Insolvenzverwalter ein wichtiges Instrument zur Massegenerierung. Dass hierzu wohl in Zukunft vermehrt Sanierungsberater als Anspruchsgegner zur Kasse gebeten werden und für den Haftungsanspruch eine vergleichsweise geringe Hürde genommen werden muss, zeigt eine Entscheidung des OLG Köln vom 13.10.2021.

Dort hatte der Insolvenzverwalter einer insolventen GmbH die ehemalige Sanierungsberaterin auf Zahlung von knapp einer halben Million Euro in Anspruch genommen. Er stützte seinen Anspruch zum Teil auf erklärte Insolvenzanfechtung, zum Teil auf Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife von der GmbH geleistet wurden. Die Beklagte war von der Insolvenzschuldnerin zur Erstellung eines Sanierungs- und Finanzkonzepts beauftragt worden. Ausweislich des erstellten Sanierungskonzepts lag für die Insolvenzschuldnerin eine positive Zukunftsprognose, wenn auch mit angespannter Liquiditätssituation vor. Altverbindlichkeiten hätten selbst mit neuen Fremdmitteln nur nach einigen Monaten befriedigt werden können.

Die Beklagte hat gegen das erstinstanzlich vom Insolvenzverwalter gewonnene Urteil Berufung eingelegt, unterlag jedoch auch in der zweiten Instanz. Auch das Berufungsgericht sah die Voraussetzungen der §§ 143 I, 133 I InsO als gegeben an, worauf sich der klägerische Teilanspruch auf Rückzahlung des Beraterhonorars stützte. Insbesondere die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, die offenen Steuerverbindlichkeiten und offenen Löhne, allen voran aber der Ratschlag der Beklagten, die Insolvenzschuldnerin solle ein Treuhandkonto einrichten, um Zahlungen an bestimmte Gläubiger priorisieren zu können, sah das Gericht als Indizien für die von der Beklagten erkannte Zahlungsunfähigkeit an.

Auch den Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280 I, 611, 675, 398 BGB hinsichtlich des weiteren geltend gemachten Teilbetrags hat das Berufungsgericht im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) bejaht. Die Beklagte war aufgrund ihrer überlegenen Sachkunde verpflichtet, auf die Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin hinzuweisen. Denn der Sanierungsvertrag entfaltet eine Schutzwirkung zugunsten Dritter – vorliegend zugunsten des Geschäftsführers –, da die Insolvenzverschleppung strafbar ist und der Geschäftsführer insoweit persönlich zivilrechtlich haftet. Die Hinweispflicht bzgl. der Insolvenzantragspflicht greift auch dann, wenn keine entsprechende Beauftragung zugrunde liegt, sofern einem Sanierungsberater alle zur Prüfung relevanten Informationen zur Verfügung gestellt wurden und in dem Sanierungsvertrag keine konkreten Leistungen unter Ausschluss einer Beratung in rechtlichen und steuerlichen Angelegenheiten abschließend geregelt sind.

Die Arbeitnehmer eines in Insolvenz geratenen Unternehmens sind gewöhnlicherweise für den Zeitraum der letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse) durch das Insolvenzgeld der örtlich zuständigen Bundesagentur für Arbeit abgesichert. Dies gilt aber nach einem Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.10.2018 (Az.: S 1 AL 3799/16) nicht für solche Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag mit dem später in Insolvenz fallenden Unternehmen zu einem Zeitpunkt abgeschlossen war, als der Arbeitgeber schon insolvenzreif war.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld gestellt. Der Arbeitnehmer war aber erst zu einem Zeitpunkt (hier: 01.05.2016) in das Unternehmen eingetreten, zu dem das Unternehmen bereits insolvenzreif (zahlungsunfähig und/oder überschuldet) war. Einen solchen Fall sichere das Insolvenzgeld nicht ab, so das Heilbronner Sozialgericht. Tatsächlich hatte der betroffene Arbeitnehmer zu keinem Zeitpunkt eine vertraglich zugesicherte Gehaltsleistung des später insolventen Arbeitgebers erhalten.

Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.

Interessant ist, dass im vorliegenden Fall der Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit nicht auf die Kenntnis des Arbeitnehmers von der wirtschaftlichen Krise des Arbeitgebers gestützt wurde, sondern von der objektiven Insolvenzreife. Es stellt sich hieraus die Frage, wie Arbeitnehmer hierauf reagieren und sich absichern können? Allein die Frage danach, ob es denn dem Unternehmen wirtschaftlich gut gehe, könnte einerseits wohl nicht den erhofften Effekt in Bezug auf eine Gewährung von Insolvenzgeld einbringen, andererseits aber auch negativen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitgebers nehmen, den so dreist nachfragenden Arbeitnehmer letztendlich einzustellen.

Entscheiden sich die Gesellschafter einer GmbH im Rahmen der Feststellung eines Jahresabschlusses dazu, den Gewinn in der Gesellschaft belassen, so kann eine zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Ausschüttungen nach §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sein. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.07.2021 – Az.: IX ZR 195/20 entschieden.

Worum es geht…
Im zur Entscheidung stehenden Fall hatte der Alleingesellschafter einer GmbH den Jahresgewinn „seiner“ GmbH nicht ausgeschüttet, sondern in der Gesellschaft belassen. Im darauffolgenden Geschäftsjahr verfasste der Gesellschafter dann einen insoweit abändernden Beschluss, einen Teilbetrag von 200.000,00 EUR als Gewinn auszuschütten. Vier Monate nach diesem abändernden Beschluss stellte die GmbH einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im eröffneten Insolvenzverfahren forderte der Insolvenzverwalter die Ausschüttung von 200.000,00 EUR unter Berufung auf §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO vom Gesellschafter zurück. Mit Erfolg, wie der Bundesgerichtshof urteilte.

Gewinnausschüttung als eine „einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung“
Ob die (spätere) Gewinnausschüttung eine einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung aus Sicht der Gesellschaft darstellt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch in der Literatur umstritten. Gegen eine Gleichbehandlung spricht z.B. eine unterschiedliche Verortung von Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) und stehengelassenen Gewinnen (Eigenkapital) in der Bilanz (siehe dazu Primozic/Ruf in NZI 2021, Seite 980). Im Endeffekt war jedoch für den Bundesgerichtshof die Gesellschafterintention maßgeblich. Ähnlich wie bei der Ausreichung eines (Gesellschafter-) Darlehens mag sich der Gesellschafter einerseits überlegen, dass die Gesellschaft das Geld wohl momentan „besser gebrauchen könne“, andererseits aber auch festen Willens sein, das Geld zu einem späteren Zeitpunkt von der Gesellschaft zu erhalten.

Konsequenzen für die Beratungspraxis
Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung sind also nicht nur bei der Beratung in Zusammenhang mit der Ausreichung/dem Stehenlassen eines Gesellschafterdarlehens, sondern eben auch bei der Frage der Gewinnverwendung intime Kenntnisse der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften gefordert. Dies schon deshalb, weil die Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO seit 2008 krisenunabhängig im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung möglich ist. Mithin sollten also auch Steuerberater zukünftig bei der Beratung im Zusammenhang mit der Gewinnverwendung einen entsprechenden Hinweis zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit stehengelassener Gewinne erteilen.

Seit jeher wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass ein gesellschaftsvertraglicher Ausschluss des Abfindungsanspruches nach § 738 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB bei Versterben eines Gesellschafters und Fortsetzung der Personengesellschaft keine pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkung i.S.d. §§ 2325 ff. BGB an die verbleibenden Gesellschafter darstellt. Gleiches gilt für den Fall einer gesellschaftsvertraglichen Begrenzung des Abfindungsguthabens, welches nach § 1922 BGB in den Nachlass fällt.

Zur Begründung wird angeführt, dass eine solche Regelung für alle Gesellschafter gilt und somit Gegenleistungscharakter hat: Jeder Gesellschafter hat beim Ableben eines Mitgesellschafters und der Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern die Chance, den Anteil des Ausgeschiedenen durch Anwachsung unter Ausschluss des Abfindungsanspruches zu erwerben, während für ihn gleichermaßen das Risiko besteht, bei Versterben seinen Anteil ohne Ausgleich für den Nachlass zu verlieren. Ferner diene eine solche Vertragsregelung dem Unternehmenserhalt.

Etwas anderes hat der BGH am 03.06.2020 nun für eine Konstellation entschieden (Az. IV ZR 16/19), in der die einzigen Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eheleute waren und sich der Gesellschaftszweck auf die Verwaltung von (z.T. selbstgenutztem) Immobilienvermögen beschränkte. Mit dem Tod des Ehemannes wurde die GbR aufgelöst und die Ehefrau erhielt die Anteile gemäß gesellschaftsvertraglicher Regelung. Eine Abfindung wurde im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen. In dem konkreten Einzelfall hat der BGH eine ergänzungspflichtige Schenkung an die Ehefrau angenommen, da im Vordergrund nicht die Fortführung des nicht am Wirtschaftsleben teilnehmenden Unternehmens stand, sondern eine Regelung vergleichbar der gewillkürten Erbfolge, mit der Pflichtteilsansprüche minimiert werden sollten.

Ob hier ein Paradigmenwechsel eingeleitet wird und der BGH das auch in Bezug auf andere ähnliche Konstellationen bei rein vermögensverwaltenden Gesellschaften so sehen wird, bleibt abzuwarten.

Nachdem das Vereinigte Königreich am 31.01.2020 die Europäische Union verlassen hat, stellt sich die Frage, welche gesellschaftsrechtlichen Folgen dies für Gesellschafter einer britischen Limited mit ausschließlichem Tätigkeitsfeld in der Bundesrepublik Deutschland hat. Aufgrund des Wegfalls der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen nach britischem Recht erkennt Deutschland die britische Limited als solche nicht mehr an. Aufgrund ihrer ausschliefllichen Tätigkeit der Limited in der Bundesrepublik Deutschland besteht auch hier ihr “faktischer Verwaltungssitz”. Die fehlende Anerkennung der britischen Gesellschaftsform führt dann jedoch dazu, dass die Limited nicht mehr als Kapitalgesellschaft (mit beschränkter) Haftung, sondern rechtlich als Personenhandelsgesellschaft mit der Folge der vollumfänglichen persönlichen Haftung der Gesellschafter eingeordnet wird. Dies wurde durch das Urteil des OLG München vom 05.08.2021 - Az.: 29 U 2411/21 bestätigt. Je nach Ausgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit kann die in Deutschland werbende britische Limited als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Offene Handelsgesellschaft (OHG) einzuordnen sein.

Betroffene Unternehmer befinden sich daher gegenwärtig in einer Haftungslage, die sie durch Gründung einer haftungsbeschränkten (ausländischen) Gesellschaftsform gerade zu vermeiden versucht haben. Hier besteht Handlungsbedarf ! Bitte kontaktieren Sie gerne die gesellschaftsrechtlichen Spezialisten unserer Kanzlei.

Mit Urteil vom 18.11.2020 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Directors & Officers (D&O) Versicherung für den durch einen Insolvenzverwalter gegen den Geschäftsführer einer GmbH / Vorstand einer Aktiengesellschaft geltend gemachten sog. “Insolvenzverschleppungsschaden” einzustehen hat, sofern dieser Schaden durch das Vertretungsorgan nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt wurde. Eine vorhergehende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 20.07.2018 hatte Geschäftsführern/Vorständen insolventer Unternehmen zusätzlich schlaflose Nächte bereitet, da dieses geurteilt hatte, dass der Insolvenzverschleppungsschaden nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. als Anspruch “sui generis” nicht von der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abgedeckt sei. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr Klarheit zugunsten der versicherten Personen geschaffen: Auch der Verschleppungsschaden ist von der D&O Versicherung abgedeckt. Zur Begründung führte das höchste deutsche Zivilgericht aus, dass von einem Geschäftsführer/Vorstand, der/die zwar in der Regel geschäftserfahren sei, jedoch nicht erwartet werden könne, einen üblichen Haftpflichtanspruch von einem Anspruch nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F. zu erkennen. Deshalb sei der in Rede stehende Erstattungsanspruch (nach ß 64 Satz 1 GmbHG a.F.) von der Versicherung erfasst.

Ungeachtet dessen bereiten derartige Prozesse den Geschäftsführern bzw. Vorständen insolventer Unternehmen häufig schlaflose Nächte, da die geforderten Beträge häufig in Millionenhöhe gehen können. Umso wichtiger ist es, dass Sie sich als betroffener Geschäftsführer/Vorstand frühzeitig professionellen Rat suchen.

Für einen Beratungsvertrag, der zwischen einer Aktiengesellschaft und einer von einem Aufsichtsratsmitglied vertretenen GmbH abgeschlossen worden ist, sind die ßß 113 ff. AktG anwendbar. Fehlt es an der Zustimmung des Aufsichtsrats zum Abschluss eines solchen Vertrages sind die auf Grundlage des Vertrages gezahlten Honorare an die Aktiengesellschaft zurückzugewähren. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 29.06.2021 - Az.: II ZR 75/20 entschieden.

Bei dieser Entscheidung zeigt sich erneut die Strenge des Aktienrechts. Möchte ein Aufsichtsratsmitglied als Geschäftsführer einer GmbH einen Beratungsvertrag zwischen der AG und “seiner” GmbH abschlieflen, bedarf dieser Vertrag für seine Wirksamkeit zwingend der Zustimmung des Aufsichtsrates. Ausdrücklich regelt dies ß 114 Abs. 1 AktG nur für die Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds selbst. Der BGH sieht jedoch Raum für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs, da es unbeachtlich sei, dass das Aufsichtsratsmitglied ein vom wirtschaftlichen Erfolg der Aktiengesellschaft unabhängiges Gehalt bezieht. Vielmehr zeigt dieses Urteil, dass der BGH die Fragen eines Interessenkonflikts ernst nimmt und daher das Zustimmungserfordernis auch auf Sachverhalte ausdehnt, in denen das Aufsichtsratsmitglied mittelbar wirtschaftlich von einem Vertragsabschluss profitiert.

Wendet sich der aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossene Gesellschafter gegen seinen Ausschluss, muss er seinen Abfindungsanspruch nicht vor einer Entscheidung über die Wirksamkeit des Ausschlusses gegenüber der Gesellschaft geltend machen, so BGH ñ Urteil vom 18.05.2021 - Az.: II ZR 41/20. Im konkret durch den BGH entschiedenen Fall wurde der Gesellschafter einer GbR im Jahre 2009 aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Er wehrte sich gegen seinen Ausschluss über einen Zeitraum von sechs Jahren. Im Jahre 2015 machte er dann nach rechtskräftiger Feststellung des Ausschlusses seinen Abfindungsanspruch gegenüber der Gesellschaft geltend. Die übrigen Gesellschafter der GbR erhoben hiergegen die Verjährungseinrede.

Zu Unrecht, wie der BGH nun am 18.05.2021 entschied. Zwar entstehe der Anspruch auf Abfindung mit dem Ausscheiden der Gesellschaft und unterliege der dreijährigen Regelverjährungsfrist. Jedoch beginne die Verjährung nicht schon mit dem Ausschlieflungsbeschluss, sondern erst mit dessen Rechtskraft. Zuvor sei die Rechtslage im Falle eines Gesellschaftsausschlusses so wage, dass eine zusätzliche (Sicherheits- )Klage auf Zahlung einer Abfindung nicht zumutbar sei. Etwas anderes könne nach BGH nur für solche Fälle gelten, in denen entweder die Wirksamkeit des Ausschlusses nicht streitig sei oder aber der Ausschluss offensichtlich wirksam ist.

Auch dieser Fall zeigt, dass im Rahmen des Gesellschaftsrechts eine taktische Beratung von Beginn einer Auseinandersetzung angefordert ist. Kontaktieren Sie daher im Falle eines Gesellschafts-/Gesellschafterstreits frühzeitig unsere Experten auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts.

Eine natürliche Person, der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt worden ist, hat spätestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses über die Restschuldbefreiung gegenüber der Schufa einen Anspruch auf Löschung der eingetragenen Restschuldbefreiung. Dies urteilte das Oberlandesgerichts Schleswig am 02.07.2021 - Az.: 17 U 15/21. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Dennoch urteilte das OLG Schleswig in bemerkenswerter Klarheit, dass ein ehemaliger Insolvenzschuldner ein berechtigtes Interesse an der Löschung schon nach sechs Monaten habe. Ein berechtigtes Interesse für die dreijährige Speicherung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO habe die Schufa nicht, da eine solch lange Speicherung der in § 3 InsoBekV zuwiderlaufen würde.

Das OLG Schleswig “harmonisiert” durch sein Urteil die Fristen zur Löschung des Merkmals der Restschuldbefreiung im Rahmen der “Insolvenzbekanntmachungen” mit denen der Schufa. Unter Insolvenzbekanntmachungen.de wird der Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung sechs Monate nach Rechtskraft wieder gelöscht und ist für Dritte nicht mehr einsehbar. Sollte das Urteil auch nach der Revision beim Bundesgerichtshof Bestand haben, bedeutet dies, dass ehemalige Insolvenzschuldner den Nimbus der früheren Insolvenz ca. sieben Monaten nach Erteilung der Restschuldbefreiung endgültig abstreifen können.

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