Rechtsanwälte für Wirtschaftsrecht, Unternehmensberatung und Sanierung

Massgeschneiderte Beratung auf höchstem Niveau ist die Grundlage der nachhaltigen Zufriedenheit unserer Mandanten.

Als mittelständische, auf das Wirtschaftsrecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei mit Standorten in München, Nürnberg und Berlin betreuen wir Ihre rechtlichen Anliegen kompetent, effektiv und “auf den Punkt”, egal wo Sie uns brauchen.

Die Ausstattung unserer Kanzleistandorte mit modernster Technik erlaubt es uns, mit Ihnen jederzeit auf über große Distanz auch über Videokonferenz zu kommunizieren.

Wenn Sie also auf dem Gebiet des (internationalen) Wirtschaftsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts oder auch des Sanierungs- und Insolvenzrechts einen lösungsorientierten Partner suchen, sind wir gerne an Ihrer Seite! Individuelle Beratung, Vertragsgestaltung, und Prozessvertretung gehören zu unseren Stärken, auf die Sie bauen können

Unser Ziel

Die Effektive Durchsetzung Ihrer Rechte und Interessen Stehen im Zentrum Unserer Beratung.

Gemeinsam mit Ihnen als Mandanten erörtern wir zunächst eingehend Ihre Ziele und Wünsche. Sodann identifizieren wir unter Einbeziehung unserer interdisziplinären Betrufsträger mit Ihnen zusammen den Weg, um Ihr Ziel zu erreichen. Die Erfassung komplexer Sachverhalte und die Entwicklung einer klaren und nachvollziehbaren Handlungsstruktur für Ihr Vorhaben bilden dabei die Kernkompetenzen unserer Kanzlei.

Kompetenzen

Die Spezialisten unserer Kanzlei stehen Ihnen auf ihren jeweiligen Fachgebieten gerne zur Verfügung. Zur der für Sie zu bearbeitenden Fragestellung wählen Sie das in Betracht kommende Tätigkeitsgebiet aus, für das wir in unserer Kanzlei den oder die richtigen Experten haben.

Unser Fachwissen ist immer topaktuell, intensive Aus- und Weiterbildung ist für uns Selbstverständlichkeit.

Geschichte

3 Standorte
22 Berufsträger
8 Fachanwälte
ca. 100 MITARBEITER

Die Rechtsanwaltskanzlei Pöhlmann Früchtl Oppermann ist ursprünglich aus dem Zusammenschluss dreier mittelständischer Rechtsanwaltskanzleien an den Standorten München und Nürnberg im Jahr 2005 entstanden. Um der zunehmenden Nachfrage des Marktes nach überregionalen, interdisziplinären Rechtsdienstleistungen gerecht zu werden, haben wir eine entsprechende Kanzleistruktur aufgebaut, die im Jahre 2020 durch den Beitritt der Rechtsanwaltskanzlei Houben aus Berlin sinnvoll ergänzt wurde. Hierdurch können wir unseren Mandanten ein Höchstmaß an Flexibilität, kompetente Ansprechpartner vor Ort und eine moderne Beratungsstruktur bieten.

An unseren Standorten in München, Nürnberg und Berlin sind wir mit 22 Berufsträgern, davon 8 mit der Berechtigung einen oder mehrere Fachanwaltstitel zu führen, dort für Sie tätig, wo Sie uns brauchen. Mit dieser Struktur können wir uns Ihrem Vorhaben professionell, schnell und “auf den Punkt” annehmen. Komplexe Beratungen begleiten wir mit interdisziplinären Teams, um für Sie sämtliche Facetten einer rechtlichen Gestaltung zu beleuchten. Dabei achten unsere Spezialisten auf eine klare und verständliche Sprache. Jederzeitige Erreichbarkeit und Kommunikation sind für uns wichtige Bausteine einer langfristigen Partnerschaft.

3 Standorte
22 Berufsträger
8 Fachanwälte
ca. 100 MITARBEITER

Zertifizierung

Über unseren Registersitz in München sind wir seit dem 11.12.2012 durch die SGS Gruppe Deutschland (TÜV Saarland) gemäß DIN ISO 9001 : 2015 zertifiziert worden. Daneben verfügen alle Standorte innerhalb der CURATOR AG über zusätzliche Zertifizierungen für die von uns auch ausgeübte Tätigkeit der Insolvenzverwaltung und damit über eine ganzheitlich geordnete Struktur sowie eine niedergeschriebene Ablauf- und Aufbauorganisation, die regelmäßig durch unabhängige Auditoren im Rahmen interner und externer Audits überprüft wird.

Die Zertifizierung ermöglicht es uns, noch flexibler unsere Prozesse ggf. auch in bestimmten Bereichen kurzfristig und optimal für unsere Mandanten anzupassen. Personenunabhängig sind wir durch die Zertifizierung in der Lage, die hohe Qualität unserer Arbeit für unsere Mandanten transparent zu gestalten und Kontinuität zu sichern.

Soziales Engagement

Weitere informationen zum verein perspektiven E.V. und zu den von uns unterstüzten massnahmen

Bereits vor Jahren haben sich unsere Partner über ihr berufliches Engagement hinaus auch für die Rechte der schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft eingesetzt. In diesem Bestreben haben sich insgesamt sieben mittelständische Unternehmer im Februar 2011 zusammengefunden und den Verein Perspektiven e.V. zur Unterstützung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher gegründet. Im Rahmen dieses Vereins werden Spendengelder sowohl durch Beiträge als auch durch Charity-Veranstaltungen generiert und dann auf direktem Wege zum Zwecke der Ausbildung oder der Förderung von Freizeitaktivitäten an Kinder und Jugendliche eingesetzt.

Besonders hervorzuheben ist dabei, dass der Verein hierbei zu 100% ehrenamtlich geführt wird und die Gelder gerade nicht einfach an Träger von Kinder- und Jugendheimen weitergeleitet, sondern gezielt und direkt zum Wohle der Kinder und Jugendlichen verwendet werden. Gerne unterstützen wir daher sowohl finanziell als auch durch unsere ehrenamtliche Tätigkeit als Vorstände und Mitglieder im Verein Perspektiven e.V. die Ziele des Vereins und sorgen dafür, dass auch diesen Kindern eine positive Zukunftsperspektive aufgezeigt werden kann.

Weitere informationen zum verein perspektiven E.V. und zu den von uns unterstüzten massnahmen:

Logo Verein Perspektiven

Hilfe für die Ukraine

Der seit Februar 2022 währende Krieg in der Ukraine und die damit einsetzende Fluchtbewegung innerhalb Europas hat uns dazu bewogen, auch dort helfend aktiv zu werden. Gemeinsam mit weiteren Freunden, die teilweise selbst aus verschiedenen Regionen der Ukraine stammen, wurde der gemeinnützige Verein Ukraine Donation e.V. gegründet. Zweck des Vereins ist es Sach- und Geldspenden einzusammeln, um diese dann im Rahmen von eigens organisierten Hilfstransporten direkt nach Dnipro zu bringen. Dort werden Krankenhäuser, Kinderheime, aber auch ukrainische Flüchtlingsfamilien mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und - wenn benötigt - mit Kleidung versorgt. Teilweise kommen Familien mit wortwörtlich nichts als der eigenen Kleidung in Dnipro aus den unmittelbar von Kampfhandlungen betroffenen Regionen an. In diesem Zusammenhang erreichen uns dramatische Schicksale, gleichzeitig aber auch ungblaublich große Dankbarkeit der Zivilbevölkerung.

Ukraine Verein vor dem LKW

Deswegen möchten wir auch Sie dafür gewinnen, nach Ihren Möglichkeiten einen Beitrag für Menschen in größter Not zu spenden. Nähere Informationen finden Sie unter auf der Webseite UADONATION unseres Vereins.

Logo Verein Udonation

Wir stellen uns vor

Mit einem Klick erhalten Sie alle Infomation über das jeweilige PFO Mitglied

Bei uns finden Sie Berufsträger für die verschiedensten Fachgebiete, die sich in speziell für Ihren Fall zusammengestellten Teams um Sie kümmern.

Wir verstehen uns nicht nur als konstruktive aber auch kritische Prüfer, Berater und Ideengeber, sondern auch als visionäre Wegbereiter, die zu Lösungen anregen.

Klicken Sie auf ein Foto, um mehr über die jeweilige Person zu erfahren.

Niederlassungen

M N B

Wir haben Büros in München, Nürnberg und Berlin, um Sie erfolgreich und nahe an Ihrem Standort betreuen zu können.

München

Landsberger Straße 346, 80687 München
t +49-89-23806-0 f +49-89-23806-120
e muenchen@pfo-anwaelte.de

Nürnberg

Nordostpark 7-9, 90411 Nürnberg
t +49-911-59890-20 f +49-911-59890-49
e nuernberg@pfo-anwaelte.de

Berlin

Fasanenstraße 71, 10719 Berlin
t +49-30-484824-60 f +49-911-59890-95
e berlin@pfo-anwaelte.de

Curator

Um den wachsenden Anforderungen an die Betreuung von Insolvenzverfahren gerecht zu werden, agieren die Rechtsanwälte unserer Kanzlei, die auch als Insolvenzverwalter bestellt werden und tätig sind, seit dem 1.12.2012 unter der CURATOR AG - Insolvenzverwaltungen, an der wir als einer von zwei Gründungsgesellschafter beteiligt sind. Die CURATOR AG ist bundesweit tätig, und hier kooperieren allein für diesen Tätigkeitsbereich inzwischen 14 Insolvenzverwalter aus neun Kanzleien, die über ein interdisziplinäres Know How und ein umfassendes Netzwerk verfügen und die in einem engen Verbund in großen und komplexen Verfahren sich gegenseitig unterstützen.

Als Insolvenzverwalter und auch als Sachwalter im Rahmen von Eigenverwaltungen werden von der PFO Dr. Werner Pöhlmann, Dr. Stefan Oppermann, Alexander Kubusch, André Houben, Sirko Hampel und Hannah Rady regelmäßig von vielen Insolvenzgerichten bestellt und sind im Verbund der CURATOR AG tätig. Im Bereich der Insolvenzverwaltung sind alle unsere Standorte sowohl nach DIN ISO 9001:2015 als auch nach GOI (Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenz- und Eigenverwaltung) von der DQS GmbH zertifiziert und decken alle Bereiche der Insolvenzverwaltung ab. Sämtliche Verwalter sind dazu in der Lage, Verfahren jeder Größenordnung zu betreuen, Insolvenzpläne zu erarbeiten und (vorläufige) Eigenverwaltungen zu beaufsichtigen. Insolvenzrechtliche Beratungen von Gläubigern und die Begleitung von Schuldnern in Eingeverwaltungsverfahren erfolgen im Rahmen unserer anwaltlichen Tätigkeit in der PFO.

News

Wir halten Sie auf dem Laufenden mit aktuellen Informationen und hilfreichen News.

Download: Fluggastrechte in der Insolvenz des Luftfahrtunternehmens - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Insolvenzrechtliche Ausgangslage

Welche Befriedigungschancen eine Forderung in der Insolvenz des Schuldners hat, hängt entscheidend von ihrem insolvenzrechtlichen Rang ab. Neben den hier nicht interessierenden Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen sind dies Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO) und sogenannte Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die im eröffneten Insolvenzverfahren nur vom Insolvenzverwalter begründet werden können. Das Privileg der Masseverbindlichkeiten rechtfertigt sich, jedenfalls für vertragliche Ansprüche aus der Überlegung, dass derjenige, der sich auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einlässt, darauf vertrauen können muss, dass er seine Gegenleistung aus der Insolvenzmasse vollständig erhält.

Insolvenzforderungen sind dagegen Forderungen, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet waren.

Während die Masseverbindlichkeiten abgesehen von Fällen der Masseunzulänglichkeit volle Befriedigung erwarten dürfen, erhalten die Insolvenzgläubiger nur die Insolvenzquote, die häufig sehr niedrig ist, wie gerade auch der vorliegende Fall zeigt, in dem lediglich eine Quote von 0,1 % auf die Insolvenzforderungen gezahlt wurde. Nicht selten wird gar keine Quote gezahlt.

Im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung wird kein Insolvenzverwalter bestellt, diese Aufgabe übernimmt der Schuldner oder im Fall einer juristischen Person, etwa einer GmbH, ihr Geschäftsführer. Masseverbindlichkeiten begründet folglich hier der sich selbst verwaltende Schuldner.

Anders als Insolvenzforderungen können Masseverbindlichkeiten nicht durch ein Insolvenzplanverfahren geregelt werden, sie sind vielmehr unabhängig vom Inhalt des Insolvenzplans vollständig zu befriedigen.

Der zu entscheidende Fall

Im August 2019 buchte der Kläger für sich und die Klägerin bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen Flüge von Düsseldorf nach Westerland/Sylt und von Westerland/Sylt zurück nach Düsseldorf. Sie bezahlten den Flugpreis. Die Flüge sollten im Juni 2020 stattfinden. Am 01.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Am 28.05.2020 annullierte die Beklagte aufgrund von Reisebeschränkungen (COVID-19) die Flüge und bot einen Fluggutschein an, den die Kläger ablehnten. Ersatzflüge bot sie den Klägern nicht an. Noch an demselben Tag buchte der Kläger Ersatzflüge bei einer anderen Fluggesellschaft. Hierfür entstanden Kosten in Höhe von 602,48 €. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, mit Beschluss vom 26.11.2020 aufgehoben.

Der Insolvenzplan sieht für Insolvenzforderungen eine Quote von 0,1% und Zusatzquoten vor.

Die Kläger begehren Zahlung einer Ausgleichszahlung von 250 € pro Person zuzüglich Zinsen, darüber hinaus Erstattung der für die Ersatzbeförderung aufgewendeten Kosten in Höhe von 602,48 € nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat der Klage lediglich in Höhe von 0,1% der geltend gemachten Forderungen stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht als Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, weil es die Forderungen der Kläger als Masseverbindlichkeiten angesehen hatte. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt auf die Revision der Beklagten das amtsgerichtliche Urteil wieder her.

Die Forderung der Kläger beruht auf der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (kurz: Fluggastrechte-VO).

Nach Art. 5 Abs. 1 Fluggastrechte-VO gilt unter anderem:

Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

b) …

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen…

Art. 7 Abs. 1 Fluggastrechte-VO lautet:

Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen…

Art. 8 Fluggastrechte-VO gewährt dem Reisenden bei Flugannullierungen unter anderem Anspruch auf einen Ersatzflug durch das Luftfahrtunternehmen, den die Beklagte, wie ausgeführt, nicht angeboten hat.

Die Begründung des BGH

Zwar geht auch der BGH vom Bestehen der Ansprüche der Kläger in der geltend gemachten Höhe aus, mit dem Amtsgericht behandelt er die Ansprüche der Kläger als bloße Insolvenzforderungen. Die Voraussetzungen für eine Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO lägen nicht vor.

Dazu, ob Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung eine Masseverbindlichkeit oder eine Insolvenzforderung darstellen, wenn der Flug vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fluggesellschaft gebucht und bezahlt, der Flug aber erst nach der Eröffnung annulliert worden ist, gebe es keine spezialgesetzlichen nationalen oder europarechtlichen Regelungen. Vielmehr ergebe sich aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedsstaates gelte, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet werde. Mithin sei vorliegend allein das deutsche Recht maßgeblich ist, wie der BGH bereits mehrfach in Parallelfällen entschieden hat.

Ansprüche, die, wie die Ansprüche der Kläger, im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, seien gemäß § 38 InsO Insolvenzforderungen. Sekundäransprüche, also der Ausgleichs- und der Ersatzanspruch der Kläger, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgten, begründeten keine Masseverbindlichkeiten, was ebenfalls schon mehrfach entschieden wurde.

Im Streitfall handele es sich um solche Sekundäransprüche aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche. Dass und warum Handlungen des Verwalters oder des eigenverwaltenden Schuldners, die allein die Nichterfüllung vor der Eröffnung geschlossener, nicht aus der Masse zu erfüllender Verträge betreffen und damit nur der Abwicklung dienen, nicht § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO fallen hat der BGH auch bereits in früheren Entscheidungen dargelegt. Die Angriffe der Revision gäben keinen Anlass, hiervon abzuweichen. Motiv und Anlass, aus denen sich der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner für die Nichterfüllung einer Forderung entschieden, seien insoweit ohne Bedeutung. Es sei mit den gesetzlichen Regelungen der Insolvenzordnung nicht vereinbar, einen auf die Nichterfüllung bloßer Insolvenzforderungen gestützten Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch als Masseverbindlichkeit zu behandeln. Anderenfalls wären der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner entgegen § 87 InsO mittelbar gezwungen, Insolvenzforderungen vollständig aus der Masse zu erfüllen. Dies zeigten auch die Regelung und Wertung des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO, wonach ein Insolvenzgläubiger Ansprüche wegen Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrags nur als Insolvenzgläubiger verfolgen könne, wenn der Insolvenzverwalter im Falle noch nicht oder nicht vollständig erfüllter gegenseitiger Verträge die Erfüllung ablehne.

Die Fortsetzung des Flugbetriebs durch die Beklagte werte die Insolvenzforderung der Kläger nach der Rechtsprechung des Senats weder für sich genommen noch in Verbindung mit etwaigen Erklärungen der Beklagten, der Flugbetrieb werde fortgesetzt, zu Masseforderungen auf. Einen den Klägern zeitgleich mit der Annullierung des Flugs angebotenen Reisegutschein hätten sie nicht angenommen.

Auch das Ziel der Fluggastrechte-VO, ein hohes Schutzniveaus für Fluggäste zu gewähren, und deren gebotene weite Auslegung änderten nichts an der insolvenzrechtlichen Einordnung der geltend gemachten Ansprüche der Kläger. Es gehe hier nicht um Inhalt und Reichweite von Fluggastrechten, sondern um deren Schicksal in der Insolvenz des Luftfahrtunternehmens. Hierzu treffe die Fluggastrechte-VO keine Aussage.

Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bedürfe es nicht.

Download: Vorsteuer bei Photovoltaikanlage für vermietete Immobilien - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Überblick

Umsatzsteuerpflichtige Unternehmer müssen zwar die vereinnahmte Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen, sie sind im Grundsatz aber auch berechtigt, gemäß § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Vorsteuer, die ihnen von anderen Unternehmern für ihr Unternehmen in Rechnung gestellt wird, als Vorsteuer abzuziehen.

Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht ausnahmslos. Unter anderem bestimmt § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, dass der Vorsteuerabzug für Leistungen ausgeschlossen ist, die der Unternehmer seinerseits für steuerfreie Leistungen verwendet.

Zudem setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass der Unternehmer, die „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“. Dazu muss objektiv betrachtet ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen. Das Abzugsrecht ist nur gegeben, wenn die Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören.

Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Unternehmers zudem auch bei Fehlen eines solchen Zusammenhangs angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und als solche Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind (Allgemeinkosten). Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.

Fehlt der so beschriebene Zusammenhang, hängen die Eingangsleistungen vielmehr mit steuerfreien Umsätzen zusammen, ist der Vorsteuerabzug nicht zulässig.

Lieferungen und sonstige Leistungen eines Unternehmers unterliegen – auch hier wiederum: im Grundsatz – der Umsatzsteuerpflicht. Eine gewichtige Ausnahme hiervon macht § 4 UStG, der zahlreiche Steuerbefreiungen normiert. Danach ist neben vielen anderen Lieferungen und sonstigen Leistungen die Vermietung von Wohnraum steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG). Zwar kann der Unternehmer gemäß § 9 UStG auf die Steuerbefreiung verzichten, „zur Steuer optieren“, um die Vorsteuerabzugsmöglichkeit für seine die Vermietungsleistung betreffenden Eingangsumsätze zu erhalten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Mieter auch Unternehmer ist. Bei Vermietung an Endverbraucher ist die Option nicht möglich.

Für den Vermieter von Wohnraum bedeutet dies, dass er die Vorsteuer aus der Anschaffung und Erhaltung des zu vermietenden Wohnraums regelmäßig nicht geltend machen kann.

Erbringt der Vermieter weitere Leistungen an den oder die Mieter, insoweit auch an Endverbraucher, muss im Einzelfall entschieden werden, ob diese Leistungen mit der Vermietung so eng zusammenhängen, dass es bei einer einheitlichen Vermietungsleistung verbleibt, oder ob es sich umsatzsteuerrechtlich um getrennte Leistungen handelt. Nur wenn von der steuerfreien Vermietung gesonderte Lieferungen oder sonstige Leistungen festzustellen sind, kann der Vorsteuerabzug dafür in Betracht kommen.

Mit dieser Abgrenzung beschäftigt sich der Besprechungsfall.

Der zu entscheidende Fall

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Lieferung von Mieterstrom eine (unselbständige) Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung darstellt oder ob es sich dabei um eine selbständige Hauptleistung neben der Vermietungsleistung handelt. Letzteres würde, wie oben dargestellt, den Vorsteuerabzug ermöglichen.

Der Kläger vermietet ein Mehrfamilien- und ein Doppelhaus. Die Vermietung erfolgt umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Er hat auf beiden Objekten im Dezember 2018 jeweils eine Photovoltaikanlage mit Messeinrichtungen installieren lassen. Hierfür ist ihm neben den Nettokosten vom Installateur Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden. Die erste Messeinrichtung erfasst die Gesamtproduktion des Stroms. Der erzeugte Strom, der direkt über den Batteriespeicher an die Mieter fließt, läuft über eine weitere Messeinrichtung. Der überschüssige Strom wird an die N-GmbH geliefert. Der gegebenenfalls von den Mietern zusätzlich benötigte Reststrom wird im Namen und im Auftrag des Klägers über andere Gesellschaften bezogen und mit einem Gewinnaufschlag an die Mieter abgegeben.

Der Kläger rechnet mit den Mietern, die für den Strom einen monatlichen Abschlag zu entrichten haben, jährlich über einen Gemeinschaftszähler und entsprechende Unterzähler nach der jeweiligen Verbrauchsmenge ab. Er hat mit den Mietern – zeitlich und inhaltlich unabhängig von den jeweiligen Mietverträgen – eine „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag über Stromversorgung“ geschlossen. Nach deren § 2 kann der Stromlieferungsvertrag mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Außerdem ist geregelt, dass der Mieter für den Fall, dass er nach der Kündigung des Stromliefervertrags anderweitig den Strom beziehe, die Kosten der Umbaumaßnahmen der Zähleranlage zu tragen habe. In den Wohnungsmietverträgen ist bestimmt, dass bauliche Veränderungen am Mietobjekt der Zustimmung des Vermieters bedürfen. Der Arbeitspreis je Kilowattstunde ist marktüblich.

In seiner Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Dezember 2018 machte der Kläger, die Vorsteuer aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen geltend.

Das beklagte Finanzamt (FA) ließ diese Vorsteuer nicht zum Abzug zu. Es nahm an, bei der Stromlieferung des Klägers an die Mieter handele es sich jeweils um eine unselbständige Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung. Den hiergegen eingelegten Einspruch des Klägers wies das FA als unbegründet zurück.

Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der dagegen Klage statt, ließ also den Vorsteuerabzug zu. Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts, die der Bundesfinanzhof (BFH) als unbegründet zurückweist.

Die Begründung des BFH

Bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, sei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, so der BFH, um zu bestimmen, ob dieser Umsatz für Zwecke der Umsatzsteuer zwei oder mehr getrennte Leistungen oder eine einheitliche Leistung umfasse.

Zwar sei jeder Umsatz in der Regel als eigenständige und selbständige Leistung zu betrachten; ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstelle, dürfe aber im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden.

Eine einheitliche Leistung liege vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen so eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bildeten, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Das sei insbesondere der Fall, wenn ein Teil oder mehrere Teile als Hauptleistung anzusehen, während andere Teile als eine oder mehrere Nebenleistungen einzustufen seien. Vor allem sei das der Fall, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck darstelle, sondern das Mittel, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Zur Abgrenzung seien die charakteristischen Merkmale des betreffenden Umsatzes zu ermitteln. Bei der Vermietung von Immobilien, hier Wohnraum, seien hierfür zwei Fallgruppen zu unterscheiden.

Sei zum einen der Mieter berechtigt, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, könnten diese Leistungen grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden. Dies gelte insbesondere, wenn der Mieter über seinen getrennt abzurechnenden Verbrauch selbst entscheiden könne. Bei Dienstleistungen wie der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines im Miteigentum stehenden Gebäudes seien diese als von der Vermietung getrennt anzusehen, wenn sie von jedem Mieter einzeln oder von den Mietern gemeinsam organisiert werden könnten und die an den Mieter versandten Rechnungen diese Lieferung getrennt von der Miete auswiesen.

Ergebe zum anderen die Vermietung eines Gebäudes in wirtschaftlicher Hinsicht offensichtlich mit den begleitenden Leistungen objektiv eine Gesamtheit, könne demgegenüber eine einheitliche Leistung angenommen werden.

Der BFH habe daher bereits entschieden, dass die den Mietnebenkosten zugrunde liegenden Leistungen wie die Zurverfügungstellung von Wasser, Elektrizität oder Wärme, über deren Verbrauch der Mieter entscheiden könne und die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet würden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen seien.

Gemessen an diesen Grundsätzen sei das Urteil des FG, das in den Lieferungen von Mieterstrom selbständige umsatzsteuerpflichtige Leistungen gesehen hatte, nicht zu beanstanden.

Das FG habe festgestellt, dass ein gewichtiges Indiz für selbständige Leistungen darin liege, dass der Kläger die Verbrauchsmenge des Stroms mit seinen Mietern über individuelle Unterzähler abgerechnet habe. Ferner habe es zu Recht berücksichtigt, dass individuelle (Zusatz-)Vereinbarungen über die Stromlieferungen abgeschlossen worden seien, in denen auch vom Mietvertrag abweichende Kündigungsmöglichkeiten des Stromlieferungsvertrags vorgesehen gewesen wären. Weiter habe es zutreffend einbezogen, dass die Mieter bei einem Wechsel des Stromanbieters erforderliche Umbaukosten zu tragen gehabt hätten und die freie Wahl des Stromanbieters durch die Zusatzvereinbarung nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Die generelle Möglichkeit der Mieter, den Stromlieferungsvertrag mit dem Kläger zu kündigen und zu einem anderen Anbieter zu wechseln, wäre nach der beanstandungsfreien Ansicht des FG durch die in diesem Fall vom wechselnden Mieter zu tragenden Umbaukosten zwar erschwert, jedoch nicht unmöglich.

Zudem ergebe sich die vom FG aus den vertraglichen Vereinbarungen abgeleitete Freiheit des Mieters, seinen Stromlieferanten frei zu wählen, auch aus gesetzlichen Vorschriften. § 42a Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) bestimme ausdrücklich ein Kopplungsverbot von Miet- und Energieversorgungsvertrag. Danach dürfe ein Vertrag über die Belieferung von Letztverbrauchern mit Mieterstrom (Mieterstromvertrag) nicht Bestandteil eines Vertrags über die Miete von Wohnräumen sein. Bei einem Verstoß gegen dieses Verbot sei der Mieterstromvertrag nichtig. Nach § 42a Abs. 3 Satz 3 EnWG sei eine Bestimmung, durch die das Kündigungsrecht während der Dauer des Mietverhältnisses ausgeschlossen oder beschränkt werde, unwirksam. Damit solle jegliche Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Mieters ausgeschlossen werden.

Die Einwendungen des FA gegen die Ausführungen des FG führten zu keiner anderen Beurteilung. Die Finanzverwaltung sei zwar in Abschn. 4.12.1. Abs. 5 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) der Ansicht, dass als Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung in der Regel unter anderem die Lieferung von Strom durch den Vermieter anzusehen sei, daran seien allerdings weder das FG noch der BFH gebunden, da es sich insoweit lediglich um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung handele, die außerhalb der Finanzverwaltung keine Bindungswirkung entfalte.

Da der Kläger mithin steuerpflichtige Lieferungen von Mieterstrom ausgeführt habe, stehe ihm der begehrte Vorsteuerabzug zu. Der schon oben erwähnte notwendige direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Eingangsumsatz (Anschaffung der Photovoltaikanlage) und den umsatzsteuerpflichtigen Stromlieferungen an die einzelnen Mieter, sei gegeben.

Das FG habe zwar nicht ausgeführt, inwieweit die Kosten der Photovoltaikanlage Kostenelemente der besteuerten Ausgangsumsätze des Klägers gewesen seien. Da der Kläger jedoch marktübliche Stromentgelte erhoben habe, die den Kostendeckel des § 42a Abs. 4 EnWG beachteten, und dadurch unter anderem zumindest die Kosten seiner Photovoltaikanlagen decke, liege diese Voraussetzung vor.

Download: Gesellschafter-Geschäftsführer und Sozialversicherungspflicht - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Allgemeine Übersicht

Die Frage, ob Geschäftsführer einer GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist nicht immer ganz einfach zu beantworten. Die Folgen einer Fehleinschätzung, die etwa bei einer Betriebsprüfung oder auch auf Grund von Recherchen eines Insolvenzverwalters in der Insolvenz der GmbH aufgedeckt werden kann, sind gleichwohl gravierend. Wird die Sozialversicherungspflicht zu Unrecht angenommen, bestehen zwar hinsichtlich nicht verjährter Beträge Rückforderungsansprüche, dem Geschäftsführer fehlt jedoch der mit der Versicherungspflicht verbundene Schutz. Für anderweitige Absicherung wird er häufig nicht vorgesorgt haben. Wird dagegen die Versicherungspflicht nicht erkannt, können erhebliche Nachzahlungen fällig werden. Auch kann sich eine anderweitige Vorsorge in diesem Fall als zumindest teilweise wirtschaftlich nicht sinnvoll erweisen.

Grundlage der Beurteilung der Versicherungspflicht ist § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs IV (SGB IV), wonach (versicherungspflichtige, abhängige) Beschäftigung „die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, ist. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung in diesem Sinn sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Eckpunkte für die Versicherungspflicht von Geschäftsführern sind zum einen der angestellte Geschäftsführer, der nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, zum anderen der Gesellschafter-Geschäftsführer, der mindestens 50 % des Stammkapitals der Gesellschaft hält. Ersterer ist zweifelsfrei versicherungspflichtig, letzterer genau so zweifelsfrei nicht. Dazwischen liegt eine Grauzone.

Der vorliegende Fall betrifft einen Sachverhalt, bei dem zwar eine ausreichende gesellschaftsrechtliche Beteiligung gegeben war, allerdings in den Tatsacheninstanzen unaufgeklärt geblieben war, was für ein Verhältnis zwischen dem betroffenen Gesellschafter, der ursprünglich auch deren Geschäftsführer gewesen war, und der GmbH tatsächlich bestand.

Der zu entscheidende Fall

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Der 1962 geborene Kläger war seit 1986 als Gesellschafter-Geschäftsführer der U- GmbH mit 50 % der Geschäftsanteile tätig. Den weiteren Geschäftsanteil von 50 vH hielt ein anderer Gesellschafter. Nach dem Gesellschaftsvertrag werden Beschlüsse, soweit dieser oder das Gesetz keine andere Mehrheit vorsieht, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Der Kläger war von 2006 bis Ende 2016 privat krankenversichert.

Am 03.01.2017 beschlossen die Gesellschafter die Liquidation der GmbH. Zum alleinvertretungsberechtigten Liquidator wurde der Bruder des Klägers bestellt, was jedoch erst am 27.04.2017 ins Handelsregister eingetragen wurde. Noch am 03.01.2017 schlossen die GmbH i. L. und der Kläger einen bis zum 31.12.2017 befristeten "Arbeitsvertrag" über eine Tätigkeit des Klägers als "Assistent des Liquidators", wobei er hierfür dasselbe Gehalt erhalten sollte wie zuvor als Geschäftsführer. Eine Meldung zur Sozialversicherung wurde insoweit nicht erstattet. Am 08.02.2017 wurde der Kläger 55. Tags zuvor, am 07.02.2017, beantragte er zunächst seine Aufnahme als freiwilliges Mitglied der Beklagten und stellte mit Schreiben vom 10.02.2017 klar, er begehre die Aufnahme in die Pflichtversicherung.

Am 20.03.2017 schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag mit einer Fa. E über eine Tätigkeit als Paketzusteller und am 05.05.2017 mit einer G-GmbH einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Gas-Wasser-Installateur. Für beide Tätigkeiten wurde er vom jeweiligen Arbeitgeber zur Sozialversicherung angemeldet. Insoweit stellte die beklagte gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jeweils die Versicherungsfreiheit des Klägers in der GKV fest. Hinsichtlich der Tätigkeit als Assistent des Liquidators der GmbH stellte sie fest, dass in den Zweigen der Sozialversicherung keine Versicherungspflicht bestehe.

Das Sozialgericht hat die auf Feststellung einer Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten ab 03.01.2017 gerichtete Klage abgewiesen, seine Berufung zum Landessozialgericht (LSG) blieb ohne Erfolg.

Auf seine Revision hebt das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG auf und verweist die Sache schon wegen eines Verfahrensfehlers zurück. Die Vorinstanzen hatten es versäumt, die (möglichen) Arbeitgeber des Klägers zum Verfahren beizuladen, was zwingend erforderlich gewesen wäre.

Das BSG konnte nicht selbst entscheiden, weil das LSG keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hatte, ob es sich bei dem Anstellungsvertrag als „Assistent des Liquidators“ um ein Scheingeschäft gehandelt hat. Hierfür könnte die unveränderte Höhe des Gehalts des Klägers sprechen und die Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis trotz Befristung bis zum 31.12.2017 offensichtlich bereits im März dieses Jahres geendet hat.

Die Begründung des BSG

Das BSG geht von § 7 Abs. 1 SGB IV (siehe oben) aus.

Nach seiner ständigen Rechtsprechung setze eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliege. Diese Weisungsgebundenheit könne ‑ vornehmlich bei Diensten höherer Art ‑ eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand (abhängig) beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der zumindest 50 % der Anteile am Stammkapital halte, werde nach der ständigen Senatsrechtsprechung grundsätzlich als nicht abhängig beschäftigt beurteilt, da ihm die Rechtsmacht zukomme, auf die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend Einfluss zu nehmen und damit das unternehmerische Geschick der GmbH insgesamt wie ein Unternehmensinhaber zu lenken.

Auf dieser Basis sei eine abhängige Beschäftigung des Klägers nicht allein wegen seiner hälftigen Beteiligung an der GmbH ausgeschlossen. Ein mitarbeitender GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft nicht (oder wie der Kläger nicht mehr) zum Geschäftsführer bestellt sei, sei regelmäßig abhängig beschäftigt. Allein aufgrund der gesetzlichen Gesellschafterrechte besitze er noch nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Denn das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliege ‑ sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart sei ‑ nicht der Gesellschafterversammlung, sondern sei Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung.

Allein auf Grund seiner Beteiligung sei der Kläger auch nicht in der Lage gewesen, seinem zum Liquidator bestellten Bruder durch Gesellschafterbeschlüsse Weisungen zu erteilen und gegebenenfalls Weisungen durch diesen an ihn selbst als „Assistent des Liquidators“ zu verhindern.

Allerdings sei der Kläger bis zum Liquidationsbeschluss auch Geschäftsführer gewesen und als solcher in der Liquidation der Gesellschaft deren „geborener“ Liquidator, für den, soweit hier von Interesse, dieselben Regeln gelten, wie für einen Geschäftsführer. Vorliegend sei der Kläger aber durch Beschluss der Gesellschafterversammlung ebenfalls vom 03.01.2017 als Geschäftsführer abberufen worden, sei mithin nicht Liquidator geworden. Dass dies erst am 27.04.2017 ins Handelsregister eingetragen worden sei, ändere daran nichts. Die sogenannte negative Publizität des Handelsregisters nach §15 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sei für die versicherungsrechtliche Statusbeurteilung eines abberufen Gesellschafter-Geschäftsführers nicht entscheidend.

Die Vorschrift sei bei der sozialversicherungsrechtlichen Statusabgrenzung grundsätzlich nicht anzuwenden. Sie normiere einen Einwendungsausschluss hinsichtlich (noch) nicht in das Handelsregister eingetragener Tatsachen und schützte das Vertrauen eines redlichen Dritten im Rechtsverkehr. Ein Dritter könne sich deshalb auf den Schutz dieser Bestimmung nur berufen, soweit er eine Rechtsposition geltend mache, die er aufgrund oder im Zusammenhang mit einer rechtsgeschäftlichen Betätigung im Vertrauen auf die registerliche Verlautbarung erlangt habe. Vorliegend sei der Anwendungsbereich von § 15 Abs 1 HGB schon deshalb nicht eröffnet, weil die Versicherungspflicht in der GKV kraft Gesetzes entstehe, sobald der geregelte Tatbestand verwirklicht ist. Für die Anknüpfung an ein Vertrauen in die Registerpublizität bestehe kein normativer Ansatzpunkt.

Nach allem wäre der Kläger ab dem 03.01.2017 sozialversicherungspflichtig bei der GmbH beschäftigt gewesen, wenn man seinen Vortrag zu der Beschäftigung als „Assistent des Liquidators“ zugrunde legt. Da das LSG die wahren Verhältnisse jedoch nicht festgestellt hatte, musste das BSG die Sache zurückverweisen.

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Die Zivilprozessordnung (ZPO) verlangt für viele Prozesshandlungen die Einhaltung einer näher geregelten Frist. So beträgt die Frist für die Einlegung der Berufung nach § 517 ZPO einen Monat, diejenige für die Begründung der Berufung nach § 520 ZPO zwei Monate. Im Allgemeinen führt die Fristversäumung zu einem Rechtsverlust. Versäumt der Berufungsführer die Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist, wird seine Berufung unzulässig und in der Folge das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig, im Allgemeinen kann es nicht mehr geändert werden.

Für bestimmte Fristen besteht jedoch die Möglichkeit, wegen der Fristversäumung, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in vorigen Stand zu stellen. Dies ist möglich bei sogenannten Notfristen – das sind Fristen, die das Gesetz als solche bezeichnet, zum Beispiel die Berufungsfrist – und bei der Frist zur Begründung etwa der Berufung oder der Revision, wie sich aus § 233 ZPO ergibt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann allerdings nur Erfolg haben, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

Der Partei schadet nicht nur ihr eigenes Verschulden, sie muss sich auch das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, denn nach § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Ganz überwiegend steht ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwalt) in Rede, denn faktisch ist er es, der die Prozesshandlungen ausführt. Dementsprechend gibt es zahlreiche Entscheidungen zum Verschulden in der Person des Prozessbevollmächtigten, denn zur Fristwahrung hat er umfangreiche Vorsorge zu treffen, so ist er neben vielem anderen gehalten, einen Fristenkalender zu führen, sein Büropersonal ausreichend über die Bedeutung der Fristwahrung und der dazu erforderlichen Handhabung zu belehren, überhaupt nur geschultes und zuverlässiges Personal mit der Fristenkontrolle zu betrauen. Letzteres gilt insbesondere auch für die Berechnung des Fristlaufs. Nicht in der Rechtsanwaltskanzlei wird dies stets fehlerfrei durchgeführt.

Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt die Frist bis zuletzt ausnutzen, das heißt im Allgemeinen bis 24.00 Uhr des letzten Tags des Fristablaufs. Gleichzeitigt ist er jedoch gehalten, den sicheren Weg zu wählen. Nutzt er daher die Frist vollständig aus, muss er normale Verzögerungen bei seiner Planung einkalkulieren. Ist er an einer Maßnahme gehindert, muss er mögliche und zumutbare andere ergreifen.

Vorliegend war fraglich, ob die Prozessbevollmächtigte sich an diese Vorgaben gehalten hatte.

Der zu entscheidende Sachverhalt

Die Klägerin verlangte von den Beklagten die Rückzahlung von Darlehen. Das Landgericht (LG) Augsburg gab der Klage in vollem Umfang statt und verurteilte die Beklagten zur Darlehensrückzahlung.

Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 02.05.2023 zugestellt. Die einmonatige Berufungsfrist lief daher bis zum 02.06.2023, 24.00 Uhr. Die Rechtsanwältin legte am 05.06.2023 Berufung ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Zur Begründung führte sie aus, sie habe wegen eines unvorhergesehenen Schwindels das Büro am 02.06.2023 – dem Tag des Fristablaufs – vor Fertigstellung der Berufungsschrift verlassen müssen, um sich zuhause auszuruhen. Sie habe hierbei den Schlüssel in den Büroräumen vergessen, so dass sie das Büro nicht wieder habe betreten können, als sie – nachdem sie mehrere Stunden zuhause geschlafen habe – um 19.00 Uhr desselben Tages dorthin zurückgefahren sei, um die Berufungsschrift fertigzustellen. Sie habe sodann versucht, eine Kollegin, die sich jedoch auf einem Auswärtstermin befunden habe und deshalb nicht habe kommen und aufsperren können, telefonisch zu erreichen. Telefonnummern weiterer Kollegen oder auch der Sekretärin habe sie nicht in ihrem Handy gespeichert gehabt.

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat als Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung im Beschlusswege als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

Die Begründung des BGH

Der Bundesgerichtshof (BGH) verwirft die Rechtsbeschwerde als unzulässig, sie ist zwar wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 522 Abs. Satz 4 ZPO statthaft, erfüllt aber nicht die Voraussetzungen, die § 574 Abs. 2 ZPO an die Begründung der Rechtsbeschwerde stellt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) meint anders als die Beschwerdeführerin, eine Entscheidung des Revisionsgerichts sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der Beschluss des Berufungsgerichts stehe vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletze nicht die Ansprüche der Beklagten auf die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

Die den Wiedereinsetzungsantrag tragenden Tatsachen seien weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden.

Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Parteien in der gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht sei danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht sei auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruhe. Gegen diese Vorgaben verstoße der Beschluss des OLG nicht.

Das OLG habe ausgeführt, es fehle an einer Darlegung der Anstrengungen der Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters, also eines anderen Rechtsanwalts. Den Beschlussgründen sei zu entnehmen, dass die Beklagtenvertreterin keinen Kanzleimitarbeiter habe erreichen können, der im Stande gewesen wäre, ihr die Bürotür zu öffnen. Damit habe es den Kernbestandteil des Vorbringens der Beklagten bezüglich der Anstrengungen ihrer Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters nicht übergangen, sondern den Versuch der telefonischen Kontaktierung der einzig im Handy eingespeicherten Kollegin für nicht hinreichend erachtet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen, wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten; hierzu kann auch der Versuch der Einschaltung eines Vertreters zählen. Diese Maßstäbe beziehen sich nicht ausschließlich auf krankheitsbedingte Ausfälle eines Prozessbevollmächtigten, sondern allgemein auf Ausfälle am letzten Tag der Frist. Daher sei es, so der BGH nicht von Bedeutung, ob die Prozessbevollmächtigte, wie die Rechtsbeschwerde argumentiere, ab 19.00 Uhr des letzten Tags der Frist tatsächlich wieder arbeitsfähig gewesen sei.

Den angeführten Maßstäben sei die Beklagtenvertreterin nicht gerecht geworden. Die Rechtsbeschwerde begründe nicht, warum die Beklagtenvertreterin nicht zu der im Außentermin befindlichen Kollegin gefahren ist, um den Kanzleischlüssel abzuholen. Ebenso wenig legten die Beklagten dar, dass es ihrer Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen sei, über die bei dem Außentermin befindliche Kollegin die Telefonnummern weiterer Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erfragen. Auch sei nicht vorgetragen, dass es der Beklagtenvertreterin nicht möglich gewesen sei, auf anderem als dem telefonischen Wege weitere Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erreichen. Schließlich zeigten die Beklagten nicht auf, dass weder ein Kontakt zu einem Schlüsseldienst noch – im Falle der Aufschaltung der Alarmanlage der Kanzlei – zu einer Notrufzentrale möglich gewesen sei, um die alarmgesicherte Kanzleitür öffnen zu lassen.

Daher lasse sich ein den Beklagten zuzurechnendes Verschulden der Beklagtenvertreterin nicht ausschließen, es sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die Beklagtenvertreterin alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen habe, die unter normalen Umständen zu einer Fristwahrung geführt hätten.

Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes sei nicht verletzt. Er verbiete es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Die Gerichte dürften daher bei Auslegung der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannen.

Hiernach sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen. Denn die Beklagtenvertreterin habe nicht dargelegt, alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen zu haben, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten, obwohl sie die Berufungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft und wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hatte, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.

Download: Besteuerung von Sanierungsgewinn nach § 3a EStG - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Regelungen zum Sanierungsgewinn

Verzichten Gläubiger gegenüber ihrem Schuldner auf Forderungen, führt dies regelmäßig zu einem Buchgewinn, der der Einkommen- und gegebenenfalls auch der Gewerbesteuer zu unterwerfen ist. Forderungsverzichte werden häufig in krisenhaften Situationen des Schuldners zum Zwecke der Sanierung vereinbart. Praktisch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die in Insolvenzplänen vereinbarten Forderungserlasse.

Der Erfolg von Sanierungsbemühungen steht allerding häufig in Frage, weil die auf den Buchgewinn zu erhebenden Steuern die Finanzkraft des Schuldners erneut überfordern können.

Dem hatte der Gesetzgeber früher mit § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu begegnen gesucht. Nach dieser Vorschrift waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden (Buchgewinne), steuerfrei. Sie wurde jedoch ersatzlos mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 1998 aufgehoben.

Späterhin gab es nur noch eine Verwaltungsanweisung - den sogenannten Sanierungserlass -, wonach entsprechende Erträge weiterhin bei Einhaltung einer Reihe von Voraussetzungen, insbesondere nach vorherigem Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten, steuerfrei sein sollten (BMF-Schreiben v. 27.03.2003). Über mehr als ein Jahrzehnt hat sich diese Verwaltungsanweisung in der Praxis bewährt. Dennoch wurde sie 2016 vom Bundesfinanzhof (BFH) beanstandet, der die Steuerbefreiung allein auf Grundlage einer Verwaltungsanweisung und nicht durch Gesetz für unzulässig erachtete (Großer Senat des BFH, Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15).

Auf das dadurch entstandene Vakuum hat sodann der Gesetzgeber reagiert und für Schuldenerlasse, die nach dem 08.02.2017 erfolgen, mit einem neuen, auch heute noch geltenden § 3a EStG eine der vorherigen Verwaltungsanweisung weitgehend entsprechende gesetzliche Regelung geschaffen. Dazu bestimmt § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG, dass § 3a EStG auf Antrag des Steuerpflichtigen auch in früheren Fällen, also vor dem 09.02.2017 erfolgte Erlassen, anzuwenden ist. Ziel des Gesetzgebers war es, die weiterhin für erforderlich gehaltene Steuerbefreiung von Sanierungserträgen zu gewährleisten und – frei von einem Ermessensspielraum der Finanzverwaltung – auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

§ 3a EStG befasst sich in erster Linie mit der unternehmensbezogenen Sanierung. Nach Absatz 2 liegt sie vor, „wenn der Steuerpflichtige für den Zeitpunkt des Schuldenerlasses die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachweist.“

Der zu entscheidende Fall

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Gewinn aus einem im Streitjahr 2014 ausgesprochenen Forderungsverzicht eines Gläubigers die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns nach § 3a EStG erfüllt.

Der Kläger war seit 2001 sowohl einziger Komplementär als auch alleiniger Treugeber der einzigen Kommanditistin einer KG, die zahlreiche Tankstellen besaß. Weil dem Kläger steuerrechtlich sämtliche Anteile und Einkünfte der KG zuzurechnen waren, wurde eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus der KG nicht vorgenommen; diese wurden vielmehr unmittelbar im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen des Klägers ermittelt und erfasst. Die KG bezog die von ihr vertriebenen Kraftstoffe größtenteils von der A-AG.

Schon 2003 hatte sich die KG in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden. Damals verzichteten die beiden Hauptgläubiger (die A-AG und eine Sparkasse) sowie eine Volksbank gegen Besserungsscheine auf Teile ihrer Forderungen gegen die KG.

2009 und 2010 gab es erneut aufgrund einer krisenhaften Entwicklung bei der KG Gespräche zwischen der KG und einer F-GmbH. Beabsichtigt war, dass sich die F-GmbH im Wege einer Kapitalerhöhung um 1 Mio. € mit anfänglich 49% und einer Option auf den Erwerb weiterer 49% an der KG beteiligen sollte. In diesem Zusammenhang wollte die A-AG gegen Rückzahlung eines Teilbetrags von 1 Mio. € auf den Besserungsschein verzichten. Diese Überlegungen wurden indessen nicht umgesetzt.

Im Februar 2012 verkaufte die KG 16 der zu diesem Zeitpunkt noch 19 ihr gehören-den Tankstellen an die F-GmbH; bei den übrigen drei Tankstellen handelte es sich um reine Automatenbetriebe ohne Verkaufspersonal.

Die Verkaufserlöse führten zum Eintritt der auflösenden Bedingungen der 2003 vereinbarten Besserungsscheine und mussten daher im Wesentlichen zur Schuldentilgung verwendet werden. Im Mai 2012 verzichtete die Sparkasse endgültig auf eine Restforderung von 150.000 €. Im Dezember 2012 betrieb die A-AG wegen ihrer Forderungen (seinerzeit 4.440.000 €) fruchtlos die Zwangsvollstreckung gegen die KG.

Am 25.03.2014 schloss die KG mit der A-AG einen Abfindungsvergleich. Danach hatte die KG einen Abgeltungsbetrag von 50.000 € zu zahlen. Im Gegenzug stellte die A-AG ihre Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ein, verzichtete auf alle Sicher-heiten für ihre Ansprüche und verpflichtete sich, die KG und den Kläger von allen eventuellen Ansprüchen des Warenkreditversicherers freizustellen. Mit der Erfüllung des Vergleichs sollten alle wechselseitigen Ansprüche zwischen den Beteiligten (einschließlich des Klägers persönlich) erledigt sein. Aus dem Forderungsverzicht der A-AG resultierte bei der KG im Jahr 2014 ein Buchgewinn von 3.693.000 €.

Die A-AG teilte dem Finanzamt (FA) mit, die A-Gruppe sei eine Gemeinschaft, deren Mitglieder in den Grenzen des Zumutbaren zur gegenseitigen Solidarität verpflichtet seien. Die Zustimmung zum Abfindungsvergleich sei einerseits erfolgt, um einen Teil der Forderungen zu sichern, andererseits, um die bestehende Geschäftsbeziehung – soweit es möglich sei – zu retten. Der im Jahr 2014 geschlossene Abfindungsvergleich habe sich nicht mehr auf das im Jahr 2010 diskutierte, aber letztlich nicht durchführbare Sanierungskonzept bezogen. Ein weitergehendes Sanierungskonzept sei nicht aufgestellt worden. Die A-AG als größte Gläubigerin habe unter Beachtung der Solidarität das Ziel gehabt, ihre Forderungen zu reduzieren. Ihr Warenkreditversicherer habe auf Risikobegrenzung gedrängt und Ende 2012 eine Vertragsverlängerung abgelehnt, so dass der Versicherungsschutz für das Forderungsengagement gefährdet gewesen wäre. Die A-AG habe deshalb den Forderungsstand reduzieren müssen. Vor diesem Hintergrund sei im Dezember 2012 die Zwangsvollstreckung eingeleitet worden. Damit sei der Versicherungsfall beim Warenkreditversicherer eingetreten.

2020 meldete die KG ihr Gewerbe ab.

Das FA behandelte den Buchgewinn aus dem Forderungsverzicht im Einkommen-steuer- und Gewerbesteuermessbescheid 2014 als steuerpflichtig. Der Kläger be-gehrte hingegen die Anwendung des § 3a EStG und des § 7b des Gewerbesteuer-gesetzes und beantragte die rückwirkende Anwendung dieser Regelungen gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG. Dem folgte das FA nicht.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies der BFH als – jedenfalls – unbegründet zurück.

Die Begründung des BFH

Über große Strecken befasst sich die Entscheidung mit den formalen Erfordernissen einer erfolgreichen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen wird.

In der Sache ging es um die Frage, ob die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns im Sinne des § 3a EStG vorlagen. Die Vorschrift war aufgrund des Antrags des Klägers nach § 52 Abs. 4 Satz 3 EStG grundsätzlich anwendbar, obwohl ein Buchgewinn aus dem Jahr 2014 in Rede stand.

Der BFH führt aus, dass die Merkmale des Sanierungsgewinns im Sinne des § 3a EStG nach der Vorstellung des Gesetzgebers vollständig denjenigen des Sanierungserlasses vom 27.3.2003 enthaltenen Voraussetzungen eines hiernach begünstigten Sanierungsgewinns entsprechen sollten. Jene Voraussetzungen leiteten sich wiederum aus den vom BFH aufgestellten Rechtsgrundsätzen zur Auslegung der im Jahr 1997 aufgehobenen Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a. F. ab. Aus diesem Grund entspreche es allgemeiner Ansicht, dass für die Auslegung von § 3a EStG auf die zu § 3 Nr. 66 EStG ergangenen Rechtsprechungsleitlinien zurückzugreifen sei.

Der Kläger hatte weiterhin als vom Revisionsgericht klärungsbedürftig die Rechtsfragen gehalten, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen die Existenz eines schriftlichen Sanierungskonzepts zum Zeitpunkt des Schuldenerlasses sowie den Abschluss des Sanierungsprozesses innerhalb einer bestimmten maximalen Zeitdauer voraussetze, ob Änderungen eines Sanierungsprogramms nur zwischen den jeweiligen Teilnehmern des Sanierungsprozesses abgestimmt werden müssten und ob solche Abstimmungen mündlich geschehen könnten.

Auch insoweit fehle es aber, so der BFH, an einer Auseinandersetzung mit den hierzu in Rechtsprechung – auch der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 3a EStG – und Literatur vertretenen Auffassungen. § 3a Abs. 2 EStG sei zwar im Vergleich zu dem – auf der höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhenden – früheren Sanierungserlass der Finanzverwaltung insoweit etwas anders formuliert, als die Norm verlange, dass der Steuerpflichtige die materiell-rechtlichen Voraussetzungen „nachweist“, ohne noch das Sanierungskonzept zu erwähnen. Gleichwohl wäre auch eine Auseinandersetzung mit der vor Einfügung des § 3a EStG zum Nachweis der Erlassvoraussetzungen, namentlich der Sanierungseignung, ergangenen umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich gewesen einschließlich der Frage, ob diese auf das – gleichlautende – nunmehrige gesetzliche Tatbestandsmerkmal übertragen werden könne. Letztlich greife der Kläger in diesem Teil der Beschwerdebegründung im Wesentlichen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung und Würdigung des FG einzelfallbezogen an, lege aber keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar.

Lediglich ergänzend weist der BFH darauf hin, dass ein schriftliches Sanierungskonzept schon deshalb keine notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 3a EStG sein könne, weil diese Norm eine solche feste Beweisregel nicht kenne. Auch das erstinstanzliche Urteil lasse sich nicht dahingehend verstehen, dass es die Steuerfreiheit vom Vorliegen eines schriftlichen Sanierungskonzepts abhängig machen wolle. Vielmehr habe das Finanzgericht im Rahmen seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung zum gesetzlichen Tatbestandsmerkmal der Sanierungseignung in einem ersten Schritt geprüft, ob dem im Jahr 2014 ausgesprochenen Forderungsverzicht der A-AG ein – nicht notwendig schriftliches, aber nachvollziehbares und prüfbares – Sanierungskonzept zugrunde gelegen habe. Dabei wäre die Existenz eines solchen Konzepts zugunsten des Klägers als wesentliches Indiz für das Vorliegen einer Sanierungseignung zu werten gewesen. Nachdem das Finanzgericht sich indessen nicht von der Existenz eines Sanierungskonzepts habe überzeugen können – was für sich alleine noch nicht zur Verneinung der Sanierungseignung ausreiche –, habe es im Anschluss in einem zweiten Schritt geprüft, ob eventuell rückblickend aus einer erfolgreichen Sanierung darauf geschlossen werden könne, dass die Sanierungseignung bereits zum Zeitpunkt des Forderungsverzichts gegeben gewesen sei. Auch ein solcher tatsächlicher Sanierungserfolg wäre zugunsten des Klägers als wesentliches Indiz für das Vorliegen einer Sanierungseignung zu werten gewesen; umgekehrt sei das rückblickend festgestellte Fehlen eines Sanierungserfolgs aber kein zwingendes Indiz gegen die Annahme, dass im Zeitpunkt des Forderungsverzichts eine Sanierungseignung gegeben gewesen sei. Da aus beiden vom Finanzgericht herangezogenen Hauptindizien keine Sanierungseignung abzuleiten war und auch keine sonstigen Indizien für eine Sanierungseignung erkennbar waren, habe es zu Recht – entsprechend der ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisung der Feststellungslast an den Steuerpflichtigen durch § 3a Abs. 2 EStG, die aber auch aus den allgemeinen Regeln über die Feststellungslast folgen würde – die Sanierungseignung als nicht nachgewiesen angesehen.

Download: Vorauszahlungsabreden beim Grundstückskaufvertrag - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, zum Beispiel ein Grundstückskaufvertrag, bedarf nach § 311b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) der notariellen Beurkundung. Ein ohne die Beachtung dieser Form geschlossener Grundstückskaufvertrag ist gemäß § 125 BGB nichtig, er kann nicht Grundlage der Auflassung und der Eintragung des Käufers als Eigentümer im Grundbuch sein.

Auch eine Falschbeurkundung, die die Parteien des Kaufvertrags durch Schwarzgeldabreden zum Zweck der Steuerhinterziehung und einer Notargebührenreduzierung bewirken, kann im Einzelfall zur Nichtigkeit des Gesamtkaufvertrags führen. Einen solchen Fall hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bei seinem Urteil vom 15.03.2024 – V ZR 115/22 zu entscheiden. Eine Besprechung dieses Urteils finden Sie auch auf unserer Website. Nicht immer ist Hintergrund einer unzureichenden Beurkundung jedoch kriminelle Absicht.

Auch eine nicht beurkundete Vorauszahlungsabrede, die vielerlei Gründe haben kann, kann zur Formunwirksamkeit des Kaufvertrags führen. Zu einem solchen Fall erging das vorliegende Urteil.

Der zu entscheidende Sachverhalt

Der verstorbene Vater der Beklagten (im Folgenden: Erblasser) verkaufte mit notariellem Vertrag (UR-Nr. des Notars 975) vom 23.03.2017 einen hälftigen Miteigentumsanteil an seinem Grundstück an eine GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger war, zu einem Kaufpreis von 40.000 €.

Der Kläger persönlich, nicht die GmbH, zahlte am 06.04.2017 an den Erblasser 70.000 € per Überweisung unter Angabe des Verwendungszwecks „975/23.3.2017“ sowie am 15.05.2017 weitere 10.000 € mit dem Verwendungszweck „RESTZAHLUNG 975/23.3.2017“, insgesamt mithin 80.000 €. Der Kaufvertrag wurde vollzogen.

Am 08.11.2018 schlossen der Erblasser und der Kläger – nicht die GmbH – einen notariellen Kaufvertrag über die zweite Miteigentumshälfte des Erblassers an dem Grundstück zu einem Kaufpreis von ebenfalls 40.000 €. Die Übereignung (Auflassung) der zweiten Miteigentumshälfte ist nicht erfolgt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten als Erbin des Erblassers die Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils an sich. Das Landgericht Bielefeld hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sie auf die Berufung der Klägerin abgewiesen. Vor der mündlichen Verhandlung hatte es in der hierzu ergangenen Ladungsverfügung den Kläger darauf hingewiesen, dass es von der landgerichtlichen Entscheidung abzuweichen gedenke. Der Kläger hatte daraufhin mit entsprechendem Vortrag ein „Immobilien-Übergabeprotokoll“ vom 15.05.2017 eingereicht, aus dem sich nach seiner Ansicht die Vorauszahlung auf die noch nicht bestehende zweite Kaufpreisschuld ergeben sollte. Diesen Vortrag wies das OLG als verspätet zurück, legte ihn also seiner Entscheidung nicht zugrunde.

Der BGH hat nunmehr das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen.

Die Begründung des BGH

Die Zurückverweisung wurde notwendig, weil das OLG Hamm keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe. Der BGH folgt dem OLG Hamm darin, dass die von dem Kläger behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 125 Satz 1 BGB nichtig sein könnte, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung sei beurkundungsbedürftig, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung habe. Im Zeitpunkt der Vorauszahlung bestehe die Kaufpreisforderung gerade noch nicht, sodass die Zahlung nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte. Sie wäre daher im Ausgangspunkt beurkundungspflichtig.

Damit stehe aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 08.11.2018, aus dem sich der Übereignungsanspruch ergibt, gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig sei. Diese Vorschrift enthält eine Auslegungsregel, wonach ein nichtiger Teil eines Rechtsgeschäfts zur Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts führt, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Es handelt sich um eine widerlegliche gesetzliche Vermutung. Diese Vermutung könne gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung sei die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis beweisen könne, mithin die Zahlung auf die erst späterhin begründete Kaufpreisforderung. Nicht erforderlich sei dagegen, dass die Parteien eine ausdrückliche Vorauszahlungsabrede getroffen hätten.

Weise nämlich der Käufer seine Zahlung auf die zukünftige Kaufpreisforderung nach, sei die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten. Das könne insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt habe. Ansonsten sei entscheidend, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen könne, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben. Eines Hinweises im beurkundeten Kaufvertrag bedürfe es dafür nicht.

Vorliegend ergebe sich ein Beleg der Kaufpreiszahlung nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger grundsätzlich ausreichen. Hier fehle es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise vom 06.04.2017 mit dem Verwendungszweck „…975/23.03.2017“ und vom 15.05.2017 mit dem Verwendungszweck „RESTZAHLUNG 975/23.03.2017“ bezögen sich ausdrücklich auf den ersten Kaufvertrag vom 23.03.2017, nicht auf den Erwerb des zweiten Miteigentumsanteils.

Wie erwähnt, hatte das OLG das vom Kläger nach dem Hinweis in der Berufungsinstanz eingereichte „Immobilien-Übergabeprotokoll“ nicht gewürdigt, weil es dies als verspätet zurückgewiesen hatte. Hierin liege, so der BGH, ein Verfahrensfehler. Eine in erster Instanz siegreiche Partei dürfe darauf vertrauen, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 der Zivilproessordnung (ZPO) zu erhalten, wenn dieses – wie hier – in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen wolle und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich halte. Der auf einen solchen Hinweis gehaltene Vortrag sei dann gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch zu berücksichtigen. Anderenfalls liefe die Hinweispflicht des Berufungsgerichts leer.

Das „Immobilien-Übergabeprotokoll“ könne aus Sicht des Klägers den erforderlichen Nachweis über die Zahlung auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehende Kaufpreisforderung aus dem Kaufvertrag vom 08.11.2018 darstellen. Darin hatten die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 € einen „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“. Die Echtheit der Urkunde sei mangels gegenteiliger Feststellungen im Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen.

Darüber hinaus sei die Vorauszahlungsabrede mangels Beurkundung ohnehin unwirksam. Infolgedessen könne der Kläger die geleistete Vorauszahlung mangels Rechtsgrundes wegen ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 BGB von dem Verkäufer zurückfordern und mit dem Bereicherungsanspruch gegenüber der offenen Kaufpreisforderung die Aufrechnung erklären. Dies habe der Kläger nach den Ausführungen der Revision in der Berufungsinstanz hilfsweise getan.

Im zweiten Rechtszug wird das OLG Hamm diese Aspekte zu berücksichtigen haben.

Download: Schwarzgeldabreden beim Grundstückskauf - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten der zivil- und arbeitsrechtlichen Folgen von Schwarzgeldabreden. Eingebunden ist es in den Streit zwischen Käufer und Verkäufer über die Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags.

Der zu entscheidende Fall

Der Beklagte verkaufte der Klägerin mit notariellem Vertrag eine Wohnungs- und Teileigentumseinheit; im Vertrag erklärten die Parteien zugleich die Auflassung. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 120.000 € beurkundet. Tatsächlich vereinbart war ein Preis von 150.000 €. Den Differenzbetrag von 30.000 € hatte die Klägerin bereits vor dem Beurkundungstermin in bar gezahlt. Nach Zahlung des restlichen Kaufpreises wurde die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Nachdem der Beklagte eine Selbstanzeige im Hinblick auf seine Mitwirkung bei der Verkürzung der Grunderwerbsteuer erstattet und das Finanzamt die Grunderwerbsteuer für den gesamten Kaufpreis festgesetzt hatte, führten die Parteien Gespräche über die Wirksamkeit des Kaufvertrags und dessen Rückabwicklung. Im Zug dessen beantragte und bewilligte die Klägerin auf Drängen des Beklagten zugunsten des Beklagten die Eintragung eines Widerspruchs gegen ihre Eintragung als Eigentümerin in das Grundbuch. Der Beklagte überwies daraufhin 120.000 € auf das Treuhandkonto eines Notars, der den Betrag an die Klägerin auszahlte, obwohl der Beklagte noch nicht wieder als Eigentümer eingetragen worden war.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs. Das Landgericht Braunschweig hat den Kaufvertrag als nichtig angesehen und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht Braunschweig den Beklagten verurteilt, der Löschung des Widerspruchs zuzustimmen. Die vom BGH selbst zugelassene Revision ist erfolglos geblieben, weil die Klägerin Eigentümerin Wohnungs- und Teileigentumseinheit geworden ist. Folge davon ist, dass der Widerspruch gegen ihre Eintragung im Grundbuch unberechtigt ist und sie in analoger Anwendung des § 894 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Zustimmung zur Löschung des Widerspruchs verlangen kann. Dass sie dessen Eintragung auf Veranlassung des Beklagten zugestimmt hatte, bleibt für die Frage der Berechtigung des Widerspruchs unerheblich.

Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Formunwirksamkeit

Der BGH prüft zunächst, ob der Kaufvertrag formunwirksam war und die Unwirksamkeit das dingliche Geschäft der Übereignung erfasste. Schon die erste Frage verneint der BGH.

Der Kaufvertrag sei nicht formunwirksam. Zwar war der beurkundete Vertrag mit dem zu niedrigen Kaufpreis als Scheingeschäft nichtig gemäß § 117 BGB und der gewollte Vertrag über 150.000 € zunächst formnichtig, weil er insoweit nicht, wie erforderlich nach § 311b BGB notariell beurkundet worden war. Nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB wurde der Formmangel jedoch durch die Auflassung und Eintragung im Grundbuch geheilt, der Kaufvertrag wurde damit formwirksam.

Keine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot

Sollte der Kaufvertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, griffe der Heilungstatbestand des § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein, weil dieser nur die Formnichtigkeit erfasst.

Gemäß § 134 BGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.

Die Schwarzgeldabrede, so führt der BGH aus, habe aber nicht wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Kaufvertrags geführt.

Die Unterverbriefung hätte den Zweck gehabt, den Finanzbehörden einen geringeren Kaufpreis vorzuspiegeln, um hierdurch Steuern zu hinterziehen. Dass der nicht beurkundete Kaufpreisanteil in bar gezahlt wurde, habe für sich genommen keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Bei einer solchen Motivation der Parteien sei der Kaufvertrag in der Regel nicht nichtig.

Anders liege es nach ständiger, von den anderen Senaten des BGH geteilter Rechtsprechung des erkennenden Senats nur, wenn die Steuerhinterziehungsabsicht alleiniger oder hauptsächlicher Zweck des Kaufvertrags sei, was jedoch regelmäßig nicht der Fall sei, wenn der Leistungsaustausch – Übertragung des Grundstücks und Zahlung des Kaufpreises – ernstlich gewollt sei.

Der BGH konstatiert allerdings, dass die Vereinbarung der Falschangabe des Kaufpreises zum Zweck einer nachfolgenden Steuerhinterziehung rechtlich etwas Anstößiges habe. Dies lasse den Vertrag selbst aber nur dann als rechtlich anstößig erscheinen, wenn die verbotene Steuerhinterziehung den von den Parteien beabsichtigten Hauptzweck des Vertrags bilde. Nur dann widerspreche das gesamte Rechtsgeschäft den der Rechtsordnung selbst innewohnenden rechtsethischen Werten und Prinzipien und sei folglich wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Sei der Leistungsaustausch dagegen ernstlich gewollt und die Steuerhinterziehung nur Nebenzweck, bestehe nach der Zielrichtung des § 370 AO über die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung und die Beitreibung der hinterzogenen Steuern hinaus kein Grund, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.

Vorliegend sei der Hauptzweck des Kaufvertrags nicht in der Hinterziehung von Steuern begründet gewesen, vielmehr der Leistungsaustausch von den Parteien durch die Begründung rechtsverbindlicher Verpflichtungen ernstlich gewollt und sodann auch vollzogen worden. Die „Ersparnis“ an Grunderwerbsteuer in Höhe von rund 1.500 € trete deutlich hinter das Erwerbsinteresse zurück.

Der Kaufvertrag sei auch nicht deswegen nichtig, weil die Schwarzgeldabrede für sich genommen nichtig gewesen sei und diese sich nach § 139 BGB auf den gesamten Kaufvertrag erstreckte.

Nach § 139 BGB führt die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäftes zur Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts, sofern nicht anzunehmen ist, dass die Parteien das Rechtsgeschäft in seinem wirksamen Teil auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen hätten. Zweck der Regelung sei es zu verhindern, so der BGH, dass den Parteien anstelle eines als Ganzes gewollten Rechtsgeschäfts ein Teil ihres Geschäfts aufgedrängt wird.

Hier habe die Schwarzgeldabrede der Vorbereitung einer Straftat nach § 370 AO gedient. Selbst wenn sie deswegen für sich genommen nach §§ 134, 138 BGB nichtig gewesen sein sollte, führe dies nicht nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags, weil davon auszugehen sei, dass die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede abgeschlossen hätten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Parteien den Kaufvertrag auch ohne die Schwarzgeldabrede, also bei Beurkundung des gesamten Kaufpreises, zu den gleichen Konditionen abgeschlossen.

Der BGH konnte daher unentschieden lassen, ob im vorliegenden Fall eine Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Kaufvertrags auch das dingliche Geschäft der Übereignung erfasst hätte.

Unwirksamkeit des Kaufvertrags aufgrund von § 16a GwG

Der BGH brauchte ferner nicht zu entscheiden, ob der mit Wirkung zum 28.12.2022 in das Gesetz eingefügte § 16a des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz - GwG) die Nichtigkeit des Kaufvertrags bedingt hätte, wenn dieser nach dem 31.03.2023 abgeschlossen worden wäre. Diese Vorschrift lautet:

„Bei Rechtsgeschäften, die auf den Kauf oder Tausch von inländischen Immobilien gerichtet sind, kann eine geschuldete Gegenleistung nur mittels anderer Mittel als Bargeld, Kryptowerten, Gold, Platin oder Edelsteinen bewirkt werden. Dasselbe gilt für den Erwerb von Anteilen an Gesellschaften, zu deren Vermögen unmittelbar oder mittelbar eine inländische Immobilie gehört. Übergibt der Schuldner Bargeld, Gold, Platin oder Edelsteine oder überträgt er Kryptowerte als Gegenleistung, kann er diese nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herausverlangen; die §§ BGB § 815 und BGB § 817 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind nicht anzuwenden.“

Da diese neue Norm nach § 59 Abs. 11 GwG nur auf Verträge Anwendung findet, die nach dem 31.03.2023 abgeschlossen wurden, konnte er sich auf den vorliegenden, weit früher geschlossenen Vertrag nicht auswirken.

Folgen der Schwarzgeldabrede für die Wirksamkeit des Vertrags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des BGH zum SchwarzArbG

Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats ist ein unter den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) fallender Vertrag ohne Weiteres in seiner Gesamtheit nichtig, wenn darin Regelungen enthalten sind, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. In subjektiver Hinsicht reicht es dafür aus, dass der Unternehmer vorsätzlich gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt. Die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit des Vertrags tritt dabei unabhängig vom verfolgten Hauptzweck des Vertrags ein.

Der V. Zivilsenat des BGH sieht sich aufgrund dieser Rechtsprechung des VII. Senats nicht veranlasst, von seiner bisherigen, zuvor dargestellten Rechtsprechung zu Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufverträgen abzuweichen.

Die Erwägungen, die im Fall eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG zur Nichtigkeit des Dienst- oder Werkvertrags führen, seien auf Schwarzgeldabreden im Rahmen von Grundstückskaufverträgen nicht übertragbar. Das Verbotsgesetz, gegen das durch eine solche Abrede verstoßen werde, § 370 AO, habe eine andere Zielrichtung.

§ 1 SchwarzArbG verbiete unmittelbar den Abschluss von Verträgen, die auf die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten gerichtet seien, weil das Ziel die Bekämpfung von Schwarzarbeit sei. Zur Erreichung dieses Zwecks wolle das Gesetz nicht nur den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit eindämmen, sondern im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung und des redlichen Wettbewerbs den zugrunde liegenden Rechtsgeschäften ihre rechtliche Wirkung nehmen. Nur so könne der Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern schlechthin unterbunden werden.

Eine entsprechende Zielsetzung existiere für Schwarzgeldabreden bei Grundstückskaufvertragen nicht. Eine solche Abrede könne zwar gegen § 370 AO verstoßen. Nach dieser Vorschrift mache sich strafbar, wer Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben mache und dadurch Steuern verkürze. Der Schutzzweck dieser Norm liege aber nicht zumindest auch im Schutz des redlichen Wettbewerbs, etwa dem Schutz anderer Kaufinteressenten, sondern allein in der Sicherung des staatlichen Steueraufkommens. Dieser Zweck erfordere es nicht, dem Grundstücksgeschäft selbst die Wirksamkeit zu versagen.

Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung der 120.000 €

Ob dem Beklagten, der über das Treuhandkonto des Notars den beurkundeten und ursprünglich von der Klägerin entrichteten Kaufpreis in Höhe von 120.000 € an diese zurückgezahlt hatte, wiederum ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin in selbiger Höhe zusteht, war nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Download: Insolvenzverwalter vs. Sonderinsolvenzverwalter - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Der Sonderinsolvenzverwalter

Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters (Sonderverwalter) ist immer dann geboten, wenn der Insolvenzverwalter tatsächlich oder rechtlich verhindert ist, sein Amt auszuüben. Die Verhinderungsgründe treten im Allgemeinen erst nach der Bestellung des Insolvenzverwalters auf. Durch die Bestellung des Sonderinsolvenzverwalters wird die Verwaltungstätigkeit des Insolvenzverwalters nicht eingeschränkt Sie bedeutet nicht seine Teilentlassung, daher ist zur gebotenen Abgrenzung der Aufgabenbereiche im Beschluss, mit dem das Insolvenzgericht den Sonderinsolvenzverwalters bestellt, zum Schutz der Verfahrensbeteiligten und aus Gründen der Rechtsklarheit der Aufgabenbereich des Sonderverwalters genau zu bezeichnen.

Eine tatsächliche Verhinderung liegt zum Beispiel in zeitweisen Erkrankungen. Eine rechtliche Hinderung ist etwa gegeben, wenn der Insolvenzverwalter eine von ihm zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung gleichzeitig selbst prüfen müsste. Allgemeiner gesprochen ist er rechtlich verhindert, wenn Interessenkollisionen in seiner Person, eventuell auch beschränkt auf einen Teilbereich, vorliegen. Das ist vor allem der Fall, wenn Schadensersatzansprüche für die Insolvenzmasse gegen den ihn in Betracht kommen, die auf einer Pflichtverletzung beruhen, die nicht so gravierend ist, dass sie seine Entlassung aus dem Verwalteramt nach sich zieht. Anderenfalls ist der neu zu bestellende Insolvenzverwalter zur Verfolgung der Schadensersatzansprüche aufgerufen.

Vorliegend geht es um einen etwas skurrilen Fall, in dem zunächst ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt wurde, der Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter prüfen und gegebenenfalls durchsetzen sollte und dem – das stand im Besprechungsfall zur Entscheidung an – im Anschluss hieran der Insolvenzverwalter seinerseits vorwarf, bei seiner Inanspruchnahme Pflichtverletzungen zulasten der Masse begangen zu haben. Der Fall ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass er noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) unter Geltung der in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 in Kraft befindlichen Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) begonnen hat und nach deren Regeln fortgeführt werden muss. Die hier interessierenden Fragen gelten aber gleichermaßen für das Insolvenzverfahren.

Der zu entscheidende Fall

Der besseren Übersicht halber wird der Sachverhalt weitestgehend in Tabellenform dargestellt.

01.11.1994
Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Der Kläger (des vorliegenden Rechtsstreits) wird Gesamtvollstreckungsverwalter.

03.11.1994
Der Kläger schließt einen Sozialplan für 398 Arbeitnehmer mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Mio. DM.

25.11.1999
Der Kläger zahlt auf den Sozialplan rund 1,4 Mio. DM (rund 758.000 €).

14.03.2006
Der Kläger weist auf einer Gläubigerversammlung, nachdem die Verwertung von Immobilien der Schuldnerin erfolglos geblieben war, darauf hin, dass die Sozialplangläubiger überzahlt seien. Von einer Rückforderung sehe er jedoch mangels hinreichender Erfolgsaussichten ab.

07.01.2011
Der Beklagte (des vorliegenden Rechtsstreits) wird zum Sonderverwalter bestellt mit folgendem Aufgabenkreis: Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter wegen der erfolgten Verteilung an die Sozialplangläubiger.

01.02.2011
Der Beklagte teilt dem Kläger seine vorläufige Rechtsauffassung mit, wonach sich der Kläger wegen Überschreitung der sogenannten Drittelgrenze des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO schadensersatzpflichtig gemacht habe, und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 14.02.2011.

[Die Vorschrift lautete: „Die Erfüllung (der Gesamtvollstreckungsforderungen) hat nach folgender Rangordnung und innerhalb eines Ranges im gleichen Verhältnis zu erfolgen:
1. mit gleichem Rang
a) Lohn- oder Gehaltsforderungen für die Zeit bis zu zwölf Monaten vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung,
b) die Forderungen der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit wegen der Rückstände für die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung der Gesamtvollstreckung auf Beiträge einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen,
c) Forderungen aus einem vom Verwalter vereinbarten Sozialplan, soweit die Summe der Sozialplanforderungen nicht größer ist als der Gesamtbetrag von drei Monatsverdiensten der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und ein Drittel des zu verteilenden Erlöses nicht übersteigt; entsprechendes gilt für außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen, …“]

25.02.2011
Der Kläger lehnt seine Haftung ab

12.12.2014
Der Beklagte erwirkt einen Mahnbescheid über 758.000 €.

22.06.2015
Nach Widerspruch des Klägers reicht der Beklagte eine Anspruchsbegründung beim zuständigen Landgericht (LG) Baden-Baden ein und begehrt darin zusätzlich Zinsen ab 01.12.1999.

12.05.2017
Das LG Baden-Baden spricht die Hauptforderung nebst Zinsen ab 13.12.2014 zu. Für den Zeitraum vorher fehle es an einer bezifferten Zahlungsaufforderung oder an einer Mitteilung, die als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung anzusehen sei, sodass Verzugszinsen nicht zugesprochen werden könnten.

06.06.2018
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe weist Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten mit der dieser Zinsen ab 14.03.2006 (43.000 €) begehrt, zurück.

19.03.2020
Der Kläger nimmt nunmehr als Gesamtvollstreckungsverwalter den Beklagten wegen Pflichtverletzungen im Vorprozess in seinem Amt als Sonderverwalter auf Zahlung von 43.000 € in Anspruch. Er macht geltend, der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, ihn, den Kläger, in Verzug zu setzen, und verlangt vom Beklagten, die der Gesamtvollstreckungsmasse entgangenen Verzugszinsen für den Zeitraum vom 01.02.2011 bis zum 12.12.2014, insgesamt 142.000 €, zu ersetzen. Hinsichtlich weiterer 99.000 € hat er sich eine Klageerweiterung vorbehalten.

Das LG Leipzig gibt der Klage in Höhe von 41.000 € statt. Auf die Berufung des Beklagten weist das OLG Dresden im Berufungsverfahren die Klage ab; die Anschlussberufung des Klägers, mit der dieser weitere 99.000 € begehrt, weist es zurück.

Mit seiner vom Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter. Der BGH weist die Revision zurück. Allerdings hält er die Klage bereits für unzulässig, wohingegen das OLG sie für zulässig gehalten, aber als unbegründet angesehen hatte, weil die Schadenersatzforderung der Gesamtvollstreckungsmasse gegen den Beklagten zwar berechtigt gewesen, im Zeitpunkt der Klageeinreichung durch den Kläger aber bereits verjährt gewesen sei.

Die Begründung des BGH

Dem Kläger fehle die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche. Der Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren sei in dem Bereich, für den ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Verwalters an einer Amtsführung bestellt ist, nicht befugt, Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter wegen Pflichtverletzungen aus dessen Amtsführung zu verfolgen. Ansprüche, die sich gegen einen Sonderverwalter richteten, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt worden sei, könnten nur von einem nach Entlassung des bisherigen Gesamtvollstreckungsverwalters neu bestellten Verwalter oder einem weiteren Sonderverwalter geltend gemacht werden. (Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen.)

Werde in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Gesamtvollstreckungsverwalters aufgrund einer Interessenkollision bestellt, habe der Gesamtvollstreckungsverwalter in dem Bereich, für welchen der Sonderverwalter bestellt sei, keinerlei Kompetenzen.

Grundsätzlich gehe mit Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gemäß § 8 Abs. 2 GesO (heute § 80 InsO) die Befugnis, das zur Masse gehörige Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, umfassend auf den Verwalter über.

Zu den Aufgaben eines Verwalters gehöre es auch, Ansprüche der Gesamtvollstreckungsgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den die Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Masse gehörenden Vermögens erlitten hätten, geltend zu machen. Dies sei in der GesO zwar – anders als heute in § 92 InsO – nicht ausdrücklich geregelt, gelte aber auch dort.

Richteten sich solche Ansprüche gegen den Gesamtvollstreckungsverwalter selbst, sei dieser jedoch aufgrund der bestehenden Interessenkollision rechtlich gehindert, sein Amt auszuüben. Die Haftung eines Verwalters wegen Pflichtverstößen könne nur von einem neuen Verwalter oder von einem Sonderverwalter geltend gemacht werden.

Der Sonderverwalter werde in einem Bereich tätig, der aufgrund der Verhinderung des Verwalters nicht zu dessen Aufgaben gehört. Dieser sei insoweit nicht „Verwalter“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der GesO. Auch von einer Prozessführung als Partei kraft Amtes, als die er sonst für die Masse zu handeln habe, sei er ausgeschlossen.

Dieser Ausschluss der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Gesamtvollstreckungsverwalters erstrecke sich auch auf die Frage, ob der Sonderverwalter im Rahmen seiner Amtsführung Pflichtverletzungen begangen habe. Es sei gerade das Ziel der Bestellung eines Sonderverwalters, die Aufgabenbereiche voneinander abzugrenzen und mögliche Interessenkonflikte des Verwalters zu vermeiden. Mit diesem Ziel wäre nicht zu vereinbaren, wenn es dem Verwalter gestattet wäre, die gegen ihn gerichtete Amtsführung des Sonderverwalters einer Überprüfung zu unterziehen.

Der rechtskräftige Abschluss des Schadensersatzprozesses gegen den Verwalter vor dem LG Baden-Baden lasse den Interessenkonflikt, dessentwegen der Sonderverwalter eingesetzt wurde, ebenso wenig entfallen wie die erfolgte Begleichung der ausgeurteilten Schadensersatzforderung.

Ein Interessenwiderstreit ergebe sich daraus, dass bei einer Inanspruchnahme des Sonderverwalters das Verhalten des Gesamtvollstreckungsverwalters, das ursprünglich zur Bestellung des Sonderverwalters geführt habe, erneut und ohne Bindungswirkung durch ein im Schadensersatzprozess gegen den Verwalter ergangenes Urteil zu beurteilen sei. Die Interessenkollision, die das Erfordernis zur Befassung eines Sonderverwalters begründet habe, wirke deshalb fort. Schon deshalb führe der Verwalter einen Prozess gegen den Sonderverwalter nicht unbefangen.

Das ergebe sich schon daraus, dass die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht für die jetzt handelnden Personen gelte. Damals habe der jetzige Beklagte als Sonderverwalter als Partei kraft Amtes gehandelt, nunmehr sei er persönlich Partei, umgekehrt handele der Kläger jetzt als Partei kraft Amtes und sei zuvor persönlich in Anspruch genommen worden. Es fehle folglich an der notwendigen Identität der Parteien. Inzident hätte also auch der Bestand der ursprünglichen Schadensersatzforderung gegen den Kläger jetzt erneut geprüft werden müssen.

Im Streitfall werde der fortbestehende Interessenkonflikt auch darin offenbar, dass der Kläger zur Begründung des Schadensersatzverlangens gegen den Beklagten geltend machen müsse, er selbst sei vom Beklagten im Ursprungsprozess nicht im gebotenen Umfang in Haftung genommen worden. Eine solche Behauptung sei dem Kläger ohne eigenen Nachteil nur möglich und zumutbar, wenn gegen ihn in Betracht kommende Ansprüche entweder rechtskräftig abgewiesen oder zweifelsfrei verjährt seien. Selbst wenn eine weitergehende Inanspruchnahme im konkreten Einzelfall sicher ausschiede, hätte er gegenüber den Gläubigern der Gesamtvollstreckungsschuldnerin potentiell rechtfertigen müssen, warum er von ihm selbst als berechtigt erkannte Ansprüche nicht erfüllt habe, sondern versucht habe, diese auf den Sonderverwalter weiter zu wälzen.

Das Erfordernis, einen weiteren Sonderverwalter (oder einen neuen Verwalter) zu bestellen, stelle sicher, dass das Bestehen etwaiger Ansprüche gegen den Sonderverwalter ohne Einfluss des Interessenkonflikts geprüft und damit einhergehende Prozess- und Kostenrisiken unbefangen bewertet würden. Erst dies ermögliche eine sachgerechte Entscheidung über das weitere Vorgehen. Dass mit der Einsetzung eines Sonderverwalters Kosten verbunden seien, sei hinzunehmen. Sie könnten zudem Teil des gegenüber dem Sonderverwalter zu liquidierenden Schadens sein.

Zugleich schaffe der Ausschluss der Prozessführungsbefugnis des Verwalters Klarheit hinsichtlich des Verjährungsbeginns für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter. Verjährungsfristen begännen grundsätzlich erst dann zu laufen, wenn der betroffene Gläubiger die Möglichkeit habe, verjährungshemmende Maßnahmen einzuleiten. Maßgeblich sei grundsätzlich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs zuständigen Verwalters; zuvor bestehe eine Durchsetzungssperre. Danach bestehe für Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter eine Durchsetzungssperre bis zur Einsetzung eines weiteren Sonderverwalters oder der Ernennung eines neuen Verwalters.

Das Amtsgericht als Gesamtvollstreckungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob es einen neuen Sonderverwalter bestellt, der Ansprüche gegen den Beklagten, gegebenenfalls auch gegen den Kläger zu untersuchen haben wird.

Download: Sozialplanausschluss befristet angestellter Arbeitnehmer durch Stichtagsregelungen – ein Rechtsstreit als Spätwirkung des BER - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Sozialpläne sind nicht an feste Gestaltungen gebunden. Vielmehr obliegt es Arbeitgeber und Betriebsrat unter Ausnutzung ihrer Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, die Typisierungen und Pauschalierungen einschließen, für den konkreten Betrieb geeignete Vereinbarungen zu treffen.

Gebunden sind sie hierbei allerdings an den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Dieser auf das allgemeine Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zurückzuführende Grundsatz zielt darauf ab, eine Gleichstellung von Personen in vergleichbarer Lage sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Da maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung regelmäßig der mit der jeweiligen Regelung verfolgte Zweck ist, müssen sich Gruppenbildungen in Sozialplänen an deren zukunftsbezogener Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion orientieren. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.

Diesem Grundsatz trägt auch § 4 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG) unter der Überschrift „Verbot der Diskriminierung“ Rechnung:

(1) Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

(2) Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.

Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem Besprechungsurteil eine Sozialplanregelung zu prüfen, die eine gezielte Ungleichbehandlung befristet und unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer aufwies.

Der zu entscheidende Fall

Der klagende Arbeitnehmer (Kläger) verlangt von seiner (ehemaligen) beklagten Arbeitgeberin (Beklagte) eine Sozialplanabfindung.

Die Beklagte erbrachte – zunächst auf der Grundlage eines Nutzungsvertrags aus 2006 mit der Berliner Flughafen-Gesellschaft mbH (BFG) – am Flughafen Tegel Dienstleistungen in Form der Betankung von Flugzeugen. Unter dem 22.02.2012 teilte die BFG der Beklagten mit, dass die Betriebsgenehmigung für den Flughafen aufgehoben worden sei. Da Tegel mit Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg (BER) zum 03.06.2012 seinen Flugbetrieb als Verkehrsflughafen einstelle, ende der Nutzungsvertrag mit der Beklagten spätestens zu diesem Zeitpunkt. Die Bekl. beschloss daraufhin, ihren Betrieb zum 02.06.2012 stillzulegen.

Nachdem sich im Mai 2012 abzeichnete, dass sich die Eröffnung des BER verzögern würde, schloss die BFG mit der Beklagten unter dem 31.5./1.6.2012 eine „bis zur Schließung des Flughafens Tegel, längstens jedoch bis zum 31.3.2013“ geltende Zusatzvereinbarung zu den Nutzungsverträgen. Nachdem der BER auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht eröffnet worden war, vereinbarte die Beklagte mit der BFG im März 2013 und – erneut – Anfang September 2015 entsprechende Ergänzungen. Nach Abschluss der (ersten) Zusatzvereinbarung stellte sie Arbeitnehmer nur noch befristet ein.

Der Kläger war bei der Bekl. vom 08.07.2013 bis zum 30.11.2020 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge als Flugzeugtankwart beschäftigt. Der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 18.06.2014 sah vor, dass das Arbeitsverhältnis „bis zum Ende des Betriebszweckes des Betriebs der Beklagten im Flughafen Tegel … (andauere)“.

Am 12.03.2014 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Sozialplan, der nach seinem § 1 I „für sämtliche Mitarbeiter der Betriebe (galt), die am 30.6.2012 in einem Arbeitsverhältnis mit der SJS standen“. Ausgenommen waren nach § 1 II des Sozialplans „Mitarbeiter, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, gleich wann dieses begründet wurde“.

Nachdem bekannt geworden war, dass der BER Ende des Jahres 2020 eröffnen würde, teilte die Beklagte dem Kläger am 17.04.2020 mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristungsabrede am 30.11.2020 enden werde. Vorsorglich kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zu diesem Termin. Der Kläger nahm die von ihm daraufhin erhobene Kündigungsschutzklage später zurück.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss befristet beschäftigter Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplans benachteilige ihn ohne sachlichen Grund im Sinne von § 4 Abs. 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam. Sein Anspruch sei nicht verfallen. Hilfsweise stehe ihm ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu.

Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassenen Revision begehrt die Beklagte erfolgreich die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Begründung des BAG

Das BAG hält die in den Sozialplan aufgenommene Stichtagsregelung für undenklich.

Mit der Gruppenbildung, die zum Stichtag 30.06.2012 befristet Beschäftigte von der Geltung des Sozialplans ausnehme, hätten die Betriebsparteien eine sachlich gerechtfertigte, personenbezogene, am Zweck des Sozialplans orientierte Differenzierung vorgenommen, die das Verbot der Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer des § 4 Abs. 2 TzBfG (siehe oben) nicht verletze.

Dieses Verbot, das – unter dem Vorbehalt der sachlichen Rechtfertigung – grundsätzlich jede unterschiedliche Behandlung untersage, umfasse auch eine mittelbare Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer, greife aber nur ein, wenn sich die befristet Beschäftigten in einer vergleichbaren Situation wie Dauerbeschäftigte befänden.

Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen sei zulässig, wenn dafür ein sachlicher Grund bestehe. Der Rechtfertigungsgrund dürfe dabei weder unmittelbar noch mittelbar auf der Befristung selbst beruhen Es sind vielmehr Umstände erforderlich, die sich etwa aus der besonderen Art der Aufgabe oder mit Blick auf ein sozialpolitisches Ziel ergäben. Die Ungleichbehandlung muss überdies geeignet und erforderlich sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Dies sei vorliegend beachtet worden.

Der Sozialplan diene dem Ausgleich oder der Milderung solcher wirtschaftlichen Nachteile, die in Folge der geplanten Betriebsänderung – hier der Betriebseinstellung – entstünden. Er dürfe danach unterscheiden, welche wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitnehmern drohten, die ihren Arbeitsplatz verlören. Damit könne erreicht werden, die nur begrenzt zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel gerecht zu verteilen.

Die Betriebsparteien durften danach vorliegend typisierend annehmen, dass die Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nach dem Datum der – ursprünglich – beabsichtigten Betriebsstilllegung begründen würden, keine durch den Sozialplan auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteile haben würden.

Diese Gruppe sei zu einem Zeitpunkt eingestellt worden, zu dem bereits festgestanden habe, dass mit der geplanten Eröffnung des BER der Flughafen Tegel schließen und damit auch die Beklagte ihren Betrieb dort stilllegen würde. Diese Arbeitnehmer hätten deshalb bereits von Beginn ihres Arbeitsverhältnisses an nicht die Erwartung haben können, ihr Arbeitsverhältnis würde nicht nur vorübergehend bestehen und sie würden möglicherweise in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Das ändere auch die vorübergehende Fortführung des Betriebs bis zur endgültigen Eröffnung von BER nicht. Die von der Beklagten bei Einstellung der befristet beschäftigten Arbeitnehmer bereits geplante Betriebsstilllegung habe zu keinem Zeitpunkt infrage gestanden. Lediglich die von der BER-Eröffnung abhängige Dauer der Betriebsfortführung sei unklar gewesen.

Der Stichtag 30.06.2012 sei nicht allein wegen der nachfolgenden, teilweise erheblichen Dauer der befristet vereinbarten Arbeitsverhältnisse unwirksam. Zum einen hätten die Betriebsparteien nicht damit rechnen können und müssen, dass sich die Eröffnung des BER in diesem Ausmaß verzögern würde. Zum anderen habe ein Sozialplan lediglich eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihm vorgesehenen Leistungen seien kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste.

Der Umstand, dass die Betriebsparteien nicht den 02.06.2012 – den exakten Tag der geplanten Betriebsstilllegung –, sondern den 30.06.2012 als Stichtag gewählt hätten, gebiete keine andere rechtliche Beurteilung. Die Festlegung des Stichtags auf das Ende des laufenden Monats statt auf den 02.06.2012 sei vom Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien umfasst, der auch solche Pauschalierungen zulasse. Im Übrigen sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Beklagte zwischen dem 02.06. und dem 30.06.2012 überhaupt Arbeitnehmer eingestellt hätte.

Über einen eventuellen Schadensersatzanspruch des Klägers brauchte das BAG aus prozessrechtlichen Gründen nicht zu entscheiden.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei schließlich nicht erforderlich gewesen.

Download: Steuerliche Haftung des vorläufigen Sachwalters als Verfügungsberechtigter nach §§ 69, 35 AO - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Haftung der Vertreter für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

Nach § 69 der Abgabenordnung (AO) haften die in den §§ 34 und 35 AO näher bezeichneten Personen (nach der Gesetzesüberschrift: „die Vertreter“) persönlich, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.

Haftungsvoraussetzung ist deshalb zunächst, dass der vom Finanzamt (FA) in Anspruch genommene unter die in §§ 34 AO beschriebenen Vertreter oder die Verfügungsbefugten im Sinne des § 35 AO fällt. Dies sind nach § 34 Abs. 1 AO unter anderem die gesetzlichen Vertreter natürlicher oder juristischer Personen, nach dessen Abs. 3 aber auch die sogenannten Vermögensverwalter:

„Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.“

Hierunter fallen Insolvenzverwalter, vorläufige Insolvenzverwalter bei allgemeinem Verfügungsverbot des Schuldners (§§ 21 f., 25 der Insolvenzordnung – InsO –, „starker vorläufiger Insolvenzverwalter), Zwangsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker oder Kanzleiabwickler gemäß § 55 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter und die Sequester alten Rechts (Konkursordnung – KO) werden im Allgemeinen weder als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigte im Sinne des § 35 AO angesehen. § 35 AO lautet:

„Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.“

Im Besprechnungsurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) ging es zum einen um die Frage, ob ein vorläufiger Sachwalter im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 InsO in der zur Zeit der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (2014) geltenden Fassung (heute § 270b Abs. 1 InsO), der die Kassenführung des Schuldners gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen und zu diesem Zweck ein Anderkonto eröffnet hat, als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO zu qualifizieren ist. Zum anderen hatte der BFH zu prüfen, ob der Kläger als vorläufiger Sachverwalter für im Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht abgeführte Lohnsteuer gemäß § 69 AO persönlich haftete.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) vom 01.12.2014 zum vorläufigen Sachwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren in Eigenverwaltung (§ 270b InsO) über das Vermögen der A-GmbH (GmbH) bestellt. Geschäftsführer der GmbH war H. Einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des vorläufigen Sachwalters ordnete das AG nicht an. Im Jahr 2015 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und ernannte den Kläger zum Sachwalter.

Die GmbH beschäftigte 2014 mehrere Arbeitnehmer. Im Monat November 2014, also noch vor Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter, veranlasste H die Zahlung der Löhne in voller Höhe für November 2014 und meldete Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag beim beklagten Finanzamt (FA) an.

Der Kläger zog als vorläufiger Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich. Sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen wurden über ein von ihm hierfür eingerichtetes Anderkonto bei einer Bank realisiert. H überwies hierzu das gesamte Bankguthaben der GmbH auf dieses Anderkonto.

Da in der Folgezeit für den November 2014 weder Lohnsteuer noch Solidaritätszuschlag entrichtet wurden, meldete das FA beide Beträge zur Insolvenztabelle an. Die Beträge wurden zur Tabelle festgestellt und später auf der Grundlage des Insolvenzplans mit einer Insolvenzquote von gerundet 2,4% an das FA ausgezahlt. 2016 hob das AG das Insolvenzverfahren auf.

Das FA nahm den Kläger – und zudem mit gesondertem Bescheid auch den früheren Geschäftsführer H – wegen Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für November 2014 nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO in Haftung. Die zuvor aufgrund der Insolvenzquote vereinnahmten Beträge berücksichtigte das FA bei der Berechnung der Haftungssumme nicht mindernd. Es erläuterte, der Kläger sei als vorläufiger Sachwalter, der die Kassenführung übernommen habe, Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Indem er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für den November 2014 nicht beglichen habe, habe er schuldhaft seine Pflichten verletzt. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Finanzgericht Düsseldorf (FG) Erfolg. Auf die Revision des FA weist der BFH die Klage ganz überwiegend ab. Lediglich in Höhe der ausgezahlten Quote von 2,4 %, die das FA im Haftungsbescheid nicht abgezogen hatte, weist der BFH die Revision zurück.

Die Begründung des BFH

1. Zur Frage der Verfügungsberechtigung des Klägers Im Sinne des § 35 AO

Verfügungsberechtigter sei jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und nach außen hin als Verfügungsberechtigter auftrete. Die Verfügungsmacht könne auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen. Die Person müsse in der Lage ist, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich zu erfüllen, eine rein tatsächliche Verfügungsmöglichkeit reiche dagegen nicht. Es bedürfe vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln.

Der BFH führt sodann an, wie er in der Vergangenheit die Rechtsstellung vorläufiger Verwalter im früheren Konkurs-, Vergleichsverfahren nach der Vergleichsordnung (VglO) und in der heutigen Insolvenz beurteilt hatte.

Danach ist der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter selbst dann nicht Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO, wenn er seine Befugnisse überschreitet.

Dasselbe gilt grundsätzlich für den (vorläufigen) Sachwalter, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten, weil dieser die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und dessen Geschäftsführung zu überwachen habe, ohne dass ihm eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zukomme.

Dagegen hatte der BFH 1988 den Sachwalter der Vergleichsgläubiger nach § 91 Abs. 1 VglO, den der Schuldner mit notariellem Vertrag ermächtigt hatte, über sein Anlage- und Umlaufvermögen zu verfügen, als verfügungsberechtigt im Sinne das § 35 AO angesehen.

Bemerkenswerterweise bezieht sich der BFH nicht auf ein anderes Urteil desselben Senats vom 29.04.1986 (VII R 184/83), mit dem er den dortigen Sequester (vorläufiger Verwalter nach der KO) weder als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO noch als Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO qualifiziert hatte, obwohl das Konkursgericht ein allgemeines Veräußerungs- und Verfügungsverbot gegen die Schuldnerin erlassen und den Sequester beauftragt hatte, „den Geschäftsbetrieb zu übernehmen“.

Im juristischen Schrifttum ist umstritten, ob der vorläufige Sachwalter durch die Übernahme der Kassenführung zum Verfügungsberechtigten nach § 35 AO wird. Teilweise wird die Frage verneint, teilweise bejaht, einzelne Autoren plädieren für die Anwendung des § 35 AO, wenn der (vorläufige) Sachwalter die Kassenführung übernimmt und weitere Berechtigungen hinzukommen.

Der BFH folgt der letztgenannten Auffassung mit der Maßgabe, dass ein vorläufiger Sachwalter zumindest dann als Verfügungsberechtigter anzusehen ist, wenn er nach Übernahme der Kassenführung auf seinen Namen ein Anderkonto bei einer Bank eröffnet und sämtliche eingehenden und ausgehenden Zahlungen des Schuldners über dieses Konto abwickelt.

Er erlange hierdurch die für eine Verfügungsberechtigung im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht. Im Streitfall folgten diese treuhänderischen Befugnisse aus der Verwendung des Anderkontos, durch das der Kläger zudem als Verfügungsberechtigter nach außen aufgetreten sei. Bei dem eingerichteten Rechtsanwaltsanderkonto handele es sich nicht um ein Konto der Insolvenzmasse, sondern um ein offenes Vollrechtstreuhandkonto, dessen Inhaber, hier der Kläger, die Verfügungsmacht über das Konto selbst und die darauf befindlichen Mittel erlange.

Dass der Kläger, wie dieser meint, nur Aufweisung des Schuldners habe handeln dürfe, sei als Absprache im Innenverhältnis belanglos.

Der Kläger habe die Verfügungsmacht auch nach außen genutzt, indem er das Konto eingerichtet und darüber verfügt habe.

2. Zu den Voraussetzungen der Haftung nach 69 AO

§ 69 AO lautet:

„Die in den § 34 und § 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. …“

Obwohl § 69 AO eine relativ einfach formulierte Vorschrift zu beinhalten scheint, setzt er für die Haftungsinanspruchnahme neben der Eigenschaft des Haftenden als Vertreter oder Verfügungsberechtigter mehreres voraus:

  • den Eintritt eines Haftungsschadens,
  • eine Pflichtverletzung,
  • einen Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden,
  • ein Verschulden,
  • das Nichteingreifen des Grundsatzes der anteiligen Tilgung und letztlich
  • fehlfreie Ermessenausübung durch das FA bei Erlass des Haftungsbescheids nach § 191 Abs. 1 AO, die einzige Voraussetzung, die vorliegend in der Revisionsinstanz unstreitig war.

a) Haftungsschaden

Ein Haftungsschaden im Sinne von § 69 AO sei eingetreten, legt der BFH dar, weil die Forderung des FA auf Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, mithin Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO, nicht erfüllt worden seien.

b) Pflichtverletzung durch den Kläger

Nach dem insoweit maßgeblichen Haftungsbescheid hatte das FA eine Pflichtverletzung des Klägers darin gesehen, dass er die am 10.12.2014 fällige Lohnsteuer für November 2014 nicht beglichen hatte.

Dem schließt sich der BFH an. Als Verfügungsberechtigter habe der Kläger gemäß § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters gehabt, die er auch rechtlich und tatsächlich habe erfüllen können. Er habe dafür zu sorgen gehabt, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete. Die in Rede stehenden Steuern habe er jedoch nicht abgeführt.

Die Pflichtverletzung sei trotz des Insolvenzantrags nicht wegen einer Pflichtenkollision ausgeschlossen gewesen. Zwar habe ein Geschäftsführer bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (GmbHG) eine Massesicherungspflicht, nach der Rechtsprechung des BFH hafte er jedoch nicht nach dieser Vorschrift gegenüber der Gesellschaft, weil die Erfüllung steuerlicher Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. vereinbar gewesen sei. Das habe auch für den vorläufigen Sachwalter zu gelten.

Nach dem jetzt geltenden §15b Abs. 8 InsO, der unter anderem § 64 GmbHG abgelöst hat, liegt eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen. Diese Vorschrift gilt jedoch erst ab dem 01.01.2021. Der BFH wendet sie vorliegend deshalb ausdrücklich nicht (rückwirkend) an.

Ungeprüft lässt der BFH bei allem, ob § 64 GmbHG a. F. bzw. § 15b InsO auf den vorläufigen Sachwalter überhaupt anwendbar sind, was erheblichen Zweifeln unterliegt.

c) Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden

Der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden bestehe. Dass der Kläger, wie dieser vorgetragen habe, als späterer Sachwalter im Falle einer Abführung der Lohnsteuer im Zeitpunkt der Fälligkeit diese Zahlung nach § 130 Abs. Abs. 1 Nr. 2 InsO zweifelsfrei angefochten hätte und das FA die Beträge hätte zurückzahlen müssen, vermöge den Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nicht zu beseitigen. Denn hypothetische (nur gedachte) Geschehensläufe seien bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Haftungsschaden nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats unbeachtlich. Hieran ändere nichts, dass der Kläger späterhin auch selbst in Person zum Sachwalter im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren bestellt worden sei.

d) Verschulden

Den Kläger treffe ferner ein Verschulden daran, dass die Lohnsteuer für November 2014 bei Fälligkeit nicht an das FA abgeführt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats stelle die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung dar. Zudem indiziere nach ebenso ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens generell das Verschulden im Sinne von § 69 Satz 1 AO.

Gegenteilige Anhaltspunkte ergäben sich insbesondere nicht daraus, dass dem Kläger im Haftungszeitraum die Rechtslage noch nicht hinreichend bekannt gewesen wäre. Zwar habe sich in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung erst in jüngerer Zeit – nach dem Haftungszeitraum – die Erkenntnis verfestigt, dass es für einen Insolvenzverwalter nicht zulässig sei, ein Anderkonto einzurichten. Vielmehr müsse der Insolvenzverwalter ein Konto unterhalten, aus dem die Insolvenzmasse selbst materiell berechtigt sei. Dies dürfe aufgrund der erforderlichen Trennung zwischen künftiger Insolvenzmasse und dem Vermögen des Sachwalters ebenso für einen vorläufigen Sachwalter gelten. Die Haftung des Klägers beruhe jedoch nicht hierauf, sondern vielmehr darauf, dass er mit dem Anderkonto ein offenes Vollrechtstreuhandkonto eingerichtet habe, woraus die für die Stellung als Verfügungsberechtigter im Sinne von § 35 AO erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht aufgrund der Treuhand abzuleiten sei. Diese Umstände seien dem Kläger bekannt gewesen.

e) Nichteingreifen des Grundsatzes der anteiligen Tilgung

Eine Haftung sei auch nicht deshalb zu verneinen oder in ihrem Umfang zu reduzieren, weil zur Begleichung der Steuerschulden nicht ausreichende Mittel vorhanden gewesen wären.

Stünden zur Begleichung der Schulden insgesamt keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so bewirke nach der Rechtsprechung die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt habe. Diesem sogenannten Grundsatz der anteiligen Tilgung komme im Zusammenhang mit der Lohnsteuer allerdings die eingeschränkte Bedeutung zu, dass lediglich das FA und die Arbeitnehmer gleichmäßig zu berücksichtigen seien. Daher seien die für die Lohnsteuerabführung erforderlichen Beträge bei der Lohnzahlung zurückzubehalten, die Löhne also entsprechend zu kürzen.

Ob im Streitfall der Grundsatz der anteiligen Tilgung aber möglicherweise trotz Vorliegens eines Lohnsteuerfalls in uneingeschränktem Umfang anzuwenden sein könnte, weil die Löhne bereits vor der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Sachwalter durch den Geschäftsführer H ausgezahlt worden waren und der Kläger daher keine Möglichkeit gehabt habe, für eine Kürzung der Löhne zu sorgen, könne dahinstehen. Denn von dem Bestand auf dem Anderkonto des Klägers hätte er weniger als ein Zehntel für die offenen Steuerforderungen verwenden müssen. Sofern zu einem späteren Zeitpunkt das Vermögen der GmbH unter Berücksichtigung anderer Gläubiger nicht ausgereicht haben sollte, worauf die Insolvenzquote von 2,4% schließen lasse, gelte dies zumindest nicht für den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden am 10.12.2014.

Nach allem sah sich der BFH veranlasst, das Urteil des FG, das gegenteilig entschieden hatte, weitestgehend aufzuheben.

Download: Corona und kein Ende – auch im Gesellschaftsrecht - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Gesetzlicher Hintergrund

Nach § 48 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) werden die Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst, wobei Versammlungen auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden können. Allerdings ist dann erforderlich, dass sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären. Abs. 2 erklärt die Abhaltung einer Versammlung dann für überflüssig, wenn sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen sich einverstanden erklären.

Um den Abstandsgeboten in der Covid-19-Pandemie Rechnung zu tragen, regelte das am 27.03.2020 in Kraft getretene Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) für die einzelnen Gesellschaftstypen und sonstige Zusammenschlüsse jeweils gesondert die Möglichkeiten, Versammlungen kontaktfrei durchzuführen. Für die GmbH bestimmte § 2 COVMG: „Abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“ Voraussetzung war daher nur, dass die schriftliche Stimmabgabe durch die Geschäftsführung oder einen anderen hierzu Berechtigten angeordnet wurde und eine (einfache) Mehrheit der Gesellschafter eine solche Vorgehensweise befürwortete. Außerdem mussten alle Gesellschafter an dem Beschlussverfahren beteiligt und hierzu rechtzeitig vorab über die Durchführung des besonderen Verfahrens in Kenntnis gesetzt werden.

Diese Sonderregel endete mit Ablauf des 31.08.2022. Für die GmbH-Gesellschafter stellt sich daher heute grundsätzlich die Frage, ob sie durch Satzungsermächtigung virtuelle oder teilvirtuelle Gesellschafterversammlungen zulassen wollen, was aufgrund der Satzungsautonomie in der GmbH im Grundsatz durchaus möglich ist, Ein schriftliches Verfahren kann die Satzung sowohl durch schlichte Anordnung der Geschäftsführung oder auch nach Mehrheitsentscheidung vorsehen, da § 48 Abs. 2 GmbHG insoweit dispositiven Charakter hat. Ob die Gesellschafter eine solche Regelung in die Satzung aufnehmen sollten, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Sie sind sehr sorgfältig zu bedenken, da sie das mitgliedschaftliche Teilnahmerecht beseitigen oder zumindest teilweise entwerten. Je nach Ausgestaltung sind sie zudem bei bestehenden Gesellschaften nur im Einvernehmen aller Gesellschafter in die Satzung integrierbar.

Der zu entscheidende Fall

Der Kläger ist Minderheitsgesellschafter der beklagten GmbH. Deren Satzung regelt in § 10, dass ein Umlaufverfahren möglich ist, wenn kein Gesellschafter dem Verfahren widerspricht. Ende 2020 führte die Geschäftsführung der Beklagten unter Hinweis auf § 2 COVMG ein Umlaufverfahren durch, bei dem über die Feststellung des Jahresabschlusses 2019 und die Verwendung des Bilanzergebnisses 2019 abgestimmt werden sollte. Der Kläger hatte der Durchführung des Umlaufverfahrens über seinen Rechtsanwalt widersprochen. Gleichwohl stellte die Geschäftsführung nach Ablauf der Abstimmungsfrist das Zustandekommen der Beschlüsse mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters zu Protokoll fest.

Dagegen hat der Kläger fristgerecht Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben. Neben inhaltlichen Mängeln rügt er einen Verstoß gegen § 10 Nr. 5 der Satzung. Er meint, dass die Satzungsregelung der Bestimmung des § 2 COVMG vorgehe.

Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts (LG) wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint zum einen, das Abstimmungsverfahren sei wegen Verstoßes gegen § 10 der Satzung fehlerhaft durchgeführt worden, zum anderen litte der Gesellschafterbeschluss an materiellen – inhaltlichen – Mängeln.

Das Oberlandesgericht (OLG) München hält die Berufung des Klägers zwar für zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Die Urteilsbegründung des LG sei zutreffend. Die dagegen gerichteten Rügen des Klägers in seiner Berufungsbegründung hält es nicht für durchgreifend.

Die Vorgehensweise des OLG gestattet § 522 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Grundsätzlich ist auch im Berufungsverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das Berufungsgericht soll die Berufung nämlich durch Beschluss – also in einem Verfahren ohne mündlich Verhandlung – unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,

2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,

3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und

4. eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist.

Die Parteien müssen zuvor auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hingewiesen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Macht der Berufungsführer von der Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch, muss das Berufungsgericht sich im abschließenden Beschluss mit seinen Argumenten auseinandersetzen.

Die Begründung des OLG München

Das OLG München hält die angegriffenen Beschlüsse nicht deshalb für formell rechtswidrig und damit nichtig, weil sie im Umlaufverfahren gefasst wurden. Grundsätzlich sei ein Gesellschafterbeschluss einer GmbH entsprechend § 241 Nr. 1 des Aktiengesetzes nichtig, wenn er in einem gesetzlich oder statutarisch (satzungsmäßig) nicht zugelassenen Abstimmungsverfahren gefasst worden sei.

Dies sei hier nicht der Fall. Zwar sei § 2 COVMG in gleicher Weise gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG dispositiv wie § 48 Abs. 2 GmbHG, an dessen Stelle die Norm trete. Obwohl § 10 der Satzung bestimme, dass das Umlaufverfahren nur möglich sei, wenn kein Gesellschafter widerspreche, und das Verfahren folglich grundsätzlich gerade nicht von dem Einverständnis der Gesellschafter unabhängig sei, führe die Auslegung der Satzungsregelung dazu, dass § 10 der Satzung nicht für die Sondersituation der Corona-Pandemie gelte. Vielmehr greife die gesetzliche Spezialregelung des § 2 COVMG ein.

Die Satzung einer GmbH sei aus sich selbst heraus, anhand objektiver Umstände auszulegen. In erster Linie komme es auf Wortlaut und Sinnzusammenhang im Gesellschaftsvertrag an. Eine daneben mögliche teleologische (zielorientierte) Auslegung habe sich an objektiv bekannten Umständen zu orientieren.

Da die Satzung lange vor der Pandemie beschlossen worden sei, enthalte sie hinsichtlich dieser Situation eine Regelungslücke. Zur Zeit der Beschlussfassung sei allgemein – und also wiederum objektiv ersichtlich – nicht absehbar gewesen, dass eine Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen physische Zusammenkünfte auf längere Zeit verhindern oder zumindest massiv erschweren und (lebens) gefährlicher machen werden würden. § 10 der Satzung sei daher entsprechend teleologisch zu reduzieren. Es erscheine fernliegend, dass die Gesellschafter diese extreme Ausnahmesituation, hätten sie sie bei Erstellung der Satzung bedacht, nicht mit einer gesonderten Regelung bedacht hätten.

Die Regelungslücke sei durch die Heranziehung des dispositiven Rechts zu schließen, soweit dies sachdienlich sei, weshalb hier der dispositive § 2 COVMG, der genau für die aufgetretene Satzungslücke eine interessengerechte Lösung anbiete. Die sich hieran orientierende Durchführung der Beschlussfassung sei daher nicht zu beanstanden.

Das OLG München setzt sich sodann noch mit der von ihm als herrschend qualifizierten Meinung auseinander, wonach sich jedenfalls bei einer den Wortlaut des § 48 Abs. 2 GmbHG (siehe oben) lediglich wiederholenden Satzungsbestimmung die Geltung des § 2 COVMG regelmäßig aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben soll. Auch dieser Ansatz führe hier zum gleichen Ergebnis. § 10 der Satzung gebe zwar nicht rein wiederholend den Gesetzeswortlaut wieder, sondern ersetzt das positive Zustimmungserfordernis des § 48 Abs. 2 GmbHG durch das Erfordernis des Fehlens eines Widerspruchs. Die darin liegende Abmilderung des gesetzlichen Zustimmungserfordernisses spreche jedoch nicht gegen, sondern gerade für eine Geltung der Sonderregelung des § 2 COVMG. Die Satzungsregelung, die das materielle Einstimmigkeitserfordernis für die Gesellschaft leichter handhabbar mache, würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ihretwegen eine diesbezügliche gesetzliche Erleichterung ausgeschlossen werden würde. Mit der Satzungsregelung hätten die Gesellschafter gezeigt, dass sie eher geringere als strengere Anforderungen an ein Umlaufverfahren hätten stellen wollen als das Gesetz.

Da auch die vom Kläger gerügten materiellen Mängel der Beschlussfassung nicht vorgelegen hätten, weist das OLG München mit dem vorliegenden Beschluss auf seine Absicht hin, die Berufung zurückzuweisen. Ob der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht und wie das Gericht hierauf entschieden hat, ist öffentlich (bislang) nicht bekannt gemacht worden.

Download: Bestandskräftige Steuerbescheide – Halten sie der Außenprüfung Stand? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Bestandskraft eines Steuerbescheids kann durchbrochen werden

Nach § 172 der Abgabenordnung (AO) darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben oder abgeändert werden. Neben anderen Gründen ist dies nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich, wenn Tatsachen oder Beweismittel (der Steuerbehörde) nachträglich, also nach der Bestandskraft des Bescheids, bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Rechtfertigen solche Aspekte dagegen eine niedrigere Steuer, können Bescheide nach Nr. 2 auch zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, allerdings darf diesem dann kein grobes Verschulden daran anzulasten sein, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Ist ein Bescheid bereits aufgrund einer Außenprüfung erlassen worden, darf er nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung (strafbar nach § 370 AO bzw. ordnungswidrige nach § 378 AO) vorliegt.

Im vorliegenden Fall ging es um Änderungsbescheide nach einer Außenprüfung, die ursprünglichen Bescheide waren erklärungsgemäß ergangen, sodass eine Änderung nicht vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Verkürzung abhing.

Der zu entscheidende Fall

Die Kläger wurden in den Streitjahren als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger war als Einzelunternehmer tätig und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Einnahmenüberschussrechnung. Er betrieb einen Einkaufsladen, und vermittelte verschiedene Dienstleistungen. Dabei verwendete er eine elektronische Kasse, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons fünf Warengruppen auswies (neben anderen Verkauf 19 %, Verkauf 7 %). Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach einzelnen Waren und Dienstleistungen nahm der Kläger nicht vor. Die Z-Bons korrigierte der Kläger gelegentlich handschriftlich.

Außerdem führte er täglich Kassenberichte. Der Kassenbestand am Tagesende wurde nahezu ausschließlich mit 0 EUR angegeben, die Wechselgeldeinlage in der Kategorie „+ zuzüglich Einzahlungen“. Für einige Tage der Streitjahre lautete diese Eintragung auf 0 EUR. Überwiegend entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z-Bons. Soweit der Kläger handschriftliche Korrekturen auf den Z-Bons vorgenommen hatte, entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht teils den korrigierten Zahlen auf den Z-Bons, teils wurden die Korrekturen nicht in den Kassenbericht übernommen. Für einen bestimmten Tag war ein Kassenendbestand von x EUR vermerkt. Dieser wurde für den Folgetag nicht als Einzahlung notiert, die Erlöse und die Auszahlung laut Kassenbericht entsprachen den auf dem Z-Bon ausgewiesenen Beträgen.

Nachdem das Finanzamt (FA) die Kläger zunächst erklärungsgemäß und ohne Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer veranlagt hatte, fand eine Außenprüfung beim Kläger statt. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass

  • der Kläger seinen Aufzeichnungspflichten nach § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht hinreichend nachgekommen sei,
  • ein grundsätzlich nicht zur Führung eines Kassenbuchs verpflichteter Steuerpflichtiger, der – wie der Kläger – ein solches freiwillig führe, die gesetzlichen Anforderungen an ein Kassenbuch erfüllen müsse. Dies sei nicht der Fall gewesen,
  • die Geschäftsvorfälle, die den handschriftlichen Korrekturen auf den Z-Bons zugrunde liegen, mangels Eigenbelegen nicht nachvollziehbar seien.

Eine Geldverkehrsrechnung ergab keine ungeklärten Einnahmefehlbeträge.

Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass wegen erheblicher Kassenführungsmängel eine Hinzuschätzung durch Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der Barerlöse zu erfolgen habe.

Das FA änderte dementsprechend die Bescheide unter anderem über Einkommen-. Es stützte die Änderung § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Nach erfolglosem Einspruch hiergegen hatte die anschließende Klage teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte die Änderungsbescheide dahingehend, dass es die Erhöhung der Betriebseinnahmen für die Einkommensteuer vollständig rückgängig machte und im Übrigen nur noch einen Sicherheitszuschlag von 5 % der Betriebseinnahmen zum Regelsteuersatz (netto) in Ansatz brachte.

Auf die Revision der Kläger hebt der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil und das Verfahren auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurück.

Die Begründung des BFH

Der BFH kann nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Bescheidänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlagen.

Der rechtfertigende Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach dieser Vorschrift sei, so führt er aus, nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt (einer nicht vollständigen Tatsachenbasis) ausgegangen sei.

Auch Schätzungsgrundlagen könnten Tatsachen sein, denn Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein könne, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne seien Schlussfolgerungen aller Art, zum Beispiel juristische Subsumtionen.

Im Gegensatz zu einer Schätzung, die selbst eine Schlussfolgerung sei, könnten die Schätzungsgrundlagen neue Tatsachen sein. Zu den Tatsachen gehörten auch objektive Hilfstatsachen, die den sicheren Schluss auf eine subjektive (innere) Haupttatsache (wie etwa eine Kenntnis oder eine Absicht) zuließen. Folglich sei die Art und Weise, in welcher der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt habe, eine solche Tatsache. Dies gelte zum Beispiel für Aufzeichnung über den Wareneingang und die Belegsammlung.

Hieraus folge für den Streitfall, dass namentlich die Art, in der der Kläger seine Bareinnahmen festgehalten habe, der Inhalt der Aufzeichnungen sowie das Vorhandensein der Z-Bons und deren Inhalt als Tatsachen anzusehen seien.

Die Tatsache muss nachträglich bekannt geworden sein, um zur Änderung zu berechtigen. Sie müsse, so der BFH, schon bei Erlass des ursprünglichen Bescheids vorhanden gewesen sein, so dass sie vom FA bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätte berücksichtigt werden können. Vorliegend habe das FA erst durch die nach der Bestandskraft der Bescheide durchgeführte Außenprüfung von den Kassenaufzeichnungen des Klägers sowie von den bei ihm dazu vorhandenen Belegen (Z-Bons) und ihrem Inhalt Kenntnis erlangt.

Voraussetzung für eine Änderung sei ferner die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache und die Ursächlichkeit der Unkenntnis des FA von dieser Tatsache bei der ursprüngliche Veranlagung. Dies sei im Einzelfall nach der im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheids geltenden Rechtslage zu beurteilen.

Vorliegend läge danach Rechtserheblichkeit vor, wenn das FA bei Kenntnis des Zustands der Aufzeichnungen bereits ursprünglich hätte schätzen und eine höhere Steuer festsetzen dürfen.

Unter anderem bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das FA dem Grunde nach zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO berechtigt. Die Norm regelt, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen hat, soweit es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Das gilt insbesondere, wenn der Steuerpflichtige keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden, weil sie Anlass bieten, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

Der BFH führt aus, dass eine Einnahmenüberschussrechnung nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege Vertrauen verdiene und die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen könne. Dennoch müsse sie nicht ungeprüft übernommen werden, der Steuerpflichtige trage vielmehr das Risiko, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen könne und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 AO erfüllt seien.

Zur (Hinzu-)Schätzung berechtigten auch formelle Mängel der Aufzeichnungen über Bareinnahmen, die zwar keinen sicheren Schluss auf eine Einnahmenverkürzung zuließen, aber dazu führten, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen bestehe, ohne dass eine nachträgliche Heilung des Mangels möglich wäre.

Da das FG hierzu keine ausreichenden Tatsachen festgestellt habe, könne der BFH nicht selbst in der Sache entscheiden. Er hat daher die Angelegenheit an das FG zurückverwiesen.

Download: Steuerfreibeträge beim Übergang von Vermögen auf eine Familienstiftung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Stiftung

Stiftungen werden zu unterschiedlichen Zwecken errichtet und erfreuen sich seit einiger Zeit nicht unerheblicher Beliebtheit. Eine Form ist die sogenannte Familienstiftung, die jedoch durch die Satzung und das Stiftungsgeschäft sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann.

Mit der Gründung einer Familienstiftung verbinden die Stifter unterschiedliche Ziele, die jedoch – etwa in Folge unzureichender Beratung bei der Gründung – wie auch der Besprechungsfall zeigt, nicht immer vollständig erreicht werden. Motive für die Gründung der Familienstiftung sind zum Beispiel der langfristige Zusammenhalt des Vermögens, die Verhinderung von Vermögensverschiebungen und der Versilberung, der Schutz vor Gläubigern, der allerdings wegen der Möglichkeit der Insolvenz- und der Gläubigeranfechtung nur eingeschränkt gewährleistet ist, und sehr häufig die Idee, mit der Stiftung „Steuern sparen zu können“. Diese Motivation lag im vorliegenden Fall zumindest auch zugrunde.

Nach § 80 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist die Stiftung eine mit einem Vermögen zur dauernden und nachhaltigen Erfüllung eines vom Stifter vorgegebenen Zwecks ausgestattete, mitgliederlose juristische Person. Die Stiftung wird in der Regel auf unbestimmte Zeit errichtet, sie kann aber auch auf bestimmte Zeit errichtet werden, innerhalb derer ihr gesamtes Vermögen zur Erfüllung ihres Zwecks zu verbrauchen ist (Verbrauchsstiftung). - Zur Entstehung der Stiftung sind das Stiftungsgeschäft und in vielen Bundesländern die Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters anerkannt, so gilt sie für Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden.

Die Stiftungsaufsicht ist Ländersache und in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. In Bayern etwa unterliegen ausschließlich privatnützige Stiftungen keiner Rechtsaufsicht.

Der zu entscheidende Fall

Die Klägerin errichtete zusammen mit ihrem Ehemann die U-Familienstiftung. Die Stiftung wurde mit Vermögen ausgestattet, dessen Steuerwert - unter den Beteiligten unstreitig – 443.000 € beträgt

Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde angegeben, die Familienstiftung habe zum Zweck die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes (§ 3 Buchst. a der Stiftungssatzung), die angemessene finanzielle Unterstützung der Tochter der Stifter (§ 3 Buchst. b der Stiftungssatzung) sowie die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes der Stifter, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation (§ 3 Buchst. c der Stiftungssatzung).

Das Finanzamt (FA) sah für Zwecke der Schenkungsteuer hinsichtlich der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung als „entferntest Berechtigten“ im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die in § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung angeführten „weiteren Abkömmlinge“ an. Es ordnete den Erwerb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Steuerklasse I („Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder“) zu und brachte gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG einen Freibetrag von 100.000 € in Abzug und setzte die Schenkungsteuer mit rund 60.000 € fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ebenso erfolglos wie die Klage.

§ 15 Abs. 2 ErbStG lautet:
„In den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 8 ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist…“

Mit ihrer Revision machte die Klägerin eine Verletzung von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG geltend. In der Stiftungsurkunde sei geregelt, dass Berechtigte nur die Stifter und ihre Tochter seien. Weitere Abkömmlinge, die noch nicht geboren seien, seien zwar begünstigt, aber erst nach dem Tod der Tochter bezugsberechtigt. Mögliche Nachkommen würden nicht mit ihrer Geburt, sondern erst mit dem Tod der Tochter begünstigt. Im Gesetz stehe „nach der Satzung“ „Berechtigte“ und nicht „mögliche Berechtigte“. Das FA unterscheide nicht zwischen „Berechtigtem“ und „Begünstigtem“. Im Stiftungsrecht seien nur diejenigen Begünstigten berechtigt, denen das jeweilige aktuelle Recht auf Zuwendungen in der laut Satzung bestimmten Reihenfolge zugewiesen sei.

Die Revision der Klägerin hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.

Die Begründung des BfH

Der BFH hält die Argumentation der Klägerin insgesamt für nicht durchgreifend. Der „entferntest Berechtigte“ sei, wie schon das FA richtig gesehen habe, ein möglicher Urenkel der Stifter. Unerheblich sei dabei,

  • dass dieser bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren sei und
  • ob potentielle Urenkel jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten werden.

Das Gesetz behandelt den Übergang von Vermögen in eine Stiftung unter Lebenden steuerlich als Schenkung unter Lebenden. In diesem Fall ist der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist. „Entferntest Berechtigter“ ist derjenige, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll.

Der „Berechtigte“ im Sinne des 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspreche, so der BFH, dem nach der Stiftungssatzung „potentiell Begünstigten“, der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein könne. Sofortige Anspruchsberechtigung sei dagegen nicht erforderlich. „Entferntest Berechtigter“ sei daher derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt. Dass der Berechtigte bereits geboren sei oder jemals geboren werde, verlange der Wortlaut des Gesetzes nicht, ausreichend sei, wenn er erst in der Generationenfolge bezugsberechtigt werde. Dies entspräche schon der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs.

Wer bei der einzelnen Familienstiftung als „entferntest Berechtigter“ anzusehen sei, sei der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen. Es obliege dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potentiell Begünstigten festzulegen.

§ 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sei Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen sei wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16 und 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG.

Zur Steuerklasse I gehören u.a. Kinder und Stiefkinder und die Abkömmlinge der in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG genannten Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG). Die in § 16 ErbStG geregelten Freibeträge sind nicht für alle Personen der Steuerklasse I gleich hoch; das Gesetz unterscheidet dort nochmals detaillierter nach dem jeweiligen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser bzw. Schenker. Dessen Kinder erhalten einen Freibetrag von 400.000 €, seine Enkel einen solchen von 200.000 €, spätere Abkömmlinge, wie Urenkel, verfügen nur über einen Freibetrag in Höhe von 100.000 €.

Hierin liege eine Besserstellung, argumentiert der BFH, denn trotz der genannten Abstufung komme es durch die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG in allen diesen Fällen insgesamt zu einer Besserstellung hinsichtlich des Freibetrags bei der Schenkungsbesteuerung für den Übergang von Vermögen auf die Familienstiftung. Ohne die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person abzustellen. Dies hätte zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III anwendbar und nur ein Freibetrag in Höhe von 20.000 EUR zu gewähren wäre. Da das Gesetz auf die Bestimmungen der Stiftungssatzung abstelle, habe es der Stifter in der Hand, das Privileg so zu nutzen, wie er es für am besten für seine Familie halte.

Eine darüberhinausgehende Privilegierung sei dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich auf das Verhältnis des Zuwendenden zu dem entferntest Berechtigten abgestellt.

Bei gegenteiliger Entscheidung entstünde eine Überprivilegierung, wenn später weitere Abkömmlinge geboren würden, die dann auch finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen können. Unabhängig von der Frage, ob für die Rückgängigmachung dieser Überprivilegierung überhaupt eine Änderungsvorschrift einschlägig wäre, würde dies eine Überwachung der Familienstiftung über einen bestimmten Zeitraum voraussetzen. Eine solche sei im Gesetz aber nicht angelegt.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob im Fall, dass keine Enkel und Urenkel geboren würden, Steuer zu erstatten sei, brauche im Streitfall nicht zu entschieden zu werden.

Es sei schließlich nicht ausschlaggebend, dass die Enkel und Urenkel der Stifter erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation Leistungen aus dem Stiftungsvermögen erhalten sollen. Hierbei handele es sich nur um eine Bedingung, die Urenkel blieben trotz dieser Satzungsregelung potentiell begünstigt.

Auf dieser Basis habe das Finanzgericht zutreffend erkannt, dass nach § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung potentiell Begünstigte des Stiftungsvermögens die Urenkel der Stifter sein könnten. Unerheblich sei, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungssatzung nur die Tochter der Klägerin geboren gewesen sei und die Urenkel erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation begünstigt sein sollten.

Download: Der BGH konkretisiert die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nach § 133 InsO

Schon das römische Recht kannte mit der actio Pauliana eine Klage, die vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen im Fall der Insolvenz rückgängig machen sollte; im deutschen Recht regelte § 31 der Konkursordnung von 1877 die Absichtsanfechtung, der im Grundsatz die heutige Vorsatzanfechtung nach § 133 der Insolvenzordnung (InsO) nachgebildet ist.

Die Vorsatzanfechtung setzt je nach Art der anzufechtenden Rechtshandlung voraus:

  • eine Rechtshandlung, die entweder höchstens zehn oder höchstens vier Jahre vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurde,
  • den Vorsatz des Insolvenzschuldners (Schuldner), seine Gläubiger zu benachteiligen, und
  • die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung.

Während die erste Voraussetzung meist leicht feststellbar ist, sind der Vorsatz und die Kenntnis hiervon häufig sehr schwer nachzuweisen. Bis zu einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20) ging die Rechtsprechung davon aus, dass der Schuldner jedenfalls dann mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte, wenn er zahlungsunfähig war und dies wusste. Andere Möglichkeiten, den Vorsatz nachzuweisen, wurden dadurch nicht ausgeschlossen.

Mit dem erwähnten Urteil vom 06.05.2021 änderte der BGH seine Rechtsprechung, und nimmt seitdem an, allein die erkannte Zahlungsunfähigkeit rechtfertige bei sogenannten kongruenten Befriedigungen oder Sicherungen (das sind solche, auf die der Gläubiger einen Anspruch hat) für sich allein in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl der Fälle nicht mit hinreichender Gewissheit den Schluss auf den Vorsatz. Dies gelte insbesondere, wenn der Schuldner aus der maßgeblichen Sicht ex ante, also zum Zeitpunkt der Rechtshandlung, trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können. Habe allerdings die die Zahlungsunfähigkeit begründende Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten lasse, müsse dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen könne, ohne andere zu benachteiligen. Befriedige er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handele er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.

Im Grundsatz trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Tatbestands des § 133 InsO. Lediglich für den Nachweis der Vorsatzkenntnis beim Anfechtungsgegner hält das Gesetz eine Beweiserleichterung bereit. Wie weit diese reicht, ist unter anderem Gegenstand der Besprechungsentscheidung.

Der zu entscheidende Fall

Der klagende Insolvenzverwalter wurde in dem auf Insolvenzantrag vom 09.01.2015 am 26.02.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H-GmbH (Schuldnerin) bestellt. Er nimmt die beklagte Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von 20 Einzelzahlungen in Höhe von insgesamt 235.000 € in Anspruch, die die Schuldnerin auf Luftsicherheitsgebührenforderungen geleistet hatte. Sie war mit drei Flugzeugen als Charter-Fluggesellschaft für Reiseveranstalter tätig und führte Flüge von verschiedenen Flughäfen durch. Vor jedem Flug durchsuchten Beamte der Bundespolizei die Fluggäste und deren Gepäck. Dafür erhob die für den jeweiligen Flughafen zuständige Bundespolizeidirektion Gebühren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Zahlstelle für sämtliche Gebührenforderungen war die Bundeskasse. Etwaig erforderliche Vollstreckungsmaßnahmen wurden zentral vom Hauptzollamt durchgeführt. Wurde eine Gebührenforderung nicht rechtzeitig beglichen, mahnte die jeweilige Bundespolizeidirektion die Zahlung an. Blieb die Mahnung erfolglos, übernahm die Bundeskasse die weitere Beitreibung. Waren auch die Maßnahmen der Bundeskasse erfolglos, ordnete wiederum die jeweilige Bundespolizeidirektion die Vollstreckung an und leitete den Vorgang an das Hauptzollamt weiter. Mit den 20 Einzelzahlungen beglich die Schuldnerin in der Zeit vom 25.08. bis zum 14.11.2014 Gebührenforderungen von vier verschiedenen Bundespolizeidirektionen. 18 Zahlungen wurden an die Bundeskasse geleistet, zwei Zahlungen (insgesamt 21.000 €) erfolgten in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag an das Hauptzollamt, nachdem dieses der Schuldnerin die Vollstreckung angedroht hatte.

Das Landgericht Potsdam hat alle Zahlungen für anfechtbar gehalten. Die Berufung der Beklagten zum Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) blieb ohne Erfolg. Ihre Revision war teilweise erfolgreich und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, lediglich wegen der Verurteilung zur Zahlung der 21.000 € wies der BGH die Revision zurück.

Die Begründung des BGH

Der Anfechtungszeitraum war hier ersichtlich nicht überschritten, sodass es entscheidend auf die Feststellung des Vorsatzes und der Kenntnis hiervon ankam.

Zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:

Der BGH akzeptiert die Feststellung des OLG, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt aller Zahlungen im gesetzlichen Sinne bereits zahlungsunfähig war und dies wusste. Zweifel hegt er hingegen, ob die Deckungslücke ausreichend groß gewesen sei, um nach seiner neuen Rechtsprechung auf den Vorsatz schließen zu können.

Das OLG habe keine Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen der Schuldnerin und ihren Verbindlichkeiten festgestellt, sondern lediglich auf die Verbindlichkeiten abgestellt. Das reiche nicht.

Vielmehr müssten die Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung so beschaffen sein, dass aus der Sicht ex ante für jeden objektiven Betrachter in der Position des Schuldners selbst bei optimistischer Betrachtung unzweifelhaft klar sein müsse, diese würden nicht mehr vollständig befriedigt werden können. Das komme etwa Betracht, wenn es sich um Verbindlichkeiten handele, welche die erwartbare Schuldendeckungsfähigkeit des Schuldners offensichtlich bei weitem übersteigen. Für die Annahme derartiger Verbindlichkeiten könne es sprechen, dass diese bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden sind. Für sich genommen reiche dies jedoch nicht. Es müsse sich vielmehr um Verbindlichkeiten handeln, welche für sich genommen, das heißt ohne nähere Betrachtung des liquiden Vermögens sowie der künftigen Geschäftsentwicklung, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners zwingend zur Folge haben mussten. Solche hatte das OLG nicht festgestellt. Die Luftsicherheitsgebühren hätten zum laufenden Geschäftsbetrieb gehört, den die Schuldnerin wenn auch mit schleppendender Zahlungsweise über Jahre aufrechterhalten habe, weshalb sich dies im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen geändert haben sollte, sei nicht festgestellt.

In einem solchen Fall bedürfe es näherer Feststellungen zur Höhe der Deckungslücke. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass insbesondere Gläubiger hoher Forderungen nicht selten zu Zugeständnissen bereit seien, um jedenfalls eine teilweise Realisierung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Reiche auch dies nicht, müsse der Insolvenzverwalter weitere Indizien für den Vorsatz vortragen. Dies wird das OLG im zweiten Rechtszug zu prüfen haben. Dabei werde unter anderem der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen sein, die Bundespolizei sei gesetzlich zur Durchführung der die Luftsicherheitsgebühren auslösenden Maßnahmen verpflichtet gewesen und habe sich nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen dürfen. Dies unterstellt stünde es der Annahme entgegen, die Bezahlung der Luftsicherheitsgebühren sei zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin, was für den Vorsatz sprechen könnte, erforderlich gewesen.

Zur Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz:

Die oben erwähnte Beweiserleichterung hält § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bereit. Danach vermutet das Gesetz, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz kannte, wenn er im Zeitpunkt der Rechtshandlung wusste, dass der Schuldner mindestens drohend zahlungsunfähig war und dass die Rechtshandlung die Gläubiger benachteiligte. Die zweite Voraussetzung wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit indiziert, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit letzterem muss ein Gläubiger rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig ist.

Entscheidend kam es also darauf an, ob die Beklagte, wie das OLG angenommen hatte, von der Zahlungsunfähigkeit der unternehmerisch tätigen Schuldnerin Kenntnis hatte.

Mit dem Urteil vom 06.05.2021 hatte der BGH auch den Maßstab zur Feststellung der die Zahlungsunfähigkeit indizierenden Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 InsO) abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung definiert. Eine besonders aussagekräftige Grundlage der notwendigen gerichtlichen Überzeugung von der Zahlungseinstellung sei die eigene Erklärung des Schuldners, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht – und zwar auch nicht nur ratenweise – begleichen zu können, dies gelte erst recht, wenn der Schuldner ausdrücklich erkläre, zahlungsunfähig zu sein. Ohne eine solche Erklärung des Schuldners müssten die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt aufträten, reichten dafür häufig nicht.

Erforderliche seien dann weitere Umstände, etwa dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleiche, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen sei. Ferner könne der Mahn- und / oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers den Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen.

Vorliegend gab es wegen der Luftsicherheitsgebührenforderungen keine derartigen Erklärungen. Das OLG hätte sich deshalb davon überzeugen müssen, dass entweder die festgestellten Zahlungsverzögerungen für sich genommen ein Gewicht erreichten, das der Erklärung entsprach, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können, oder sich dies jedenfalls in Zusammenschau mit zusätzlichen Umständen ergab. Das wird es ebenfalls im zweiten Rechtszug nachzuholen haben.

Diese Kriterien gelten auch für die Kenntnis der Zahlungseinstellung, die dann die Zahlungsunfähigkeit indiziert. Vorliegend war zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst keine natürliche Person ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland, die durch ihre Behörden handelt. Unterstellt diese hatten die erforderliche Kenntnis oder Kenntnis von einzelnen Aspekten, die zusammen die Zahlungseinstellung begründeten, stellt sich die Frage, ob diese Kenntnisse der Beklagten zugerechnet werden dürfen und müssen.

Eine Wissenszurechnung zwischen Behörden folgt, so der BGH, nicht schon daraus, dass sie demselben Rechtsträger, hier der Beklagten, angehören. Im Grundsatz komme es vielmehr auf das Wissen des jeweils zuständigen Bediensteten der zuständigen Behörde an. Neben dem zuständigen Sachbearbeiter sei auch der Behördenleiter ein für die Wissenszurechnung geeigneter Kenntnisträger. Ob er an der angefochtenen Rechtshandlung beteiligt gewesen sei, spiele keine Rolle. Denn im rechtsgeschäftlichen Verkehr dürfe sich eine organisationsbedingte „Wissensaufspaltung“ nicht zulasten des Geschäftspartners auswirken; dies gelte aber zunächst nur für die nach außen auftretende Organisationseinheit, also das einzelne Amt oder die einzelne Behörde. Eine Wissenszurechnung zwischen verschiedenen Behörden sei von weiteren Voraussetzungen abhängig.

Sie komme in Betracht, wenn die Behörden eine behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheit gebildet haben. Das hatte der BGH früher bereits angenommen für den Fall der Nachforschung einer Behörde bei weiteren Behörden nach Möglichkeiten, eine gegen den Fiskus gerichtete (Werklohn-)Forderung durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen. Für die Beitreibung von Forderungen des Fiskus durch mehrere Behörden gemeinsam könne nichts anderes gelten. Erforderlich sei die tatsächliche Zusammenarbeit im konkreten Fall, die abstrakte Möglichkeit hierzu reiche dagegen nicht.

Der BGH hatte schon entschieden, dass die Beauftragung einer Vollstreckungsbehörde mit der Beitreibung einer Forderung zur Zurechnung des Wissens der Vollstreckungsbehörde über weitere, von anderen Gläubigern betriebene Vollstreckungsverfahren führt. Hierfür reiche indessen nicht jede untergeordnete Hilfstätigkeit der weiteren Behörde. Für die Zurechnung von außerhalb der konkreten Zusammenarbeit erworbenen Wissens müsse die Einbindung des Wissensträgers so geartet sein, dass sie die Weitergabe auch dieses Wissens erwarten lasse. Das sei der Fall, wenn es sich um Wissen handelt, dass für die konkrete Tätigkeit von Bedeutung sei. Die Erfolgsaussichten eines Vollstreckungsverfahrens hingen etwa auch davon ab, ob es weitere Vollstreckungsverfahren gebe oder gegeben habe und wie diese ausgegangen seien. Für die Tätigkeit als reine Zahlstelle, die sich in der Entgegennahme und Verbuchung von Zahlungen erschöpfe, wie hier die Tätigkeit der Bundeskasse, sei es hingegen ohne Bedeutung, wie sich das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern gestalte.

Auf dieser Grundlage könne nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen vorliegend nicht von einer Zusammenrechnung allen Wissens der Bundeskasse, der vier beteiligten Bundespolizeidirektionen und des Hauptzollamts ausgegangen werden.

Die 20 Zahlungen hätten sich auf Luftsicherheitsgebühren, die von vier rechtlich selbstständigen Bundespolizeidirektionen erhoben worden wären, bezogen. Für die erforderlichen Kenntnisse sei es deshalb im Ausgangspunkt auf das Wissen der jeweiligen Bundespolizeidirektion angekommen. Der Umstand, dass Zahlungen auf die Gebührenforderungen an die Bundeskasse zu leisten gewesen und von dieser verbucht worden seien, führe nicht zu einer Zurechnung des Wissens der Bundeskasse über das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber den anderen Bundespolizeidirektionen. Es habe sich um eine untergeordnete Hilfstätigkeit gehandelt, für deren ordnungsgemäße Erfüllung das sonstige Zahlungsverhalten der Schuldnerin ohne Bedeutung gewesen sei.

Ob dagegen mit Übergang der Zuständigkeit für die weitere Beitreibung der Forderungen nach erfolgloser Mahnung durch die jeweilige Bundespolizeidirektion die für die Wissenszurechnung erforderliche Einbindung der Bundeskasse erfolgt sei, habe das OLG nicht ausreichend festgestellt. Auch zu Vollstreckungsaufträgen an das Hauptzollamt, die sich auf die den angefochtenen Zahlungen zugrundeliegenden Forderungen bezogen hätten, fehle es an Feststellungen. Gleiches gelte für das Wissen des Hauptzollamts. Die Bundeskasse habe aufgrund ihrer Tätigkeit als Zahlstelle jedenfalls die (bloßen) Zahlungsverzögerungen gekannt, die, wie ausgeführt, für sich genommen nicht für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit ausgereicht hätten. Auch diese erforderlichen Feststellungen muss das OLG nachholen.

Da schließlich auch § 130 InsO die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit voraussetze, könnten auch die in dessen dreimonatigen Anfechtungszeitraum fallenden Zahlungen nach den bisherigen Feststellungen nicht nach dieser Norm angefochten werden.

Auf der bisherigen Grundlage anfechtbar seien lediglich die zwei Zahlungen über 21.000 € nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, da sie wegen der Leistung in der Zwangsvollstreckung als inkongruent zu behandeln seien und auch die übrigen Voraussetzungen dieser Norm erfüllt seien.

Download: Kosten der Präimplantationsdiagnostik als außergewöhnliche Belastungen abziehbar? - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Die Entscheidung bewegt sich in einem stark umstrittenen gesellschaftspolitischen Umfeld, der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Hierzu ist unter anderem § 3a des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) ergangen. Nach dessen Abs. 1 wird ist die PID im Grundsatz verboten.

„Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos, denn die folgenden Absätze bestimmen:

(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.

(3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur

1. nach Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der von der Frau gewünschten genetischen Untersuchung von Zellen der Embryonen, wobei die Aufklärung vor der Einholung der Einwilligung zu erfolgen hat,
2. nachdem eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an den zugelassenen Zentren für Präimplantationsdiagnostik die Einhaltung der Voraussetzungen des Absatzes 2 geprüft und eine zustimmende Bewertung abgegeben hat und
3. durch einen hierfür qualifizierten Arzt in für die Präimplantationsdiagnostik zugelassenen Zentren, die über die für die Durchführung der Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik notwendigen diagnostischen, medizinischen und technischen Möglichkeiten verfügen, vorgenommen werden. Die im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen, einschließlich der von den Ethikkommissionen abgelehnten Fälle, werden von den zugelassenen Zentren an eine Zentralstelle in anonymisierter Form gemeldet und dort dokumentiert.

(5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2 durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Nichtmitwirkung darf kein Nachteil für den Betreffenden erwachsen.
…“

Im vorliegenden Steuerrechtstreit bildeten diese hier nur angerissenen gesellschaftspolitischen Fragen allerdings lediglich den Rahmen des finanzgerichtlichen Rechtsstreits, im Zentrum war vielmehr zu klären, ob die Kosten für die PID einkommensteuerrechtlich als sogenannte außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden können. § 33 EStG lautet auszugsweise:

„(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.

(2) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen…“

Der zu entscheidende Fall

Bei dem Partner der im Streitjahr ledigen Klägerin bestand eine chromosomale Translokation (Chromosomenmutation, in Form einer sog. balancierten reziproken Translokation), welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.

Die Klägerin und ihr Partner ließen sich im Kinderwunschzentrum A behandeln, nachdem sie humangenetische am Universitätsklinikum B und am Institut C beraten worden waren. Das Institut bestätigte, dass aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin und ihres Partners die Durchführung einer PID indiziert sei. Nach einem Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum und einer psychosozialen Beratung entschieden sie sich, eine künstliche Befruchtung mit PID durchführen zu lassen. Die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer erteilte die erforderliche Zustimmung zur Durchführung der PID.

Die Behandlungen zur Durchführung der künstlichen Befruchtung fanden aus medizinischen Gründen bei der chromosomalen Translokation des Partners zu einem Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Klägerin selbst statt.

In ihrer Einkommensteuererklärung beantragte die Klägerin den Abzug von Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Höhe von 22.965 € als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Kosten, die teilweise von ihr gezahlt, teilweise aber auch von ihrem Partner beglichen wurden. Das Finanzamt (FA) lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten der Klägerin auch im Einspruchsverfahren ab. Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage teilweise statt und erkannte – neben geschätzten Fahrtkosten der Klägerin in Höhe von 658,80 EUR – die Aufwendungen insoweit als außergewöhnliche Belastungen an, als die Kosten von der Klägerin selbst getragen worden waren (9.344,95 EUR). Im Übrigen wies es die Klage ab.

Die Revision des FA hat der Bundesfinanzhof (BFH) zurückgewiesen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1.Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.

2.Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen – aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen – Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden.

3.Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.

Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Allgemein gelte, dass Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet seien, nach ständiger Rechtsprechung ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwüchsen. Allerdings würden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt würden, die Krankheit erträglich zu machen. Unerheblich sei aber, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen der Heilung dienten oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollten.

Deshalb würden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert werde. Dementsprechend erkenne der BFH Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen würden.

Voraussetzung sei weiter, dass die Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine danach verbotene Behandlung könne keinen zwangsläufigen Aufwand im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Insbesondere dürften die Kosten für eine künstliche Befruchtung nur berücksichtigt werden, wenn die aufwandsbegründende Behandlung nicht gegen das ESchG verstoße.

Bei der im Streitfall vorliegenden chromosomalen Translokation des Partners der Klägerin mit der wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind handele es sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand und mithin um eine Krankheit in diesem Sinne.

Die PID in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Klägerin seien medizinisch indiziert gewesen, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Unerheblich sei, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt gewesen sei, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohne gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden sei, es reiche eine Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen durch die Behandlung aus.

Da vorliegend die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Klägerin auszugleichen, seien ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der gesunden Klägerin vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Eine Behandlung des Partners allein hätte keine Linderung der Krankheit ermöglicht.

Für belanglos hält der BFH, dass die Klägerin und ihr Partner nicht verheiratet waren. Dies gelte auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht erkrankten Partner, hier der Klägerin, vorzunehmen seien, soweit diese aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer Krankheit des Partners erforderlich seien. Ferner stünde die Behandlung im Einklang mit den Richtlinien der zuständigen Landesärztekammer. Deren PID-Kommission habe auch die erforderliche Zustimmung erteilt.

Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 und 3 ESchG seien nach den bindenden Feststellungen des FG insgesamt eingehalten worden. Es habe aufgrund der beim Partner der Klägerin vorliegenden genetischen Veränderung das hohe Risiko einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos bestanden. Die notwendigen Beratungen seien durchgeführt, die erforderlichen Zustimmungen der Partner erteilt worden.

Dem steuerlichen Abzug der von der Klägerin selbst getragenen Aufwendungen für die an ihr vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen stünde schließlich nicht der Grundsatz der Individualbesteuerung entgegen. Danach sei die Einkommensteuer eine Personensteuer, die die im Einkommen zu Tage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person der Besteuerung zugrunde lege und damit die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sicherstelle. Das FG habe deshalb die der Klägerin entstandenen und von ihr getragenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu Recht berücksichtigt und mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung verstoßen, sondern vielmehr der geminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin Rechnung getragen.

Über die vom Partner der Klägerin getragenen Kosten, wegen derer das FG die Klage abgewiesen hatte, brauchte der BFH nicht zu entscheiden. Da die Klägerin gegen die teilweise Klageabweisung nicht ihrerseits Revision oder Anschlussrevision eingelegt hatte, ist das finanzgerichtliche Urteil bereits im Umfang der Klageabweisung in Rechtskraft erwachsen und der Streit insoweit gar nicht in die Revisionsinstanz gelangt.

Download: Die Nähe zum Insolvenzschuldner erhöht das Risiko der Insolvenzanfechtung - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Nahestehende Personen im Insolvenzanfechtungsrecht

Die Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs gemäß §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) muss grundsätzlich der Insolvenzverwalter vortragen und, wenn sie vom Anfechtungsgegner bestritten werden, auch beweisen. Dies ist, da sehr viele Anfechtungstatbestände die Kenntnis des Anfechtungsgegners von bestimmten Umständen aus dem Bereich des Schuldners, insbesondere dessen Zahlungsunfähigkeit oder dessen Gläubigerbenachteiligungsabsicht, erfordern, nicht immer einfach. Das hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, in einigen Fallkonstellationen Beweiserleichterungen für den Insolvenzverwalter zu schaffen. So ist die Anfechtung gegenüber sogenannten nahestehenden Personen deutlich erleichtert.

§ 130 InsO verlangt neben einer anfechtbaren Handlung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner davon Kenntnis hatte. Hinsichtlich dieser Kenntnis regelt § 130 Abs. 3 InsO:

„Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.“

Ist eine nahestehende Person Anfechtungsgegner, braucht der Insolvenzverwalter deren Kenntnis also nicht nachzuweisen, das Gesetz geht vielmehr davon aus – „vermutet“ –, dass diese Person die Zahlungsunfähigkeit kannte. Es ist dann Sache des Anfechtungsgegners, den sogenannten Gegenbeweis zu führen. Er muss nachweisen, dass er die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte, obwohl er dem Schuldner nahestand. Dieser Beweis ist wiederum für den Anfechtungsgegner nicht leicht zu führen.

Die Vorschrift des § 130 Abs. 3 InsO greift auch bei anderen Tatbeständen ein, die die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit fordern.

Darüber hinaus beinhaltet § 133 Abs. 4 InsO einen Anfechtungstatbestand, der ausschließlich bei nahestehenden Personen in Betracht kommt:

„Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.“

Hier geht das Gesetz davon aus, dass eine nahestehende Person den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen kannte. Um die Anfechtung nach dieser Vorschrift abzuwenden, muss der Anfechtungsgegner beweisen, dass ihm dieser Vorsatz nicht bekannt war.

Wer als nahestehende Person zu behandeln ist, bestimmt § 138 InsO, wobei Absatz 1 diese Frage bei natürlichen Personen als Insolvenzschuldner regelt und Absatz 2 bei juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften (zum Beispiel eine offene Handelsgesellschaft – oHG).

Bei natürlichen Personen sind nahestehend insbesondere deren Ehegatten und Lebenspartner, nahe Verwandte und Personen, die mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft leben. Aber auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können dem Schuldner nahestehen, wenn er zum Beispiel Mitglied des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans oder persönlich haftender Gesellschafter ist.

Ist dagegen Insolvenzschuldnerin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, stehen ihr unter anderem nahe die Mitglieder ihres Vertretungs- oder Aufsichtsorgans, ein persönlich haftender Gesellschafter und Personen, die zu mehr als einem Viertel an ihrem Kapital beteiligt sind.

Der zu entscheidende Fall

Insolvenzschuldnerin ist eine GmbH, der beklagte Anfechtungsgegner ist ein eingetragener Verein, der zu 100 % an einer anderen Gesellschaft, der M-GmbH (M), beteiligt ist. Die M wiederum hält 100 % der Anteile der schuldnerischen GmbH.

Am 16.07.2013 überwies die Schuldnerin dem beklagten Verein auf eine bestehende, fällige Forderung 146.000 €. Auf einen eigenen Insolvenzantrag der Schuldnerin vom 22.08.2013 wurde am 30.10.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Verwalter hat diese Zahlung angefochten und Rückgewähr zu Masse gemäß § 130 InsO mit der Behauptung verlangt, die Schuldnerin sei bei der Zahlung zahlungsunfähig gewesen. Der Beklagte hat schon die Zahlungsunfähigkeit bestritten und geltend gemacht, jedenfalls nicht von einer Zahlungsunfähigkeit gewusst zu haben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Insolvenzverwalters zurückgewiesen. Es hat dabei das objektive Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit offengelassen, weil der Beklagte, sollte sie vorgelegen haben, sie nicht gekannt hatte. Daher könnten die Voraussetzungen des § 130 InsO nicht vorliegen.

Auf die Revision des Insolvenzverwalters hebt der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verweist die Sache an das Oberlandesgericht zurück, damit dieses im zweiten Rechtszug die notwendigen Feststellungen zur objektiven Zahlungsunfähigkeit nachholen kann. Der BGH ist reine Rechtsinstanz und kann selbst die zugrundeliegenden Tatsachen nicht feststellen.

Die Entscheidungsgründe

Der BGH führt aus, dass die für jede Insolvenzanfechtung nach § 129 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung der 146.000 € eingetreten sei, aber auch die Voraussetzungen des § 130 InsO könnten vorliegen. Die Zahlung sei in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgt. Sollte die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig gewesen sein, was das Oberlandesgericht – wie erwähnt – nicht geprüft hatte, sei § 130 InsO vollständig erfüllt, denn die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit sei gemäß § 130 Abs. 3 InsO zu vermuten, weil der Beklagte eine der Schuldnerin nahestehende Person sei.

Die Eigenschaft des Beklagten als nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO habe das Berufungsgericht zu Unrecht verneint. Bei einer nahestehenden Person werde die Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit vermutet, wie sich aus § 130 Abs. 3 InsO ergebe.

Ist der Schuldner – wie hier die GmbH – eine juristische Person, so sind, wie schon dargestellt, gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO unter anderem solche Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.

Die Bestimmung erfasse auch mittelbare Beteiligungen, meint der BGH, wie sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes ergebe. Maßgeblich sei das Verständnis der Insolvenzordnung zu dieser Frage.

Bei der Auslegung eines Gesetzes sind verschiede Aspekte zu berücksichtigen, einer davon ist die Gesetzgebungsgeschichte. Der 1992 veröffentlichte Entwurf der Bundesregierung zur neu zu schaffenden InsO bestimmte in § 154 Abs. 2 ausdrücklich, dass eine Person auch insoweit am Schuldner beteiligt ist, als ein von der Person abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt ist. Damit sollte bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital auch eine mittelbare Beteiligung zu berücksichtigen sein. Aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses, der nach Bundestag und Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen worden war, erfolgte eine Neugliederung und redaktionelle Straffung, in deren Folge nunmehr § 153 des Regierungsentwurfs die von § 154 geregelten Beziehungen erfassen sollte. § 153 des Entwurfs erwähnte ebenso wie die dann Gesetz gewordene Regelung des § 138 InsO mittelbare Beteiligungen nicht mehr ausdrücklich, eine inhaltliche Änderung habe damit, so der BGH, aber nicht einher gehen sollen. Der Gesetzgeber habe den § 154 des Entwurfs parallel zur Vorschrift des § 16 Abs. 4 des Aktiengesetzes (AktG) formuliert. Die Vorschrift entspreche daher dem in § 16 Abs. 4 AktG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, für die Berechnung der Kapitalbeteiligung auch mittelbare Beteiligungen am Schuldner einzubeziehen.

Die Regelung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO beruhe darauf, dass zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heiße über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügten, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten. Das Bestehen einer solchen Möglichkeit werde in typisierender Weise bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % unwiderleglich vom Gesetz vermutet. Dies müsse nach dem Grundgedanken der Regelung auch dann gelten, wenn eine Beteiligung von mehr als 25 % durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht werde.

Vorliegend sei der Beklagte (mittelbar) mit mehr als 25 % am Kapital der Schuldnerin beteiligt, weil er alleiniger Gesellschafter der M-GmbH und diese wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin sei. Ob der Gesellschafter einer GmbH als nahestehende Person anzusehen sei, hänge nach dem Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit nicht davon ab, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürften.

Bevor der BGH ein Urteil aufhebt, prüft er stets, ob das Urteil nicht aus anderen als den vom Berufungsgericht angeführten Gründen richtig ist, so auch hier. Das Urteil des Oberlandesgerichts wäre nämlich im Ergebnis auch dann richtig gewesen, wenn, wie der beklagte Verein auch vorgebracht hatte, der Anfechtungsanspruch verjährt gewesen wäre.

Der BGH verneint indessen die Verjährung des Anfechtungsanspruchs.

Der Anfechtungsanspruch verjährt gemäß § 146 Abs. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Gemäß § 195 BGB verjährt der Anfechtungsanspruch daher grundsätzlich nach drei Jahren. Die Verjährungsfrist läuft mit dem Schluss des Jahres an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. – Der durch die Insolvenzanfechtung geltend gemachte Rückgewähranspruch entsteht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Vorliegend hatte der Lauf der Frist aufgrund der Insolvenzeröffnung am 30.10.2013 frühestens mit Ablauf des 31.12.2013 begonnen und ist folglich nicht vor dem 31.12.2016 beendet gewesen.

Die Zustellung des vom Kläger für den Rückgewähr beantragten Mahnbescheids beim Beklagten sei am 21.12.2016 erfolgt und habe die Verjährung daher gehemmt. Anders als der Beklagte meine, habe der Kläger für den geltend gemachten Anspruch vom Mahnverfahren Gebrauch machen dürfen. Die Voraussetzungen unter denen dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werde, lägen nicht vor. Der Anfechtungsanspruch sei entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht von einer Gegenleistung abhängig, was dem Erlass eines Mahnbescheids allerdings entgegengestanden hätte. Dem Anfechtungsgegner stehe im Anfechtungsprozess auch kein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick darauf zu, dass die Forderung, deren Befriedigung angefochten werde, als Insolvenzforderung gemäß § 144 InsO wieder auflebt, wenn der Anfechtungsgegner den Anfechtungsanspruch erfüllt.

Download: Urlaubsfahrt „ins Blaue“ ist kein Grund für eine Vertagung eines Gerichtstermins - Eine Entscheidungskommentierung von Dr. Dietmar Onusseit

Gerichte bestimmen ihre Termine im Allgemeinen, ohne sie mit den Beteiligten, den Parteien und ihren Rechtsanwälten, zuvor abzusprechen. Die Beteiligten sind deshalb darauf verwiesen, einen Vertagungsantrag zu stellen. Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bedarf es hierfür jedoch eines „erheblichen Grundes“, der auf Verlangen des Gerichts glaubhaft gemacht werden muss. Diese Vorschrift gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren, da § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Vorschriften der ZPO verweist, soweit die FGO keine eigenen Regelungen trifft, und solche sich in der FGO zur Vertagung nicht finden.

Der zu entscheidende Fall

Das Verfahren befindet sich bereits im zweiten Rechtsgang. Im ersten Rechtsgang hatte der Bundesfinanzhof (BFH) die Vorentscheidung des Sächsischen Finanzgerichts (FG) aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da das FG trotz eines dargelegten und glaubhaft gemachten wichtigen Grundes für eine Terminsverlegung in der Sache verhandelt und entschieden hatte

Im zweiten Rechtsgang stellte der Kläger zunächst erfolgreich zwei weitere Anträge auf Terminsverlegung. Bei der streitgegenständlichen dritten Ladung wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 22.02.2023 (Aschermittwoch) bestimmt. Der ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte, ein selbständiger Einzelanwalt, beantragte mit Schreiben vom 31.01.2023 Terminsverlegung mit der Begründung, dass er sich vom 16.02.2023 bis zum 22.02.2023 im Urlaub befinde.

Das FG lehnte diesen Antrag ab, da der Prozessbevollmächtigte nicht dargetan – und erst recht nicht glaubhaft gemacht – habe, dass er infolge eines bereits vor Anberaumung des Termins geplanten Urlaubs ortsabwesend sei.

Der Rechtsanwalt erwiderte, dass der Urlaub schon vor der Terminierung geplant und festgesetzt gewesen sei. Denn es handele sich um eine an seinem Kanzleiort sehr ausgeprägte Karnevalszeit; nahezu alle Firmen arbeiteten nicht. Er sei seit 25 Jahren verheiratet und habe mit seiner Frau über die Karnevalstage vom 16.02.2023 bis 22.02.2023 „Urlaub genommen“. Der Entschluss sei in der Weihnachtszeit 2022 gefallen. Hierüber könne dem FG auch die Ehefrau berichten. Wohin man fahren werde, stehe noch nicht fest.

Das FG verlegte den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht. Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte erschienen zur mündlichen Verhandlung. Das FG verhandelte, dies ist in einem solchen Fall zulässig, in Abwesenheit der Klägerseite und wies die Klage ab, die Revision ließ es nicht zu. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die er mit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und damit mit einem Verfahrensfehler im Sinne des § 115 FGO begründete. Der BFH hat den Antrag auf Zulassung der Revision zurückgewiesen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen eines in der Privatsphäre liegenden Vorhabens setzt die Darlegung und (gegebenenfalls) die Glaubhaftmachung von Umständen voraus, wonach das Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist.

2. Ein vor Zugang der Ladung gefasster Entschluss zu einem Kurzurlaub "ins Blaue" ist kein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten.

Zur Begründung hat der BFH ausgeführt: Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs könne durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt werden. Habe das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so werde die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet. Die Rüge dieses Verfahrensmangels erfordere daher nicht einmal die Darlegung, was der Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können.

Das Gericht könne aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen sowie eine Verhandlung vertagen. Wenn ein Beteiligter erhebliche Gründe geltend und (gegebenenfalls) glaubhaft mache, verdichte sich das in § 227 ZPO eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, das heißt der Termin müsse in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif halte und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde.

Welche Gründe als erheblich anzusehen seien und deshalb von demjenigen, der eine Verlegung des Termins beantragt, darzulegen seien, richte sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozessstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der Prozessbevollmächtigten seien dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz sei und die Beteiligten ein Recht darauf hätten, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung komme eine Terminsverlegung wegen einer durch eine anderweitige Verpflichtung bedingten Ortsabwesenheit eines Beteiligten oder einen Urlaub des Prozessbevollmächtigten allerdings grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die andere Sache vorrangig sei oder der Urlaub oder ein sonstiges in der Privatsphäre liegendes Vorhaben in seiner Planung bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet gewesen sei, dass dem Prozessbevollmächtigten unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar sei. Der Vortrag eines Beteiligten, er habe (gegebenenfalls auch zusammen mit einer anderen Person) vor Zugang der Ladung den Entschluss gefasst, am Tag der mündlichen Verhandlung Urlaub zu machen, genüge dafür nicht. Andernfalls hätten es die Beteiligten in der Hand, nahezu nach Gutdünken Terminsänderungen herbeizuführen.

Die vom FG verlangte Glaubhaftmachung nach § 292 ZPO erfordere zwar nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet werde, tatsächlich vorliegen. Das Fehlen dieser Glaubhaftmachung könne nach § 227 Abs. 2 ZPO den Beteiligten nur nach entsprechender erfolgloser Aufforderung durch den Vorsitzenden oder den Einzelrichter entgegengehalten werden, wenn nicht eine derartige Aufforderung insbesondere wegen der Kurzfristigkeit des Verlegungsantrags zeitlich nicht möglich gewesen sei.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe könne das Vorgehen des FG nicht beanstandet werden. Der durch einen Rechtsanwalt und damit rechtskundig vertretene Kläger habe gegenüber dem FG schon keinen erheblichen Grund dargelegt, der eine Terminsverlegung gerechtfertigt hätte, obwohl er hierzu Anlass gehabt habe. Er habe vor der mündlichen Verhandlung weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass die Urlaubsplanung des Prozessbevollmächtigten bereits vor Zugang der Ladung so ausgestaltet war, dass diesem unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar gewesen sei.

Der Vortrag im Schreiben des Rechtsanwalts vom 08.02.2023, er habe sich vor Zugang der Ladung mit seiner Frau darauf verständigt, am Sitzungstag Urlaub zu machen, sie wüssten aber nicht, wohin die Reise gehen solle, genüge nicht, um eine Terminsverlegung zu erreichen. Bei einer derartigen Urlaubsfahrt „ins Blaue“ liege die Erheblichkeit des Grundes im Sinne des § 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 227 ZPO nicht auf der Hand, sondern könne sich nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergeben. Weitere zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Umstände habe der Kläger jedoch nicht vorgetragen und erst recht nicht glaubhaft gemacht, obwohl das FG mit Schreiben vom 03.02.2023 deutlich gemacht hätte, dass es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht (ein weiteres Mal) wegen eines nicht näher präzisierten Urlaubs verlegen werde, und sich aus diesem Schreiben in Zusammenschau mit dem vorangegangenen Schriftwechsel ergeben habe, dass das FG auch eine Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe verlangt habe. Dies sei dem Rechtsanwalt auch klar gewesen, denn er habe kritisiert, dass der Richter durchwegs Nachweise hätte haben wollen, ob seine (des Rechtsanwalts) Aussagen wahr seien.

Als Rechtsanwalt habe dem Prozessbevollmächtigten bekannt sein müssen, dass er in einem derartigen Fall zusätzlich zu dem angegebenen Verlegungsgrund – dem beabsichtigten Urlaub – Umstände vortragen und glaubhaft machen müsse, wonach die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins nach den Gesamtumständen des Einzelfalls als nicht zumutbar erscheint.

Schließlich ergäben sich auch aus den Akten keine Umstände, wonach sich dem FG die Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung geradezu aufdrängen musste.

Der BFH sah folglich keinen Grund für die Zulassung der Revision.

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